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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.06.1992
Aktenzeichen: C-18/91 P
Rechtsgebiete: LFZG, EGV 259/68
Vorschriften:
LFZG § 3 | |
EGV 259/68 Art. 47 Nr. 2 Buchst. a |
1. Das Fehlen eines Protokolls über die Arbeiten eines Invaliditätsausschusses mag zwar unerfreulich sein; seine Existenz stellt jedoch kein konstitutives Element für die Wirksamkeit der Arbeit dieses Ausschusses dar. Das Gericht hat daher zu Recht entschieden, daß das Fehlen eines solchen Protokolls die Rechtmässigkeit des Verfahrens zur Feststellung der Dienstunfähigkeit nicht beeinträchtigt hat.
2. Die Feststellung der Dienstunfähigkeit eines Bediensteten auf Zeit obliegt dem Invaliditätsausschuß. Da die Anstellungsbehörde somit insoweit über keinen Ermessensspielraum verfügt, kann die in Artikel 9 Absatz 2 des Anhangs II des Statuts vorgesehene Zuleitung der Schlußfolgerungen des Invaliditätsausschusses an den Bediensteten nicht als Entscheidung der Anstellungsbehörde qualifiziert werden, die Gegenstand einer Anfechtungsklage sein könnte. Falls der Ausschuß das Vorliegen einer Dienstunfähigkeit verneint, kann die Zuleitung seiner Schlußfolgerungen an den Bediensteten im übrigen bedenkenlos als Abschluß des Verfahrens zur Feststellung der Invalidität angesehen werden.
3. Artikel 59 des Statuts berechtigt die Verwaltung zwar, einen Beamten, der zum Nachweis seiner Dienstunfähigkeit ein ärztliches Attest vorlegt, einer ärztlichen Kontrolluntersuchung zu unterziehen; er ermöglicht es ihr jedoch nicht, die Berücksichtigung dieses ärztlichen Attests zu verweigern, selbst wenn es die Gründe der Arbeitsunfähigkeit nicht angibt. Es verstösst daher gegen Artikel 59 des Statuts, wenn die Verwaltung die Anerkennung eines nicht mit Gründen versehenen ärztlichen Attests verweigert, ohne von der Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben, den betreffenden Bediensteten einer Kontrolluntersuchung zu unterziehen.
Wenn die Ergebnisse der Kontrolluntersuchung denen des vom Betroffenen vorgelegten ärztlichen Attests widersprechen, treten die verwaltungsrechtlichen Auswirkungen dieser Untersuchung erst ab dem Zeitpunkt ihrer Durchführung ein, denn durch eine Rückwirkung würde der Grundsatz der Glaubwürdigkeit und die Vermutung der Ordnungsmässigkeit eines ärztlichen Attests beeinträchtigt.
Das Gericht hat somit einen Rechtsfehler begangen, als es entschieden hat, daß die Verwaltung berechtigt gewesen sei, zum einen ein nicht mit Gründen versehenes ärztliches Attest zurückzuweisen und zum anderen den Feststellungen der Kontrolluntersuchung, daß der Betroffene für keinen Zeitpunkt während seiner Abwesenheit seinen Anspruch auf Krankheitsurlaub nachgewiesen habe, Rückwirkung zuzuerkennen. Diesen Rechtsfehler hat der Gerichtshof dadurch zu beseitigen, daß er die Entscheidung der Verwaltung aufhebt, mit der das ärztliche Attest zurückgewiesen und festgestellt wurde, daß sich der Betroffene vor dem Zeitpunkt, zu dem die ärztliche Kontrolluntersuchung durchgeführt wurde, nicht in ordnungsgemässem Krankheitsurlaub befunden habe.
4. Die einseitige Kündigung des unbefristeten Vertrags eines Bediensteten auf Zeit, die in Artikel 47 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten ausdrücklich vorgesehen ist, findet ihre Rechtfertigung im Beschäftigungsvertrag und braucht daher nicht begründet zu werden, denn der Dienstvertrag bildet die Grundlage der Beziehungen zwischen diesem Bediensteten und dem betreffenden Organ.
