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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.09.2000
Aktenzeichen: C-16/99
Rechtsgebiete: Richtlinie 93/16


Vorschriften:

Richtlinie 93/16 Art. 7
Richtlinie 93/16 Art. 19
Richtlinie 93/16 Art. 10
Richtlinie 93/16 Art. 10 Abs. 1 Satz 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Ein Arzt, der ein in einem anderen Mitgliedstaat erworbenes Facharztdiplom vorweisen kann, das aber in dem Verzeichnis der Facharztausbildungen in Artikel 7 der Richtlinie 93/16 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise nicht aufgeführt ist, kann sich nicht auf Artikel 19 dieser Richtlinie berufen, um die im Aufnahmemitgliedstaat bestehende entsprechende Berufsbezeichnung eines Facharztes zu führen.

Auch wenn das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat die Bezeichnung Arzt oder gegebenenfalls Facharzt in der Sprache und entsprechend der Nomenklatur dieses Staates zu führen, zwangsläufig die logische Folge der gegenseitigen Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise aufgrund der Richtlinie ist, gilt diese Auslegung nämlich nur, wenn die Bezeichnungen Arzt oder Facharzt die für diese automatische und obligatorische gegenseitige Anerkennung erforderlichen Mindestvoraussetzungen erfuellen.

(vgl. Randnrn. 25-27, Tenor 1)

2 Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 93/16 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise ist dahin auszulegen, dass er nur das Recht der Personen, die durch das mit dieser Richtlinie eingeführte System der gegenseitigen Anerkennung der Diplome begünstigt werden, zum Führen ihrer Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls der entsprechenden Abkürzung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaates betrifft, ohne dass dadurch die Möglichkeit des Aufnahmemitgliedstaats beeinträchtigt wird, in seinem Gebiet das Führen einer Ausbildungsbezeichnung oder einer gleichwertigen Bezeichnung in einer anderen Sprache als der des Heimat- oder Herkunftsstaates zu gestatten.

(vgl. Randnr. 33, Tenor 2)


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 14. September 2000. - Ministre de la Santé gegen Jeff Erpelding. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour administrative - Grossherzogtum Luxemburg. - Richtline 93/16/EWG des Rates - Auslegung der Artikel 10 und 19 - Führen der Bezeichnung eines Facharztes im Aufnahmemitgliedstaat durch einen Arzt, dem in einem anderen Mitgliedstaat eine Bezeichnung verliehen worden ist, die in dem Verzeichnis des Artikels 7 dieser Richtlinie nicht für diesen Staat aufgeführt ist. - Rechtssache C-16/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-16/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) von der Cour administrative (Luxemburg) in dem bei diesem Gericht anhängigen Rechtsstreit

Ministre de la Santé

gegen

Jeff Erpelding

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise (ABl. L 165, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward (Berichterstatter) sowie der Richter L. Sevón, P. Jann, H. Ragnemalm und M. Wathelet,

Generalanwalt: P. Léger

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- des Herrn Erpelding, vertreten durch Rechtsanwalt A. Kronshagen, Luxemburg,

- der italienischen Regierung, vertreten durch U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, Beistand: Avvocato dello Stato G. Aiello,

- der finnischen Regierung, vertreten durch Regierungsbeauftragte T. Pynnä als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberaterin C. Tufvesson und B. Mongin, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Herrn Erpelding, vertreten durch Rechtsanwalt A. Kronshagen, der italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato dello Stato F. Quadri, und der Kommission, vertreten durch B. Mongin, in der Sitzung vom 13. Januar 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Januar 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour administrative hat mit Urteil vom 21. Januar 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Januar 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise (ABl. L 165, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Erpelding und dem luxemburgischen Gesundheitsministerium wegen der Weigerung des Letzteren, Herrn Erpelding in Luxemburg das Führen der Berufsbezeichnung eines Facharztes für Kardiologie zu gestatten.

