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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.09.2002
Aktenzeichen: C-172/00
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 28
EGV Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 28 EG steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach das Erlöschen der Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Bezugsarzneimittels auf Antrag des Inhabers, das aus anderen Gründen als dem des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, wie dem des Vertriebs einer neuen Formulierung des fraglichen Arzneimittels, erfolgt, dazu führt, dass die Parallelimportzulassung für dieses Arzneimittel, die ein Marktbeteiligter besitzt, der dieses in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage einer dort erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen rechtmäßig vertriebene Arzneimittel gekauft hat, automatisch erlischt.

Insoweit ist ohne Bedeutung, ob die neue Formulierung des Arzneimittels nur im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht wird oder ob sie sich auch auf dem Markt weiterer Mitgliedstaaten befindet.

Ist jedoch nachgewiesen, dass wegen des gleichzeitigen Nebeneinanders von zwei Formulierungen desselben Arzneimittels auf dem Markt eines Mitgliedstaats tatsächlich eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen besteht, so kann eine solche Gefahr Beschränkungen der Einfuhr der alten Formulierung des Arzneimittels im Anschluss an das Erlöschen der Bezugsgenehmigung für das Inverkehrbringen auf diesem Markt auf Antrag des Inhabers rechtfertigen. Es ist in erster Linie Sache der zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats, das Bestehen und die Realität der Gefahr zu beurteilen.

( vgl. Randnrn. 21, 35, 44, 46, Tenor 1-3 )


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 10. September 2002. - Ferring Arzneimittel GmbH gegen Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Landgericht Köln - Deutschland. - Auslegung der Artikel 28 EG und 30 EG - Arzneimittel - Erlöschen der Parallelimportzulassung nach Verzicht auf die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Bezugsarzneimittels durch deren Inhaber. - Rechtssache C-172/00.

Parteien:

In der Rechtssache C-172/00

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Landgericht Köln (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Ferring Arzneimittel GmbH

gegen

Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 28 EG und 30 EG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin F. Macken sowie der Richter C. Gulmann (Berichterstatter), J.-P. Puissochet, V. Skouris und J. N. Cunha Rodrigues,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Ferring Arzneimittel GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin G. Hess,

- der Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin M. Epping,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. C. Schieferer als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Ferring Arzneimittel GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin G. Hess, der Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt W. A. Rehmann, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch J. C. Schieferer, in der Sitzung vom 22. November 2001,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Februar 2002,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Landgericht Köln hat mit Beschluss vom 14. April 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Mai 2000, gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 28 EG und 30 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Ferring Arzneimittel GmbH (im Folgenden: Ferring) und der Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH (im Folgenden: Eurim-Pharm) wegen der Paralleleinfuhr eines von Ferring hergestellten Arzneimittels nach Deutschland durch Eurim-Pharm.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Gemäß Artikel 28 EG sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Nach Artikel 30 EG sind jedoch Einfuhrverbote und -beschränkungen, die u. a. zum Schutze der Gesundheit von Menschen gerechtfertigt sind, zulässig, wenn sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.

4 Nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369) in der durch die Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 65/65) darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats eine Genehmigung für das Inverkehrbringen (im Folgenden: Zulassung) erteilt wurde.

5 Artikel 4 der Richtlinie 65/65 legt das Verfahren sowie die Unterlagen und Angaben im Einzelnen fest, die für die Zulassung erforderlich sind.

6 Nach Artikel 5 der Richtlinie 65/65 wird die Zulassung versagt, wenn sich nach Prüfung der in Artikel 4 aufgeführten Angaben und Unterlagen ergibt, dass entweder das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom Antragsteller unzureichend begründet ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist.

7 Gemäß Artikel 29a der Zweiten Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. L 147, S. 13) in der durch die Richtlinie 93/39 geänderten Fassung richten die Mitgliedstaaten ein Arzneimittel-Überwachungssystem (Pharmakovigilanzsystem) ein, das u. a. dem Inhaber der Zulassung Verpflichtungen hinsichtlich der Registrierung und Notifizierung aller Nebenwirkungen der Arzneimittel bei Menschen auferlegt. Dazu sind den zuständigen Behörden in regelmäßigen Abständen Berichte vorzulegen, denen eine wissenschaftliche Beurteilung beigefügt sein muss.

