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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.01.2005
Aktenzeichen: C-174/02
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 93 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Parteien:

In der Rechtssache C-174/02

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 8. März 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2002, in dem Verfahren

Streekgewest Westelijk Noord-Brabant

gegen

Staatssecretaris van Financiën

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Rosas, K. Lenaerts, S. von Bahr und K. Schiemann (Berichterstatter),

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- des Streekgewest Westelijk Noord-Brabant, vertreten durch H. Gilliams und P. H. L. Kuypers, advocaten,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Flett und H. van Vliet als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

4. März 2004,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 93 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 3 EG), um klären zu lassen, wer sich auf das darin niedergelegte Durchführungsverbot berufen kann und unter welchen Umständen ein so hinreichender Zusammenhang zwischen der Beihilfe und einer diese Beihilfe finanzierenden Abgabe besteht, dass sich das in dieser Bestimmung ausgesprochene Verbot auch auf die Abgabe bezieht.

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Streekgewest Westelijk Noord-Brabant (einer für die Sammlung von Hausmüll zuständigen örtlichen Einrichtung, im Folgenden: Streekgewest) und dem Staatssecretaris van Financiën (im Folgenden: Staatssecretaris). Das Streekgewest fordert vom Staatssecretaris die Erstattung von Abfallabgaben, die nach Artikel 18 der Wet belastingen op milieugrondslag vom 23. Dezember 1994 (Gesetz über Abgaben für den Umweltschutz, Staatsblad 1994, Nrn. 923, 924 und 925, im Folgenden: WBM) entrichtet wurden, weil diese unter Verstoß gegen das in Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag enthaltene Durchführungsverbot erhoben worden seien.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3. Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag bestimmt:

"Die Kommission wird von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, dass sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, dass ein derartiges Vorhaben nach Artikel 92 mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist, so leitet sie unverzüglich das in Absatz 2 vorgesehene Verfahren ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat."

Nationales Recht

4. Die niederländische Regierung meldete gemäß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag mit Schreiben vom 7. August 1992 den Entwurf der Wet op de verbruiksbelastingen op milieugrondslag (Gesetz über Verbrauchsabgaben für den Umweltschutz) bei der Kommission an, der in geänderter Form schließlich zur WBM führte. Mit Schreiben vom 3. Dezember 1992 teilte die Kommission der niederländischen Regierung mit, dass sie am 25. November 1992 beschlossen habe, keine Einwände gegen die in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Beihilfemaßnahmen zu erheben. Diese Entscheidung wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 24. März 1993 (ABl. C 83, S. 3) veröffentlicht.

5. Im Zuge der parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfs wurden einige Änderungen beschlossen. Nachdem die niederländische Regierung diese Änderungen mit Schreiben vom 6. Dezember 1993 bei der Kommission angemeldet hatte, teilte diese mit Schreiben vom 13. April 1994 mit, dass sie am 29. März 1994 beschlossen habe, keine Einwände gegen die beabsichtigten Änderungen zu erheben. Diese Entscheidung wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 4. Juni 1994 (ABl. C 153, S. 20) veröffentlicht.

6. Am 13. Oktober 1994 wurde ein Gesetzentwurf zur Änderung der WBM durch Einführung einer unbefristeten und zweier befristeten Änderungen im niederländischen Parlament eingebracht. In Bezug auf die Abfallabgabe sah dieser Gesetzentwurf eine Erhöhung des Tarifs von 28,50 NLG auf 29,20 NLG pro 1 000 kg Abfall und die Möglichkeit der Erstattung der Abgabe an Personen vor, die Entschwärzungsrückstände zur Entsorgung abliefern oder Abfälle aus der Verwertung von Kunststoffen an ein Abfallentsorgungsunternehmen abgeben. Die niederländische Regierung meldete diese als "Detailregelungen" bezeichneten Maßnahmen mit Schreiben vom 27. Oktober 1994 bei der Kommission an.

