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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.10.1997
Aktenzeichen: C-163/95
Rechtsgebiete: Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof


Vorschriften:

Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof Art. 21
Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof Art. 29
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 29 Absatz 1 des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, daß, wenn in zwei verschiedenen Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, von denen die erste vor dem Inkrafttreten des genannten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zwischen diesen Staaten und die zweite nach diesem Zeitpunkt erhoben wurde, das später angerufene Gericht Artikel 21 dieses Übereinkommens anzuwenden hat, wenn das zuerst angerufene Gericht sich aufgrund einer Vorschrift für zuständig erklärt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens übereinstimmt, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen den beiden betroffenen Staaten in Kraft war; hat das zuerst angerufene Gericht noch nicht über seine Zuständigkeit entschieden, muß das später angerufene Gericht Artikel 21 vorläufig anwenden.

Dagegen darf das später angerufene Gericht Artikel 21 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen nicht anwenden, wenn das zuerst angerufene Gericht sich aufgrund einer Vorschrift für zuständig erklärt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen diesen beiden Staaten in Kraft war, nicht übereinstimmt.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 9. Oktober 1997. - Elsbeth Freifrau von Horn gegen Kevin Cinnamond. - Ersuchen um Vorabentscheidung: House of Lords - Vereinigtes Königreich. - Brüsseler Übereinkommen - Artikel 21 - Rechtshängigkeit - Beitrittsübereinkommen von San Sebastián - Artikel 29 - Übergangsvorschriften. - Rechtssache C-163/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das House of Lords hat mit Beschluß vom 25. Mai 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Mai 1995, gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 21 des genannten Übereinkommens vom 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32; im folgenden: Brüsseler Übereinkommen) in der Fassung der Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderter Text - S. 77), vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1) und vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1; im folgenden: Übereinkommen von San Sebastián) zu diesem Übereinkommen sowie von Artikel 29 des Übereinkommens von San Sebastián zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau von Horn, die in Portugal wohnt, und Herrn Cinnamond, der im Vereinigten Königreich wohnt, über die Zahlung einer Summe, die erstere von letzterem verlangt und die dem Preis für den Verkauf von Anteilen an einer Immobiliengesellschaft an eine Gesellschaft in Gibraltar entspricht.

3 Am 27. August 1991 erhob Herr Cinnamond vor dem Tribunal de Circulo Portimão (Portugal) gegen Frau von Horn Klage auf Feststellung, daß er ihr den Betrag die 600 000 UKL oder den entsprechenden Betrag in Escudos nicht schulde. Im Rahmen dieses Verfahrens erhob Frau von Horn Widerklage auf Feststellung, daß Herr Cinnamond ihr den Betrag von 600 000 UKL schulde, und auf dessen Zahlung.

4 Am 9. November 1992 erhob Frau von Horn mit Klageschrift, die dem Beklagten am 18. November 1992 zugestellt wurde, in England Klage auf Zahlung von 600 000 UKL als Saldo aus dem Verkauf von Gesellschaftsanteilen, hilfsweise als Schadensersatz. Herr Cinnamond erhob am 27. November 1992 die Einrede der Unzuständigkeit dieses Gerichts. Am 5. März 1993 wurde das Verfahren ausgesetzt. Am 21. April 1993 wurde der Berufung von Frau von Horn gegen diesen Aussetzungsbeschluß von einem Richter des High Court stattgegeben. Herr Cinnamond legte hiergegen beim Court of Appeal Rechtsmittel ein, das von diesem am 25. Februar 1994 verworfen wurde. Am 19. Juli 1994 wurde sein Rechtsmittel zum House of Lords zugelassen.

5 Das House of Lords hat, weil der Rechtsstreit nach seinem Dafürhalten ein Problem der Auslegung des Brüsseler Übereinkommens und des Übereinkommens von San Sebastián aufwarf, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Wenn

a) in zwei verschiedenen Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig sind,

b) die zeitlich frühere dieser Klagen im Vertragsstaat A erhoben wurde, bevor das Brüsseler Übereinkommen und/oder ein anwendbares Beitrittsübereinkommen in diesem Staat in Kraft getreten ist,

c) die spätere dieser Klagen im Vertragsstaat B in Einklang mit Artikel 2 des Brüsseler Übereinkommens erhoben wurde, nachdem dieses Übereinkommen und/oder ein anwendbares Beitrittsübereinkommen sowohl im Staat A als auch im Staat B in Kraft getreten ist,

und Artikel 29 Absatz 1 des Übereinkommens von San Sebastián und die entsprechenden Artikel eines anderen anwendbaren Beitrittsübereinkommens sowie Artikel 21 des Brüsseler Übereinkommens (in seiner geänderten Fassung) zu berücksichtigen sind,