Die einschlägige Regelung

Die Richtlinie 93/16

3 Die Richtlinie 93/16 soll die Freizügigkeit für Ärzte und die gegenseitige Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise erleichtern. Für die zwei oder mehreren Mitgliedstaaten eigenen Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Facharztes bestimmt Artikel 6 der Richtlinie 93/16 Folgendes:

"Jeder Mitgliedstaat, in dem einschlägige Rechts- und Verwaltungsvorschriften bestehen, erkennt die in Artikel 7 aufgeführten Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstige Befähigungsnachweise des Facharztes, die andere Mitgliedstaaten den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach den Artikeln 24, 25, 27 und 29 ausstellen, an und verleiht ihnen in seinem Hoheitsgebiet die gleiche Wirkung wie den von ihm ausgestellten Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen."

4 Die in Artikel 6 genannten Artikel nehmen bis auf Artikel 7 eine Koordinierung der nationalen Regelungen über die Tätigkeiten als Facharzt im Hinblick auf die gegenseitige Anerkennung der entsprechenden Titel vor. Nach der vierzehnten Begründungserwägung der Richtlinie 93/16 legen sie u. a. "bestimmte Mindestbedingungen für den Zugang zur Weiterbildung, deren Mindestdauer, die Art ihrer Durchführung und den Ort, an dem sie erfolgt, sowie für die Kontrolle der Weiterbildung" fest.

5 Artikel 7 in der nach dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union geltenden Fassung (vgl. Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Union begründenden Verträge [ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1], insbesondere Anhang I Nr. XI. D III 1 Buchstabe d) lautet:

"(1) Als Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstige Befähigungsnachweise des Facharztes im Sinne von Artikel 6 gelten diejenigen Nachweise, die von einer der in Artikel 5 Absatz 2 aufgeführten zuständigen Behörden oder Stellen ausgestellt sind und hinsichtlich der betreffenden fachärztlichen Weiterbildung den in Absatz 2 aufgeführten Bezeichnungen derjenigen Mitgliedstaaten entsprechen, in denen es diese fachärztliche Weiterbildung gibt.

(2) In den Mitgliedstaaten gelten folgende Fachbezeichnungen für die jeweils genannte fachärztliche Weiterbildung:

...

- Kardiologie

...

Luxemburg: cardiologie et angiologie

..."

6 Während die Innere Medizin bei den Facharztbezeichnungen aufgeführt ist, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind und damit nach den Artikeln 4 und 5 der Richtlinie 93/16 in allen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt werden, gehört die Kardiologie zu den Facharztbezeichnungen, die zwei oder mehreren Mitgliedstaaten eigen sind, so dass die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise für Kardiologie nur in den in Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 93/16 aufgeführten Mitgliedstaaten automatisch anerkannt werden. Wie sich aus der vorstehenden Randnummer ergibt, ist in der nach dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union geltenden Fassung dieses Artikels unter Kardiologie Luxemburg aufgeführt, es gibt dort aber keine Angabe für Österreich.

7 Artikel 8 der Richtlinie 93/16 bestimmt:

"(1) Jeder Aufnahmestaat kann den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten für den Erwerb von fachärztlichen Diplomen, Prüfungszeugnissen oder sonstigen fachärztlichen Befähigungsnachweisen, die nicht unter Artikel 4 und 6 fallen oder die zwar in Artikel 6 aufgeführt sind, aber in einem bestimmten Heimat- oder Herkunftsstaat nicht ausgestellt werden, die dafür in seinen Rechts- und Verwaltungsvorschriften vorgesehenen Weiterbildungsbedingungen auferlegen.

(2) Der Aufnahmestaat rechnet jedoch die von den in Absatz 1 genannten Staatsangehörigen bereits abgeleistete und durch ein von den zuständigen Behörden des Heimat- oder Herkunftsstaats ausgestelltes Diplom, Prüfungszeugnis oder einen sonstigen Befähigungsnachweis belegte Weiterbildungszeit ganz oder teilweise an, soweit diese der im Aufnahmestaat für das betreffende Fachgebiet vorgeschriebenen Dauer der Weiterbildung entspricht.

