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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.01.1999
Aktenzeichen: C-181/96
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 857/84


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 857/84
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Verletzung der Nichtvermarktungspflicht, die sich aus der von einem Erzeuger aufgrund der Verordnung Nr. 1078/77 zur Einführung einer Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände eingegangenen Verpflichtung ergibt, führt zum Verlust der aufgrund der Verordnung Nr. 1078/77 gewährten Prämie und schließt die Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge nach Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 über Grundregeln für die Anwendung der zusätzlichen Abgabe für Milch aus.

Die Verletzung einer oder mehrerer sonstiger - mit der Nichtvermarktungs- oder Umstellungsregelung verbundener - Pflichten führt zwar ebenfalls zum Verlust der Prämie, ändert jedoch nichts am Anspruch eines Erzeugers auf Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge, wenn er die Vermarktung tatsächlich aufgrund dieser Regelung eingestellt hat.

Für den Fall, daß nur ein Teil der Milch unter Verletzung der eingegangenen Verpflichtung vermarktet worden ist, behält der Erzeuger, der den Prämienanspruch verliert, gleichwohl den Anspruch auf eine spezifische Referenzmenge, sofern er sich auf sein berechtigtes Vertrauen berufen kann, d. h. nur insoweit, als er seiner Nichtvermarktungspflicht nachgekommen ist. Der sich daraus ergebende Ausschluß von der Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge in einem der Verletzung entsprechenden Umfang ist im übrigen auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, da er sich gegenüber dem Zweck der besagten Vorschrift der Verordnung Nr. 857/84 in der Fassung der Verordnung Nr. 1639/91, den Betriebsinhabern, die die Vermarktung aufgrund der gemäß der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangenen Verpflichtung eingestellt haben, die Wiederaufnahme ihrer Erzeugung zu ermöglichen, nicht als offensichtlich unangemessen darstellt.


Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 28. Januar 1999. - Georg Wilkens gegen Landwirtschaftskammer Hannover. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesverwaltungsgericht - Deutschland. - Zusätzliche Abgabe für Milch - Spezifische Referenzmenge - Nichtvermarktungs- und Umstellungsverpflichtung - Pflichten - Verstoß - Widerruf der Umstellungsprämie - Rückwirkende Entziehung einer spezifischen Referenzmenge. - Rechtssache C-181/96.

Parteien:

In der Rechtssache C-181/96

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Georg Wilkens

gegen

Landwirtschaftskammer Hannover,

Beteiligter: Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht,

"vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung und die Gültigkeit von Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 90, S. 13) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1639/91 des Rates vom 13. Juni 1991 Nr. 857/84 (ABl. L 150, S. 35)

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten G. Hirsch (Berichterstatter) sowie der Richter G. F. Mancini und R. Schintgen,

Generalanwalt: P. Léger

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- von Herrn Wilkens, vertreten durch Rechtsanwalt Frank Schulze, Münster,

- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch Jan-Peter Hix, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Klaus-Dieter Borchardt, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Wilkens, vertreten durch Rechtsanwältin Mechtild Düsing, Münster, des Rates, vertreten durch Jan-Peter Hix, und der Kommission, vertreten durch Klaus-Dieter Borchardt, in der Sitzung vom 18. Juni 1998,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. September 1998,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 21. März 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Mai 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit von Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 90, S. 13) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1639/91 des Rates vom 13. Juni 1991 zur Änderung der Verordnung Nr. 857/84 (ABl. L 150, S. 35; im folgenden: Verordnung Nr. 857/84) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Wilkens, einem Milcherzeuger, (im folgenden: Kläger) und der Landwirtschaftskammer Hannover (im folgenden: Beklagte) über die rückwirkende Aufhebung eines Bescheides über die vorläufige Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge im Anschluß an den Widerruf der Umstellungsprämie, die dem Kläger aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 des Rates vom 17. Mai 1977 zur Einführung einer Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände (ABl. L 131, S. 1) gewährt worden war.