Es gibt keine Bestimmung, die das betreffende Organ daran hindert, den Dienstvertrag eines Bediensteten auf Zeit zu kündigen, der einem Verfahren zur Feststellung der Invalidität unterzogen wird. Allerdings darf diese Kündigung die Durchführung der Arbeiten des Invaliditätsausschusses nicht beeinträchtigen und diesen nicht daran hindern, gegebenenfalls den Eintritt von Dienstunfähigkeit vor der Kündigung festzustellen; sie darf auch die am Ende des damit verbundenen Verfahrens stehenden Ansprüche des Betroffenen nicht einschränken.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 19. JUNI 1992. - V. GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - RECHTSMITTEL - BEAMTE - BEDIENSTETE AUF ZEIT - VORAUSSETZUNGEN DER VERSETZUNG IN DEN RUHESTAND WEGEN DIENSTUNFAEHIGKEIT - INVALIDITAETSAUSSCHUSS. - RECHTSSACHE C-18/91 P.
Entscheidungsgründe:
1 Frau V. hat mit Rechtsmittelschrift, die am 18. Januar 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, nach Artikel 49 der EWG-Satzung und den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 22. November 1990 in der Rechtssache T-54/89 (Frau V./Europäisches Parlament, Slg. 1990, II-659) eingelegt, mit dem das Gericht ihre Klage auf Aufhebung des Berichts des mit der Prüfung ihres Falls befassten Invaliditätsausschusses sowie mehrerer Entscheidungen des Europäischen Parlaments, mit denen ihr die Gewährung eines Ruhegehalts wegen Dienstunfähigkeit verweigert, das von ihr vorgelegte ärztliche Attest über die Unterbrechung der Tätigkeit zurückgewiesen, ihr Arbeitsvertrag als Bedienstete auf Zeit gekündigt und ihre verschiedenen Beschwerden zurückgewiesen wurden, sowie auf Feststellung ihres Anspruchs, einem ordnungsgemässen Verfahren zur Feststellung der Invalidität unterzogen zu werden, abgewiesen hat.
2 Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß die Rechtsmittelführerin 1981 als Bedienstete auf Zeit bei der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) des Europäischen Parlaments eingestellt worden war. Da ihr Krankheitsurlaub in den folgenden Jahren insgesamt zwölf Monate während eines Zeitraums von drei Jahren überschritt, wurde sie gemäß Artikel 59 Absatz 1 Unterabsatz 4 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) einem ersten Verfahren zur Feststellung einer etwaigen Invalidität unterzogen. Der Invaliditätsausschuß kam am 20. November 1986 zu dem Ergebnis, daß bei ihr keine Invalidität vorliege.
3 Nach weiterem wiederholtem Fernbleiben vom Dienst befasste das Parlament einen neuen Invaliditätsausschuß mit dem Fall von Frau V. Auch dieser Invaliditätsausschuß kam zu dem Ergebnis, daß keine Invalidität vorliege.
4 Mit Schreiben Nr. 05169 vom 24. Februar 1988 übersandte der Generaldirektor für Personal des Parlaments der Betroffenen kommentarlos die Schlußfolgerung des Invaliditätsausschusses.
5 Mit Schreiben vom selben Tag teilte der Vorsitzende der Fraktion der EVP in seiner Eigenschaft als Anstellungsbehörde Frau V. die Kündigung ihres Vertrags mit und wies darauf hin, daß die gemäß Artikel 47 Nr. 2 Buchstabe a der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Beschäftigungsbedingungen) erforderliche Kündigungsfrist von drei Monaten am 1. März 1988 beginne.
6 Am Tag zuvor hatte Frau V. der Verwaltung ein vom 23. Februar 1988 datierendes und von ihrem Arzt unterzeichnetes Attest über die Unterbrechung der Tätigkeit für zwei Monate übersandt, in dem keine medizinischen Gründe angegeben waren. Dieses Attest wurde mit Schreiben des Generaldirektors für Personal vom 26. Februar 1988 zurückgewiesen.
7 Die Betroffene legte ein zweites, vom 1. März 1988 datierendes ärztliches Attest vor, in dem eine Arbeitsunfähigkeit vom 1. März bis zum 1. Juni 1988 bescheinigt wurde. Am 7. März 1988 nahm der Vertrauensarzt des Parlaments eine Kontrolluntersuchung im Haus von Frau V. vor und gelangte zu der Ansicht, daß sie arbeitsfähig sei.
