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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.03.2007
Aktenzeichen: C-15/06 P
Rechtsgebiete: Satzung des Gerichtshofs, EG, Verordnung (EWG) Nr. 2052/88


Vorschriften:

Satzung des Gerichtshofs Art. 56
EG Art. 158
Verordnung (EWG) Nr. 2052/88
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

22. März 2007

"Rechtsmittel - Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) - Beendigung einer finanziellen Beteiligung - Nichtigkeitsklage - Zulässigkeit - Regionale oder lokale Einheit - Rechtsakte, die diese Einheit unmittelbar und individuell betreffen - Unmittelbare Betroffenheit"

Parteien:

In der Rechtssache C-15/06 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 4. Januar 2006,

Regione Siciliana, Prozessbevollmächtigter: G. Aiello, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Rechtsmittelführerin,

andere Verfahrensbeteiligte:

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. de March und L. Flynn als Bevollmächtigte im Beistand von G. Faedo, avvocatessa, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten R. Schintgen sowie der Richter A. Borg Barthet und M. Ilesic (Berichterstatter),

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2007,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Regione Siciliana die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 18. Oktober 2005, Regione Siciliana/Kommission (T-60/03, Slg. 2005, II-4139, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung C (2002) 4905 der Kommission vom 11. Dezember 2002 (im Folgenden: streitige Entscheidung) als unbegründet abgewiesen hat; mit dieser Entscheidung war der Zuschuss, der der Italienischen Republik mit der Entscheidung C (87) 2090 026 der Kommission vom 17. Dezember 1987 über die Bewilligung eines Zuschusses des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in Höhe von mindestens 15 Millionen [Euro] für eine Infrastrukturinvestition in Italien (Region: Sizilien) gewährt worden war, gestrichen und der von der Kommission bereits ausgezahlte Vorschuss zurückgefordert worden.

Rechtlicher Rahmen

2 Zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts im Sinne des Art. 158 EG wurden die Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Entwicklungsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente (ABl. L 185, S. 9) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2081/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (ABl. L 193, S. 5) (im Folgenden: Verordnung Nr. 2052/88) und die Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits (ABl. L 374, S. 1) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2082/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (ABl. L 193, S. 20) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 4253/88) erlassen.

3 Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 lautet:

"Die Gemeinschaftsaktion stellt eine Ergänzung oder einen Beitrag zu den entsprechenden nationalen Aktionen dar. Sie kommt zustande durch eine enge Konzertierung zwischen der Kommission, dem betreffenden Mitgliedstaat, den von ihm auf nationaler, regionaler, lokaler oder sonstiger Ebene benannten zuständigen Behörden und Einrichtungen ..., wobei alle Parteien als Partner ein gemeinsames Ziel verfolgen. Diese Konzertierung wird nachstehend als Partnerschaft bezeichnet. Die Partnerschaft erstreckt sich auf die Vorbereitung, Finanzierung und Begleitung sowie auf die Vorausbeurteilung und die Ex-post-Bewertung der Aktionen."

4 Unter der Überschrift "Zusätzlichkeit" bestimmt Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88: "Zur Gewährleistung einer tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkung dürfen die Mittel der Strukturfonds ... nicht an die Stelle der öffentlichen Strukturausgaben oder Ausgaben gleicher Art des Mitgliedstaats in allen der im Rahmen eines Zieles förderungswürdigen Gebieten treten."

5 Art. 24 der Verordnung sieht vor:

"(1) Wird eine Aktion oder eine Maßnahme so ausgeführt, dass die gewährte finanzielle Beteiligung weder teilweise noch insgesamt gerechtfertigt erscheint, so nimmt die Kommission eine entsprechende Prüfung des Falles im Rahmen der Partnerschaft vor und fordert insbesondere den Mitgliedstaat oder die von ihm für die Durchführung der Aktion benannten Behörden auf, sich innerhalb einer bestimmten Frist dazu zu äußern.