Nationales Recht

8 Nach § 105 des Arzneimittelgesetzes (im Folgenden: AMG) galten Arzneimittel, die sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes, d. h. am 1. Januar 1978, in Deutschland im Verkehr befanden, auch ohne ausdrückliche Zulassung als zugelassen, und zwar auf der Grundlage einer so genannten fiktiven Zulassung, die eine Anzeige gegenüber der zuständigen Behörde voraussetzte. Diese Altarzneimittel durften in Deutschland jedoch nur dann im Verkehr bleiben, wenn bis spätestens 30. April 1990 ein entsprechender Antrag auf Verlängerung der fiktiven Zulassung (im Folgenden: Antrag auf Nachzulassung) gestellt worden war.

9 Gemäß § 31 Absatz 1 Nr. 2 AMG erlischt die Zulassung durch schriftlichen Verzicht. Nach Absatz 4 dieser Vorschrift des AMG in seiner ursprünglichen Fassung durfte das betreffende Arzneimittel ungeachtet eines solchen Verzichts noch während eines Zeitraums von zwei Jahren verkauft werden, um den Abverkauf zu ermöglichen. Diese Regelung galt auch für Arzneimittel, für die eine fiktive Zulassung bestand. Mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes entfiel jedoch mit Wirkung zum 11. September 1998 die Möglichkeit, im Fall des Verzichts auf eine fiktive Zulassung eine zweijährige Abverkaufsfrist zu nutzen. Dagegen war es nach § 105 Absatz 5c AMG möglich, durch Rücknahme des Antrags auf Nachzulassung zu erreichen, dass die fiktive Zulassung erst am 31. Dezember 2004 erlischt.

10 Nach einer Bekanntmachung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 17. April 1996 über die Zulassung von parallelimportierten Arzneimitteln erwerben die Parallelimporteure aufgrund einer schlichten Anzeige gegenüber der zuständigen Behörde das Recht, unter Angabe der entsprechenden Registernummer Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, die sich bereits auf der Grundlage einer fiktiven Zulassung im Verkehr befinden (im Folgenden: Parallelimportzulassung). Besitzt der Importeur eine solche Zulassung, wird nicht förmlich überprüft, ob die eingeführten und die auf dem deutschen Markt vertriebenen Arzneimittel identisch sind.

11 Beantragt der Inhaber einer fiktiven Zulassung eine Nachzulassung, besteht die Verwaltungspraxis der Bekanntmachung zufolge darin, Parallelimporte, soweit sie dem Bezugserzeugnis entsprechen, so lange weiter zu ermöglichen, bis das Verfahren der Nachzulassung abgeschlossen ist.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

12 Ferring hat in Deutschland auf der Grundlage einer fiktiven Zulassung gemäß § 105 AMG unter der Registernummer 10545 das Arzneimittel Minirin Spray" (im Folgenden: alte Formulierung des Arzneimittels) vertrieben, ein Antidiuretikum, das den Wirkstoff Desmopressin enthält.

13 Seit Juni 1996 führt Eurim-Pharm dieses Arzneimittel aus einem anderen Mitgliedstaat ein und vertreibt es in Deutschland unter derselben Registernummer 10545.

14 Mit Schreiben vom 14. Juli 1999 verzichtete Ferring durch Anzeige gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf diese fiktive Zulassung mit der Begründung, sie vertreibe derzeit ein Arzneimittel mit der Bezeichnung Minirin Nasenspray 5 ml" (im Folgenden: neue Formulierung des Arzneimittels) auf der Grundlage einer Zulassung gemäß den neuen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes über Zulassungen. Die neue Formulierung des Arzneimittels enthalte andere Hilfsstoffe, die es raumtemperaturstabil machten, wohingegen die alte Formulierung an einem kühlen Ort aufbewahrt werden müsse.

15 Im Folgenden verklagte Ferring Eurim-Pharm beim Landgericht Köln auf Unterlassung der Einfuhr und des Vertriebs der alten Formulierung des Arzneimittels; Ferring begründete ihre Klage damit, dass Eurim-Pharm diese Formulierung ohne Zulassung in den Verkehr bringe, da sie auf ihre Zulassung verzichtet habe.

