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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.10.1992
Aktenzeichen: C-162/91
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 797/85/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 797/85/EWG Art. 2 Abs. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Soweit Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung Nr. 797/85 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur es den Mitgliedstaaten überträgt, den Begriff des hauptberuflich tätigen Betriebsinhabers zu definieren, gestattet er ihnen nicht, von diesem Begriff Kapitalgesellschaften allein wegen ihrer Rechtsform auszuschließen.

2. Wie sich aus den Artikeln 4 Absatz 1 und 8 Absatz 5 der Verordnung Nr. 797/85 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur ergibt, fällt eine nationale Beihilfe zum Kauf von Grundstücken, die in einer Ermässigung der Registersteuer für den Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke durch Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe besteht, nicht in den Geltungsbereich der Verordnung, sondern unterliegt vorbehaltlich der Beachtung der Artikel 92 bis 94 EWG-Vertrag allein dem nationalen Recht.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 15. OKTOBER 1992. - SOCIETA'TENUTA IL BOSCO SRL GEGEN MINISTERO DELLE FINANZE DELLO STATO. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COMMISSIONE TRIBUTARIA DI PRIMO GRADO DI VOGHERA - ITALIEN. - BEGRIFF DES HAUPTBERUFLICH TAETIGEN BETRIEBSINHABERS - AUF GRUNDSTUECKSVERAEUSSERUNGEN ANWENDBARE NATIONALE STEUERREGELUNG. - RECHTSSACHE C-162/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Commissione tributaria di primo grado Voghera (Italien) hat mit Beschluß vom 18. April 1991, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 19. Juni 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Begriffs des hauptberuflich tätigen Betriebsinhabers im Sinne des Artikels 2 Absatz 5 der Verordnung (EWG) Nr. 797/85 des Rates vom 12. März 1985 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur (ABl. L 93, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt, um im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Firma Tenuta il Bosco (Klägerin) und dem italienischen Finanzministerium beurteilen zu können, ob die italienischen Rechtsvorschriften über eine Registersteuer für den Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke durch Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe mit dieser Vorschrift vereinbar ist.

2 Das Dekret Nr. 131 des Präsidenten der Italienischen Republik vom 26. April 1986 zur Bestätigung der Einheitlichen Rechtsvorschriften über die Registersteuer unterwirft die entgeltliche Übertragung von Eigentum an unbeweglichen Sachen einer Registersteuer von 8 %.

3 Diese Steuer beträgt 15 %, wenn es sich um eine Übertragung des Eigentums an landwirtschaftlichen Grundstücken handelt und der Käufer weder ein hauptberuflich tätiger Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes noch eine Vereinigung oder eine Genossenschaft im Sinne der Artikel 12 und 13 des Gesetzes Nr. 153 vom 9. Mai 1975 zur Durchführung insbesondere der Richtlinie 72/159/EWG des Rates vom 17. April 1972 über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe (ABl. L 96, S. 1) ist.

4 Nach diesem Gesetz sind andere als natürliche Personen im Sinne seines Artikels 12 nur dann vom Begriff des "hauptberuflich tätigen Betriebsinhabers" umfasst, wenn es sich dabei um landwirtschaftliche Genossenschaften oder um Vereinigungen von Inhabern landwirtschaftlicher Betriebe im Sinne seines Artikels 13 handelt; Kapitalgesellschaften sind von diesem Begriff ausgeschlossen.

5 Die Klägerin erhielt einen Steuerbescheid des Registeramtes von Stradella, mit dem die aufgrund ihres Erwerbs landwirtschaftlicher Grundstücke fällige Registersteuer von 8 % auf 15 % erhöht wurde, weil ihr als Kapitalgesellschaft nicht die Eigenschaft eines Inhabers eines landwirtschaftlichen Betriebes im Sinne des Gesetzes Nr. 153 zukomme.

6 Sie erhob gegen diese Steuerbescheide Klage bei der Commissione tributaria di primo grado Voghera, mit der sie geltend machte, daß die Bescheide Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung zuwider liefen, der folgenden Wortlaut hat:

"Die Mitgliedstaaten definieren den Begriff 'hauptberuflich tätiger Betriebsinhaber' im Sinne dieser Verordnung.

Bei natürlichen Personen enthält diese Definition mindestens die Voraussetzung, daß der Anteil des Einkommens aus dem landwirtschaftlichen Betrieb am Gesamteinkommen des Betriebsinhabers mindestens 50 % beträgt und daß die für die Tätigkeiten ausserhalb des Betriebes aufgewendete Arbeitszeit weniger als die Hälfte der Gesamtarbeitszeit des Betriebsinhabers ausmacht.