7. Mit Schreiben vom 25. November 1994 wies die Kommission die niederländische Regierung auf die Unvollständigkeit der Anmeldung hin und stellte in diesem Zusammenhang eine Reihe von Fragen. Die niederländische Regierung beantwortete diese Fragen mit Schreiben vom 20. Dezember 1994. In diesem Schreiben teilte sie zugleich mit, dass der Gesetzentwurf noch zwei weitere Beihilfemaßnahmen betreffe. Eine dieser Maßnahmen bestand in einer befristeten Befreiung reinigungsfähiger Baggerschlämme von der Abfallabgabe.

8. Die WBM, das Gesetz zur Durchführung dieses Gesetzentwurfs und das Änderungsgesetz wurden am 21. Dezember 1994 von der Ersten Kammer der Staten-Generaal verabschiedet. Mit Königlicher Verordnung vom 23. Dezember 1994 wurde der 1. Januar 1995 als Zeitpunkt des Inkrafttretens der WBM in der geänderten Fassung festgelegt.

9. Da die Kommission davon ausging, dass die WBM in der geänderten Fassung am 1. Januar 1995 in Kraft getreten war, teilte sie der niederländischen Regierung mit Schreiben vom 25. Januar 1995 mit, dass sie die fraglichen Beihilfemaßnahmen als nicht angemeldete Beihilfen betrachte, da sie erlassen worden seien, bevor die Kommission dazu Stellung genommen habe, und forderte die niederländische Regierung auf, ihr u. a. die vollständigen Texte der WBM zu übermitteln. Die Kommission äußerte sich erst am Ende des streitigen Erhebungszeitraums. Mit Fax vom 23. Mai 1995, ergänzt durch Schreiben vom 3. Juli 1995, teilte sie mit, dass die Beihilfen ihrer Meinung nach keine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Bestandteile aufwiesen.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10. Das Streekgewest ist eine rechtsfähige Körperschaft, die ursprünglich von 18 Gemeinden der niederländischen Region Westelijk Noord-Brabant gebildet und kontrolliert wurde. Seit dem 1. Januar 1997 besteht diese Körperschaft aus sieben Gemeinden. Das Streekgewest ist zuständig für die Sammlung von Hausmüll und seine Beförderung in eine Entsorgungsanlage, die ebenfalls von dieser Körperschaft betrieben wird. Die Ablieferung von Abfällen bei einem Entsorgungsbetrieb ist nach Artikel 18 WBM abgabepflichtig. 11. Für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 1995 entrichtete das Streekgewest eine Abfallabgabe in Höhe von 499 914 NLG. Es legte allerdings Einspruch ein und beantragte die Erstattung des entrichteten Betrages. Dieser Antrag wurde durch Entscheidung des Finanzamts abgewiesen. Das Streekgewest erhob dagegen Klage beim Gerechtshof 's-Gravenhage (Niederlande), der die Erstattung von 80 796,40 NLG anordnete.

12. Der Staatssecretaris legte gegen das Urteil dieses Gerichts Rechtsmittel beim Hoge Raad der Nederlanden ein. Das Streekgewest wandte sich seinerseits gegen die Weigerung des Gerechtshof, ihm die Erstattung des vollen Betrages zu gewähren.

13. Da der Hoge Raad der Ansicht ist, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung des Artikels 93 Absatz 3 EG-Vertrag abhänge, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann sich auf Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag nur berufen, wer infolge einer Beihilfemaßnahme durch eine Verfälschung des grenzüberschreitenden Wettbewerbs betroffen ist?

2. Ist eine Abgabe in einem Fall, in dem eine Beihilfemaßnahme im Sinne des Artikels 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag aus Befreiungen (worunter auch Ermäßigungen und Zuschüsse zu verstehen sind) von der Abgabe, deren Aufkommen in den allgemeinen Haushalt fließt, besteht und keine Aussetzung der Befreiung für die Dauer des Anmeldeverfahrens vorgesehen ist, allein aufgrund des Umstands, dass die begünstigende Wirkung dadurch hervorgerufen wird, dass die Abgabe bei denjenigen erhoben wird, die nicht in den Genuss einer Befreiung kommen, als ein Bestandteil der Beihilfemaßnahme anzusehen, so dass, solange die Durchführung der Beihilfemaßnahme gemäß der genannten Bestimmung nicht gestattet ist, das darin ausgesprochene Verbot auch für die (Erhebung der) Abgabe gilt?