(3) Die zuständigen Behörden oder Stellen dieses Aufnahmestaates unterrichten den Begünstigten, nachdem sie Inhalt und Dauer seiner fachärztlichen Weiterbildung anhand der vorgelegten Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise überprüft haben, über die Dauer der ergänzenden Weiterbildung und die dabei erfassten Gebiete."

8 In Kapitel V (Führen der Ausbildungsbezeichnung) der Richtlinie 93/16 bestimmt Artikel 10 Absatz 1:

"(1) Unbeschadet des Artikels 19 tragen die Aufnahmestaaten dafür Sorge, dass die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die die Voraussetzungen der Artikel 2, 4, 6 und 9 erfuellen, zum Führen ihrer im Heimat- oder Herkunftsstaat gültigen rechtmäßigen Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls der betreffenden Abkürzung in der Sprache dieses Staates berechtigt sind. Sie können vorschreiben, dass neben dieser Bezeichnung Name und Ort der Lehranstalt oder des Prüfungsausschusses, die bzw. der diese Ausbildungsbezeichnung verliehen hat, aufgeführt werden."

9 In Kapitel VI (Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr des Arztes) sieht Artikel 19 vor:

"Bestehen in einem Aufnahmestaat Vorschriften über das Führen der Berufsbezeichnung im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten des Arztes, so führen die Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten, die die in Artikel 2 und Artikel 9 Absätze 1, 3 und 5 vorgesehenen Bedingungen erfuellen, die Berufsbezeichnung, die im Aufnahmestaat der betreffenden Berufsausbildung entspricht, und verwenden die entsprechende Abkürzung.

Absatz 1 gilt auch für das Führen der Facharztbezeichnung durch Fachärzte, die die Bedingungen der Artikel 4 und 6 des Artikels 9 Absätze 2, 4, 5 und 6 erfuellen."

Das nationale Recht

10 Die Artikel 10 und 19 der Richtlinie 93/16 sind durch die Artikel 5 Absatz 3 und 5 Absatz 2 durch die Loi concernant l'exercice des professions de médecin, de médecin-dentiste et de médecin-vétérinaire (Gesetz über die Ausübung der Berufe des Arztes, Zahnarztes und Tierarztes) vom 29. April 1983 in der Fassung des Gesetzes vom 31. Juli 1995 (Mémorial A 1995, S. 1802) in das innerstaatliche Recht Luxemburgs umgesetzt worden.

Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorlagefragen

11 Herrn Erpelding wurde am 30. März 1985 von der Universität Innsbruck das österreichische Diplom eines "Doktors der gesamten Heilkunde" verliehen. Dieses Diplom wurde am 11. April 1986 vom luxemburgischen Bildungsministerium anerkannt.

12 Am 10. April 1991 erteilte die Österreichische Ärztekammer Herrn Erpelding die Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines "Facharztes für Innere Medizin". Der luxemburgische Gesundheitsminister erlaubte ihm mit Bescheid vom 29. August 1991, in Luxemburg den Beruf eines Facharztes für Innere Medizin auszuüben.

13 Am 11. Mai 1993 verlieh die Österreichische Ärztekammer Herrn Erpelding das Diplom "Facharzt für Innere Medizin - Teilgebiet Kardiologie". Mit Bescheid vom 9. Juli 1993 erlaubte ihm der luxemburgische Gesundheitsminister, außer der Berufsbezeichnung "Facharzt für Innere Medizin" seine Ausbildungsbezeichnung in der Sprache des Ausbildungsstaates, d. h. die Bezeichnung "Facharzt für Innere Medizin - Teilgebiet Kardiologie" zu führen.