1. enthält dann das Brüsseler Übereinkommen (in seiner geänderten Fassung) und/oder ein anwendbares Beitrittsübereinkommen Vorschriften - und, wenn ja, welche - darüber, ob wegen der im Staat A anhängigen Klage das Verfahren im Staat B ausgesetzt oder die Zuständigkeit verneint werden kann oder muß?

Insbesondere:

2. Ist das später angerufene Gericht bei der Entscheidung darüber, ob es sich für unzuständig erklärt oder das bei ihm anhängige Verfahren aussetzt, verpflichtet oder befugt, irgendeine - und, wenn ja, welche - Prüfung der Grundlage vorzunehmen, auf der sich das zuerst angerufene Gericht für zuständig erklärt hat?

6 Zur Beantwortung dieser Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, ist vorab darauf hinzuweisen, daß Artikel 21 des Brüsseler Übereinkommens in seiner durch Artikel 8 des Übereinkommens von San Sebastián geänderten Fassung folgendes vorsieht:

"Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.

Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig."

7 Artikel 29 des Übereinkommens von San Sebastián lautet:

"(1) Das Übereinkommen von 1968 und das Protokoll von 1971 in der Fassung des Übereinkommens von 1978, des Übereinkommens von 1982 und des vorliegenden Übereinkommens sind nur auf solche Klagen und öffentliche Urkunden anzuwenden, die erhoben oder aufgenommen worden sind, nachdem das vorliegende Übereinkommen im Ursprungsstaat und, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung oder Urkunde geltend gemacht wird, im ersuchten Staat in Kraft getreten ist.

(2) Entscheidungen, die nach dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens zwischen dem Ursprungsstaat und dem ersuchten Staat aufgrund einer vor diesem Inkrafttreten erhobenen Klage ergangen sind, werden nach Maßgabe des Titels III des Übereinkommens von 1968 in der Fassung des Übereinkommens von 1978, des Übereinkommens von 1982 und des vorliegenden Übereinkommens anerkannt und zur Zwangsvollstreckung zugelassen, vorausgesetzt, daß das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II des Übereinkommens von 1968 in seiner geänderten Fassung oder eines Abkommens übereinstimmen, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen dem Ursprungsstaat und dem Staat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, in Kraft war."

8 Entsprechend seinem Artikel 32 Absatz 2 ist das Übereinkommen von San Sebastián zwischen Portugal und dem Vereinigten Königreich am ersten Tag des dritten Monats in Kraft getreten, der auf den Tag folgt, an dem die letzte Ratifikationsurkunde hinterlegt wurde, d. h. am 1. Juli 1992.

9 Die für die zeitliche Geltung von Artikel 21 des Brüsseler Übereinkommens maßgebliche Vorschrift ist somit Artikel 29 des Übereinkommens von San Sebastián. Allerdings ist festzustellen, daß sich dieser Vorschrift nicht mit Sicherheit entnehmen lässt, ob die in Artikel 21 des Brüsseler Übereinkommens enthaltenen Regeln für Fälle der Rechtshängigkeit in dem Fall gelten, in dem das erste Verfahren vor Inkrafttreten des Übereinkommens von San Sebastián in einem Vertragsstaat anhängig gemacht wurde, während das zweite Verfahren nach diesem Zeitpunkt in einem anderen Vertragsstaat eingeleitet wurde, oder ob diese beiden Verfahren nach Inkrafttreten des Übereinkommens von San Sebastián anhängig gemacht worden sein müssen.

10 Einerseits gehört Artikel 21 zu den Vorschriften des Titels II des Brüsseler Übereinkommens, nach denen sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts richtet, und verpflichtet letzteres, das Verfahren auszusetzen und sich gegebenenfalls für unzuständig zu erklären, wenn ein Verfahren bei einem Gericht eines anderen Vertragsstaats anhängig ist. Im Gegensatz zu anderen Verfahrensvorschriften führt er somit notwendigerweise zur Berücksichtigung einer anderen Klage, die vor oder nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens erhoben worden sein kann.

