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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.09.2000
Aktenzeichen: C-175/99
Rechtsgebiete: Richtlinie 77/187/EWG, französische Code du travail (Arbeitsgesetzbuch)


Vorschriften:

Richtlinie 77/187/EWG Art. 1 Abs. 1
französische Code du travail (Arbeitsgesetzbuch) Art. L. 122-12
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass diese anwendbar ist, wenn eine Gemeinde, eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der spezifischen Normen des Verwaltungsrechts handelt, Werbe- und Informationstätigkeiten in Bezug auf von ihr der Öffentlichkeit angebotene Leistungen, die bisher im Interesse dieser Gemeinde von einem Verein ohne Erwerbszweck, einer juristischen Person des Privatrechts, ausgeübt wurden, selbst übernimmt, sofern die übertragene Einheit ihre Identität bewahrt. Insoweit erlaubt der Umstand allein, dass die von dem alten und von dem neuen Arbeitgeber ausgeübten Tätigkeiten ähnlich sind, nicht den Schluss, dass der Übergang einer wirtschaftlichen Einheit vorliegt. Eine Einheit darf nämlich nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Ihre Identität ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren betrieblichen Methoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln.

(vgl. Randnrn. 49, 57 und Tenor)


Urteil des Gerichtshofes vom 26. September 2000. - Didier Mayeur gegen Association Promotion de l'information messine (APIM). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Conseil de prud'hommes de Metz - Frankreich. - Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen - Übertragung einer zuvor von einer juristischen Person des Privatrechts im Interesse einer Gemeinde ausgeübten Tätigkeit auf die Gemeinde. - Rechtssache C-175/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-175/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Conseil de prud'hommes Metz (Frankreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Didier Mayeur

gegen

Association Promotion de l'information messine (APIM)

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26)

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter), D. A. O. Edward, L. Sevón und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, A. La Pergola, J.-P. Puissochet, P. Jann, H. Ragnemalm, M. Wathelet und V. Skouris,

Generalanwalt: P. Léger

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- von Herrn Mayeur, vertreten durch Rechtsanwalt L. Pate, Metz,

- der Association Promotion de l'information messine (APIM), vertreten durch Rechtsanwalt M. Hellenbrand, Metz,

- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und C. Bergeot, Chargé de mission in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Gouloussis, Rechtsberater, als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Mayeur, vertreten durch Rechtsanwalt L. Pate, der Association Promotion de l'information messine (APIM), vertreten durch Rechtsanwalt M. Hellenbrand, der französischen Regierung, vertreten durch C. Bergeot, und der Kommission, vertreten durch J. Sack, Rechtsberater, als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 8. Februar 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Juni 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit Urteil vom 14. April 1999, eingegangen beim Gerichtshof am 11. Mai 1999, hat der Conseil de prud'hommes Metz gemäß Artikel 234 EG zwei Vorabentscheidungsfragen nach der Auslegung des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26) gestellt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Mayeur (nachfolgend: Kläger) und der Association Promotion de l'information messine (nachfolgend: APIM) wegen der Entlassung des Klägers.

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 lautet:

"Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar."

4 Artikel 2 der Richtlinie bestimmt:

"Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

...

b) Erwerber ist jede natürliche oder juristische Person, die auf Grund eines Übergangs im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder Betriebsteil eintritt.

..."

5 Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 77/187 sieht den Übergang der Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf den Erwerber vor.

6 In Artikel 4 der Richtlinie heißt es:

"(1) Der Übergang eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar....

...

(2) Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist."

7 Die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998 zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG (ABl. L 201, S. 88), deren Umsetzungsfrist am 17. Juli 2001 abläuft, hat Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 durch folgenden Text ersetzt:

"a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.

b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.

c) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Bei der Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere handelt es sich nicht um einen Übergang im Sinne dieser Richtlinie."

Nationale Rechtsvorschriften

8 Artikel L. 122-12 des französischen Code du travail (Arbeitsgesetzbuch) bestimmt:

"Die Beendigung der Unternehmenstätigkeit befreit den Arbeitgeber außer im Falle höherer Gewalt nicht von der Verpflichtung, die Kündigungsfrist zu beachten und gegebenenfalls die in Artikel L. 122-9 vorgesehene Entschädigung zu zahlen.