14 Am 15. April 1997 teilte Herr Erpelding dem Gesundheitsminister mit, dass er sich ausschließlich der Kardiologie widmen wolle und daher bereit sei, auf seine Berufsbezeichnung "Facharzt für Innere Medizin" zu verzichten, wenn ihm erlaubt werde, die Bezeichnung eines Facharztes für Kardiologie zu führen.

15 Mit Bescheid vom 25. April 1997 wies der Gesundheitsminister diesen Antrag mit der Begründung zurück, dass die Disziplin Kardiologie kein von den österreichischen Behörden anerkanntes Fachgebiet darstelle und Herrn Erpelding daher nicht gestattet werden könne, diese Facharzttätigkeit auszuüben. Außerdem stehe es dem Minister nicht zu, ausländische Diplome umzuschreiben. Nach luxemburgischem Recht könnten die Diplome nur in ihrer jeweiligen sprachlichen Fassung anerkannt werden.

16 Auf Antrag von Herrn Erpelding hob das Tribunal administratif diesen Bescheid mit Urteil vom 18. Februar 1998 mit der Begründung auf, dass er unter Verstoß u. a. gegen Artikel 19 der Richtlinie 93/16 ergangen sei.

17 Am 31. März 1998 legte der luxemburgische Gesundheitsminister hiergegen Rechtsmittel bei der Cour administrative ein.

18 Dieses Gericht ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung nicht nur des Artikels 19 der Richtlinie 93/16 über das Führen der Berufsbezeichnung eines Arztes, sondern auch von Artikel 10 über das Führen einer Ausbildungsbezeichnung abhänge. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 19 der Richtlinie 93/16/EWG zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise in einem Mitgliedstaat, in dem einschlägige Rechtsvorschriften bestehen, zugunsten eines Antragstellers anwendbar, der einen in einem anderen Mitgliedstaat erlangten, im Verzeichnis der fachärztlichen Weiterbildung in Artikel 7 der Richtlinie aber nicht enthaltenen Befähigungsnachweis besitzt und aufgrund seiner in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Weiterbildung die Genehmigung für das Führen der entsprechenden Berufsbezeichnung im Aufnahmestaat begehrt?

Bei Verneinung der ersten Frage:

2. Verleiht Artikel 10 der fraglichen Richtlinie den Inhabern von in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Ausbildungsbezeichnungen einfach die Befugnis, ihre Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls die betreffende Abkürzung zu führen, oder ist die Richtlinie vielmehr dahin auszulegen, dass die Ausbildungsbezeichnung nur in der Sprache des Landes, in dem sie zuerkannt worden ist, genehmigt werden kann und gleichwertige Bezeichnungen in der Sprache und gemäß der Nomenklatur des Aufnahmestaats ausgeschlossen sind?

Zur Tragweite der Vorlagefragen

19 Die Vorlagefragen betreffen die Auslegung der Artikel 10 und 19 der Richtlinie 93/16 und stellen sich aufgrund des Antrags von Herrn Erpelding, ihm auf der Grundlage des ihm 1993 in Österreich erteilten Diploms "Facharzt für Innere Medizin - Teilgebiet Kardiologie" zu gestatten, in Luxemburg die Berufsbezeichnung eines Facharztes für Kardiologie zu führen.

20 Die an den Gerichtshof gerichteten Fragen betreffen nicht die Ausbildungsbedingungen, die erfuellt sein müssen, um auf der Grundlage eines österreichischen Diploms gemäß Artikel 8 der Richtlinie 93/16 das luxemburgische Diplom eines Facharztes für Kardiologie zu erlangen. Es geht bei den Fragen auch nicht darum, dieses österreichische Diplom aufgrund der sogenannten Vlassopoulou-Rechtsprechung (vgl. dazu Urteile vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-340/89, Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357, und zuletzt vom 14. September 2000 in der Rechtssache C-238/98, Hocsman, Slg. 2000, I-0000) eventuell als dem luxemburgischen Diplom eines Facharztes für Kardiologie gleichwertig anzuerkennen.