11 Artikel 29 Absatz 1 des Übereinkommens von San Sebastián bestimmt zwar, daß das Brüsseler Übereinkommen auf solche Klagen anzuwenden ist, die erhoben worden sind, nachdem das Übereinkommen von San Sebastián in Kraft getreten ist, enthält jedoch keine Bestimmung dazu, ob in dem durch Artikel 21 des Brüsseler Übereinkommens geregelten Fall, in dem mehrere Klagen bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten erhoben worden sind, alle Verfahren nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens anhängig gemacht worden sein müssen oder ob es genügt, wenn dies bei dem Verfahren der Fall ist, das bei dem zuletzt angerufenen Gericht anhängig ist.

12 Die Mehrzahl der Sprachfassungen des Artikels 21 des Brüsseler Übereinkommens nimmt zwar auf die Klageerhebung Bezug und legt damit wohl nahe, Artikel 29 Absatz 1 des Übereinkommens von San Sebastián dahin auszulegen, daß er die Anwendung des genannten Artikels 21 nur zulässt, wenn alle Klagen nach Inkrafttreten des Übereinkommens erhoben worden sind. Indessen beziehen sich die deutsche ("werden... anhängig gemacht") und die niederländische Fassung ("aanhangig zijn") auf den Fall, in dem das Verfahren anhängig ist, so daß sie die Annahme zulassen, daß gemäß Artikel 29 Absatz 1 Artikel 21 anwendbar ist, wenn dieser Fall vor dem später angerufenen Gericht nach Inkrafttreten des Übereinkommens von San Sebastián eintritt.

13 Andererseits können auch die beiden in Randnummer 9 des vorliegenden Urteils erwähnten Auslegungen zu Ergebnissen führen, die wenig zufriedenstellend sind und den Zielen des Brüsseler Übereinkommens zuwiderlaufen, wie sie sich aus dessen Präambel ergeben; diese bestehen insbesondere darin, die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu erleichtern und den Rechtsschutz der in der Gemeinschaft ansässigen Personen zu verstärken. Was insbesondere Artikel 21 angeht, hat der Gerichtshof wiederholt darauf hingewiesen, daß er zusammen mit Artikel 22 betreffend den Sachzusammenhang zum achten Abschnitt des Titels II des Übereinkommens gehört; dieser Abschnitt hat im Interesse einer geordneten Rechtspflege in der Gemeinschaft zum Ziel, Parallelverfahren vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten und daraus möglicherweise resultierende widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern. Diese Regelung soll mithin soweit wie möglich von vornherein eine Situation ausschließen, wie sie in Artikel 27 Absatz 3 geregelt ist, nämlich die Nichtanerkennung einer Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung, die zwischen denselben Parteien in dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist (vgl. Urteile vom 8. Dezember 1987 in der Rechtssache 144/86, Gubisch Maschinenfabrik, Slg. 1987, 4861, Randnr. 8, und vom 27. Juni 1991 in der Rechtssache C-351/89, Overseas Union Insurance u. a., Slg. 1991, I-3317, Randnr. 16).

14 Die Auffassung, Artikel 21 sei anwendbar, wenn das zweite Verfahren nach Inkrafttreten des Übereinkommens von San Sebastián eingeleitet worden sei, auch wenn die erste Klage vor diesem Zeitpunkt erhoben worden sei, könnte dazu führen, daß es den Parteien des Rechtsstreits unmöglich wäre, ein Urteil zu erlangen, das in dem Vertragsstaat vollstreckbar wäre, in dem das zweite Verfahren durchgeführt wird. Das später angerufene Gericht müsste nämlich das Verfahren aussetzen und sich gegebenenfalls für unzuständig erklären, weil ein Verfahren bei einem Gericht eines anderen Vertragsstaats anhängig ist, obwohl die Anerkennung und die Vollstreckung der im Rahmen dieses Verfahrens ergangenen Entscheidung sich in dem ersuchten Staat als unmöglich erweisen könnten. Dies wäre insbesondere aufgrund von Artikel 29 Absatz 2 des Übereinkommens von San Sebastián der Fall, wenn das Gericht des Vertragsstaats, in dem die Entscheidung ergangen ist, aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II des Brüsseler Übereinkommens oder eines Abkommens übereinstimmen, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen dem Ursprungsstaat und dem Staat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, in Kraft war.

