Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: C-151/04
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 10
EG Art. 39
EG Art. 43
EG Art. 49
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-151/04 und C-152/04

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Tribunal de police Neufchâteau (Belgien) mit Entscheidungen vom 16. Januar 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 25. März 2004, in den Strafverfahren gegen

Claude Nadin,

Nadin-Lux SA (C-151/04)

und

Jean-Pascal Durré (C-152/04)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, des Richters K. Schiemann, der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin) sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues und E. Levits,

Generalanwalt: F. G. Jacobs,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von J.-P. Durré, vertreten durch J.-F. Cartuyvels, avocat,

- der belgischen Regierung, vertreten durch E. Dominkovits als Bevollmächtigte im Beistand von B. van de Walle de Ghelcke, avocat,

- der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä und A. Guimaraes-Purokoski als Bevollmächtigte,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. White und K. Manji als Bevollmächtigte im Beistand von P. Whipple, Barrister,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin und N. B. Rasmussen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Mai 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Artikel 10 EG, 39 EG, 43 EG und 49 EG.

2. Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Strafverfahren gegen Herrn Nadin und Herrn Durré, die beide in Belgien wohnen, wegen Verstoßes gegen die belgische Regelung, wonach die ihnen von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, für die sie arbeiten, überlassenen Firmenfahrzeuge in Belgien zugelassen sein müssen.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3. Artikel 10 EG lautet:

"Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe.

Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefährden könnten."

4. Artikel 39 EG bestimmt:

"(1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht,

a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;

b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;

c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;

d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.

(4) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung."

5. Artikel 43 EG sieht vor:

"Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.

Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen."

6. Artikel 49 Absatz 1 EG lautet:

"Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten."

Nationales Recht

7. Artikel 1 des Königlichen Erlasses vom 20. Juli 2001 über die Zulassung von Fahrzeugen (Moniteur belge vom 8. August 2001, S. 27031) bestimmt:

"Für die Anwendung des vorliegenden Erlasses ist zu verstehen unter:

...

27. fester Niederlassung:

- eine dauerhafte und materielle Niederlassung, an der eine juristische Person ihren Gesellschaftssitz oder ihre Hauptverwaltung hat, oder der Ort, an dem eines oder mehrere ihrer Organe sich versammeln und ihre Entscheidungen treffen, oder der Ort, an dem eine zu ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit oder zu ihrem Gesellschaftszweck gehörende Tätigkeit ausgeübt wird, oder aber der Ort, an dem diese juristische Person durch eine oder mehrere natürliche Personen vertreten wird, die in ihrem Namen oder für ihre Rechnung handeln."

8. In Artikel 3 dieses Erlasses heißt es:

"§ 1. In Belgien wohnhafte Personen lassen Fahrzeuge, die sie in Belgien in Betrieb nehmen möchten, in das in Artikel 6 erwähnte Fahrzeugverzeichnis eintragen, auch wenn diese Fahrzeuge bereits im Ausland zugelassen sind.

In Belgien wohnhaft zu sein bedeutet, dass die betreffenden Personen eine der folgenden Bedingungen erfüllen:

a) in den Einwohnerregistern einer belgischen Gemeinde eingetragen sein;

b) in einem belgischen Handelsregister oder in der belgischen Handwerksrolle als natürliche oder juristische Person eingetragen sein;

c) als juristische Person, die nicht in einem belgischen Handelsregister oder in der belgischen Handwerksrolle eingetragen ist, durch oder aufgrund internationalen, ausländischen oder belgischen Rechts gegründet sein und in Belgien über eine feste Niederlassung verfügen, wo das Fahrzeug verwaltet oder benutzt wird.

§ 2. In folgenden Fällen ist die Zulassung in Belgien von Fahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind und von den in § 1 genannten Personen in Betrieb genommen werden, jedoch nicht Pflicht; diese Fälle betreffen:

...

2. Fahrzeuge, die eine natürliche Person für die Ausübung ihres Berufs benutzt und die im Ausland auf den Namen eines ausländischen Eigentümers zugelassen sind, mit dem diese Person durch einen Arbeitsvertrag verbunden ist; in diesem Fall ist eine von der Verwaltung, zu deren Zuständigkeitsbereich die Mehrwertsteuer gehört, ausgestellte Bescheinigung im Fahrzeug mitzuführen [im Folgenden: Mehrwertsteuerbescheinigung]; die genauen Bedingungen für den Gebrauch des Fahrzeugs werden vom Minister der Finanzen festgelegt ..."