21 Zudem ist in dem Vorlageurteil weder Artikel 8 der Richtlinie 93/16 noch das Urteil Vlassopoulou angeführt worden, und in der mündlichen Verhandlung ist nichts dagegen eingewandt worden, dass sich der Gerichtshof bei der Beantwortung der vorgelegten Fragen auf die Auslegung der Artikel 10 und 19 dieser Richtlinie beschränken soll.

Zur ersten Frage

22 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Arzt, der ein in einem anderen Mitgliedstaat erworbenes Facharztdiplom vorweisen kann, das aber in dem Verzeichnis der Facharztausbildungen in Artikel 7 der Richtlinie 93/16 nicht enthalten ist, sich auf Artikel 19 dieser Richtlinie berufen kann, um die im Aufnahmemitgliedstaat bestehende entsprechende Berufsbezeichnung eines Facharztes zu führen.

23 Die Richtlinie 93/16 sieht ein System der automatischen und obligatorischen gegenseitigen Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und des Facharztes vor, die den Angehörigen der Mitgliedstaaten von Letzteren gemäß den Artikeln 3, 5 und 7 ausgestellt worden sind.

24 Dieses System der automatischen und obligatorischen Anerkennung wäre unvollständig und in seiner Wirksamkeit ernsthaft beeinträchtigt, wenn die Begünstigten nicht das Recht hätten, die Berufsbezeichnung des Arztes oder gegebenenfalls des Facharztes des Aufnahmemitgliedstaats zu führen. Ohne das Recht, diese Bezeichnungen in diesem Staat zu führen, hätten die durch dieses System der gegenseitigen Anerkennung Begünstigten nämlich keine Möglichkeit, ihre beruflichen Qualifikationen den interessierten Kreisen in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen bekanntzumachen wie die Gemeinschaftsangehörigen, denen eine solche Bezeichnung im Aufnahmemitgliedstaat verliehen worden ist.

25 Das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat die Bezeichnung Arzt oder gegebenenfalls Facharzt in der Sprache und entsprechend der Nomenklatur dieses Staates zu führen, ist somit zwangsläufig die logische Folge der gegenseitigen Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise aufgrund der Richtlinie 93/16.

26 Diese Auslegung gilt jedoch nur, wenn die Bezeichnungen Arzt oder Facharzt die für diese automatische und obligatorische gegenseitige Anerkennung erforderlichen Mindestvoraussetzungen erfuellen. Daher steht es mit diesem System der gegenseitigen Anerkennung völlig im Einklang, wenn Artikel 19 der Richtlinie 93/16 das Recht zum Führen der Berufsbezeichnung Arzt oder gegebenenfalls Facharzt nur den Gemeinschaftsangehörigen zuerkennt, die die Voraussetzungen des ersten bzw. zweiten Absatzes dieser Bestimmung erfuellen.

27 Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein Arzt, der ein in einem anderen Mitgliedstaat erworbenes Facharztdiplom vorweisen kann, das aber in dem Verzeichnis der Facharztausbildungen in Artikel 7 der Richtlinie 93/16 nicht aufgeführt ist, sich nicht auf Artikel 19 dieser Richtlinie berufen kann, um die im Aufnahmemitgliedstaat bestehende entsprechende Berufsbezeichnung eines Facharztes zu führen.

Zur zweiten Frage

28 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sind zwei unterschiedliche Auslegungen des Artikels 10 der Richtlinie 93/16 möglich. Nach der ersten beschränke sich diese Bestimmung darauf, für die Personen, die durch das mit dieser Richtlinie eingeführte System der gegenseitigen Anerkennung der Diplome begünstigt würden, sicherzustellen, dass sie ihre Ausbildungsbezeichnung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaates führen könnten. Nach der anderen Auslegungsmöglichkeit räume diese Bestimmung den durch dieses System Begünstigten zwar auch diese Möglichkeit ein, schließe aber aus, dass der Aufnahmemitgliedstaat das Führen der gleichwertigen Bezeichnung in der Sprache und entsprechend der Nomenklatur dieses Staates genehmige.