8 Die von der Betroffenen gegen die oben angeführten Entscheidungen und Stellungnahmen des Parlaments eingelegten Beschwerden wurden zurückgewiesen.
9 Mit ihrer vor dem Gericht erster Instanz erhobenen Klage beantragte Frau V.:
a) die Aufhebung des ihr am 24. Februar 1988 übersandten "Berichts des Invaliditätsausschusses";
b) die Aufhebung der "Entscheidung" des Generaldirektors für Personal, ihr diesen Bericht zu übersenden und ihr die "Gewährung eines Ruhegehalts wegen Dienstunfähigkeit" zu verweigern;
c) die Aufhebung der Entscheidung des Generaldirektors für Personal vom 26. Februar 1988 über die Zurückweisung des ersten ärztlichen Attests;
d) die Aufhebung der Entscheidung des Vorsitzenden der Fraktion der EVP, ihren Arbeitsvertrag zu beenden;
e) die Aufhebung der Zurückweisung der Beschwerden, die sie gegen die unter b) und d) genannten Entscheidungen eingelegt hatte, durch den Vorsitzenden der Fraktion der EVP;
f) die Feststellung, daß sie Anspruch darauf hat, einem ordnungsgemässen Verfahren zur Feststellung ihrer Invalidität unterzogen zu werden.
10 Frau V. beantragt in ihrer Rechtsmittelschrift, das angefochtene Urteil, mit dem das Gericht erster Instanz ihre verschiedenen Klageanträge abgewiesen hat, abzuändern.
11 Wegen weiterer Einzelheiten des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Bericht des Berichterstatters verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
Zum Rechtsmittelgrund der Rechtswidrigkeit des Verfahrens vor dem Invaliditätsausschuß
12 Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß der von Frau V. benannte Arzt im Hinblick auf die Benennung des dritten Mitglieds des Invaliditätsausschusses mit Schreiben vom 17. Oktober 1987 erklärt hatte, keine Einwände gegen die Berufung des vom Parlament vorgeschlagenen Arztes als dritten Arzt im Invaliditätsausschuß zu haben, wobei er hinzufügte: "Ich möchte jedoch auf einige Bedingungen hinweisen, die vor der endgültigen Einigung... angenommen werden sollten." Da das Parlament diese Bedingungen für unannehmbar hielt, beantragte es gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs II des Statuts beim Präsidenten des Gerichtshofes, das dritte Mitglied des Invaliditätsausschusses von Amts wegen zu bestellen.
13 Das Gericht hat im angefochtenen Urteil (Randnr. 33) die Ansicht vertreten, aus dem Wortlaut des Schreibens des von Frau V. benannten Arztes vom 17. Oktober 1987 ergebe sich - im Lichte des Schreibens des vom Parlament benannten Arztes vom 6. Oktober 1987 betrachtet - zweifelsfrei, von welcher Art von Bedingungen ersterer die Einwilligung in die Benennung Professor Alexandres als drittes Mitglied des Invaliditätsausschusses abhängig gemacht habe. Diese Bedingungen seien nicht rein formaler Art gewesen, sondern ausdrücklich als Vorbedingungen für eine "endgültige Einigung" bezeichnet worden und hätten somit bewirkt, daß deren Zustandekommen aufgeschoben worden sei. Die Klägerin könne daher nicht behaupten, daß die von ihr und vom Parlament benannten Ärzte eine Einigung erreicht hätten. Folglich sei das Vorbringen, es habe bei der Bildung des Invaliditätsausschusses ein Verfahrensfehler vorgelegen, zurückzuweisen.
14 Die Rechtsmittelführerin wendet gegen diese Entscheidung ein, der von ihr und der vom Parlament benannte Arzt hätten sich bei einem Telefongespräch bereits über das dritte Mitglied des Invaliditätsausschusses geeinigt. Die im Schreiben vom 17. Oktober 1987 aufgestellten Bedingungen seien daher rein formaler Art und könnten jedenfalls die bereits erteilte Zustimmung nicht ändern. Im übrigen hätte das Gericht nicht am blossen Wortlaut dieses Schreibens haften dürfen, sondern hätte seinen Inhalt untersuchen müssen, zumal es von einem Arzt und nicht von einem Juristen verfasst worden sei.
