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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 06.11.1997
Aktenzeichen: C-164/96
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 72/159/EWG, Verordnung (EWG) Nr. 797/85


Vorschriften:

EGV Art. 177 (jetzt EGV Art. 234)
Richtlinie 72/159/EWG
Verordnung (EWG) Nr. 797/85
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Richtlinie 72/159 über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe und die Verordnung Nr. 797/85 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur sind dahin auszulegen, daß sie es den Mitgliedstaaten, die ein Register zur Bestimmung des Personenkreises einführen, dem die mit der Richtlinie 72/159 geschaffene Beihilferegelung zugute kommt, nicht gestatten, bestimmte juristische Personen nur wegen ihrer Rechtsform von der Eintragung in das Register auszuschließen und durch die Schaffung eines besonderen Registers nur für natürliche Personen ein besonderes Erfassungssystem vorzusehen.


Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 6. November 1997. - Regione Piemonte gegen Saiagricola SpA. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Consiglio di Stato - Italien. - Verordnung (EWG) Nr. 797/85 - Unterschiedliche Behandlung von Einzelbetriebsinhabern und juristischen Personen. - Rechtssache C-164/96.

Entscheidungsgründe:

1 Der Consiglio di Stato hat mit Entscheidung vom 9. Januar 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 72/159/EWG des Rates vom 17. April 1972 über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe (ABl. L 96, S. 1) und der Verordnung (EWG) Nr. 797/85 des Rates vom 12. März 1985 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur (ABl. L 93, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Aktiengesellschaft Saiagricola SpA und der Region Piemont über den Antrag der Saiagricola SpA auf Eintragung in das Berufsregister der hauptberuflich tätigen Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe.

3 Mit der Verordnung Nr. 797/85 wurden die grundlegenden Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der Agrarstrukturpolitik erlassen.

4 Artikel 2 der Verordnung Nr. 797/85 bestimmt, daß die Mitgliedstaaten, um zu einer Verbesserung der landwirtschaftlichen Einkommen sowie der Lebens-, Arbeits- und Produktionsbedingungen in den landwirtschaftlichen Betrieben beizutragen, eine Beihilferegelung für Investitionen in den landwirtschaftlichen Betrieben einführen, deren Inhaber die Landwirtschaft als Hauptberuf betreiben und bestimmte Voraussetzungen erfuellen.

5 Artikel 2 Absatz 5 dieser Verordnung, der Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/159 praktisch wörtlich wiedergibt, lautet:

"Die Mitgliedstaaten definieren den Begriff "hauptberuflich tätiger Betriebsinhaber" im Sinne dieser Verordnung.

Bei natürlichen Personen enthält diese Definition mindestens die Voraussetzung, daß der Anteil des Einkommens aus dem landwirtschaftlichen Betrieb am Gesamteinkommen des Betriebsinhabers mindestens 50 % beträgt und daß die für die Tätigkeiten ausserhalb des Betriebs aufgewendete Arbeitszeit weniger als die Hälfte der Gesamtarbeitszeit des Betriebsinhabers ausmacht.

Im Fall anderer als natürlicher Personen definieren die Mitgliedstaaten diesen Begriff unter Berücksichtigung der in vorstehendem Unterabsatz angegebenen Kriterien."

6 Aufgrund der mit der Verordnung (EWG) Nr. 2328/91 des Rates vom 15. Juli 1991 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur (ABl. L 218, S. 1) durchgeführten Kodifizierung wurde Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung Nr. 797/85 ohne Änderung zu Artikel 5 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2328/91.

7 Im Rahmen der ihnen auf dem Gebiet der Landwirtschaft übertragenen konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit genehmigten die italienischen Regionen nach den Grundsätzen der nationalen Regelung detaillierte Vorschriften zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts im Bereich der Agrarreform.

8 Artikel 1 des Gesetzes Nr. 18 vom 23. August 1982 (im folgenden: Gesetz Nr. 18) der Region Piemont sieht die Einführung eines Berufsregisters für hauptberuflich tätige Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe vor, in das sich diese Betriebsinhaber eintragen lassen können.

9 Weitere Bestimmungen des Gesetzes Nr. 18 legen die Voraussetzungen fest, die diese Betriebsinhaber erfuellen müssen.

10 Der Consiglio regionale (Regionalrat) der Region Piemont führte die Vorschriften des Gesetzes Nr. 18 mit Beschluß Nr. 443-6462 vom 28. Juli 1983 durch. Nach den Artikeln 2 und 3 dieses Beschlusses können nur natürliche Personen, landwirtschaftliche Genossenschaften, die gemäß den genossenschaftsrechtlichen Bestimmungen errichtet wurden, und Vereinigungen von Inhabern landwirtschaftlicher Betriebe ihre Eintragung in das Berufsregister für hauptberuflich tätige Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe beantragen.