3. Für den Fall, dass die vorstehende Frage verneint wird: Ist in einem Fall, in dem zwischen der Erhöhung einer bestimmten Abgabe, deren Aufkommen in den allgemeinen Haushalt fließt, und einer beabsichtigten Beihilfemaßnahme im Sinne des Artikels 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG) ein Zusammenhang wie [der Umstand, dass ein kleiner Teil der Abfallabgabe (0,70 NLG/1 000 kg Abfall) zum Ausgleich der Wirkungen der in Randnummer 6 des vorliegenden Urteils genannten Erstattungsregelungen dient,] besteht, die Einführung der Erhöhung als (Beginn der) Durchführung der Beihilfemaßnahme im Sinne dieser Bestimmung zu betrachten? Sofern die Antwort auf diese Frage von der Intensität dieses Zusammenhangs abhängt, welche Umstände sind dann dabei von Bedeutung?

4. Wenn das Verbot der Durchführung der Beihilfemaßnahme auch die Abgabe betrifft, ist dann davon auszugehen, dass die abschließende Entscheidung der Kommission, mit der die Beihilfemaßnahme für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird, zur Folge hat, dass die Ungültigkeit der Abgabe nachträglich geheilt wird?

5. Wenn das Verbot der Durchführung der Beihilfemaßnahme auch die Abgabe betrifft, kann sich dann derjenige, bei dem die Abgabe erhoben worden ist, unter Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Artikels 93 Absatz 3 EG-Vertrag hinsichtlich des vollen Abgabenbetrags oder nur eines Teilbetrags rechtlich zur Wehr setzen?

6. Ergeben sich in letzterem Fall aus dem Gemeinschaftsrecht besondere Anforderungen hinsichtlich der Art und Weise, wie zu bestimmen ist, welcher Teil der Abgabe unter das Verbot des Artikels 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag fällt?

Zur ersten Frage

14. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich jemand auf Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag berufen kann, der nicht von einer durch eine Beihilfemaßnahme herbeigeführten Verfälschung des grenzüberschreitenden Wettbewerbs betroffen ist.

15. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichthofes ergibt sich aus der unmittelbaren Wirkung, die Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag zuerkannt wird, dass die unmittelbare Anwendbarkeit des in diesem Artikel enthaltenen Durchführungsverbots jede Beihilfemaßnahme betrifft, die durchgeführt wird, ohne dass sie angezeigt worden ist (vgl. Urteil vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-354/90, Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, Slg. 1991, I-5505, Randnr. 11, im Folgenden: Urteil FNCE).

16. Ferner ist entschieden worden, dass sich, wenn die Finanzierungsweise einer Beihilfe durch eine Abgabe Bestandteil der Beihilfemaßnahme ist, die Folgen der Verletzung von Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag durch die staatlichen Stellen auch auf diesen Aspekt der Beihilfe erstrecken (vgl. Urteil vom 21. Oktober 2003 in den Rechtssachen C-261/01 und C-262/01, Van Calster u. a., Slg. 2003, I-12249, Randnr. 52). In einem solchen Fall sind die staatlichen Stellen daher grundsätzlich verpflichtet, die unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen Abgaben zu erstatten (vgl. Urteile vom 14. Januar 1997 in den Rechtssachen C-192/95 bis C-218/95, Comateb u. a., Slg. 1997, I-165, Randnr. 20, und Van Calster u. a., Randnr. 53).

17. Die nationalen Gerichte haben die Rechte des Einzelnen dagegen zu schützen, dass staatliche Stellen das Verbot der Durchführung der Beihilfen verletzen. Wird eine solche Verletzung von einem Einzelnen, der hierzu berechtigt ist, geltend gemacht und von den nationalen Gerichten festgestellt, so müssen diese gemäß ihrem nationalen Recht daraus alle Konsequenzen ziehen (vgl. u. a. Urteile FNCE, Randnr. 12, und vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-17/91, Lornoy u. a., Slg. 1992, I-6523, Randnr. 30).