9. In Nummer 14 des Rundschreibens Nr. 1/2000 der belgischen Steuerverwaltung vom 3. Mai 2000 mit dem Titel "Benutzung von Fahrzeugen in Belgien - Regelung der Überführung und der Nichtüberführung" heißt es:

"Fahrzeuge im Sinne dieser Bestimmung sind alle Motorfahrzeuge, die als Firmenfahrzeug nicht der Definition der Nummer 12 entsprechen. Es handelt sich u. a. um Personenwagen, Kombiwagen, Minibusse, Geländefahrzeuge usw.

Wenn solche Fahrzeuge von natürlichen Personen benutzt werden, die aus beruflichen Gründen im Auftrag ihres in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgebers in Belgien wohnen, gilt für diese Fahrzeuge die Nichtüberführungsregelung nach Artikel 12bis Absatz 2 Nummer 7 des Mehrwertsteuer-Gesetzbuchs, sofern die Regelung der befristeten Einfuhr mit vollständiger Befreiung von den Einfuhrabgaben anwendbar wäre, wenn dieses Fahrzeug aus einem Drittland nach Belgien versandt worden wäre. Außerdem ist es ebenfalls zulässig, dass dieses Fahrzeug von dem in Belgien wohnenden Beschäftigten privat genutzt wird, soweit diese private Nutzung gegenüber der beruflichen Nutzung von untergeordneter und gelegentlicher Art ist und im Arbeitsvertrag vorgesehen ist.

Für diese Fahrzeuge kann die Sonderregelung der Befreiung bei befristeter Einfuhr und damit die Nichtüberführungsregelung nur gelten, wenn die strengen Voraussetzungen der Nummer 15 erfüllt sind."

10. Dieses Rundschreiben führt in Nummer 15 die Voraussetzungen auf, die erfüllt sein müssen, damit die Regelung der befristeten Einfuhr anwendbar ist; darin heißt es u. a.:

"...

b) das Fahrzeug muss im Eigentum des Arbeitgebers stehen. Bezüglich Miet- oder Leasingfahrzeugen wird jedoch auf Nummer 9 verwiesen;

...

f) ist der Begünstigte ein Unternehmensleiter (Geschäftsführer oder Verwaltungsratsmitglied des Unternehmens), so kann er sich auf die Sonderregelung nur insoweit berufen, als er den Arbeitnehmerstatus besitzt, und demzufolge, soweit er nachweist, dass er in einem tatsächlichen Unterordnungsverhältnis zu dem Unternehmen steht. Für das Bestehen eines Unterordnungsverhältnisses hat der Unternehmensleiter darzutun, dass er einer anderen beauftragten Person oder einem Organ des Unternehmens (Verwaltungsrat, Direktorium, Geschäftsführungsrat, ...) untersteht, auf deren Autorität er keinen entscheidenden Einfluss ausüben kann. In diesem Sinne sind die Leiter von Einmanngesellschaften, die Gründungsmitglieder einer Gesellschaft oder die Hauptanteilseigner in jedem Fall von der Sonderregelung ausgeschlossen."

11. Nummer 9 Satz 1 dieses Rundschreibens bestimmt:

"Wird ein gemietetes oder geleastes Fahrzeug von einem ausländischen Arbeitgeber zur Benutzung durch einen in Belgien Beschäftigten/Ansässigen zur Verfügung gestellt, der die Sonderregelung nach den Nummern 14 und 15 in Anspruch nehmen kann, so hat dieser Beschäftigte die Möglichkeit, unter den dort aufgestellten Voraussetzungen und unter Einhaltung der festgelegten Formalitäten eine Bescheinigung zu beantragen."

12. In Belgien sind verschiedene Steuern auf Kraftfahrzeuge eng mit der Zulassung verbunden. So unterliegt ein Fahrzeug mit der Zulassung einer Inbetriebnahmesteuer gemäß Artikel 94 Nummer 1 des Code des taxes assimilées aux impôts sur les revenus (CTA).