29 Die Richtlinie 93/16 regelt das Recht der Personen, die durch das mit dieser Richtlinie eingeführte System der gegenseitigen Anerkennung der Diplome begünstigt werden, zum einen ihre Berufsbezeichnung Arzt oder Facharzt und zum anderen ihre Ausbildungsbezeichnung im Aufnahmemitgliedstaat zu führen.

30 Da jede Beschränkung der Möglichkeit, im Aufnahmemitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat verliehene Ausbildungsbezeichnung zu führen, die Attraktivität dieser Bezeichnung beeinträchtigen und damit die Ausübung der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten behindern kann, müssen bei einer solchen Beschränkung die Erfordernisse des Vertrages beachtet werden (vgl. Urteil vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32). Unter Berücksichtigung eben dieser Erfordernisse sind auch die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auszulegen. Dies gilt auch für Artikel 10 der Richtlinie 93/16, auf den sich die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage bezieht.

31 Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 93/16 wiederholt im Wesentlichen die neunte Begründungserwägung der Richtlinie, nach der die Ausbildungsbezeichnung nur in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaats geführt werden darf, da eine Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome nicht unbedingt die sachliche Gleichwertigkeit der Ausbildungsgänge, die zu einem solchen Diplom führen, zur Folge hat.

32 Somit ist Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 93/16 dahin auszulegen, dass er nur das Recht der Personen, die durch das mit dieser Richtlinie eingeführte System der gegenseitigen Anerkennung der Diplome begünstigt werden, zum Führen ihrer Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls der betreffenden Abkürzung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaats betrifft. Jedoch ergibt sich weder aus dem Wortlaut dieser Bestimmung noch aus Sinn und Zweck der Richtlinie 93/16, dass der Aufnahmemitgliedstaat das Führen einer Ausbildungsbezeichnung oder einer gleichwertigen Bezeichnung in einer anderen Sprache als der des Heimat- und Herkunftsstaates in seinem Gebiet nicht gestatten darf.

33 Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 93/16 dahin auszulegen ist, dass er nur das Recht der Personen, die durch das mit dieser Richtlinie eingeführte System der gegenseitigen Anerkennung der Diplome begünstigt werden, zum Führen ihrer Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls der entsprechenden Abkürzung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaates betrifft, ohne dass dadurch die Möglichkeit des Aufnahmemitgliedstaats beeinträchtigt wird, in seinem Gebiet das Führen einer Ausbildungsbezeichnung oder einer gleichwertigen Bezeichnung in einer anderen Sprache als der des Heimat- oder Herkunftsstaates zu gestatten.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Die Auslagen der italienischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Cour administrative mit Urteil vom 21. Januar 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Ein Arzt, der ein in einem anderen Mitgliedstaat erworbenes Facharztdiplom vorweisen kann, das aber in dem Verzeichnis der Facharztausbildungen in Artikel 7 der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise nicht aufgeführt ist, kann sich nicht auf Artikel 19 dieser Richtlinie berufen, um die im Aufnahmemitgliedstaat bestehende entsprechende Berufsbezeichnung eines Facharztes zu führen.

2. Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 93/16 ist dahin auszulegen, dass er nur das Recht der Personen, die durch das mit dieser Richtlinie eingeführte System der gegenseitigen Anerkennung der Diplome begünstigt werden, zum Führen ihrer Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls der entsprechenden Abkürzung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaates betrifft, ohne dass dadurch die Möglichkeit des Aufnahmemitgliedstaats beeinträchtigt wird, in seinem Gebiet das Führen einer Ausbildungsbezeichnung oder einer gleichwertigen Bezeichnung in einer anderen Sprache als der des Heimat- oder Herkunftsstaates zu gestatten.

Ende der Entscheidung

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