Wenn sich die Rechtsstellung des Arbeitgebers ändert, insbesondere durch Erbfall, Verkauf, Verschmelzung, Formwechsel oder Einbringung in eine Gesellschaft, gelten alle am Tage der Änderung laufenden Arbeitsverträge zwischen dem neuen Arbeitgeber und der Belegschaft des Unternehmens weiter."

9 Bei der in Artikel L. 122-9 vorgesehenen Entschädigung handelt es sich um die Entlassungsentschädigung.

Ausgangsrechtsstreit und Vorabentscheidungsfragen

10 Der Kläger wurde von der APIM durch unbefristeten Vertrag zum 1. September 1989 als Angestellter eingestellt.

11 Die APIM, ein Verein ohne Erwerbszweck, verfolgte nach Artikel 3 ihrer Satzung das Ziel, auf jede Weise und in allen Bereichen für die Stadt Metz und ihr Einzugsgebiet zu werben und darüber zu informieren, um die Entwicklung, Ansiedlung und Schaffung verschiedener Gewerbe zu ermöglichen oder in Gang zu bringen. Zu diesem Zweck verlegte und verbreitete sie Broschüren, Zeitschriften und Faltprospekte oder erteilte entsprechende Aufträge. In diesem Rahmen erstellte die APIM das Magazin "Vivre à Metz".

12 Der Kläger war für die Werbetätigkeit der APIM zuständig und hatte zu diesem Zweck die Aufgabe, bei den Gewerbetreibenden und Inserenten Werbeanzeigen zu akquirieren, Geld für die Schaltung der Anzeigen im Magazin "Vivre à Metz" zu beschaffen, Verträge aufzusetzen und Rechnungen zu erstellen sowie monatlich Bericht über die eingegangenen Verpflichtungen zu erstatten.

13 Nach der Auflösung der APIM und der Übernahme ihrer Tätigkeiten durch die Stadt Metz wurde dem Kläger am 16. September 1997 seine Entlassung aus dem wirtschaftlichen Grund "Beendigung der Tätigkeit der APIM" bekannt gegeben.

14 Am 10. Februar 1998 erhob er vor dem Conseil de prud'hommes Metz Klage gegen die APIM, mit der er beantragt, diese zur Zahlung von 177 262 FRF als Entschädigung wegen ungerechtfertigter Entlassung nebst gesetzlichen Zinsen seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

15 Zur Begründung seiner Klage macht er geltend, er sei der einzige Angestellte, der infolge der Auflösung der APIM und der Übernahme ihrer Tätigkeiten durch die Stadt Metz seinen Arbeitsplatz verloren habe.

16 Der Kläger verweist auf die Rechtsprechung der französischen Cour de cassation, der zufolge zwar Artikel L. 122-12 des Code du travail nicht anwendbar sei, wenn die Tätigkeit einer juristischen Person des Privatrechts auf eine "öffentliche Verwaltungseinrichtung", d. h. eine den Regeln des öffentlichen Rechts unterworfene juristische Person des öffentlichen Rechts, übergehe, aber gelte, wenn dieselbe Tätigkeit einer juristischen Person des Privatrechts auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts übergehe, die den Regeln des Privatrechts unterworfen sei und als "öffentlicher Wirtschaftsbetrieb" im Sinne des französischen Rechts angesehen werde.

17 Der Kläger ist der Ansicht, diese Rechtsprechung widerspreche sowohl dem Buchstaben als auch dem Geist der Richtlinie 77/187, und verlangt, dass die Bestimmungen der Richtlinie auf ihn angewandt werden.

18 Das vorlegende Gericht führt aus, Artikel L. 122-12 des Code du travail regle die verschiedenen Fälle des Übergangs eines Arbeitsvertrags von einer privaten Einrichtung auf eine andere, während der Fall des Übergangs von einer solchen Einrichtung auf eine öffentliche Stelle in dieser Vorschrift nicht erwähnt sei.