13. Diese Vorschrift lautet:

"Zugunsten des Staates wird eine den Einkommensteuern gleichgestellte Steuer erhoben auf:

1. Personenwagen, Kombiwagen, Minibusse und Motorräder, wie diese Fahrzeuge in den Zulassungsbestimmungen für Motorfahrzeuge und Anhänger definiert sind, sofern sie mit einem anderen Kennzeichen als einem im Rahmen dieser Bestimmungen erteilten 'Probefahrt-', 'Händler-' oder befristeten Kennzeichen, das kein internationales Kennzeichen ist, versehen oder zu versehen sind ..."

14. Artikel 99 § 1 CTA bestimmt insoweit:

"Die in Artikel 94 Nummer 1 genannten Fahrzeuge gelten als auf öffentlichen Straßen in Belgien in Benutzung genommen, wenn sie im Register des Straßenverkehrsamts eingetragen oder darin einzutragen sind."

15. Artikel 21 CTA, der die Kraftfahrzeugsteuer festlegt, bestimmt:

"Die Steuer wird von der natürlichen oder juristischen Person, die in der Zulassungsbescheinigung angegeben oder anzugeben ist, geschuldet, solange ein Fahrzeug auf ihren Namen im Register der Direktion für die Fahrzeugzulassung eingetragen oder darin einzutragen ist.

Fahrzeuge im Sinne von Absatz 1 sind Personenwagen, Kombiwagen, langsame Kombiwagen, Minibusse, Krankenwagen, Motorräder, Motorräder mit drei Rädern, Motorräder mit vier Rädern, Leichttransporter, langsame Leichttransporter, Bootsanhänger, Wohnwagen, Wohnmobile, Anhänger und Sattelanhänger mit einem zulässigen Höchstgewicht von 3 500 kg."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Rechtssache C-151/04

16. Herr Nadin, ein belgischer Staatsangehöriger, wohnt in Belgien, arbeitet aber in Luxemburg als geschäftsführendes Mitglied des Verwaltungsrats der Nadin-Lux SA.

17. Am 21. März 2002 wurde er in Belgien von den für Zölle und Verbrauchsteuern zuständigen Dienststellen kontrolliert, als er in einem Fahrzeug unterwegs war, das im Großherzogtum Luxemburg zugelassen war und im Eigentum der in Luxemburg ansässigen Credit Lease SA stand.

18. Im Strafverfahren vor dem vorlegenden Gericht gab er an, dass das Fahrzeug von der Nadin-Lux SA gekauft worden sei, dass er selbst den Auftrag unterzeichnet habe und dass das Fahrzeug von der Credit Lease SA bezahlt worden sei. Er besitze einen Mietvertrag für die Dauer von ungefähr 42 Monaten, der im Januar 2000 begonnen habe.

19. Aus den der Vorlageentscheidung beigefügten Akten ergibt sich außerdem, dass Herr Nadin eine Mehrwertsteuerbescheinigung beantragt hatte, die ihm aber mit der Begründung verweigert wurde, dass er in dem Unternehmen, das ihn beschäftige, die Funktion eines Mitglieds des Verwaltungsrats ausübe.

20. Herrn Nadin wird vorgeworfen, er habe am 21. März 2002 ein Fahrzeug, das im Ausland auf den Namen eines ausländischen Eigentümers, an den er arbeitsvertraglich gebunden sei, zugelassen sei, zur Ausübung seines Berufes benutzt, ohne eine Mehrwertsteuerbescheinigung mitzuführen.

21. Herr Nadin macht geltend, dass er als Arbeitnehmer der Gemeinschaft anzusehen sei.

Rechtssache C-152/04

22. Herr Durré, ein belgischer Staatsangehöriger, wohnt in Belgien, arbeitet aber in Luxemburg für die Delisalade SA.

23. Am 15. März 2002 wurde er in Belgien von den für Zölle und Verbrauchsteuern zuständigen Dienststellen kontrolliert, als er in einem Fahrzeug unterwegs war, das in Luxemburg auf den Namen der Delisalade SA zugelassen war.