Im Fall anderer als natürlicher Personen definieren die Mitgliedstaaten diesen Begriff unter Berücksichtigung der in vorstehendem Unterabsatz angegebenen Kriterien."

7 Die Klägerin ist der Ansicht, der Begriff des Inhabers eines landwirtschaftlichen Betriebes müsse wie der im wesentlichen identische Begriff des Artikels 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/159 ausgelegt werden, die nach Artikel 33 Absatz 2 der Verordnung Nr. 797/85 durch diese ersetzt worden sei.

8 In seinem Urteil vom 18. Dezember 1986 in der Rechtssache 312/85 (Villa Banfi, Slg. 1986, 4039, Randnr. 11) hat der Gerichtshof entschieden, daß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/159 es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, bei der Festlegung der Kriterien, aufgrund deren andere als natürliche Personen als hauptberuflich tätige Betriebsinhaber anzusehen sind, bestimmte Arten juristischer Personen allein wegen ihrer Rechtsform vom Geltungsbereich der Richtlinie auszuschließen.

9 Vor die Frage gestellt, ob die italienischen Rechtsvorschriften mit der Verordnung vereinbar seien, soweit sie eine Ermässigung der Registersteuer für andere als natürliche Personen nur dann vorsehen, wenn es sich um landwirtschaftliche Genossenschaften oder Vereinigungen von Inhabern landwirtschaftlicher Betriebe handelt, hat die Commissione tributaria di primo grado Voghera entschieden,

daß für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits die Entscheidung über folgende Frage erforderlich ist: Ist Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung (EWG) Nr. 797/85 dahin auszulegen, daß nach dieser Bestimmung, soweit sie es den Mitgliedstaaten überträgt, den Begriff "hauptberuflich tätiger Betriebsinhaber" zu definieren, der Ausschluß von Kapitalgesellschaften allein wegen deren Rechtsform rechtmässig ist?

Das Gericht hat demzufolge beschlossen, das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofes über diese Auslegungsfrage auszusetzen.

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der anwendbaren Rechtsvorschriften, des Ablaufs des Verfahrens sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Bei der Bestimmung der Bedeutung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts sind gleichzeitig deren Wortlaut, Zusammenhang und Ziele zu berücksichtigen.

12 Die Verordnung, die die Verbesserung der Effizienz der landwirtschaftlichen Strukturen der Gemeinschaft entsprechend einem gemeinsamen Konzept und gemeinsamen Kriterien bezweckt, führt dazu in Artikel 1 eine gemeinsame Maßnahme ein; vorgesehen ist die Beteiligung des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft an Maßnahmen in Verbindung mit Investitionen in landwirtschaftlichen Betrieben, ohne daß deren juristische Form festgelegt wäre.

13 Artikel 2 der Verordnung definiert abschließend die Kriterien, denen landwirtschaftliche Betriebe genügen müssen, um in den Genuß der im ersten Titel der Verordnung vorgesehenen Investitionsbeihilferegelung zu kommen, und gibt den Mitgliedstaaten auf, den Begriff "hauptberuflich tätiger Betriebsinhaber" im Sinne dieser Verordnung zu definieren; dabei haben sie nach Artikel 2 Absatz 5 ° unabhängig davon, ob es sich um natürliche Personen im Sinne des zweiten Absatzes oder um andere Personen als natürliche Personen im Sinne des dritten Absatzes dieser Vorschrift handelt ° bestimmte Mindestvoraussetzungen zu beachten.

14 Mit der Festlegung des gemeinschaftsrechtlichen Inhalts des Begriffes "hauptberuflich tätiger Betriebsinhaber" lässt Artikel 2 den Mitgliedstaaten keine Möglichkeit, bei Betrieben, die die Voraussetzungen der Verordnung erfuellen, diese Regelung unangewendet zu lassen.

15 Wie die Richtlinie 72/159 schließt auch die Verordnung juristische Personen keineswegs aus ihrem Geltungsbereich aus, sondern bezieht sie sogar ausdrücklich darin ein, sofern sie die Voraussetzungen des Artikels 2 erfuellen. Da diese Voraussetzungen von der Rechtsform, in der eine juristische Person verfasst ist, unabhängig sind, haben die Mitgliedstaaten nicht das Recht, juristischen Personen allein deshalb von der Anwendung der Verordnung auszuschließen, weil sie eine bestimmte Rechtsform haben.

16 Wie der Gerichtshof festgestellt hat (Urteil Villa Banfi, a. a. O., Randnr. 10), verstieße eine derartige Ungleichbehandlung im übrigen gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 40 Absatz 3 EWG-Vertrag, das die Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung der Gemeinsamen Agrarpolitik zu beachten haben.