19 Nach der Rechtsprechung der Cour de cassation fielen nur die Angestellten von Unternehmen, die auf öffentliche Wirtschaftsbetriebe übertragen würden, unter die Richtlinie 77/187. Eine solche Auslegung führe möglicherweise zur Einengung des Anwendungsbereichs des Artikels 1 der Richtlinie, die aber umfassend gelte und keinen derartigen Ausschluss enthalte. Der Gerichtshof lege die Richtlinie 77/187 weit aus, indem er vom Fortbestehen der Arbeitsverträge in Fällen ausgehe, in denen der Übergang sich weder aus einer Verschmelzung noch aus einer vertraglichen Übertragung ergebe. Der gemeinschaftsrechtliche Schutz werde den Arbeitnehmern nämlich selbst dann gewährt, wenn keine rechtliche Beziehung zwischen den aufeinander folgenden Betreibern bestehe.

20 Bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit handele es sich um eine gewerbliche Tätigkeit, die unmittelbar der Finanzierung des Magazins "Vivre à Metz" gedient habe. Außerdem sei die Tätigkeit der APIM unstreitig in vollem Umfang von der Stadt Metz übernommen worden und werde von dieser fortgeführt, da sie die genannte Zeitschrift weiterhin in derselben Form herstelle und verbreite.

21 Da der Conseil de prud'hommes Metz zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits eine Auslegung des Begriffes "Übergang von Unternehmen" im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 für erforderlich hält, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die beiden folgenden Vorabentscheidungsfragen vorzulegen:

1. Ist die Richtlinie 77/187/EWG vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf den Übergang einer Tätigkeit von einer juristischen Person des Privatrechts auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts anwendbar?

2. Ist die Anwendung der Richtlinie 77/187/EWG vom 14. Februar 1977 für den Fall des Übergangs auf eine Einrichtung der öffentlichen Verwaltung auszuschließen?

22 Der Begriff "service public administratif" (Einrichtung der öffentlichen Verwaltung) ist ein Begriff des französischen Verwaltungsrechts, zu dessen Auslegung der Gerichtshof im Rahmen seiner Entscheidung nach Artikel 234 EG nicht befugt ist. Der Gerichtshof kann dem nationalen Gericht lediglich Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nützlich sind.

23 Die Vorlagefragen, die zusammen zu untersuchen sind, sind demnach dahin zu verstehen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob und unter welchen Voraussetzungen die Richtlinie 77/187 anwendbar ist, wenn eine Gemeinde, eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der spezifischen Normen des Verwaltungsrechts handelt, Werbe- und Informationstätigkeiten in Bezug auf die von ihr der Öffentlichkeit angebotenen Leistungen, die bisher im Interesse dieser Gemeinde von einem Verein ohne Erwerbszweck, einer juristischen Person des Privatrechts, ausgeübt wurden, selbst übernimmt.

24 Die französische Regierung macht zunächst geltend, die APIM sei, auch wenn es sich um einen den Normen des Privatrechts unterworfenen Verein gehandelt habe, in Wirklichkeit eine öffentliche Einrichtung gewesen, die mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe beauftragt gewesen sei, so dass die Übernahme ihrer Tätigkeit durch die Stadt Metz als eine strukturelle Neuordnung der öffentlichen Verwaltung anzusehen sei, die nach den Ausführungen des Gerichtshofes in Randnummer 14 seines Urteils vom 15. Oktober 1996 in der Rechtssache C-298/94 (Henke, Slg. 1996, I-4989) nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187 falle.

25 Zur Begründung führt die französische Regierung mehrere Gesichtspunkte an.

26 Die APIM sei unbestreitbar eng mit der Stadt Metz verbunden gewesen, da sie auf Initiative des Bürgermeisters dieser Stadt geschaffen, von gewählten Gemeindevertretern oder Beamten derselben geleitet und überwiegend durch städtische Mittel und nicht durch Gebühren als Gegenleistung für erbrachte Leistungen finanziert worden sei.

27 Außerdem habe die APIM ihre wesentliche Tätigkeit, für die Stadt Metz und die Ansiedlung von Gewerbebetrieben in ihrem Gemeindegebiet zu werben, im Auftrag der Stadt und im öffentlichen Interesse ausgeübt.