(2) Nach dieser Prüfung kann die Kommission die finanzielle Beteiligung an der betreffenden Aktion oder Maßnahme kürzen oder aussetzen, wenn durch die Prüfung bestätigt wird, dass eine Unregelmäßigkeit oder eine erhebliche Veränderung der Art oder der Durchführungsbedingungen der Aktion oder Maßnahme vorliegt und diese Veränderung der Kommission nicht zur Zustimmung unterbreitet wurde.

(3) Nicht rechtmäßig gezahlte Beträge sind an die Kommission zurückzuzahlen. ..."

Vorgeschichte des Rechtsstreits

6 Mit einem Antrag, der am 23. September 1986 bei der Kommission einging, beantragte die Italienische Republik einen Zuschuss des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) für eine Infrastrukturinvestition in Sizilien, nämlich für den dritten Bauabschnitt eines Staudamms am Gibbesi. Der Antrag betraf die Errichtung von Nebenanlagen zum Dammkörper und nahm auf den zweifachen Zweck des Dammes Bezug, der eine verlässliche Wasserversorgung des geplanten Industriegebiets von Licata und die Bewässerung von rund 1 000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen gewährleisten sollte.

7 Mit der Entscheidung C (87) 2090 026 (im Folgenden: Bewilligungsentscheidung) gewährte die Kommission der Italienischen Republik einen Zuschuss des EFRE von höchstens 94 490 620 056 ITL (etwa 48,8 Millionen Euro). Hierauf wurde an die Italienische Republik ein Vorschuss in Höhe von insgesamt 75 592 496 044 ITL (etwa 39 Millionen Euro) ausgezahlt.

8 Mit Schreiben vom 23. Mai 2000 teilten die italienischen Behörden der Kommission mit, dass die Arbeiten am Dammkörper seit dem 11. November 1992 abgeschlossen seien, der Staudamm aber nicht betriebsbereit sei. Mit demselben Schreiben übermittelten die italienischen Behörden der Kommission außerdem eine Note der Regione Siciliana vom 17. Januar 2000, in der diese sich förmlich zur Durchführung der erforderlichen Arbeiten verpflichtete, um den Staudamm betriebsbereit und nutzbar zu machen.

9 Mit Schreiben vom 29. März 2001 übersandten die italienischen Behörden der Kommission ihren Abschlusszahlungsantrag sowie eine Note der Regione Siciliana vom 5. März 2001. Aus dieser Note ging hervor, dass der Ente minerario siciliano (sizilianische Bergwerksbehörde), der Bauherr des Staudamms, aufgelöst worden war, dass das Industriegebiet von Licata nicht hatte geschaffen werden können und dass deshalb der ursprüngliche Bestimmungszweck des Stauwassers geändert werden musste. Um die in Betracht kommenden Nutzungszwecke des Stauwassers zu ermitteln, war ein Gutachten in Auftrag gegeben worden.

10 Angesichts dieser Informationen beschloss die Kommission, das in Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88 und der Bewilligungsentscheidung vorgesehene Prüfverfahren einzuleiten. Mit Schreiben vom 26. September 2001 teilte sie der Italienischen Republik den Sachverhalt mit, den sie als eine Unregelmäßigkeit betrachtete und der möglicherweise eine Streichung des Zuschusses rechtfertige. Sie forderte die italienischen Behörden, die Regierung der Region Sizilien und den Endbegünstigten des Zuschusses zu einer Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten auf.

11 Mit Schreiben vom 29. November 2001 übermittelte die Italienische Republik der Kommission die Stellungnahme der Regione Siciliana. Aus dieser ging hervor, dass für die Inbetriebnahme des Bauwerks noch kein - auch nur vorläufiges - Datum festgelegt worden war.

12 Mit Schreiben vom 21. Februar 2002 machte die Regione Siciliana weitere Angaben zum Baustand des Vorhabens und legte einen Zeitplan vor, wonach die Arbeiten bis zum 2. Februar 2003 abgeschlossen werden sollten.