3 Angesichts der Produktionsüberschüsse in dem durch die Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13) geregelten Sektor Milch und Milcherzeugnisse erließ der Rat am 17. Mai 1977 die Verordnung Nr. 1078/77, mit der die Landwirte ermuntert werden sollten, die Milcherzeugung aufzugeben.

4 Nach dieser Verordnung konnte jeder Betriebsinhaber, der sich verpflichtete, entweder während eines Zeitraums von fünf Jahren keine Milch oder Milcherzeugnisse zu vermarkten oder während eines Zeitraums von vier Jahren seinen Milchviehbestand auf die Produktion von Fleisch umzustellen, eine Nichtvermarktungs- oder Umstellungsprämie erhalten. Die schriftliche Verpflichtung des Erzeugers umfaßte die Pflicht, keine Milch oder Milcherzeugnisse zu vermarkten, sowie weitere zusätzliche Pflichten, die sich aus der Nichtvermarktungsregelung ergaben.

5 Um eine möglichst einheitliche Anwendung dieser Regelung zu gewährleisten, erließ die Kommission die Verordnung (EWG) Nr. 1307/77 vom 15. Juni 1977 mit Durchführungsbestimmungen zur Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchbestände (ABl. L 150, S. 24).

6 1984 wurde wegen des fortbestehenden Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Milchsektor durch die Verordnung (EWG) Nr. 856/84 des Rates vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung Nr. 804/68 (ABl. L 90, S. 10) und die Verordnung Nr. 857/84 eine zusätzliche Abgabe eingeführt. Gemäß Artikel 5c der Verordnung Nr. 804/68 wird eine Zusatzabgabe auf Milchmengen erhoben, die eine bestimmte Referenzmenge übersteigen; letztere wird anhand der Milch- oder Milchäquivalenzmengen, die ein Erzeuger in einem Referenzjahr geliefert hat oder die ein Käufer im gleichen Zeitraum erworben hat, berechnet. In Deutschland ist der Erzeuger Schuldner der Abgabe.

7 Erzeuger, die eine sich auf das Referenzjahr erstreckende Nichtvermarktungs- oder Umstellungsverpflichtung nach der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangen waren, konnten nach der ursprünglichen Zusatzabgabenregelung keine Referenzmenge erhalten, da sie im Referenzjahr keine Milch erzeugt hatten.

8 Im Anschluß an die Urteile vom 28. April 1988 in den Rechtssachen 120/86 (Mulder, Slg. 1988, 2321) und 170/86 (Von Deetzen, Slg. 1988, 2355) wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 764/89 des Rates vom 20. März 1989 zur Änderung der Verordnung Nr. 857/84 (ABl. L 84, S. 2) in die Verordnung Nr. 857/84 ein neuer Artikel 3a eingefügt; er sah vor, daß dieser Erzeugergruppe unter bestimmten Umständen eine spezifische Referenzmenge gewährt wurde.

9 Auf die Urteile vom 11. Dezember 1990 in den Rechtssachen C-189/89 (Spagl, Slg. 1990, I-4539) und C-217/89 (Pastätter, Slg. 1990, I-4585) hin wurde Artikel 3a Absatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 durch die Verordnung Nr. 1639/91 geändert. Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 bestimmt nunmehr:

"Erzeuger,

- deren Nichtvermarktungs- oder Umstellungszeitraum in Erfuellung der gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 eingegangenen Verpflichtung im Jahr 1983... abgelaufen ist,...

...

erhalten auf Antrag, der innerhalb von drei Monaten ab dem 1. Juli 1991 einzureichen ist, unter den unter den Buchstaben a), b) und d) genannten Voraussetzungen vorläufig eine spezifische Referenzmenge."

10 Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 30. Juni 1981 eine Prämie für die Umstellung seines Milchkuhbestands auf Schlachtvieh.

11 Nachdem bei Betriebsprüfungen Unregelmäßigkeiten bei der Abschlachtung der Milchkühe festgestellt worden waren, hob die Bezirksregierung Hannover 1983 den Bescheid über die Bewilligung der Prämie an den Kläger auf und forderte die erste Prämienrate zuzüglich Zinsen zurück.

12 Die vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 11. September 1985 abgewiesen; die dagegen eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 26. April 1990 zurückgewiesen. Beide Urteile wurden rechtskräftig.