28 Der Gerichtshof hat in Randnummer 14 des Urteils Henke entschieden, dass die strukturelle Neuordnung der öffentlichen Verwaltung oder die Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer öffentlichen Verwaltung auf eine andere keinen "Unternehmensübergang" im Sinne der Richtlinie 77/187 darstellt. Daraus hat der Gerichtshof in den Randnummern 17 und 18 desselben Urteils gefolgert, dass der Begriff "Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen" nicht die Übertragung von in Ausübung hoheitlicher Befugnisse wahrgenommenen Verwaltungsaufgaben einer Gemeinde auf eine Verwaltungsgemeinschaft erfasst.

29 Demgegenüber fällt die Übertragung einer wirtschaftlichen Tätigkeit von einer juristischen Person des Privatrechts auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187.

30 Gemäß ihrem Artikel 1 Absatz 1 ist sie nämlich auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.

31 Des Weiteren ist nach Artikel 2 der Richtlinie 77/187 Erwerber "jede natürliche Person, die auf Grund eines Übergangs im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder Betriebsteil eintritt".

32 Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Begriff des Unternehmens im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 jede auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit, d. h. strukturierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung (vgl. zuletzt Urteil vom 2. Dezember 1999 in der Rechtssache C-234/98, Allen u. a., Slg. 1999, I-0000, Randnr. 24). Dieser Begriff gilt unabhängig von der Rechtsform dieser Einheit und der Art ihrer Finanzierung.

33 Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 77/187 erlauben es daher nicht, die Übertragung einer wirtschaftlichen Tätigkeit von einer juristischen Person des Privatrechts auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts allein deshalb vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, weil der Erwerber der Tätigkeit eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ist. Ausgenommen sind nach dem Urteil Henke nur die strukturelle Neuordnung der öffentlichen Verwaltung oder die Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer öffentlichen Verwaltung auf eine andere.

34 Diese Auslegung, die dem Zweck der Richtlinie entspricht, die Kontinuität der Arbeitsverhältnisse im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit unabhängig vom Wechsel ihres Inhabers zu gewährleisten, wird auch durch Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 77/187 in seiner durch die Richtlinie 98/50 geänderten, auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbaren Fassung bestätigt. Nach dieser Bestimmung gilt die Richtlinie 77/187 für öffentliche Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, während es sich bei der Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere nicht um einen Übergang im Sinne dieser Richtlinie handelt.

35 Im Ausgangsverfahren handelt es sich bei der streitigen Übertragung von Tätigkeiten entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung nicht um eine strukturelle Neuordnung der öffentlichen Verwaltung oder Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer öffentlichen Verwaltung auf eine andere im Sinne des Urteils Henke.

36 Wie nämlich dem Vorlageurteil zu entnehmen ist, geht es im Ausgangsverfahren um die Übertragung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zwischen zwei verschiedenen Einheiten.

37 Erstens geht aus dem Vorlageurteil hervor, dass die APIM ein privater Verein ohne Erwerbszweck mit gegenüber der Stadt Metz eigener Rechtspersönlichkeit war. Der Umstand, dass die APIM auf Initiative des Bürgermeisters von Metz geschaffen wurde, dass ihre Leiter gewählte Gemeindevertreter waren und dass sie überwiegend durch städtische Mittel finanziert wurde, ändert nichts daran, dass die APIM eine von der Einheit, die ihre Tätigkeiten übernahm, getrennte Einheit war (vgl. in diesem Sinne Urteil Allen u. a., Randnr. 17).

38 Zweitens ist dem Vorlageurteil auch zu entnehmen, dass die APIM Werbe- und Informationstätigkeiten im Auftrag der Stadt Metz in Bezug auf die von dieser der Öffentlichkeit angebotenen Leistungen ausübte.

39 Eine solche Dienstleistungstätigkeit hat wirtschaftlichen Charakter und kann nicht der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zugeordnet werden.

40 Die Übertragung einer wirtschaftlichen Tätigkeit wie der von der APIM ausgeübten kann nicht allein deswegen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187 ausgenommen werden, weil die Tätigkeit ohne Erwerbszweck oder im öffentlichen Interesse ausgeübt wird. So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass diese Richtlinie sowohl auf die Übertragung einer Tätigkeit anwendbar ist, die in der Hilfe für Süchtige besteht und von einer Stiftung, einer juristischen Person ohne Erwerbszweck, ausgeübt wird (Urteil vom 19. Mai 1992 in der Rechtssache C-29/91, Redmond Stichting, Slg. 1992, I-3189), als auch auf die Übertragung einer Tätigkeit, die in der häuslichen Hilfe für hilfsbedürftige Personen besteht, von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung auf eine juristische Person des Privatrechts (Urteil vom 10. Dezember 1998 in den verbundenen Rechtssachen C-173/96 und C-247/96, Hidalgo u. a., Slg. 1998, I-8237).