13 Nach Ansicht der Kommission bestätigten diese Angaben das Vorliegen verschiedener Unregelmäßigkeiten im Sinne von Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88. Sie erließ daraufhin am 11. Dezember 2002 die streitige Entscheidung. Mit dieser Entscheidung strich die Kommission den Zuschuss, gab den für die Restzahlung bereitgestellten Betrag frei und forderte den gezahlten Vorschuss zurück.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

14 Am 20. Februar 2003 erhob die Regione Siciliana eine Nichtigkeitsklage gegen die streitige Entscheidung. Das Gericht wies diese Klage mit dem angefochtenen Urteil als unbegründet ab.

15 Bevor das Gericht über die Begründetheit entschied, verwarf es die Einrede der Unzulässigkeit, die die Kommission mit der Begründung erhoben hatte, dass die Regione Siciliana nicht klagebefugt sei. Die Kommission bestritt zwar nicht, dass die Regione Siciliana im Sinne des Art. 230 Abs. 4 EG von der streitigen Entscheidung individuell betroffen ist; sie vertrat jedoch die Ansicht, dass die Regione Siciliana von dieser Entscheidung nicht unmittelbar betroffen sei.

16 Zur Frage der Zulässigkeit der Klage enthält das Urteil im Wesentlichen folgende Begründung:

"47 Mit der Streichung des gesamten Zuschusses wurde ... mit der [streitigen] Entscheidung hauptsächlich die der Kommission obliegende Verpflichtung widerrufen, den restlichen Zuschuss (in Höhe von 9,8 Millionen Euro) auszuzahlen, und die Rückzahlung des Vorschusses (in Höhe von etwa 39 Millionen Euro) angeordnet, der an die Italienische Republik gezahlt und an die Klägerin weitergegeben worden war.

48 Nach Auffassung des Gerichts musste sich eine derartige Entscheidung auf die Rechtsstellung der Klägerin in mehrfacher Hinsicht auswirken. Dabei beließ die [streitige] Entscheidung den italienischen Behörden auch keinen Ermessensspielraum, da ihre Durchführung rein automatisch erfolgte und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergab, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewandt wurden.

...

53 Was zunächst die Änderung der Rechtsstellung der Klägerin anbelangt, so war es eine erste unmittelbare und sofortige Wirkung der [streitigen] Entscheidung, dass sich durch den Entzug des von der Kommission zu zahlenden restlichen Zuschussbetrags (in Höhe von etwa 9,8 Millionen Euro) die Vermögenslage der Klägerin veränderte. Der nicht ausgezahlte Restbetrag des Zuschusses wird von der Kommission nicht an die Italienische Republik ausgezahlt werden, weil der Zuschuss gestrichen wurde. Die italienischen Behörden werden daher nicht in der Lage sein, diesen Betrag an die Klägerin weiterzuleiten. ...

54 Die [streitige] Entscheidung ändert die Rechtsstellung der Klägerin auch infolge der Verpflichtung, die als Vorschuss gezahlten Beträge (in Höhe von etwa 39 Millionen Euro) zurückzuzahlen. Denn die [streitige] Entscheidung bewirkte unmittelbar eine Umwandlung der Rechtsstellung der Klägerin als unstreitig anerkannte Gläubigerin dieser Beträge zu der Stellung als zumindest potenzielle Schuldnerin der Beträge. ...

...

56 Was weiterhin das Kriterium der automatischen Anwendbarkeit der [streitigen] Entscheidung angeht, ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung in mechanischer Weise bereits als solche die oben in den Randnummern 53 und 54 beschriebene zweifache Auswirkung auf die Klägerin hatte.

57 Diese zweifache Auswirkung der [streitigen] Entscheidung ergibt sich allein aus dem Gemeinschaftsrecht, nämlich aus Artikel 211, dritter Gedankenstrich, EG in Verbindung mit Artikel 249 Absatz 4 EG. Die nationalen Behörden verfügen deshalb hinsichtlich ihrer Verpflichtung, die Entscheidung durchzuführen, über keinerlei Ermessensspielraum.