13 Im Juni 1989 beantragte der Kläger im Hinblick auf eine Wiederaufnahme der Milchproduktion die Zuteilung einer vorläufigen spezifischen Referenzmenge. Die Beklagte bescheinigte ihm, daß die rechtlichen Voraussetzungen für die Zuteilung einer solchen spezifischen Referenzmenge erfuellt seien; sie behielt sich jedoch vor, die Bescheinigung zu widerrufen, falls das vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg in dieser Sache anhängige Verfahren zu einer Herabsetzung der Prämie oder der ihrer Berechnung zugrunde liegenden Milchmenge führe.

14 Nachdem der Bescheid über den Widerruf der Umstellungsprämie durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 26. April 1990 bestätigt worden war, hob die Beklagte dementsprechend mit Bescheid vom 13. Juli 1992 die genannte Bescheinigung auf. Unter diesen Umständen konnte dem Kläger keine spezifische Referenzmenge zugeteilt werden.

15 Seine Klage gegen die Aufhebung des Bescheides wurde vom Verwaltungsgericht Hannover abgewiesen; ebenso wurde die beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen.

16 Der Kläger legte daraufhin gegen das Urteil Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein.

17 Das Bundesverwaltungsgericht hatte Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Artikels 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84, insbesondere hinsichtlich der Formulierung "in Erfuellung der gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 eingegangenen Verpflichtung", sowie an der Gültigkeit dieser Vorschrift, da Prämienwiderruf und Nichtgewährung einer spezifischen Referenzmenge möglicherweise eine doppelte Sanktion darstellten; es hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen vorgelegt:

1. Schließt Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1639/91 die Gewährung einer vorläufigen spezifischen Referenzmenge an Erzeuger aus, deren Nichtvermarktungs- oder Umstellungsprämie wegen Verstoßes gegen die eingegangene Verpflichtung zurückgefordert worden ist?

2. Wenn ja, ist diese Regelung mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit vereinbar?

18 Mit diesen beiden gemeinsam zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 dahin auszulegen ist, daß ein Milcherzeuger, dem der Anspruch auf die nach der Verordnung Nr. 1078/77 gewährte Nichtvermarktungs- oder Umstellungsprämie wegen einer angeblichen Verletzung der von ihm eingegangenen Verpflichtung, während eines Zeitraums von fünf Jahren keine Milch oder Milcherzeugnisse zu vermarkten, aberkannt worden ist, eine spezifische Referenzmenge erhalten kann und ob, wenn dies nicht der Fall ist, die Verweigerung einer spezifischen Referenzmenge mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.

19 Vorab ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes hinzuweisen, nach der eine Bestimmung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts möglichst so auszulegen ist, daß sie mit dem Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere, was Artikel 3a der Verordnung Nr. 857/84 anlangt, mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar ist (Urteil vom 27. Januar 1994 in der Rechtssache C-98/91, Herbrink, Slg. 1994, I-223, Randnr. 9).

20 Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 läßt sich anhand seines Wortlauts nicht klar und zweifelsfrei auslegen. Die Voraussetzung, daß der Umstellungszeitraum "in Erfuellung der gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 eingegangenen Verpflichtung" abgelaufen sein muß, kann nämlich sowohl so verstanden werden, daß der betreffende Erzeuger die verschiedenen Pflichten, die sich aus der im Rahmen der Umstellungsregelung eingegangenen Verpflichtung ergeben, erfuellt haben muß, als auch in der Weise aufgefaßt werden, daß der Anspruch des Erzeugers auf eine spezifische Referenzmenge allein durch den Ablauf des Verpflichtungszeitraums eröffnet wird.