17 Demzufolge ist dem nationalen Gericht zu antworten, daß Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung Nr. 797/85, soweit er es den Mitgliedstaaten überträgt, den Begriff des hauptberuflich tätigen Betriebsinhabers zu definieren, ihnen nicht gestattet, von diesem Begriff Kapitalgesellschaften allein wegen ihrer Rechtsform auszuschließen.

18 Um dem nationalen Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Mitgliedstaaten nach Artikel 2 Absatz 5 Unterabsatz 1 den Begriff des hauptberuflich tätigen Betriebsinhabers allein im Sinne dieser Verordnung definieren.

19 Im übrigen kann dem EWG-Vertrag und dem abgeleiteten Gemeinschaftsrecht eine allgemeine und einheitliche gemeinschaftliche Definition des "landwirtschaftlichen Betriebes", die im gesamten Geltungsbereich der Rechtsvorschriften über die landwirtschaftliche Erzeugung anwendbar wäre, nicht entnommen werden; es obliegt den Gemeinschaftsorganen, gegebenenfalls für die Zwecke einer aus dem EWG-Vertrag abgeleiteten Regelung eine solche Definition des landwirtschaftlichen Betriebes zu erarbeiten (Urteil vom 28. Februar 1978 in der Rechtssache 85/77, Azienda avicola Sant' Anna, Slg. 1978, 527, Randnrn. 8 und 14).

20 Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts ist es demzufolge erforderlich, die genaue Bedeutung des Begriffes des hauptberuflich tätigen Betriebsinhabers im Sinne des Artikels 2 Absatz 5 der Verordnung in bezug auf eine nationale Maßnahme der Beihilfe zum Kauf von Grundstücken wie die im Ausgangsverfahren streitige zu bestimmen, die in einer Ermässigung der Registersteuer für den Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke durch Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe besteht.

21 Bei den von den Mitgliedstaaten im Rahmen der in den Artikeln 3 bis 7 der Verordnung vorgesehenen Beihilferegelung für Investitionen durchgeführten Maßnahmen, denen nach Artikel 26 dieser Verordnung Gemeinschaftszuschüsse zugute kommen, handelt es sich um abschließend bestimmte Maßnahmen.

22 Aus Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung ergibt sich, daß diese von der Gemeinschaft mitfinanzierte Beihilferegelung für Investitionen sich nicht auf Aufwendungen für den Kauf von Grundstücken beziehen kann.

23 Diese Beihilferegelung schließt jedoch nicht die Möglichkeit aus, daß die Mitgliedstaaten vorbehaltlich bestimmter, in Artikel 8 Absätze 1 bis 4 der Verordnung aufgeführter Verbote und Beschränkungen bestimmte nationale Maßnahmen der Investitionsbeihilfe durchführen, denen keine Gemeinschaftsbeiträge zugute kommen.

24 Nach Artikel 8 Absatz 5 der Verordnung gelten diese Verbote und Beschränkungen jedoch gerade nicht für nationale Maßnahmen der Beihilfen zum Kauf von Grundstücken, sofern sie mit den Artikeln 92 bis 94 EWG-Vertrag in Einklang stehen.

25 Daraus ergibt sich, daß die nationalen Beihilfen zum Kauf von Grundstücken, wie die Ermässigung der Registersteuer für den Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke durch Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, nicht in den materiellen Geltungsbereich der Verordnung fallen, sondern dem nationalen Recht unterliegen, das unter Beachtung der Artikel 92 bis 94 EWG-Vertrag eine Regelung für solche Beihilfen festzulegen hat.

26 Demzufolge ist dem nationalen Gericht zu antworten, daß eine nationale Beihilfe zum Kauf von Grundstücken wie die im Ausgangsverfahren streitige, die in einer Ermässigung der Registersteuer für den Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke durch Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe besteht, nicht in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 797/85 fällt, sondern allein dem nationalen Recht unterliegt.

Kostenentscheidung:

Kosten

27 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm von der Commissione tributaria di primo grado Voghera mit Beschluß vom 18. April 1991 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Soweit Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung (EWG) Nr. 797/85 des Rates vom 12. März 1985 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur es den Mitgliedstaaten überträgt, den Begriff des hauptberuflich tätigen Betriebsinhabers zu definieren, gestattet er ihnen nicht, von diesem Begriff Kapitalgesellschaften allein wegen ihrer Rechtsform auszuschließen. Jedoch fällt eine nationale Beihilfe zum Kauf von Grundstücken wie die im Ausgangsverfahren streitige, die in einer Ermässigung der Registersteuer für den Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke durch Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe besteht, nicht in den Geltungsbereich der Verordnung, sondern unterliegt allein dem nationalen Recht.

Ende der Entscheidung

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