15 Nach Artikel 168a EWG-Vertrag und den entsprechenden Bestimmungen des EGKS- und des EAG-Vertrags sowie Artikel 51 Absatz 1 der EWG-Satzung und den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt. Daraus ergibt sich, daß ein Rechtsmittel nur auf Rechtsmittelgründe gestützt werden kann, die die Verletzung von Rechtsvorschriften betreffen, während sämtliche Einwendungen gegen die Tatsachenfeststellungen des Gerichts ausgeschlossen sind.
16 Die Beurteilung des Inhalts eines Schreibens, das der von der Rechtsmittelführerin benannte Arzt dem vom Parlament benannten Arzt im Anschluß an ein Telefongespräch zwischen beiden übersandt hat, durch das Gericht ist eine rein tatsächliche Feststellung.
17 Folglich ist der Rechtsmittelgrund, mit dem diese Feststellung angegriffen wird, als unzulässig zurückzuweisen.
18 Das Gericht hat zu dem Vorbringen, das Verfahren sei wegen des Fehlens des Protokolls über die Arbeiten des Invaliditätsausschusses rechtswidrig, im Anschluß an das Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1987 in der Rechtssache 277/84 (Jänsch/Kommission, Slg. 1987, 4923) entschieden, "daß die Existenz eines Protokolls... kein konstitutives Element für eine wirksame Ausschussarbeit darstellt. Das Fehlen eines Protokolls hat sich im vorliegenden Fall weder auf die weiteren Arbeiten des Invaliditätsausschusses noch auf die gerichtliche Nachprüfung ausgewirkt, der diese Arbeiten vorliegend unterzogen werden."
19 Die Rechtsmittelführerin macht hierzu geltend, ein Protokoll über die Arbeiten und Schlußfolgerungen des Invaliditätsausschusses sei erforderlich; dies gelte um so mehr, als der Bericht dieses Ausschusses, der ihr in Form eines vorgedruckten Formulars zugegangen sei, in dem die nicht einschlägigen Abschnitte gestrichen gewesen seien, im vorliegenden Fall in keiner Weise die Prüfung der Frage ermögliche, ob zwischen den getroffenen Feststellungen und den Schlußfolgerungen, zu denen der Ausschuß gelangt sei, ein logischer Zusammenhang bestehe.
20 Dieser Rechtsmittelgrund ist zurückzuweisen. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 10. Dezember 1987 in der Rechtssache Jänsch entschieden hat, mag das Fehlen eines Protokolls über die Arbeiten eines Invaliditätsausschusses zwar unerfreulich sein; seine Existenz stellt jedoch kein konstitutives Element für die Wirksamkeit der Arbeit eines solchen Ausschusses dar. Überdies können etwaige Mängel eines späteren Berichts des Invaliditätsausschusses keine Auswirkungen auf das Fehlen des Protokolls haben.
21 Falls die Berufung auf die angeblichen Mängel des der Rechtsmittelführerin übermittelten Berichts des Invaliditätsausschusses als selbständiger Rechtsmittelgrund anzusehen sein sollte, ist darauf hinzuweisen, daß sich das angefochtene Urteil des Gerichts nicht auf solche Mängel bezieht und daß in der Klageschrift nicht enthaltene neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Rechtsmittelverfahren nicht vorgebracht werden können, wie sich aus den Artikeln 113 § 2 und 116 § 1 der Verfahrensordnung ergibt.
Zum Rechtsmittelgrund der fehlerhaften Qualifizierung des Schreibens des Generaldirektors des Parlaments an die Rechtsmittelführerin vom 24. Februar 1988
22 Das Gericht stellt im angefochtenen Urteil fest, daß es sich bei dem Schreiben Nr. 05169 vom 24. Februar 1988, mit dem der Generaldirektor für Personal des Parlaments der Rechtsmittelführerin die Schlußfolgerungen des Invaliditätsausschusses übersandte, nicht um eine Entscheidung der Anstellungsbehörde handele, die Gegenstand einer Anfechtungsklage sein könne, da es zur Mitteilung der Schlußfolgerungen dieses Ausschusses gemäß Artikel 9 Absatz 2 des Anhangs II des Statuts gehöre.