21 Nach der Zielsetzung der Regelung über die Prämien und die spezifischen Referenzmengen sollen sowohl die durch die Verordnung Nr. 1078/77 eingeführte Regelung als auch die in der Verordnung Nr. 857/84 vorgesehene Zusatzabgabenregelung die Überschüsse von Milch und Milcherzeugnissen auf dem Markt verringern und das Gleichgewicht auf dem Milchmarkt wiederherstellen, indem sie den Landwirten einen Anreiz dafür bieten, während eines bestimmten Zeitraums auf die Vermarktung von Milch und Milcherzeugnissen zu verzichten (vgl. in bezug auf die Prämienregelung Urteile vom 22. September 1988 in der Rechtssache 199/87, Jensen, Slg. 1988, 5045, Randnr. 30, und vom 6. Juni 1996 in der Rechtssache C-127/94, Ecroyd, Slg. 1996, I-2731, Randnr. 47).

22 Der im Anschluß an die zitierten Urteile Mulder und Von Deetzen durch die Verordnung Nr. 764/89 eingefügte Artikel 3a der Verordnung Nr. 857/84 entspricht dieser Zielsetzung jedoch nicht. Diese Vorschrift trägt nämlich nicht zu einer Verringerung der Milcherzeugnisse bei, da sie es den Erzeugern, die eine Verpflichtung nach der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangen sind, erlaubt, ihre Erzeugung im Rahmen der Zusatzabgabenregelung wiederaufzunehmen.

23 Die Wiederaufnahme der Milcherzeugung durch diese Gruppe von Erzeugern ist allerdings nur für den Fall vorgesehen, daß sie durch den Ausschluß in ihrem berechtigten Vertrauen auf eine Wiederaufnahme der Lieferungen nach dem Auslaufen ihrer Nichtvermarktungs- oder Umstellungsverpflichtung verletzt worden sind (vgl. die zitierten Urteile Mulder, Randnr. 26, und Von Deetzen, Randnr. 15).

24 Ferner kann sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nur der Erzeuger, der durch die mit der Verordnung Nr. 1078/77 eingeführte Regelung veranlaßt worden ist, die Milchvermarktung für eine begrenzte Zeit im Allgemeininteresse einzustellen, und der deswegen während der Dauer seiner Verpflichtung keine Lieferungen vorgenommen hat, auf den Schutz seines berechtigten Vertrauens berufen, um die Gewährung einer spezifischen Referenzmenge nach Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 zu verlangen (vgl. die zitierten Urteile Mulder, Randnr. 24, und Von Deetzen, Randnr. 13).

25 Die Nichtvermarktung ist somit eine wesentliche Voraussetzung für die Geltendmachung eines Anspruchs auf eine spezifische Referenzmenge nach Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84; gleichzeitig stellt sie jedoch auch das wesentliche Kriterium für die Gewährung der Prämie dar, und es entspricht sowohl diesem Kriterium als auch dem Ziel der durch die Verordnung Nr. 1078/77 eingeführten Regelung, wenn die eingegangene Verpflichtung tatsächlich eingehalten wird (Urteil Ecroyd, Randnrn. 48 f.).

26 Die Verletzung der Pflicht, während des Verpflichtungszeitraums keine Milch und Milcherzeugnisse zu vermarkten, führt folglich zum Verlust der aufgrund der Verordnung Nr. 1078/77 gewährten Prämie (Urteil Jensen, Randnrn. 27 und 30) und schließt die Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge nach Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 aus.

27 Der Verlust der Prämie ist allerdings nicht immer die Folge einer Verletzung allein der Pflicht, im Umstellungszeitraum nichts zu vermarkten. Der Widerruf der Prämien, der die erfolgreiche Anwendung der Prämienregelung gewährleisten soll, muß nämlich nicht ausschließlich auf einer Verletzung der Pflicht beruhen, keine Milch oder Milcherzeugnisse zu vermarkten, sondern kann auch auf der Nichterfuellung sonstiger Pflichten beruhen, die sich aus der aufgrund dieser Regelung eingegangenen Verpflichtung ergeben (Urteile Jensen, Randnr. 30, und Ecroyd, Randnr. 50).

28 Die Verletzung einer oder mehrerer dieser sonstigen - mit der Nichtvermarktungs- oder Umstellungsregelung verbundenen - Pflichten, die zum Verlust der Prämie führt, ändert jedoch nichts am Anspruch eines Erzeugers auf Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge nach Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84.