16 Am 25. Oktober 1999 erließ das Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung, mit der es Eurim-Pharm untersagte, die alte Formulierung des Arzneimittels zu importieren und in Deutschland unter der Registernummer 10545 in den Verkehr zu bringen.

17 In der Sache stellt das Landgericht zunächst fest, dass die Zweijahresfrist des § 31 Absatz 4 des AMG in seiner ursprünglichen Fassung, die den Abverkauf ermöglichen soll, nicht für fiktive Zulassungen gelte. Europarechtliche Überlegungen führten nicht zur Aufhebung des im Wege der einstweiligen Verfügung verhängten Importverbots, da die aus der Produktbezogenheit der Zulassung folgende Möglichkeit, sich an bestehende Zulassungen anzuhängen", nur für in Kraft stehende Zulassungen gelte. Ganz ohne Zulassung könne sich ein Parallelimporteur an nichts anhängen". Eine auch nur übergangsweise verbleibende Verkehrsfähigkeit ohne existierende Bezugszulassung könne es nicht geben, denn die Frage, ob die alte und die neue Formulierung des Arzneimittels in ausreichender Weise therapieähnlich seien, sei in dem von Eurim-Pharm eingeleiteten Verfahren auf Erteilung der Parallelimportzulassung gerade erst zu prüfen. Möglicherweise teile jedoch der Gerichtshof diese Auffassung nicht.

18 Das Landgericht Köln hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Stehen die Artikel 28 EG und 30 EG nationalem Recht entgegen, das den Vertrieb eines Arzneimittels X verbietet,

- für welches im Mitgliedsland A bislang eine fiktive Zulassung bestanden hat, die jetzt durch einen Verzicht des Zulassungsinhabers erloschen ist,

- welches bislang mehrere Jahre hindurch im Wege des Parallelimports aus einem Mitgliedsland B in das Mitgliedsland A verbracht und dort unter Bezugnahme auf die genannte fiktive Zulassung in den Verkehr gebracht worden ist,

- welches der Hersteller und Zulassungsinhaber durch ein neues Präparat Y ersetzt und aufgrund einer eigenständigen Zulassung im Mitgliedstaat A in den Verkehr bringt und

- welches sich vom Präparat X nur durch veränderte Hilfsstoffe unterscheidet, wobei diese Hilfsstoffe zu einer verbesserten Temperaturstabilität führen und so eine Lagerung im Kühlschrank überfluessig machen?

2.Hat es einen Einfluss auf die Beurteilung, wenn dem Inhaber der jetzt nicht mehr existierenden Zulassung ein rechtlicher Weg zur Verfügung gestanden hat, die bisherige Zulassung in der Weise aufzugeben, dass die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels noch für eine gewisse (Übergangs-)Zeit aufrechterhalten bleibt?

Wenn ja: Nach welchen Kriterien muss der bisherige Inhaber bei der Entscheidung über sein Vorgehen auf die Freiheit des europäischen Warenverkehrs Rücksicht nehmen?

3. Hat es einen Einfluss auf die Beurteilung, ob das Arzneimittel Y in der neuen Formulierung nur im Mitgliedstaat A in den Verkehr gebracht wird oder ob es sich auch in weiteren Mitgliedstaaten auf dem Markt befindet?

4. Hat es einen Einfluss auf die Beurteilung, wenn bei einem gleichzeitigen Nebeneinander der beiden Formulierungen im Mitgliedstaat A die Gefahr falscher Lagerung des Arzneimittels X entsteht?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

19 Nach den in der Richtlinie 65/65 aufgestellten Grundsätzen darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Zulassung erteilt wurde; die von der für das Inverkehrbringen verantwortlichen Person gestellten Anträge auf Zulassung der Arzneimittel müssen die in Artikel 4 dieser Richtlinie aufgezählten Angaben enthalten, und ihnen sind die in dieser Bestimmung aufgeführten Unterlagen beizufügen, auch wenn für das betreffende Arzneimittel bereits von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats eine Zulassung erteilt wurde (Urteil vom 16. Dezember 1999 in der Rechtssache C-94/98, Rhône-Poulenc Rorer und May & Baker, Slg. 1999, I-8789, Randnr. 23).