41 Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c Satz 1 der Richtlinie 77/187 in seiner durch die Richtlinie 98/50 geänderten Fassung bestätigt ausdrücklich, dass diese Richtlinie auf Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon anwendbar ist, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht.

42 Drittens geht aus dem Vorlageurteil hervor, dass die Tätigkeit der APIM von der Stadt Metz in vollem Umfang übernommen und weitergeführt wurde.

43 Das vorlegende Gericht erklärt allerdings nicht näher, aufgrund welcher Maßnahme die Stadt Metz die Tätigkeit der APIM übernommen hat.

44 Die Richtlinie 77/187 soll die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten. Entscheidend für einen Übergang im Sinne der Richtlinie 77/187 ist, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird (Urteil vom 18. März 1986 in der Rechtssache 24/85, Spijkers, Slg. 1986, 1119, Randnr. 11, und zuletzt Urteil Allen u. a., Randnr. 23).

45 Das Fehlen einer vertraglichen Beziehung zwischen Veräußerer und Erwerber kann zwar ein Indiz dafür darstellen, dass kein Übergang im Sinne der Richtlinie erfolgt ist; ihm kommt in diesem Zusammenhang aber keine ausschlaggebende Bedeutung zu (Urteile vom 11. März 1997 in der Rechtssache C-13/95, Süzen, Slg. 1997, I-1259, Randnr. 11, und Hidalgo u. a., Randnr. 22).

46 Die Richtlinie 77/187 ist vielmehr in allen Fällen anwendbar, in denen die für den Betrieb des Unternehmens verantwortliche natürliche oder juristische Person, die als solche die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten des Unternehmens eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt (Urteil vom 10. Februar 1988 in der Rechtssache 324/86, Tellerup, genannt "Daddy's Dance Hall", Slg. 1988, 739, Randnr. 9, und Süzen, Randnr. 12).

47 Im Ausgangsverfahren hat die Stadt Metz die Tätigkeit der APIM in vollem Umfang übernommen und führt den Betrieb weiter. Diese Gemeinde ist daher als die nunmehr für den Betrieb des Unternehmens verantwortliche juristische Person anzusehen.

48 Daher ist zu prüfen, ob das in Randnummer 44 dieses Urteils erwähnte, für einen Übergang im Sinne der Richtlinie 77/187 entscheidende Kriterium, dass die fragliche Einheit nach erfolgtem Übergang ihre Identität bewahrt, erfuellt ist.

49 Der im Ausgangsverfahren unstreitige Umstand allein, dass die von dem alten und von dem neuen Arbeitgeber ausgeübten Tätigkeiten ähnlich sind, erlaubt nicht den Schluss, dass der Übergang einer wirtschaftlichen Einheit vorliegt. Eine Einheit darf nämlich nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Ihre Identität ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren betrieblichen Methoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (Urteile Süzen, Randnr. 15, und Hidalgo u. a., Randnr. 30).

50 Die französische Regierung und die APIM machen geltend, die Übernahme der Tätigkeit der APIM durch die Stadt Metz in der Form einer Einrichtung der öffentlichen Verwaltung habe zu wesentlichen Veränderungen bei der Leitung und beim Betrieb sowie bei der Arbeitsweise der übertragenen Einheit geführt. Denn das französische öffentliche Recht verpflichte juristische Personen des öffentlichen Rechts, die eine bis dahin von einer juristischen Person des Privatrechts ausgeübte Tätigkeit in der Form einer Einrichtung der öffentlichen Verwaltung übernähmen, spezifische Regeln für Leitung, Betrieb und Arbeitsweise zu beachten. Außerdem könne eine öffentliche Einrichtung, die eine zuvor von einer juristischen Person des Privatrechts ausgeübte Tätigkeit übernehme, die von dieser geschlossenen Arbeitsverträge nicht aufrechterhalten, da die Angestellten von Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung öffentlich-rechtliche Angestellte seien, die nach einem besonderen Verfahren eingestellt würden und deren Stellung dem Verwaltungsrecht unterliege.