24. Bei dieser Kontrolle wies Herr Durré eine Bescheinigung seines Arbeitgebers über die Benutzung und die Verwendung des Fahrzeugs vor, die von der luxemburgischen Einrichtung der sozialen Sicherheit abgezeichnet war. In dem mit seinem Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrag wurde vereinbart, dass ihm der Arbeitgeber ein Fahrzeug überlässt und dass dieses Fahrzeug nebenbei privat genutzt werden darf. Herr Durré war nicht im Besitz der Mehrwertsteuerbescheinigung.

25. Die Delisalade SA war ursprünglich eine von Herrn Durré gegründete Einmanngesellschaft und wurde 1997 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, in der Herr Durré Minderheitsgesellschafter und Mitglied des Verwaltungsrats ist.

26. Herrn Durré wird vorgeworfen, dass er am 15. März 2002 als in Belgien wohnhafte Person für ein Fahrzeug, das er in Belgien in Betrieb habe nehmen wollen und das bereits im Ausland zugelassen gewesen sei, nicht über eine belgische Zulassung verfügt habe.

27. Herr Durré macht ebenfalls geltend, dass er als Arbeitnehmer der Gemeinschaft anzusehen sei.

28. Das Tribunal de police Neufchâteau hat beschlossen, das Verfahren in den beiden Rechtssachen auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist es einem Mitgliedstaat nach den Artikeln 10, 39, 43 und 49 EG verwehrt, eine Maßnahme zu erlassen, die einen Arbeitnehmer, der in seinem Hoheitsgebiet wohnt, verpflichtet, ein Fahrzeug dort zuzulassen, obwohl dieses Fahrzeug seinem Arbeitgeber gehört, einer Gesellschaft, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats niedergelassen ist, zu der dieser Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis steht, aber bei der er gleichzeitig die Funktion eines Aktionärs, Verwaltungsratsmitglieds, Vertreters bei der laufenden Geschäftsführung oder eine ähnliche Funktion hat?

Zur Vorlagefrage

29. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 10 EG, 39 EG, 43 EG und 49 EG der einem Gebietsansässigen in einem ersten Mitgliedstaat auferlegten Verpflichtung entgegenstehen, in diesem Staat ein Firmenfahrzeug zuzulassen, das ihm von der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft, bei der er beschäftigt ist, überlassen wird, wenn der Beschäftigte, der einen Arbeitsvertrag besitzt, außerdem Aktionär oder aber Mitglied des Verwaltungsrats oder Geschäftsführer dieser Gesellschaft ist.

Zur Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft

30. Während Arbeitnehmer unter Artikel 39 EG fallen, werden Selbständige von Artikel 43 EG erfasst.

31. Da das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses im Sinne von Artikel 39 EG darin besteht, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält, ist eine Tätigkeit, die jemand nicht im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses ausübt, als selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne von Artikel 43 EG anzusehen (vgl. Urteil vom 20. November 2001 in der Rechtssache C-286/99, Jany u. a., Slg. 2001, I-8615, Randnr. 34 und die dort zitierte Rechtsprechung).

32. Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, festzustellen, ob in den Ausgangsverfahren ein Unterordnungsverhältnis besteht.

33. Da nach den fraglichen Rechtsvorschriften ein in Belgien wohnender Arbeitnehmer mit einem Firmenwagen, der ihm von einem Arbeitgeber, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, überlassen wird, im belgischen Hoheitsgebiet fahren darf, ohne dass eine Zulassungspflicht besteht, ist zu prüfen, ob der Ausschluss der Selbständigen von dieser Möglichkeit Artikel 43 EG zuwiderläuft.

Zum Bestehen von Beschränkungen der Freizügigkeit der Selbständigen

34. Sämtliche Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit sollen den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern und stehen solchen Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen (vgl. Urteil vom 15. September 2005 in der Rechtssache C-464/02, Kommission/Dänemark, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 34 und die dort zitierte Rechtsprechung).

35. Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden (Urteile vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 96, und Kommission/Dänemark, Randnr. 35).

36. Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die Verpflichtung, ein Firmenfahrzeug, das eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft ihren in Dänemark wohnenden Arbeitnehmern überlässt, in Dänemark zuzulassen, eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt (Urteil Kommission/Dänemark, Randnrn. 46 und 52). Es besteht kein Zweifel, dass eine Verpflichtung zur Zulassung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende ebenfalls eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit darstellt, soweit diese Verpflichtung für Selbständige gilt.