20 Diese Grundsätze lassen jedoch Ausnahmen zu, die sich einerseits aus der Richtlinie 65/65 selbst und andererseits aus den Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr ergeben.

21 Aus den letztgenannten Bestimmungen in der Auslegung durch den Gerichtshof folgt u. a., dass ein Marktbeteiligter, der ein in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage einer dort erteilten Zulassung rechtmäßig vertriebenes Arzneimittel gekauft hat, dieses Arzneimittel in einen anderen Mitgliedstaat, in dem es bereits zugelassen ist, einführen kann, ohne eine solche Zulassung gemäß der Richtlinie 65/65 beantragen zu müssen und ohne die in dieser Richtlinie vorgesehenen Informationen für die Untersuchung der Wirksamkeit und der Unschädlichkeit des Arzneimittels mitteilen zu müssen. Für den Schutz der Gesundheit von Menschen ist es nämlich nicht notwendig, an Paralleleinfuhren solche Anforderungen zu stellen, da die zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats über alle für diese Untersuchung unentbehrlichen Informationen verfügen (vgl. u. a. Urteile vom 20. Mai 1976 in der Rechtssache 104/75, De Peijper, Slg. 1976, 613, Randnrn. 21 und 36, vom 12. November 1996 in der Rechtssache C-201/94, Smith & Nephew und Primecrown, Slg. 1996, I-5819, Randnr. 22).

22 In solchen Fällen ist die Paralleleinfuhr im Einfuhrstaat unter Bezug auf die gemäß der Richtlinie 65/65 erteilte Zulassung (im Folgenden: Bezugszulassung) zulässig.

23 Daraus folgt, dass im Fall des Erlöschens der Bezugszulassung auf Antrag ihres Inhabers und insbesondere in einer Situation, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben ist, die Parallelimportzulassung dann ein besonderes Problem aufwirft, wenn

- dieses Erlöschen darauf beruht, dass der Inhaber die alte Formulierung des Arzneimittels durch eine neue Formulierung ersetzt hat, für die er eine neue Zulassung erhalten hat, die sich aber von der alten Formulierung nur durch die in ihr enthaltenen Hilfsstoffe unterscheidet, und

- diese alte Formulierung in einem anderen Mitgliedstaat weiterhin gemäß einer Zulassung, die von ihrem Inhaber nicht zurückgegeben wurde, rechtmäßig vertrieben wird.

24 Eine entsprechende Situation war bereits Gegenstand von Fragen, die dem Gerichtshof in der oben erwähnten Rechtssache Rhône-Poulenc Rorer und May & Baker zur Vorabentscheidung vorgelegt worden waren. In dieser Rechtssache ging es jedoch darum, ob angesichts der Tatsache, dass die Behörden des Vereinigten Königreichs gebilligt hatten, dass Parallelimportzulassungen für eine alte Formulierung eines Arzneimittels der Zulassung für eine neue Formulierung dieses Arzneimittels angeheftet werden, die Einfuhr der alten Formulierung als Paralleleinfuhr betrachtet werden konnte, so dass das normale Genehmigungsverfahren nach der Richtlinie 65/65 nicht anwendbar war.

25 Dagegen hat im Ausgangsverfahren das Erlöschen der Bezugszulassung nach deutschem Recht, wie es vom vorlegenden Gericht dargelegt wird, zur Folge, dass der Parallelimporteur die alte Formulierung des Arzneimittels nicht mehr einführen darf, da die bloße Tatsache, dass die Bezugszulassung erlosch, automatisch zum Erlöschen der Parallelimportzulassung führt.

26 Zur Beantwortung der Vorlagefragen, die gemeinsam zu prüfen sind, ist daher zu untersuchen, ob die Artikel 28 EG und 30 EG einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach die auf Antrag des Inhabers erloschene Zulassung eines Arzneimittels dazu führt, dass die Parallelimportzulassung für dasselbe Arzneimittel automatisch erlischt, und ob die in der zweiten, der dritten und der vierten Frage erwähnten Aspekte insoweit von Bedeutung sind.

Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen

27 Ferring macht geltend, aufgrund des Wegfalls der Zulassung, die sie für die alte Formulierung des Arzneimittels besessen habe, sei die rechtliche Grundlage für deren Inverkehrbringen entfallen. Eurim-Pharm müsse daher unter Bezugnahme auf die neue Zulassung eine neue Parallelimportzulassung beantragen. In diesem Verfahren müsse die zuständige nationale Behörde überprüfen, ob die alte und die neue Formulierung des Arzneimittels unterschiedliche therapeutische Wirkungen hätten. Bis zur Entscheidung dieser Behörde dürfe die alte Formulierung nicht vertrieben werden.

28 Sie könne nicht im Interesse von Parallelimporteuren gezwungen werden, eine fiktive Zulassung aufrechtzuerhalten oder von der Möglichkeit der Rücknahme des Nachzulassungsantrags Gebrauch zu machen, was zur Folge gehabt hätte, dass die alte Formulierung noch bis zum 31. Dezember 2004 verkehrsfähig gewesen wäre. Es sei vielmehr ein Gebot der Vernunft, Arzneimittel so schnell wie möglich auf der Grundlage gemeinschaftsrechtskonformer Neuzulassungen zu vertreiben.

29 Würden beide Formulierungen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arzneimittels nebeneinander auf dem Markt vertrieben, könnten Verwechslungen nicht ausgeschlossen werden, mit der Folge, dass die alte Formulierung trotz eines eventuellen Warnhinweises auf der Verpackung des Produkts, mit dem der Verbraucher dazu angehalten werden solle, dieses Arzneimittel kühl aufzubewahren, bei Raumtemperatur gelagert werden könnte.

30 Eurim-Pharm vertritt die Ansicht, dass eine Rechtfertigung des Paralleleinfuhrstopps aus Gründen des Gesundheitsschutzes im Ausgangsverfahren ausgeschlossen sei und dass die alte Formulierung des Arzneimittels zumindest während eines Übergangszeitraums verkehrsfähig bleiben müsse. Hinsichtlich der Arzneimittelüberwachung weist sie darauf hin, dass den deutschen Behörden alle Angaben vorlägen, die in den verschiedenen Zulassungsverfahren gemacht worden seien. Außerdem könnten sie sich an die Behörden anderer Mitgliedstaaten wenden, in denen die alte Formulierung des Arzneimittels noch vertrieben werde.

31 Die schwedische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die Vorschriften über den Vertrieb von Arzneimitteln dürften nicht enger ausgelegt werden, als es zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sei. Solange die Arzneimittelüberwachung fortbestehe, gebe es daher keinen Grund, den freien Verkehr eines Arzneimittels zu beschränken, das Gegenstand einer früheren Prüfung durch die zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats gewesen und für das eine Zulassung erteilt worden sei.

32 Nach Ansicht der Kommission muss, wenn eine Bezugszulassung auf Antrag des Zulassungsinhabers zurückgenommen werde, der Parallelimport eines Arzneimittels, das mit dem Arzneimittel identisch sei, für das diese Zulassung erteilt worden sei, gemäß Artikel 28 EG weiterhin möglich sein. Die zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats verfügten nämlich weiterhin über die erforderlichen Unterlagen, insbesondere die über den Herstellungsprozess, wie auch über die Zusammensetzung des Bezugsarzneimittels nach Art und Menge. Die Tatsache, dass dessen Zulassung aufgrund des Antrags des Zulassungsinhabers zurückgenommen worden sei, stelle einen rein formellen Akt dar und ändere hinsichtlich des betreffenden Arzneimittels nichts. Die Zulässigkeit eines Parallelimports könne nicht vom Willen des Zulassungsinhabers des Bezugsarzneimittels abhängig sein, denn eine willkürliche Rücknahme mit der Folge des Erlöschens der Parallelimportzulassung hätte die Wirkung einer Abschottung des Marktes und liefe daher dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes zuwider.