58 Den in den vorstehenden Randnummern 56 und 57 getroffenen Feststellungen steht nicht das Argument der Kommission entgegen, dass die nationalen Behörden theoretisch beschließen könnten, durch eine staatliche Finanzierung des Restbetrags des gestrichenen Zuschusses und der Rückzahlung der der Klägerin bereits zugewandten Gemeinschaftsvorschüsse oder eines dieser beiden Teilbeträge die Klägerin von den finanziellen Konsequenzen freizustellen, mit denen die [streitige] Entscheidung die Klägerin unmittelbar belastet.

59 Eine etwaige innerstaatliche Finanzierungsentscheidung dieser Art änderte nämlich nichts an der automatischen Anwendbarkeit der Entscheidung der Kommission. Durch eine solche Finanzierungsentscheidung würde die gemeinschaftsrechtliche Durchführung der [streitigen] Entscheidung rechtlich nicht berührt. Eine solche nationale Entscheidung würde die Lage, in der sich die Klägerin vor dem Erlass der [streitigen] Entscheidung befand, dadurch wiederherstellen, dass sie ihrerseits ein zweites Mal die Rechtsstellung der Klägerin änderte, die zuerst, und zwar in automatischer Weise, durch die [streitige] Entscheidung geändert worden war. Diese zweite Änderung der Rechtsstellung der Klägerin ergäbe sich allein aus der innerstaatlichen Entscheidung und nicht aus der Durchführung der [streitigen] Entscheidung."

Haupt- und Anschlussrechtsmittel

17 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung. Sie stützt sich dabei auf mehrere Rechtsmittelgründe, mit denen sie Rechtsfehler sowie Widersprüche in der Begründung des angefochtenen Urteils in Bezug auf die vom Gericht vorgenommene Würdigung der Begründetheit rügt.

18 Die Kommission beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels und zusätzlich die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Insoweit hat sie ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie rügt, dass das Gericht gegen Art. 230 Abs. 4 EG verstoßen und Begründungsfehler begangen habe, als es die von ihr erhobene Unzulässigkeitseinrede verworfen habe.

19 Da das Anschlussrechtsmittel, das sich auf die Zulässigkeit der von der Regione Siciliana beim Gericht erhobenen Klage bezieht, ein den Fragen, die das Hauptrechtsmittel hinsichtlich der Begründetheit aufwirft, vorgelagertes Problem betrifft, ist es zuerst zu prüfen.

Zum Anschlussrechtsmittel

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

20 Mit ihrem Anschlussrechtsmittel macht die Kommission geltend, dass die Erwägungen des Gerichts zur Zulässigkeit der Klage auf der unzutreffenden Prämisse beruhten, dass die Regione Siciliana durch die Bewilligungsentscheidung unmittelbar in die Lage einer Gläubigerin hinsichtlich des gewährten Zuschusses versetzt worden sei. Nach Ansicht der Kommission beruhte die Möglichkeit für die Regione Siciliana, einen Zuschuss des EFRE für den Staudamm am Gibbesi zu erhalten, auf freien Entscheidungen der Italienischen Republik.

21 Selbst wenn man im Übrigen annähme, dass die Regione Siciliana tatsächlich Gläubigerin des Gemeinschaftszuschusses gewesen sei, wäre dies eine Folge von Bestimmungen oder Entscheidungen des nationalen Rechts.

22 Würde der Gerichtshof die Auslegung, die das Gericht im angefochtenen Urteil vorgenommen habe, bestätigen, hätte dies nach Ansicht der Kommission im Hinblick auf den Rechtsschutz der Empfänger von Strukturfondsmitteln nicht hinnehmbare Auswirkungen. Denn jedes Rechtssubjekt, das Endbegünstigter von Strukturfondsmitteln sei, wäre von den Entscheidungen der Kommission über die gewährten Mittel unmittelbar betroffen.