37. Sie beeinträchtigt nämlich den Zugang der in Belgien wohnhaften Personen zur Beschäftigung als Selbständige in den anderen Mitgliedstaaten und kann daher diese Personen davon abhalten, ihr Freizügigkeitsrecht auszuüben.

38. Entgegen dem Vorbringen der belgischen Regierung nimmt es der Verpflichtung zur Zulassung nicht ihren beeinträchtigenden Charakter, dass das in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Unternehmen das Firmenfahrzeug in Belgien, auch ohne dort über eine feste Niederlassung zu verfügen, auf seinen eigenen Namen zulassen kann, um zu vermeiden, dass der Unternehmensleiter selbst zur Zulassung verpflichtet ist.

39. Eine solche Maßnahme wäre nur dann als ausdrücklich in Artikel 46 Absatz 1 EG vorgesehene abweichende Maßnahme zulässig, wenn sie einen mit dem EG-Vertrag vereinbaren berechtigten Zweck verfolgte und aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre. Zudem müsste ihre Anwendung geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Zweckes zu gewährleisten, und dürfte nicht über das hierzu Erforderliche hinausgehen (vgl. entsprechend u. a. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 53 und die dort zitierte Rechtsprechung).

Zur Rechtfertigung der Beschränkung der Freizügigkeit

40. Abgesehen von bestimmten Ausnahmen, um die es hier nicht geht, ist die Besteuerung von Kraftfahrzeugen nicht harmonisiert. Die Mitgliedstaaten sind daher in der Ausübung ihrer Steuerhoheit auf diesem Gebiet frei, sofern sie dabei das Gemeinschaftsrecht beachten (Urteil vom 21. März 2002 in der Rechtssache C-451/99, Cura Anlagen, Slg. 2002, I-3193, Randnr. 40).

41. Aus den Randnummern 75 bis 78 des Urteils Kommission/Dänemark ergibt sich, dass ein Mitgliedstaat eine Zulassungsteuer auf ein Firmenfahrzeug, das einem Arbeitnehmer mit Wohnsitz in diesem Staat von einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat überlassen wird, dann erheben darf, wenn das Fahrzeug im Wesentlichen dauerhaft im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats genutzt werden soll oder tatsächlich so genutzt wird.

42. Das vorlegende Gericht hat zu beurteilen, ob die betroffenen Arbeitnehmer die ihnen überlassenen Fahrzeuge in dieser Weise genutzt haben.

43. Ist das nicht der Fall, steht der Grundsatz der Freizügigkeit einer Verpflichtung zur Zulassung, wie sie in den Ausgangsverfahren in Rede steht, entgegen und können die in den vorliegenden Verfahren insbesondere von der belgischen Regierung vorgetragenen Argumente eine solche Verpflichtung nicht rechtfertigen.

44. Zunächst ergibt sich insbesondere aus den Randnummern 80 und 81 des Urteils Kommission/Dänemark, dass das Ziel der Bekämpfung der Steuerumgehung, soweit die in Randnummer 39 des vorliegenden Urteils aufgeführten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, bei einer Fallgestaltung wie der, um die es in den Ausgangsverfahren geht, keine Steuer und demzufolge keine Verpflichtung zur Zulassung rechtfertigen kann.

45. Was die Vorbeugung gegen Missbräuche betrifft, so ergibt sich aus der Rechtsprechung, u. a. dem Urteil vom 9. März 1999 in der Rechtssache C-212/97 (Centros, Slg. 1999, I-1459, Randnr. 24), dass ein Mitgliedstaat berechtigt ist, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den Vertrag geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen, und dass die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet ist.

46. Eine allgemeine Missbrauchsvermutung kann jedoch nicht darauf gestützt werden, dass ein Selbständiger mit Wohnsitz in Belgien im Hoheitsgebiet dieses Staates ein ihm von der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft, bei der er beschäftigt ist, überlassenes Firmenfahrzeug nutzt (in diesem Sinne Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 67).

47. Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Artikel 39 EG und 43 EG den gleichen rechtlichen Schutz gewährleisten (Urteil vom 5. Februar 1991 in der Rechtssache C-363/89, Roux, Slg. 1991, I-273, Randnr. 23).

48. Zu dem Argument der Notwendigkeit einer verlässlichen Identifizierung ist festzustellen, dass eine Regelung, durch die die Zulassung von Firmenfahrzeugen, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaften gehören, vorgeschrieben wird, um eine verlässliche Feststellung der Eigentümer dieser Fahrzeuge zu gewährleisten, über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zweckes erforderlich ist. Da nämlich alle Mitgliedstaaten über ein Zulassungssystem für Fahrzeuge verfügen, ist es möglich, den Eigentümer eines Fahrzeugs unabhängig davon festzustellen, in welchem Mitgliedstaat das Fahrzeug zugelassen ist.

49. Was das Argument der Verkehrssicherheit betrifft, so stellt diese durchaus einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit rechtfertigen kann (Urteil Cura Anlagen, Randnr. 59).

50. Ist jedoch ein Kraftfahrzeug in einem Mitgliedstaat einer technischen Untersuchung unterzogen worden, so müssen die anderen Mitgliedstaaten nach dem in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 96/96/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (ABl. 1997, L 46, S. 1) niedergelegten Grundsatz der Gleichwertigkeit und der gegenseitigen Anerkennung die hierüber erteilte Bescheinigung anerkennen, sind aber nicht daran gehindert, zusätzliche Untersuchungen für die Zulassung des Fahrzeugs im Inland vorzuschreiben, sofern die genannte Bescheinigung diese Untersuchungen nicht bereits umfasst (Urteil Cura Anlagen, Randnr. 62).

51. Auch wenn der Gerichtshof die Zulässigkeit zusätzlicher Untersuchungen für die Zulassung im Inland anerkannt hat, sofern diese Untersuchungen nicht bereits von einer Bescheinigung über die technische Überwachung umfasst sind, so ergibt sich doch aus der in Rede stehenden belgischen Regelung nicht, dass die Verpflichtung zur Zulassung diesen mit der Verkehrssicherheit verbundenen Zweck verfolgt.

52. Was das Argument der Umweltpolitik anbelangt, so ergibt sich zwar aus Randnummer 68 des Urteils Cura Anlagen, dass eine Verbrauchsabgabe wie die in jener Rechtssache streitige das im Allgemeininteresse liegende Ziel haben kann, der Anschaffung oder dem Besitz von Fahrzeugen mit hohem Kraftstoffverbrauch entgegenzuwirken. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat jedoch nicht dargelegt, wie die Umwelt durch eine Verpflichtung zur Zulassung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende geschützt werden kann, und die belgische Regierung rechtfertigt das Erfordernis der Zulassung eines Firmenfahrzeugs im Wesentlichen mit fiskalischen Zwecken.

53. Wird ein Firmenfahrzeug nicht unter den in Randnummer 41 des vorliegenden Urteils aufgeführten Voraussetzungen genutzt, so ist die fragliche Verpflichtung zur Zulassung auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der Selbständige das Firmenfahrzeug nebenbei privat nutzen darf (Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 51).

54. Unter diesen Umständen besteht kein Anlass, die Artikel 10 EG und 49 EG zu prüfen.

55. Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 43 EG einer nationalen Regelung eines ersten Mitgliedstaats wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die einem in diesem Staat wohnenden Selbständigen vorschreibt, dort ein Firmenfahrzeug zuzulassen, das ihm von der in einem zweiten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft, bei der er beschäftigt ist, überlassen wird, wenn das Fahrzeug weder im Wesentlichen dauerhaft im erstgenannten Mitgliedstaat genutzt werden soll noch tatsächlich so genutzt wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

56. Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Artikel 43 EG steht einer nationalen Regelung eines ersten Mitgliedstaats wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die einem in diesem Staat wohnenden Selbständigen vorschreibt, dort ein Firmenfahrzeug zuzulassen, das ihm von der in einem zweiten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft, bei der er beschäftigt ist, überlassen wird, wenn das Fahrzeug weder im Wesentlichen dauerhaft im erstgenannten Mitgliedstaat genutzt werden soll noch tatsächlich so genutzt wird.

Ende der Entscheidung

Zurück