18. Zu nationalen Rechtsvorschriften über die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen hat der Gerichtshof entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht verlangt, dass derartige Vorschriften das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bei der Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht beeinträchtigen (vgl. Urteile vom 11. Juli 1991 in den Rechtssachen C-87/90 bis C-89/90, Verholen u. a., Slg. 1991, I-3757, Randnr. 24, und vom 11. September 2003 in der Rechtssache C-13/01, Safalero, Slg. 2003, I-8679, Randnr. 50).

19. Ein Einzelner kann ein Interesse daran haben, sich vor den nationalen Gerichten auf die unmittelbare Wirkung des Durchführungsverbots des Artikels 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag zu berufen, nicht nur, um die durch die Gewährung einer rechtswidrigen Beihilfe herbeigeführten negativen Auswirkungen der Wettbewerbsverfälschung beseitigen zu lassen, sondern auch, um die Erstattung einer unter Verstoß gegen diese Bestimmung erhobenen Abgabe zu erhalten. In diesem letztgenannten Fall ist die Frage, ob er von der durch die Beihilfemaßnahme herbeigeführten Wettbewerbsverfälschung betroffen ist, für die Beurteilung seines Rechtsschutzinteresses unerheblich. Zu berücksichtigen ist nur der Umstand, dass er einer Abgabe unterworfen ist, die Bestandteil einer unter Verstoß gegen das in dieser Bestimmung enthaltene Verbot durchgeführten Beihilfemaßnahme ist.

20. Diese Schlussfolgerung wird auch durch das Ziel gerechtfertigt, die praktische Wirksamkeit des Durchführungsverbots nach Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag zu gewährleisten (vgl. u. a. Urteil FNCE, Randnr. 16).

21. Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag dahin auszulegen ist, dass er von einem Einzelnen, der einer Abgabe unterliegt, die Bestandteil einer Beihilfemaßnahme ist und unter Verstoß gegen das in dieser Bestimmung enthaltene Durchführungsverbot erhoben worden ist, unabhängig davon herangezogen werden kann, ob er von der durch diese Beihilfemaßnahme herbeigeführten Wettbewerbsverfälschung betroffen ist.

Zur zweiten und zur dritten Frage

22. Die zweite und die dritte Frage betreffen die Umstände, unter denen ein hinreichender Zusammenhang zwischen einer Abgabe und einer Beihilfemaßnahme in Form einer Befreiung von dieser Abgabe besteht, so dass das Durchführungsverbot des Artikels 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag nicht nur für die Beihilfemaßnahme, sondern auch für die Abgabe gilt. Die beiden Fragen sind zusammen zu prüfen.

23. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Durchführungsverbot des Artikels 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag für eine Abgabe gilt, wenn die Beihilfemaßnahme in einer Befreiung von dieser Abgabe besteht. Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, unter welchen Umständen der Ausgleich des aus der Befreiung resultierenden Einnahmeausfalls durch die Erhöhung der Abgabe einen hinreichenden Zusammenhang zwischen der Beihilfe und der Abgabe herstellt, so dass sich das in dieser Bestimmung enthaltene Durchführungsverbot auch auf die Abgabe erstreckt.

24. Gleich zu Beginn ist, worauf auch der Generalanwalt in den Nummern 28 und 29 seiner Schlussanträge hingewiesen hat, festzustellen, dass der EG-Vertrag eine genaue Abgrenzung zwischen der Regelung der Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG), 93 EG-Vertrag und 94 EG-Vertrag (jetzt Artikel 89 EG) über staatliche Beihilfen und der des Artikels 102 EG-Vertrag (jetzt Artikel 97 EG) über die Verzerrungen vorgenommen hat, die sich aus den Unterschieden zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten und insbesondere auch zwischen ihren Steuervorschriften ergeben.

25. Abgaben fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vertragsvorschriften über staatliche Beihilfen, es sei denn, dass sie die Art der Finanzierung einer Beihilfemaßnahme darstellen, so dass sie Bestandteil dieser Maßnahme sind.