Würdigung durch den Gerichtshof

33 Das Erlöschen einer Parallelimportzulassung infolge des Erlöschens der Bezugszulassung stellt eindeutig eine Artikel 28 EG zuwider laufende Beschränkung des freien Warenverkehrs dar, es sei denn, es ist zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gemäß Artikel 30 EG gerechtfertigt.

34 Es ist Sache der nationalen Behörden, die für die Durchführung der auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Arzneimitteln geltenden Regelung - die nach der ersten Begründungserwägung der Richtlinie 65/65 in erster Linie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dient - zuständig sind, für die strikte Beachtung dieser Regelung zu sorgen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Artikel 30 Satz 2 EG zugrunde liegt, verlangt jedoch, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Einfuhr der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu verbieten, auf das Maß dessen zu beschränken ist, was zur Erreichung der rechtmäßig verfolgten Ziele des Gesundheitsschutzes erforderlich ist (Urteil vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 174/82, Sandoz, Slg. 1983, 2445, Randnr. 18). Für eine nationale Regelung oder Praxis kann nämlich die Ausnahmeregelung des Artikels 30 EG dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn die Gesundheit und das Leben von Menschen ebenso wirkungsvoll durch Maßnahmen geschützt werden können, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken.

35 In einer Situation wie im Ausgangsverfahren, in der eine Bezugszulassung wegen eines vom Zulassungsinhaber aus anderen Gründen als dem des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gestellten Antrags erlischt, liegen, wie u. a. die schwedische Regierung und die Kommission vorgetragen haben, keine erkennbaren Gründe vor, die ein automatisches Erlöschen der Parallelimportzulassung rechtfertigen würden.

36 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass durch das Erlöschen einer Bezugszulassung allein nicht die alte Formulierung des Arzneimittels hinsichtlich seiner Qualität, seiner Wirksamkeit oder seiner Unbedenklichkeit in Frage gestellt wird. Diese Formulierung wird im Ausfuhrmitgliedstaat auf der Grundlage der dort erteilten Zulassung weiterhin rechtmäßig vertrieben.

37 Ferner ist festzustellen, dass die zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats zwar die Maßnahmen treffen können oder müssen, die für die Kontrolle der Qualität, der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit der alten Formulierung des Arzneimittels erforderlich sind, dass sich aus den Verfahrensunterlagen jedoch nicht ergibt, dass sich dieses Ziel nicht durch andere Maßnahmen erreichen ließe, die die Einfuhr der Arzneimittel weniger beschränken als das automatische Erlöschen der Parallelimportzulassung infolge des Erlöschens der Bezugszulassung.

38 Zwar bedarf es weiterhin einer angemessenen Überwachung der alten Formulierung des Arzneimittels, für die es erforderlich sein kann, gegebenenfalls vom Importeur Auskünfte zu verlangen, doch ist daran zu erinnern, dass eine Arzneimittelüberwachung, die den sich aus der Richtlinie 75/319 in ihrer geänderten Fassung ergebenden Anforderungen genügt, bei parallel importierten Arzneimitteln wie denen, um die es im Ausgangsverfahren geht, normalerweise im Rahmen einer Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten über den Zugang zu den Unterlagen und Daten sichergestellt werden kann, die der Hersteller oder andere Unternehmen seiner Unternehmensgruppe für die alte Formulierung in den Mitgliedstaaten vorgelegt haben, in denen diese Formulierung noch auf der Grundlage einer gültigen Zulassung weitervertrieben wird (Urteil Rhône-Poulenc Rorer und May & Baker, Randnr. 46).

39 Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sein mag, eine Parallelimportzulassung für Arzneimittel zwingend an eine Bezugszulassung zu knüpfen, dass aber solche Gründe aus den Erklärungen, die vor dem Gerichtshof abgegeben worden sind, nicht hervorgehen.

40 Nach alledem ist festzustellen, dass eine nationale Regelung, wonach das Erlöschen der Zulassung für ein Bezugsarzneimittel auf Antrag des Inhabers dazu führt, dass die Parallelimportzulassung für dieses Arzneimittel automatisch erlischt, nicht den Anforderungen des Artikels 28 EG entspricht.