15 Die gegenteilige Auffassung, nach der Artikel 21 nur anwendbar ist, wenn beide Verfahren nach Inkrafttreten des Übereinkommens von San Sebastián eingeleitet worden sind, würde dagegen bewirken, daß beide Verfahren in den beiden Vertragsstaaten fortgesetzt werden, gegebenenfalls bis zum Erlaß zweier unterschiedlicher Entscheidungen. Falls diese miteinander unvereinbar wären, könnte nach Artikel 27 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens keine von ihnen in dem anderen Staat anerkannt werden.

16 Aufgrund dessen ist es unerläßlich, Artikel 29 Absatz 1 des Übereinkommens von San Sebastián im Lichte der Systematik und der Zielsetzungen dieses Übereinkommens sowie des Brüsseler Übereinkommens auszulegen.

17 Somit muß dieser Vorschrift eine Auslegung gegeben werden, die geeignet ist, den Rechtsschutz der in der Gemeinschaft ansässigen Personen zu verstärken sowie die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu erleichtern, indem insbesondere die Gefahr der Unvereinbarkeit von Entscheidungen verringert wird, die nach den Artikeln 27 Nummer 3 und 34 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens ein Grund für die Verweigerung der Anerkennung und der Vollstreckung ist (vgl. Urteil vom 11. Januar 1990 in der Rechtssache C-220/88, Dumez France und Tracoba, Slg. 1990, I-49, Randnr. 18, und Urteil Overseas Union Insurance u. a., a. a. O., Randnr. 15).

18 Nach Artikel 29 Absatz 2 des Übereinkommens von San Sebastián werden Entscheidungen, die im Ursprungsstaat nach dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens aufgrund einer vor diesem Inkrafttreten erhobenen Klage ergangen sind, nach Maßgabe des Titels III des Brüsseler Übereinkommens anerkannt und zur Zwangsvollstreckung zugelassen, vorausgesetzt, daß das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens übereinstimmen, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen dem Ursprungsstaat und dem Staat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, in Kraft war.

19 In einem solchen Fall muß das später angerufene Gericht das Verfahren daher nach Artikel 21 von Amts wegen aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, und das später angerufene Gericht muß sich, sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, zugunsten dieses Gerichts für unzuständig erklären. Auf diese Weise wird der Erlaß paralleler und womöglich einander widersprechender Entscheidungen, die ein Hindernis für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung bilden könnten, verhindert.

20 In dem Fall dagegen, daß das zuerst angerufene Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die nicht mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens übereinstimmen, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen dem Ursprungsstaat und dem Staat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, in Kraft war, könnte seine Entscheidung nicht in dem Vertragsstaat des später angerufenen Gerichts anerkannt werden.

21 In einem solchen Fall ist das später angerufene Gericht gehalten, von der Anwendung des Artikels 21 abzusehen und das bei ihm anhängige Verfahren fortzusetzen. Auf diese Weise kann eine Entscheidung im Vertragsstaat des später angerufenen Gerichts ergehen, in dem die Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts weder anerkannt noch vollstreckt werden kann. Im übrigen kann die Entscheidung des später angerufenen Gerichts im Vertragsstaat des zuerst angerufenen Gerichts anerkannt und vollstreckt werden, natürlich unter der Voraussetzung, daß sie nicht mit einer in diesem Staat zwischen denselben Parteien ergangenen Entscheidung unvereinbar ist.

22 Hinzuzufügen ist, daß es, wenn das zuerst angerufene Gericht noch nicht über seine eigene Zuständigkeit entschieden hat, dem später angerufenen Gericht obliegt, Artikel 21 des Brüsseler Übereinkommens vorläufig anzuwenden und das Verfahren auszusetzen, wobei das Verfahren natürlich fortgesetzt werden kann, wenn das zuerst angerufene Gericht sich für unzuständig erklärt oder wenn die Vorschrift, auf die es seine Zuständigkeit gestützt hat, nicht mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens übereinstimmt, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen dem Ursprungsstaat und dem Staat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, in Kraft war.