23 Das angefochtene Urteil sei außerdem widersprüchlich. So habe das Gericht angenommen, dass sich die Änderung der Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin unmittelbar und automatisch aus der streitigen Entscheidung ergebe, und zugleich anerkannt, dass die von den italienischen Behörden wahrgenommene Funktion unerlässlich sei. Mit der Verwendung des Begriffs "zumindest potenzielle Schuldnerin" in Randnr. 54 des angefochtenen Urteils habe das Gericht ferner eingeräumt, dass die Italienische Republik über ein Ermessen verfüge, wenn es darum gehe, die Folgen der streitigen Entscheidung auf die Rechtsmittelführerin abzuwälzen.

24 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, die streitige Entscheidung habe sich unmittelbar auf ihre Rechtsstellung ausgewirkt, da sich ihre Stellung von der eines Zuschussempfängers in die eines Rückzahlers der erhaltenen Vorschüsse verwandelt habe.

25 Die italienischen Behörden hätten nämlich hinsichtlich der Durchführung der streitigen Entscheidung über keinerlei Ermessensspielraum verfügt. Insoweit habe das Gericht zutreffend festgestellt, dass eine mögliche finanzielle Umgestaltung auf Veranlassung der Italienischen Regierung die Folge einer nationalen Entscheidung sei, die nichts mit der Verpflichtung zur Durchführung der streitigen Entscheidung zu tun habe.

26 Die Rechtsmittelführerin weist ferner darauf hin, dass das Staudammprojekt am Gibbesi in ihre Zuständigkeit falle und sie im Anhang der streitigen Entscheidung als für den Antrag auf finanzielle Beteiligung verantwortliche Behörde genannt sei.

27 Die streitige Entscheidung habe sie daran gehindert, ihre Befugnisse so, wie sie es beabsichtige, auszuüben. Diese Entscheidung habe sie u. a. gezwungen, die Anwendung der Rechtsvorschriften über das Vorhaben einzustellen und das Verfahren zur Rückforderung der Beihilfen von den Begünstigten einzuleiten.

28 In der mündlichen Verhandlung hat die Rechtsmittelführerin außerdem darauf hingewiesen, dass es eine Rechtsverweigerung darstellen würde, ihre Klage für unzulässig zu erklären, weil sie als Körperschaft unterhalb der staatlichen Ebene die Italienische Republik nicht vor den nationalen Gerichten verklagen könne.

Würdigung durch den Gerichtshof

29 Aufgrund von Art. 230 Abs. 4 EG kann eine regionale oder lokale Einheit, soweit sie - wie die Regione Siciliana - nach nationalem Recht Rechtspersönlichkeit hat, gegen die an sie ergangenen Entscheidungen und gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen (Urteile vom 22. November 2001, Nederlandse Antillen/Rat, C-452/98, Slg. 2001, I-8973, Randnr. 51, vom 10. April 2003, Kommission/Nederlandse Antillen, C-142/00 P, Slg. 2003, I-3483, Randnr. 59, und vom 2. Mai 2006, Regione Siciliana/Kommission, C-417/04 P, Slg. 2006, I-3881, Randnr. 24).

30 Im vorliegenden Fall hat das Gericht seine Prüfung auf die Frage beschränkt, ob die Rechtsmittelführerin von der streitigen Entscheidung unmittelbar betroffen war, da die Kommission nicht bestritten hatte, dass diese Entscheidung die Rechtsmittelführerin individuell betraf.

31 Nach ständiger Rechtsprechung ist die in Art. 230 Abs. 4 EG genannte Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von der mit der Klage angefochtenen Entscheidung unmittelbar betroffen sein muss, nur dann erfüllt, wenn die beanstandete Maßnahme der Gemeinschaft sich auf die Rechtsstellung dieser Person unmittelbar auswirkt und ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihr Erlass vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergibt, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewandt werden (vgl. Urteile vom 5. Mai 1998, Glencore Grain/Kommission, C-404/96 P, Slg. 1998, I-2435, Randnr. 41, vom 29. Juni 2004, Front national/Parlament, C-486/01 P, Slg. 2004, I-6289, Randnr. 34, und Regione Siciliana/Kommission, Randnr. 28).

