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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.11.1995
Aktenzeichen: C-152/94
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 52
EG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 52 des Vertrages gilt nicht für Sachverhalte, die sich ausschließlich innerhalb eines Mitgliedstaats abspielen, wie der Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der in dessen Gebiet eine selbständige Berufstätigkeit ausübt, für die er sich nicht auf eine frühere Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat berufen kann.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 16. NOVEMBER 1995. - OPENBAAR MINISTERIE GEGEN GEERT VAN BUYNDER. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RECHTBANK VAN EERSTE AANLEG GENT - BELGIEN. - NIEDERLASSUNGSFREIHEIT - TIERAERZTE - REIN INTERNER SACHVERHALT. - RECHTSSACHE C-152/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Rechtbank van eerste aanleg Gent hat mit Zwischenurteil vom 2. Juni 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juni 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 52 EWG-Vertrag, nunmehr EG-Vertrag, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen Herrn Van Buynder, einen belgischen Staatsangehörigen, in dem diesem zur Last gelegt wird, in Belgien nicht genehmigte tierärztliche Handlungen, nämlich ärztliche und zahnärztliche Eingriffe an Tieren, vorgenommen zu haben, ohne die in dem belgischen Gesetz vom 22. August 1991 über die Ausübung der Tierheilkunde (Belgisch Staatsblad vom 15. Oktober 1991, S. 22981) festgelegten Voraussetzungen zu erfuellen.

3 In Artikel 3 Absatz 1 dieses Gesetzes sind die tierärztlichen Handlungen aufgezählt, die zur Ausübung der Tierheilkunde gehören. Hierunter fallen die "ärztlichen und zahnärztlichen Eingriffe an Tieren" (Nr. 6). Artikel 4 des Gesetzes unterwirft die Ausübung der Tierheilkunde verschiedenen Voraussetzungen, u. a. dem Besitz eines gesetzlich vorgesehenen Diploms als Tierarzt und der Aufnahme in das Verzeichnis der Tierärztekammer.

4 Im Rahmen des gegen ihn durchgeführten Ermittlungsverfahrens gab Herr Van Buynder an, eine Reihe von Handlungen vorgenommen zu haben, um das Gebiß von Pferden zu versorgen, insbesondere durch das Abfeilen der Zähne, wenn sich durch natürliche Abnutzung an den Zähnen Scharten und scharfe Ränder bildeten. Auf diese Weise habe er Schnittwunden in der Zunge und den Backen und Verdauungsproblemen vorgebeugt. Es ist unstreitig, daß Herr Van Buynder bei diesen Handlungen ohne Betäubung und Medikamente arbeitete.

5 Zu seiner Verteidigung führte Herr Van Buynder aus, daß die Tätigkeit, die er so ausgeuebt habe, in den Nachbarländern Belgiens frei ausgeuebt werden könne. Er legte dazu eine Liste von Personen aus den Niederlanden, Frankreich und Deutschland vor, die unter vergleichbaren Umständen die gleichen Handlungen vornähmen.

6 Da Herr Van Buynder geltend machte, wenn man irgendwo in der Gemeinschaft einen Beruf ausüben dürfe, so dürfe man dies auch in Belgien, hat es die Rechtbank van eerste aanleg Gent für erforderlich gehalten, vor einer Entscheidung über die Schuld des Angeklagten das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Gewährleistet die in Artikel 52 EWG-Vertrag vorgesehene Niederlassungsfreiheit jedermann das Recht, ohne Verwendung von Medikamenten oder Betäubungsmitteln zahnärztliche Eingriffe an Pferden vorzunehmen, auch wenn er kein Tierarzt ist?

7 Herr Van Buynder macht geltend, diese Vorlagefrage sei nicht erheblich und sei deshalb unzulässig, da die Antwort auf die Frage, ob er die Handlungen, derentwegen er verfolgt werde, vornehmen dürfe, allein im belgischen Recht zu finden sei. Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß er an den Pferden keine zahnärztlichen Eingriffe im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Nr. 6 des belgischen Gesetzes vornehme, sondern nur nicht unter dieses Gesetz fallende Handlungen zur Versorgung der Zähne der Pferde durchführe.

8 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

9 Es entspricht nämlich ständiger Rechtsprechung, daß der Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens nach Artikel 177 des Vertrages weder über die Auslegung von nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften entscheiden kann noch über die Erheblichkeit der von einem nationalen Gericht gestellten Fragen zu befinden hat (Urteil vom 16. April 1991 in der Rechtssache C-347/89, Eurim-Pharm, Slg.1991, I-1747, Randnr. 16). Wie der Generalanwalt in Nummer 8 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, obliegt es also dem nationalen Gericht, über die Begründetheit einer Einrede zu befinden, mit der geltend gemacht wird, daß eine Vorlagefrage unerheblich sei, da sie auf einer fehlerhaften Auslegung des nationalen Rechts beruhe.

10 Zum Inhalt der Vorlagefrage ist daran zu erinnern, daß sich ebenfalls aus ständiger Rechtsprechung ergibt, daß die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht für Sachverhalte gelten, die sich ausschließlich innerhalb eines Mitgliedstaats abspielen, wie etwa die Fälle von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die in dessen Gebiet eine selbständige Berufstätigkeit ausüben, für die sie sich auf keine frühere Ausbildung oder Praxis in einem anderen Mitgliedstaat berufen können (Urteil vom 3. Oktober 1990 in den verbundenen Rechtssachen C- 54/88, C-91/88 und C-14/89, Nino u. a., Slg. 1990, I-3537).

11 Aus dem Vorlageurteil und aus den Erklärungen der Parteien ergibt sich, daß das Ausgangsverfahren einen in Belgien wohnhaften belgischen Staatsangehörigen betrifft, der in Belgien eine selbständige Berufstätigkeit ausüben möchte und der nicht geltend macht, in einem anderen Mitgliedstaat die für die Ausübung dieser Tätigkeit erforderliche berufliche Befähigung erworben zu haben.

12 Dieser Sachverhalt weist somit keinerlei Zusammenhang mit einem der im Gemeinschaftsrecht geregelten Sachverhalte auf, so daß die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht anwendbar sind.

13 Auf die Vorlagefrage ist demgemäß zu antworten, daß Artikel 52 des Vertrages nicht für Sachverhalte gilt, die sich ausschließlich innerhalb eines Mitgliedstaats abspielen, wie der Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der in dessen Gebiet eine selbständige Berufstätigkeit ausübt, für die er sich nicht auf eine frühere Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat berufen kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

14 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm von der Rechtbank van eerste aanleg Gent mit Zwischenurteil vom 2. Juni 1994 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 52 EG-Vertrag gilt nicht für Sachverhalte, die sich ausschließlich innerhalb eines Mitgliedstaats abspielen, wie der Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der in dessen Gebiet eine selbständige Berufstätigkeit ausübt, für die er sich nicht auf eine frühere Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat berufen kann.

Ende der Entscheidung

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