26. Damit eine Abgabe oder ein Teil einer Abgabe als Bestandteil einer Beihilfemaßnahme angesehen werden kann, muss nach der einschlägigen nationalen Regelung zwischen der Abgabe und der Beihilfe notwendig ein zwingender Verwendungszusammenhang in dem Sinne bestehen, dass das Abgabenaufkommen notwendig für die Finanzierung der Beihilfe verwendet wird. Besteht ein solcher Zusammenhang, so beeinflusst das Abgabenaufkommen unmittelbar den Umfang der Beihilfe und folglich die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt (in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 1970 in der Rechtssache 47/69, Frankreich/Kommission, Slg. 1970, 487, Randnrn. 17, 20 und 21). So hat der Gerichtshof entschieden, dass, wenn ein solcher Zusammenhang zwischen der Beihilfemaßnahme und deren Finanzierung besteht, sich die Anmeldung der Beihilfe nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag auch auf die Finanzierungsweise der Beihilfe beziehen muss, damit die Kommission ihre Prüfung auf der Grundlage einer umfassenden Information durchführen kann. Andernfalls wäre nicht auszuschließen, dass die Kommission eine Beihilfemaßnahme für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt, die sie nicht für vereinbar erklärt hätte, wenn ihr deren Finanzierungsweise bekannt gewesen wäre (Urteile Van Calster u. a., Randnrn. 49 und 50, und vom 15. Juli 2004 in der Rechtssache C-345/02, Pearle u. a., Slg. 2004, I-0000, Randnr. 30).

27. Im Ausgangsverfahren weist die Beihilfemaßnahme die Form einer Befreiung von der Abfallabgabe auf. Auch wenn dieser Abgabenvorteil für den Haushaltsvoranschlag des betreffenden Mitgliedstaats durch die Erhöhung des Betrages der Abfallabgabe von 28,50 NLG auf 29,20 NLG pro 1 000 kg Abfall ausgeglichen worden ist, so genügt dieser Umstand für sich allein doch nicht, um das Vorhandensein eines zwingenden Zusammenhangs zwischen der Abgabe und dem Abgabenvorteil darzutun.

28. Aus dem Vorlageurteil ergibt sich nämlich zum einen, dass die WBM keinen zwingenden Verwendungszusammenhang zwischen der Abfallabgabe und der Finanzierung der Abgabenbefreiung vorsieht. Zum anderen beeinflusst das Abgabenaufkommen nicht den Betrag der Beihilfe. Die Anwendung der Abgabenbefreiung und deren Umfang hängen nicht vom Abgabenaufkommen ab.

29. Auf die zweite und die dritte Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag dahin auszulegen ist, dass das darin vorgesehene Verbot nur dann für eine Abgabe gilt, wenn zwischen dem Aufkommen dieser Abgabe und der fraglichen Beihilfemaßnahme ein zwingender Verwendungszusammenhang besteht. Die Tatsache, dass die Beihilfe in Form einer Befreiung von der Abgabe gewährt wird oder dass der durch diese Befreiung verursachte Einnahmenausfall für den Haushaltsvoranschlag des betreffenden Mitgliedstaats durch eine Erhöhung der Abgabe ausgeglichen wird, genügt für sich allein nicht, um einen solchen Zusammenhang herzustellen.

30. In Anbetracht der Antwort auf die zweite und die dritte Frage brauchen die vierte, die fünfte und die sechste Frage nicht mehr beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

31. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG) ist dahin auszulegen, dass er von einem Einzelnen, der einer Abgabe unterliegt, die Bestandteil einer Beihilfemaßnahme ist und unter Verstoß gegen das in dieser Bestimmung enthaltene Durchführungsverbot erhoben worden ist, unabhängig davon herangezogen werden kann, ob er von der durch diese Beihilfemaßnahme herbeigeführten Wettbewerbsverfälschung betroffen ist.

2. Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag ist dahin auszulegen, dass das darin vorgesehene Verbot nur dann für eine Abgabe gilt, wenn zwischen dem Aufkommen dieser Abgabe und der fraglichen Beihilfemaßnahme ein zwingender Verwendungszusammenhang besteht. Die Tatsache, dass die Beihilfe in Form einer Befreiung von der Abgabe gewährt wird oder dass der durch diese Befreiung verursachte Einnahmenausfall für den Haushaltsvoranschlag des betreffenden Mitgliedstaats durch eine Erhöhung der Abgabe ausgeglichen wird, genügt für sich allein nicht, um einen solchen Zusammenhang herzustellen.

Ende der Entscheidung

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