23 Das Gericht stellt weiterhin fest, daß dieses Schreiben keine Entscheidung sei, mit der das Verfahren zur Feststellung der Invalidität abgeschlossen werde. Es verweist insoweit auf Artikel 33 Absatz 2 der Beschäftigungsbedingungen und kommt zu dem Ergebnis, wenn der Invaliditätsausschuß zu der Schlußfolgerung gelangt sei, daß ein Bediensteter nicht dienstunfähig sei, könne die Anstellungsbehörde keine andere Entscheidung treffen; es stehe der Anstellungsbehörde daher nicht zu, eine Entscheidung zu erlassen, mit der das Verfahren abgeschlossen werde.
24 Die Rechtsmittelführerin greift die letztgenannte Erwägung an. Sie trägt vor, sämtliche Handlungen, die Rechtswirkungen für das Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Organ und seinem Personal erzeugten, fielen in die ausschließliche Zuständigkeit der Anstellungsbehörde, falls sie nicht ausdrücklich einer anderen Stelle übertragen worden seien. Dies gelte auch für den Fall der Beendigung des Invaliditätsverfahrens, die Rechtswirkungen für den Betroffenen haben könne. Da die Anerkennung der Dienstunfähigkeit in die Zuständigkeit der Anstellungsbehörde falle, müsse deren Ablehnung ebenfalls in ihre Zuständigkeit fallen. Den vom Gericht genannten Bestimmungen sei nicht zweifelsfrei zu entnehmen, daß die Entscheidung über die Ablehnung der Anerkennung der Dienstunfähigkeit ausserhalb der Zuständigkeit der Anstellungsbehörde liege.
25 Folglich stelle das Schreiben vom 24. Februar 1988 eine solche ablehnende Entscheidung dar, die in die Zuständigkeit der Anstellungsbehörde falle, aber von dem hierfür nicht zuständigen Generaldirektor erlassen worden sei.
26 Artikel 33 Absatz 2 der Beschäftigungsbedingungen lautet: "Die Dienstunfähigkeit wird vom Invaliditätsausschuß (Artikel 9 des Statuts) festgestellt." Da die Anstellungsbehörde somit in diesem Bereich über keinen Ermessensspielraum verfügt, kann die in Artikel 9 Absatz 2 des Anhangs II des Statuts vorgesehene Zuleitung der Schlußfolgerungen des Invaliditätsausschusses an den Bediensteten nicht als Entscheidung qualifiziert werden. Falls dieser Ausschuß das Vorliegen einer Dienstunfähigkeit wie im hier gegebenen Fall verneint, kann die Zuleitung seiner Schlußfolgerungen an den Bediensteten im übrigen bedenkenlos als Abschluß des Verfahrens zur Feststellung der Invalidität angesehen werden.
27 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß dieser Rechtsmittelgrund nicht durchgreift.
Zum Rechtsmittelgrund der Rechtswidrigkeit der Zurückweisung der von der Rechtsmittelführerin vorgelegten ärztlichen Atteste
28 Wie sich aus den Randnummern 46 und 47 des angefochtenen Urteils ergibt, ist nach Ansicht des Gerichts bei zutreffender Auslegung von Artikel 59 des Statuts davon auszugehen, daß die Verwaltung berechtigt ist, ein ärztliches Attest zurückzuweisen, ohne die in dieser Bestimmung vorgesehenen ärztlichen Kontrollen durchführen zu lassen, wenn sie sämtliche Umstände berücksichtigt, insbesondere den Bericht des Invaliditätsausschusses sowie die Tatsache, daß aus dem fraglichen Attest die medizinischen Gründe für die bescheinigte Unterbrechung der Tätigkeit nicht hervorgehen.