51 Die französische Regierung und die APIM berufen sich insoweit auf die Rechtsprechung der Cour de cassation, der zufolge die Bestimmungen des nationalen Rechts zur Umsetzung der Richtlinie 77/187 nicht anwendbar seien, wenn, wie im Ausgangsverfahren, die juristische Person des öffentlichen Rechts eine Tätigkeit betreibe, die sie in der Form einer Einrichtung der öffentlichen Verwaltung und somit nach den Normen des öffentlichen Rechts übernommen habe. Nach dieser Rechtsprechung führe die Übernahme der Tätigkeit in einer solchen Form zur Beendigung der Unternehmenstätigkeit.

52 Das nationale Gericht hat bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Übergang erfuellt sind, und vor allem, ob die im Ausgangsverfahren streitige Einheit nach der Übernahme durch die Stadt Metz ihre Identität bewahrt hat, sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen zu berücksichtigen. Dazu gehören namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden (siehe u. a. Urteile Spijkers, Randnr. 13, Süzen, Randnr. 14, Hidalgo u. a., Randnr. 29, und Allen u. a., Randnr. 26).

53 Wie der Generalanwalt in Nummer 102 seiner Schlussanträge ausführt, ist nicht auszuschließen, dass unter bestimmten Umständen Merkmale wie die Organisation, die Arbeitsweise, die Finanzierung, die Leitung und die anwendbaren Rechtsvorschriften eine wirtschaftliche Einheit in solcher Weise kennzeichnen, dass eine Änderung dieser Merkmale aufgrund des Übergangs dieser Einheit zu einem Wechsel ihrer Identität führt.

54 Das scheint jedoch im Ausgangsverfahren nicht der Fall zu sein. Denn dem Vorlageurteil ist zu entnehmen, dass die Stadt Metz die Tätigkeit der APIM in vollem Umfang übernommen hat und weiterführt und dabei das Magazin "Vivre à Metz" weiter in derselben Form herstellt und verbreitet und dass die APIM der französischen Regierung zufolge in Wirklichkeit bereits als öffentliche Einrichtung betrieben wurde, die mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe beauftragt war.

55 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, im Lichte aller genannten Umstände festzustellen, ob im Ausgangsverfahren ein Übergang stattgefunden hat.

56 Eine gegebenenfalls nach nationalem Recht bestehende Verpflichtung, privatrechtliche Arbeitsverträge beim Übergang einer Tätigkeit auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts zu beenden, stellt gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 77/187 eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers dar, die unmittelbar aus dem Übergang folgt, so dass in einem solchen Fall davon auszugehen ist, dass die Beendigung dieser Arbeitsverträge durch den Arbeitgeber erfolgt ist.

57 Auf die vorgelegten Fragen ist zu antworten, dass Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 dahin auszulegen ist, dass diese anwendbar ist, wenn eine Gemeinde, eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der spezifischen Normen des Verwaltungsrechts handelt, Werbe- und Informationstätigkeiten in Bezug auf von ihr der Öffentlichkeit angebotene Leistungen, die bisher im Interesse dieser Gemeinde von einem Verein ohne Erwerbszweck, einer juristischen Person des Privatrechts, ausgeübt wurden, selbst übernimmt, sofern die übertragene Einheit ihre Identität bewahrt.

Kostenentscheidung:

Kosten

58 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Conseil de prud'hommes Metz mit Urteil vom 14. April 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass diese anwendbar ist, wenn eine Gemeinde, eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der spezifischen Normen des Verwaltungsrechts handelt, Werbe- und Informationstätigkeiten in Bezug auf von ihr der Öffentlichkeit angebotene Leistungen, die bisher im Interesse dieser Gemeinde von einem Verein ohne Erwerbszweck, einer juristischen Person des Privatrechts, ausgeübt wurden, selbst übernimmt, sofern die übertragene Einheit ihre Identität bewahrt.

Ende der Entscheidung

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