32 Wie der Gerichtshof in den Randnrn. 29 und 30 des vorerwähnten Urteils Regione Siciliana/Kommission bereits entschieden hat, bedeutet die Benennung einer regionalen oder lokalen Einheit wie der Regione Siciliana als für die Durchführung eines EFRE-Projekts verantwortliche Behörde nicht, dass diese Einheit selbst Inhaberin des Anspruchs auf den Zuschuss ist. Nach Auffassung des Gerichtshofs ließ keine Angabe in den Unterlagen zu dieser Rechtssache den Schluss zu, dass die betreffende Einheit in dieser Eigenschaft als für die Durchführung des Projekts verantwortliche Behörde im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG unmittelbar betroffen gewesen wäre.

33 Wie der Gerichtshof weiter ausgeführt hat, wird diese Analyse durch Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 und Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 nicht entkräftet. Diese Artikel, die den Grundsatz der Komplementarität der finanziellen Beteiligungen der Gemeinschaft im Verhältnis zu nationalen Finanzierungen aufstellen, sind nämlich für den Fall, dass die Kommission eine Gemeinschaftsbeteiligung beendet hat, nicht maßgeblich (Urteil Regione Siciliana/Kommission, Randnr. 31).

34 Diese Erwägungen gelten auch im vorliegenden Fall.

35 Sie werden nicht durch das Vorbringen der Regione Siciliana in Frage gestellt, wonach diese nach italienischem Recht in den Bereichen, zu denen das Staudammprojekt am Gibbesi gehört, über weiter reichende Befugnisse verfüge als auf dem Gebiet der Autobahnnetze, zu denen das Vorhaben gehörte, das von dem vorerwähnten Urteil Regione Siciliana/Kommission betroffen war. Denn dieser sich aus dem innerstaatlichen Recht ergebende Unterschied kann keine Auswirkungen auf die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit der Rechtsmittelführerin haben.

36 Ebenso unerheblich ist die Tatsache, dass die Regione Siciliana im Anhang der Bewilligungsentscheidung als für den Antrag auf finanzielle Beteiligung verantwortliche Behörde genannt wird, während sie in dem Fall, der durch das Urteil Regione Siciliana/Kommission entschieden wurde, als für die Durchführung des Projekts verantwortliche Behörde genannt war. Denn die Stellung als "für den Antrag verantwortliche Behörde", auf die der Anhang der Bewilligungsentscheidung Bezug nimmt, hat nicht zur Herstellung einer unmittelbaren Beziehung zwischen der Rechtsmittelführerin und dem Gemeinschaftszuschuss geführt, der im Übrigen laut der streitigen Entscheidung von der italienischen Regierung beantragt und der Italienischen Republik gewährt wurde.

37 Da jeglicher andere Anhaltspunkt fehlt, der geeignet wäre, die vorliegende Rechtssache hinsichtlich der Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit deutlich von derjenigen zu unterscheiden, die in dem vorerwähnten Urteil Regione Siciliana/Kommission geprüft wurde, ist im Ergebnis festzustellen, dass die vom Gerichtshof in diesem Urteil insoweit vorgenommene Würdigung vollständig auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann.

38 Das Gericht hat daher einen Rechtsfehler begangen, als es annahm, dass die Regione Siciliana von der streitigen Entscheidung unmittelbar betroffen sei. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben.

39 Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin kommt dieses Ergebnis nicht einer Rechtsverweigerung gleich. In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis, dass der Einzelne die Möglichkeit haben muss, einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch zu nehmen, die er aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herleitet (Urteil vom 1. April 2004, Kommission/Jégo-Quéré, C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Randnr. 29 und die dort zitierte Rechtsprechung). Der gerichtliche Schutz natürlicher oder juristischer Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 230 Abs. 4 EG Gemeinschaftshandlungen von der Art der streitigen Entscheidung nicht unmittelbar anfechten können, muss über Rechtsbehelfe vor den nationalen Gerichten wirksam gewährleistet werden. Diese haben gemäß dem in Art. 10 EG aufgestellten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die nationalen Verfahrensvorschriften über die Einlegung von Rechtsbehelfen möglichst so auszulegen und anzuwenden, dass natürliche und juristische Personen die Rechtmäßigkeit jeder nationalen Entscheidung oder anderen Maßnahme, mit der eine Gemeinschaftshandlung wie die hier streitige auf sie angewandt wird, gerichtlich anfechten können, indem sie sich auf die Ungültigkeit dieser Handlung berufen und die nationalen Gerichte dadurch veranlassen, dem Gerichtshof insoweit Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (Urteil Kommission/Jégo-Quéré, Randnrn. 30 bis 32 und die dort zitierte Rechtsprechung).