29 Die Rechtsmittelführerin trägt hierzu vor, dem Urteil des Gerichtshofes vom 27. April 1989 in der Rechtssache 271/87 (Fedeli/Parlament, Slg. 1989, 993) sei der Grundsatz zu entnehmen, daß die Vorlage eines ärztlichen Attests eine Vermutung der Rechtmässigkeit des Fernbleibens des Beamten vom Dienst begründe und daß das betroffene Organ in Zweifelsfällen allein über das Mittel der ärztlichen Kontrolluntersuchung verfüge. Die schlichte Zurückweisung eines ärztlichen Attests sei daher im Beamtenrecht der Gemeinschaften nicht vorgesehen. Selbst wenn das Organ von seiner Befugnis Gebrauch mache, den betroffenen Beamten einer ärztlichen Kontrolluntersuchung zu unterziehen, und wenn diese zu Ergebnissen führe, die mit denen des vom Betroffenen vorgelegten ärztlichen Attests nicht übereinstimmten, dürfe das Organ im übrigen nicht davon ausgehen, daß das Fernbleiben des Beamten vom Dienst von Anfang an unberechtigt gewesen sei, da die Rechtswirkungen der Kontrolluntersuchung ex nunc einträten.
30 Zur "Begründung" eines ärztlichen Attests führt die Rechtsmittelführerin aus, jedes Organ müsse ein Attest als gültig anerkennen, das nach den im Land des konsultierten Arztes geltenden Vorschriften abgefasst sei. In Belgien sei vorgesehen, daß in einem ärztlichen Attest die Krankheit des Patienten nicht angegeben werden müsse.
31 Hilfsweise macht die Rechtsmittelführerin geltend, die "Zurückweisung" des ersten ärztlichen Attests hätte jedenfalls durch die Anstellungsbehörde und nicht durch den Generaldirektor für Personal erfolgen müssen.
32 Wie der Gerichtshof für den Bereich der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer entschieden hat, sind der zuständige Träger der sozialen Sicherheit und der Arbeitgeber in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts des Arbeitnehmers getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden, sofern sie die betreffende Person nicht durch einen Arzt ihrer Wahl untersuchen lassen, wozu sie die gemeinschaftsrechtliche Regelung ermächtigt (Urteile des Gerichtshofes vom 12. März 1987 in der Rechtssache 22/86, Rindone, Slg. 1987, 1339, und vom 3. Juni 1992 in der Rechtssache C-45/90, Paletta, Slg. 1992, I-3423).
33 Dieser Grundsatz ist auf den Bereich der Auslegung des Beamtenstatuts zu übertragen, wie sich im übrigen aus dem Urteil Fedeli vom 27. April 1989 ergibt. Artikel 59 des Statuts berechtigt die Verwaltung nämlich nicht, die Berücksichtigung eines ärztlichen Attests zu verweigern, selbst wenn dieses die medizinischen Gründe der Arbeitsunfähigkeit des betreffenden Bediensteten nicht angibt; er sieht dagegen vor, daß die Verwaltung die Möglichkeit hat, den Bediensteten durch einen Arzt ihrer Wahl untersuchen zu lassen. Es verstieß daher gegen Artikel 59 des Statuts, daß die Verwaltung des Parlaments die Anerkennung des ärztlichen Attests vom 23. Februar 1988 verweigerte, ohne von der Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben, Frau V. einer ärztlichen Kontrolluntersuchung zu unterziehen.
34 Im übrigen ist Artikel 59, wonach der betreffende Bedienstete "jeder ärztlichen Kontrolle unterstellt werden [kann], die von dem Organ eingerichtet wird", dahin auszulegen, daß die verwaltungsrechtlichen Auswirkungen der Ergebnisse der ärztlichen Kontrolluntersuchung erst ab dem Zeitpunkt ihrer Durchführung eintreten. Würde den Ergebnissen einer solchen Kontrolluntersuchung Rückwirkung zugebilligt, so würde nämlich der Grundsatz der Glaubwürdigkeit und die Vermutung der Ordnungsmässigkeit eines ärztlichen Attests beeinträchtigt.