11 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, daß die mit der Führung des Berufsregisters für hauptberuflich tätige Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe betraute Commissione provinciale (Provinzialausschuß), die ihren Sitz in Vercelli hat, den Eintragungsantrag der Saiagricola SpA durch Verfügung vom 3. Juni 1991 mit der Begründung ablehnte, nach dem Gesetz Nr. 18 könnten nur natürliche Personen in dieses Register eingetragen werden.

12 Diese Verfügung wurde durch Urteile des Tribunale amministrativo regionale per il Piemonte vom 6. Mai und 3. Juni 1993 mit der Begründung aufgehoben, das Gesetz Nr. 18 verstosse gegen die Richtlinie 72/159, die es verbiete, die Eigenschaft eines "hauptberuflich tätigen Betriebsinhabers" natürlichen Personen vorzubehalten.

13 Der auf die Berufung der Region Piemont mit dem Rechtsstreit befasste Consiglio di Stato hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:

Bleibt dem nationalen oder regionalen Gesetzgeber nach der Richtlinie 72/159/EWG des Rates vom 17. April 1972 und der Verordnung (EWG) Nr. 797/85 des Rates vom 12. März 1985 angesichts des verfolgten Zieles, eine gemeinsame Agrarpolitik in einem System der Nichtdiskriminierung zwischen Betriebsinhabern zu entwickeln, noch Raum dafür, Einzelbetriebsinhaber anders zu behandeln, und sei es auch nur insoweit, als er ein besonderes Erfassungssystem in der Form eines nur für Einzelbetriebsinhaber vorgesehenen speziellen Registers einführt?

14 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung Nr. 797/85, der Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/159 praktisch wörtlich wiedergibt, es den Mitgliedstaaten, die ein Register zur Bestimmung des Personenkreises einführen, dem die mit der Richtlinie 72/159 geschaffene Beihilferegelung zugute kommt, gestattet, bestimmte juristische Personen nur wegen ihrer Rechtsform von der Eintragung in dieses Register auszuschließen und durch die Schaffung eines besonderen Registers nur für natürliche Personen ein besonderes Erfassungssystem vorzusehen.

15 Nach ständiger Rechtsprechung erlaubt es die Gemeinschaftsregelung den Mitgliedstaaten, die den Inhalt des Begriffes "hauptberuflich tätiger Betriebsinhaber" zu konkretisieren haben, nicht, dessen Anwendungsbereich auf natürliche Personen zu beschränken (vgl. Urteile vom 18. Dezember 1986 in der Rechtssache 312/85, Villa Banfi, Slg. 1986, 4039, und vom 15. Oktober 1992 in der Rechtssache C-162/91, Tenuta il Bosco, Slg. 1992, I-5279).

16 Da ausserdem die Richtlinie 72/159 und die Verordnung Nr. 797/85 juristische Personen ausdrücklich in ihren Anwendungsbereich einbeziehen, ist es mit der Gemeinschaftsregelung unvereinbar, wenn Antragsteller nur wegen ihrer Rechtsform von der Eintragung in das Register ausgeschlossen werden.

17 Daher lässt die Gemeinschaftsregelung den Mitgliedstaaten keine Möglichkeit, die Anwendung der mit der Richtlinie 72/159 - und später der Verordnung Nr. 797/85 - geschaffenen Regelung Betrieben, die deren Voraussetzungen erfuellen, nur wegen ihrer Rechtsform zu versagen (vgl. Urteile Villa Banfi, a. a. O., Randnr. 9, und Tenuta il Bosco, a. a. O., Randnr. 14).

18 Auf die Vorlagefrage ist demgemäß zu antworten, daß die Richtlinie 72/159 und die Verordnung Nr. 797/85 dahin auszulegen sind, daß sie es den Mitgliedstaaten, die ein Register zur Bestimmung des Personenkreises einführen, dem die mit der Richtlinie 72/159 geschaffene Beihilferegelung zugute kommt, nicht gestatten, bestimmte juristische Personen nur wegen ihrer Rechtsform von der Eintragung in das Register auszuschließen und durch die Schaffung eines besonderen Registers nur für natürliche Personen ein besonderes Erfassungssystem vorzusehen. Kosten

Kostenentscheidung:

19 Die Auslagen der italienischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Vierte Kammer)

auf die ihm vom Consiglio di Stato mit Entscheidung vom 9. Januar 1996 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Richtlinie 72/159/EWG des Rates vom 17. April 1972 über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe und die Verordnung (EWG) Nr. 797/85 des Rates vom 12. März 1985 zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur sind dahin auszulegen, daß sie es den Mitgliedstaaten, die ein Register zur Bestimmung des Personenkreises einführen, dem die mit der Richtlinie 72/159 geschaffene Beihilferegelung zugute kommt, nicht gestatten, bestimmte juristische Personen nur wegen ihrer Rechtsform von der Eintragung in das Register auszuschließen und durch die Schaffung eines besonderen Registers nur für natürliche Personen ein besonderes Erfassungssystem vorzusehen.

Ende der Entscheidung

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