41 Angesichts dieser Antwort erübrigt sich die Prüfung der zweiten Frage, die die mögliche Bedeutung des Umstands betrifft, dass dem Inhaber der Zulassung für die alte Formulierung des Arzneimittels nach nationalem Recht ein anderer Weg zur Verfügung stand, auf dem er diese Zulassung in der Weise hätte aufgeben können, dass die Verkehrsfähigkeit dieser Formulierung noch für eine Übergangszeit aufrechterhalten bleibt.

42 Zur dritten Frage genügt die Feststellung, dass vor dem Gerichtshof nichts dafür vorgetragen worden ist, dass es einen Einfluss auf die Beantwortung der ersten Frage hätte, ob die neue Formulierung des Arzneimittels nur im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht wird oder ob sie sich auch auf dem Markt weiterer Mitgliedstaaten befindet.

43 Zur vierten Frage, die den Umstand betrifft, dass bei gleichzeitigem Nebeneinander von zwei Formulierungen desselben Arzneimittels auf dem Markt des Einfuhrmitgliedstaats die Gefahr falscher Lagerung der alten Formulierung dieses Arzneimittels entsteht, ist festzustellen, dass, wenn nachgewiesen werden kann, dass tatsächlich eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen aufgrund dieses Nebeneinanders besteht, eine solche Gefahr Beschränkungen der Einfuhr der alten Formulierung des Arzneimittels rechtfertigen kann.

44 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es in erster Linie Sache der zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats ist, das Bestehen und die Realität der Gefahr zu beurteilen, und dass es zur Rechtfertigung des Verbots, die alte Formulierung einzuführen, nicht genügt, dass der Inhaber der Zulassung für die neue und die alte Formulierung des Arzneimittels eine solche Gefahr nur behauptet.

45 Es ist zwar nicht Sache des Gerichtshofes, sich zur Frage des Bestehens und der Realität einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit zu äußern, die mit dem gleichzeitigen Nebeneinander der beiden Formulierungen des fraglichen Arzneimittels auf dem deutschen Markt zusammenhängt, doch ist nicht ausgeschlossen, dass die von Ferring behauptete Gefahr derart ist, dass sie sich nicht in ausreichender Weise durch einen entsprechenden Hinweis beseitigen läßt.

46 Auf die vorgelegten Fragen ist daher wie folgt zu antworten:

- Artikel 28 EG steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach das Erlöschen der Zulassung für ein Bezugsarzneimittel auf Antrag des Inhabers dazu führt, dass die Parallelimportzulassung für dieses Arzneimittel automatisch erlischt.

- Die Antwort auf die erste Frage bleibt unberührt davon, ob die neue Formulierung des Arzneimittels nur im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht wird oder ob sie sich auch auf dem Markt weiterer Mitgliedstaaten befindet.

- Ist nachgewiesen, dass wegen des gleichzeitigen Nebeneinanders von zwei Formulierungen desselben Arzneimittels auf dem Markt eines Mitgliedstaats tatsächlich eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen besteht, so kann eine solche Gefahr Beschränkungen der Einfuhr der alten Formulierung des Arzneimittels im Anschluss an das Erlöschen der Bezugszulassung für diesen Markt auf Antrag des Inhabers rechtfertigen.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Die Auslagen der schwedischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Landgericht Köln mit Beschluss vom 14. April 2000 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 28 EG steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach das Erlöschen der Zulassung für ein Bezugsarzneimittel auf Antrag des Inhabers dazu führt, dass die Parallelimportzulassung für dieses Arzneimittel automatisch erlischt.

2. Die Antwort auf die erste Frage bleibt unberührt davon, ob die neue Formulierung des Arzneimittels nur im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht wird oder ob sie sich auch auf dem Markt weiterer Mitgliedstaaten befindet.

3. Ist nachgewiesen, dass wegen des gleichzeitigen Nebeneinanders von zwei Formulierungen desselben Arzneimittels auf dem Markt eines Mitgliedstaats tatsächlich eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen besteht, so kann eine solche Gefahr Beschränkungen der Einfuhr der alten Formulierung des Arzneimittels im Anschluss an das Erlöschen der Bezugszulassung für diesen Markt auf Antrag des Inhabers rechtfertigen.

Ende der Entscheidung

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