23 Es trifft zu, daß diese Auslegung das Gericht eines Vertragsstaats dazu veranlasst, die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Vertragsstaats ausserhalb der in den Artikeln 28 und 34 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens ausdrücklich aufgeführten Fälle zu prüfen, obwohl dieses Übereinkommen eine solche Prüfung, wie der Gerichtshof in Randnummer 24 des Urteils Overseas Union Insurance u. a. (a. a. O.) ausgeführt hat, nur in diesen Ausnahmefällen gestattet. In dem vom vorlegenden Gericht genannten Fall erscheint eine Abweichung von diesem Grundsatz jedoch gerechtfertigt.

24 Zunächst einmal hängt die Anwendung der die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen betreffenden Vorschriften des Übereinkommens von San Sebastián aufgrund der Übergangsvorschrift des Artikels 29 Absatz 2 des Übereinkommens gerade von der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts ab.

25 Sodann ist das später angerufene Gericht darauf beschränkt, festzustellen, ob die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts mit den Zuständigkeitsvorschriften des Brüsseler Übereinkommens oder eines Abkommens übereinstimmt, das zwischen den beiden betroffenen Staaten in Kraft war; diese sind für beide Gerichte gleich und können von den Gerichten beider Vertragsstaaten mit der gleichen Sachkenntnis ausgelegt werden (vgl. Urteil Overseas Union Insurance u. a., a. a. O., Randnr. 23). In dem speziellen Fall, daß die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts nach Artikel 4 des Brüsseler Übereinkommens den Rechtsvorschriften des Staates dieses Gerichts folgt, das dann unbestreitbar besser in der Lage ist, über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, wäre das später angerufene Gericht darauf beschränkt, zu prüfen, ob die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift erfuellt sind, d. h., ob der Kläger seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats und der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines solchen Staates hat. In keinem Falle darf das später angerufene Gericht also die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts im Lichte der Rechtsvorschriften des Staates dieses letztgenannten Gerichts beurteilen.

26 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die söben beschriebene Regelung nur vorübergehend Anwendung findet, um Probleme zu lösen, die sich aus dem Inkrafttreten des Brüsseler Übereinkommens ergeben, und nur so lange, wie vor diesem Inkrafttreten eingeleitete Verfahren noch in einem Vertragsstaat anhängig sind. Der in Randnummer 23 des vorliegenden Urteils erwähnte Grundsatz erfährt daher keine nachhaltigen Einschränkungen.

27 Somit ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß Artikel 29 Absatz 1 des Übereinkommens von San Sebastián dahin auszulegen ist, daß, wenn in zwei verschiedenen Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, von denen die erste vor dem Inkrafttreten des Brüsseler Übereinkommens zwischen diesen Staaten und die zweite nach diesem Zeitpunkt erhoben wurde, das später angerufene Gericht Artikel 21 des Brüsseler Übereinkommens anzuwenden hat, wenn das zuerst angerufene Gericht sich aufgrund einer Vorschrift für zuständig erklärt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens übereinstimmt, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen den beiden betroffenen Staaten in Kraft war; hat das zuerst angerufene Gericht noch nicht über seine Zuständigkeit entschieden, ist Artikel 21 nur vorläufig anzuwenden. Dagegen darf das später angerufene Gericht Artikel 21 des Brüsseler Übereinkommens nicht anwenden, wenn das zuerst angerufene Gericht sich aufgrund einer Vorschrift für zuständig erklärt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen diesen beiden Staaten in Kraft war, nicht übereinstimmt.

Kostenentscheidung:

Kosten

28 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom House of Lords mit Beschluß vom 25. Mai 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 29 Absatz 1 des Übereinkommens von San Sebastián vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, daß, wenn in zwei verschiedenen Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, von denen die erste vor dem Inkrafttreten des genannten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zwischen diesen Staaten und die zweite nach diesem Zeitpunkt erhoben wurde, das später angerufene Gericht Artikel 21 dieses Übereinkommens anzuwenden hat, wenn das zuerst angerufene Gericht sich aufgrund einer Vorschrift für zuständig erklärt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens übereinstimmt, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen den beiden betroffenen Staaten in Kraft war; hat das zuerst angerufene Gericht noch nicht über seine Zuständigkeit entschieden, ist Artikel 21 nur vorläufig anzuwenden. Dagegen darf das später angerufene Gericht Artikel 21 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen nicht anwenden, wenn das zuerst angerufene Gericht sich aufgrund einer Vorschrift für zuständig erklärt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II dieses Übereinkommens oder eines Abkommens, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen diesen beiden Staaten in Kraft war, nicht übereinstimmt.

Ende der Entscheidung

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