35 Das Gericht hat somit einen Rechtsfehler begangen, als es in Randnummer 47 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertreten hat, daß das Parlament unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falls das ärztliche Attest vom 23. Februar 1988 zu Recht zurückgewiesen habe, und als es den Ergebnissen der Kontrolluntersuchung vom 7. März 1988 durch die Feststellung, daß "die Klägerin für keinen Zeitpunkt während des fraglichen Zeitraums nachgewiesen hat, daß sie Anspruch auf Krankheitsurlaub hatte", Rückwirkung in bezug auf das ärztliche Attest vom 1. März 1988 zuerkannt hat.
36 Dieser Abschnitt des angefochtenen Urteils ist folglich aufzuheben.
Zum Rechtsmittelgrund der Rechtswidrigkeit der Entscheidung über die Entlassung der Rechtsmittelführerin
37 Das Gericht hat im angefochtenen Urteil die Ansicht vertreten, daß die Artikel 47 und 48 der Beschäftigungsbedingungen der einseitigen Kündigung des unbefristeten Vertrags eines Bediensteten auf Zeit ohne Angabe von Gründen nicht entgegenstuenden und daß die Einleitung eines Invaliditätsverfahrens nach keiner Vorschrift zur Folge habe, daß das Recht der Anstellungsbehörde, einen solchen Vertrag zu beenden, ausgesetzt wäre, solange dem Betroffenen die Schlußfolgerungen des Invaliditätsausschusses noch nicht mitgeteilt worden seien.
38 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, es müsse als tragender Grundsatz des Beamtenrechts der Gemeinschaften anerkannt werden, daß das Recht der Anstellungsbehörde, den Vertrag eines Bediensteten auf Zeit zu kündigen, während eines Invaliditätsverfahrens ausgesetzt sei, auch wenn dies bisher in keiner Bestimmung des Statuts ausdrücklich geregelt sei.
39 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 18. Oktober 1977 in der Rechtssache 25/68 (Schertzer/Parlament, Slg. 1977, 1729) entschieden hat, ist Grundlage der Beziehungen eines Bediensteten auf Zeit zu dem betreffenden Organ ein "Dienstvertrag eines Bediensteten auf Zeit". Die einseitige Kündigung des Beschäftigungsvertrags, die in Artikel 47 der Beschäftigungsbedingungen ausdrücklich vorgesehen ist, findet ihre Rechtfertigung in diesem Beschäftigungsvertrag und braucht daher nicht begründet zu werden; in dieser Beziehung unterscheidet sich die Lage eines Bediensteten auf Zeit wesentlich von der eines Beamten.
40 Es gibt keine Bestimmung des Statuts, die das betreffende Organ daran hindert, den Dienstvertrag eines Bediensteten auf Zeit zu kündigen, der einem Verfahren zur Feststellung der Invalidität unterzogen wird. Allerdings darf die Kündigung des Vertrags die Durchführung der Arbeiten des Invaliditätsausschusses nicht beeinträchtigen und diesen nicht daran hindern, gegebenenfalls den Eintritt von Dienstunfähigkeit vor der Kündigung festzustellen; sie darf auch die am Ende des damit verbundenen Verfahrens stehenden Ansprüche des betroffenen Bediensteten nicht einschränken.
41 Dieser Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.
42 Die Rechtsmittelführerin macht weiterhin geltend, die Entscheidung über die Kündigung ihres Vertrags als Bedienstete auf Zeit sei ermessensmißbräuchlich, da ihr wahrer Grund in dem Wunsch bestehe, sich von einem Beschäftigten wegen seiner angegriffenen Gesundheit zu trennen.
43 Hierzu hat das Gericht in Randnummer 48 des angefochtenen Urteils ausgeführt: "Der blosse Umstand, daß die Entscheidung über die Entlassung getroffen wurde, bevor die Klägerin Kenntnis von den Schlußfolgerungen des Invaliditätsausschusses gehabt hatte, erlaubt es dem Gericht nicht, auf einen Ermessensmißbrauch zu schließen."
44 Die Rechtsmittelführerin greift mit diesem Rechtsmittelgrund die im angefochtenen Urteil enthaltene tatsächliche Feststellung an, daß ein Ermessensmißbrauch nicht nachgewiesen worden sei. Dieser Rechtsmittelgrund ist folglich als unzulässig zurückzuweisen.