Zur Zulässigkeit der Klage der Regione Siciliana

40 Gemäß Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs kann dieser, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, entweder den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

41 Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof über alle erforderlichen Angaben, um selbst über die Zulässigkeit der von der Regione Siciliana beim Gericht erhobenen Klage entscheiden zu können. Die von dieser insoweit vorgebrachten Argumente entsprechen nämlich denjenigen, die sie im Rahmen ihrer Erklärungen zum Anschlussrechtsmittel der Kommission geltend gemacht hat, und stützen sich im Wesentlichen auf die bereits angesprochene These, dass die Rechtsmittelführerin von der streitigen Entscheidung deshalb unmittelbar betroffen sei, weil diese ihre Stellung von der eines Zuschussempfängers in die eines Rückzahlers der erhaltenen Vorschüsse verwandelt habe.

42 Aus den in den Randnrn. 31 bis 38 des vorliegenden Urteils dargestellten Gründen kann die Regione Siciliana nicht als von der streitigen Entscheidung unmittelbar betroffen angesehen werden.

43 Die von der Regione Siciliana beim Gericht erhobene Klage ist daher als unzulässig abzuweisen.

Zum Hauptrechtsmittel

44 Da die von der Regione Siciliana beim Gericht erhobene Klage unzulässig ist, erweist sich ihr Rechtsmittel gegen die in dem angefochtenen Urteil getroffene Entscheidung über die Begründetheit dieser Klage als gegenstandslos und ist daher nicht zu prüfen.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach ihrem Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 69 § 6 der Verfahrensordnung, der nach Artikel 118 ebenfalls auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, entscheidet der Gerichtshof nach freiem Ermessen über die Kosten, wenn er die Hauptsache für erledigt erklärt.

46 Da die Kommission die Verurteilung der Regione Siciliana zur Tragung der Kosten beantragt hat und diese im Rahmen des Anschlussrechtsmittels unterlegen ist, sind dieser die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen.

47 Das Hauptrechtsmittel ist infolge der Begründetheit des Anschlussrechtsmittels der Kommission gegenstandslos geworden; daher sind der Regione Siciliana auch die Kosten des Hauptrechtsmittels aufzuerlegen.

48 Da die Kommission außerdem die Verurteilung der Regione Siciliana zur Tragung der Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug beantragt hat und die beim Gericht erhobene Klage als unzulässig abgewiesen worden ist, sind der Regione Siciliana die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 18. Oktober 2005, Regione Siciliana/Kommission (T-60/03), wird aufgehoben.

2. Die Klage der Regione Siciliana auf Nichtigerklärung der Entscheidung C (2002) 4905 der Kommission vom 11. Dezember 2002, mit der der Zuschuss, der der Italienischen Republik mit der Entscheidung C (87) 2090 026 der Kommission vom 17. Dezember 1987 über die Bewilligung eines Zuschusses des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung in Höhe von mindestens 15 Millionen Euro für eine Infrastrukturinvestition in Italien (Region: Sizilien) gewährt worden war, gestrichen und der von der Kommission bereits ausgezahlte Vorschuss zurückgefordert wurde, wird als unzulässig abgewiesen.

3. Das von der Regione Siciliana gegen das in der Nr. 1 dieses Tenors genannte Urteil eingelegte Rechtsmittel hat sich erledigt.

4. Die Regione Siciliana trägt die Kosten des vorliegenden Rechtszugs sowie die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug.

Ende der Entscheidung

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