Zum Antrag auf Durchführung eines neuen Invaliditätsverfahrens
45 Die Rechtsmittelführerin hatte in ihrer Klageschrift ausserdem die Feststellung beantragt, daß sie Anspruch auf eine erneute ärztliche Untersuchung zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Feststellung einer Invalidität hat. Da dieser Antrag für den Fall gestellt worden war, daß das Invaliditätsverfahren aufgehoben wird, hat das Gerichts über ihn nicht entschieden.
46 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, die Tatsache, daß das Gericht es unterlassen habe, diesem Antrag stattzugeben, bedeute, daß ihr in einer grundlegenden Frage der Schutz entzogen werde, den das Recht den Arbeitnehmern biete.
47 Dieser so formulierte Rechtsmittelgrund ist dahin zu verstehen, daß das Gericht es unterlassen habe, der Rechtsmittelführerin das Recht einzuräumen, einem neuen Verfahren zur Feststellung der Invalidität unterzogen zu werden, auch wenn das zuvor durchgeführte Verfahren nicht aufgehoben worden sei. Dieser Rechtsmittelgrund beruht somit auf einer unzutreffenden Voraussetzung, da ein solcher Antrag beim Gericht nicht gestellt worden war.
48 Falls dieser Rechtsmittelgrund dahin zu verstehen sein sollte, daß das Gericht es unterlassen habe, zu dem Antrag Stellung zu nehmen, wonach im Fall der Aufhebung des angefochtenen Verfahrens zur Feststellung der Invalidität ein neues ordnungsgemässes Verfahren eingeleitet werden müsse, genügt im übrigen die Feststellung, daß dies die normale Folge der Aufhebung ist und daß das Verfahren im vorliegenden Fall jedenfalls nicht aufgehoben wurde.
49 Im angefochtenen Urteil wurde es folglich nicht in rechtswidriger Weise unterlassen, einem solchen Antrag stattzugeben, so daß diesem Rechtsmittelgrund nicht gefolgt werden kann.
50 Nach alledem ist das angefochtene Urteil des Gerichts vom 22. November 1990 insoweit aufzuheben, als darin festgestellt wurde, daß das Parlament berechtigt war, das ärztliche Attest vom 23. Februar 1988 zurückzuweisen und den bei der ärztlichen Kontrolluntersuchung vom 7. März 1988 getroffenen Feststellungen Rückwirkung einzuräumen.
51 Im übrigen ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.
52 In bezug auf den aufgehobenen Abschnitt des Urteils des Gerichts ist die Sache entscheidungsreif. Angesichts des Vorstehenden (Randnrn. 27 bis 35) hat der Gerichtshof, der gemäß Artikel 54 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes den Rechtsstreit endgültig entscheidet, die im Schreiben des Generaldirektors des Parlaments vom 26. Februar 1988 enthaltene Entscheidung, mit der das ärztliche Attest vom 23. Februar 1988 zurückgewiesen wurde, sowie die Feststellung, daß sich die Rechtsmittelführerin vor dem 7. März 1988 nicht in ordnungsgemässem Krankheitsurlaub befunden habe, aufzuheben.
Kostenentscheidung:
Kosten
53 Da beide Parteien teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, haben sie gemäß Artikel 69 § 3 in Verbindung mit Artikel 122 der Verfahrensverordnung jeweils ihre eigenen Kosten zu tragen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1) Das Urteil des Gerichts vom 22. November 1990 in der Rechtssache T-54/89 wird insoweit aufgehoben, als darin festgestellt wurde, daß das Parlament berechtigt war, das ärztliche Attest vom 23. Februar 1988 zurückzuweisen und den bei der ärztlichen Kontrolluntersuchung vom 7. März 1988 getroffenen Feststellungen Rückwirkung einzuräumen.
2) Im übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.
3) In der Sache werden a) die im Schreiben des Generaldirektors des Parlaments vom 26. Februar 1988 enthaltene Entscheidung, mit der das ärztliche Attest vom 23. Februar 1988 zurückgewiesen wurde, und b) die Annahme einer Rückwirkung der Ergebnisse der ärztlichen Kontrolluntersuchung vom 7. März 1988 aufgehoben.
4) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Ende der Entscheidung
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