29 Wäre dies nämlich der Fall, dann hätte ein Milcherzeuger keine Möglichkeit, eine spezifische Referenzmenge zu erhalten, obwohl er die Vermarktung von Milch- und Milcherzeugnissen tatsächlich eingestellt hat und damit im Allgemeininteresse dazu beigetragen hat, daß das Ziel der Prämienregelung, nämlich die Verringerung der Überschüsse, erreicht wird.

30 Ein solcher - auf dem Verlust des Prämienanspruchs infolge der Verletzung einer oder mehrerer dieser sonstigen Pflichten beruhender - Ausschluß wäre jedoch mit dem Regelungszweck des Artikels 3a der Verordnung Nr. 857/84 unvereinbar. Danach soll nämlich ein Erzeuger seine Lieferungen lediglich dann wiederaufnehmen können, wenn er darauf berechtigterweise vertrauen durfte, weil er seine Erzeugung tatsächlich im Rahmen der Nichtvermarktungs- oder Umstellungsregelung eingestellt hat.

31 Ein Erzeuger behält somit das Recht auf eine spezifische Referenzmenge, wenn, ungeachtet der Verletzung einer oder mehrerer der sonstigen mit der Nichtvermarktungs- oder Umstellungsregelung zusammenhängenden Pflichten, die den Verlust der Prämie nach sich zieht, das Ziel der durch die Verordnung Nr. 1078/77 eingeführten Regelung erreicht worden ist.

32 Im vorliegenden Fall haben Rat und Kommission einen sachlichen Widerspruch zwischen dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 26. April 1990, das den Rechtsstreit über die Aufhebung des Prämienbescheids beendet hat, und dem Beschluß des vorlegenden Gerichts festgestellt, was die Art der Pflicht bzw. der Pflichten angeht, gegen die der Kläger verstoßen hat.

33 Dazu ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof gemäß Artikel 177 des Vertrages, der auf einer klaren Trennung der Aufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, nur befugt ist, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift zu äußern (vgl. u. a. Urteile vom 2. Juni 1994 in der Rechtssache C-30/93, AC-ATEL Electronics, Slg. 1994, I-2305, Randnr. 16, und vom 1. Dezember 1998 in der Rechtssache C-326/96, Levez, Slg. 1998, I-0000, Randnr. 26).

34 Vor diesem Hintergrund ist es nicht Sache des Gerichtshofes, sondern des vorlegenden Gerichts, die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen und daraus die Schlußfolgerungen für die von ihm zu erlassende Entscheidung zu ziehen (vgl. Urteil vom 29. April 1982 in der Rechtssache 17/81, Pabst & Richarz, Slg. 1982, 1331, Randnr. 12, und das zitierte Urteil AC-ATEL Electronics, Randnr. 17).

35 Somit hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, welche Pflichten aus der Nichtvermarktungs- und Umstellungsregelung der Kläger tatsächlich nicht erfuellt hat.

36 Für den Fall, daß nur ein Teil der Milch unter Verletzung der im Rahmen der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangenen Verpflichtung vermarktet worden ist, ist darauf hinzuweisen, daß ein Erzeuger den Anspruch auf eine spezifische Referenzmenge nach Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 behält, sofern er sich auf sein berechtigtes Vertrauen berufen kann, d. h. nur insoweit, als er seiner Pflicht nachgekommen ist, keine Milch oder Milcherzeugnisse zu vermarkten, und damit dazu beigetragen hat, den Zweck des Nichtvermarktungs- und Umstellungsprogramms zu erreichen.

37 Anders als bei der Regelung über die Umstellungsprämien, nach der selbst eine nur teilweise Verletzung der eingegangenen Verpflichtung die Rechtfertigung und die Rechtsgrundlage für die Gewährung der Prämie sowie das Recht, sie zu behalten, entfallen läßt (zitiertes Urteil Jensen, Randnr. 30) führt mithin eine teilweise Verletzung der Nichtvermarktungspflicht nur in einem der Verletzung entsprechenden Umfang zum Ausschluß eines Milcherzeugers von der Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge. Soweit er seine Nichtvermarktungspflicht eingehalten hat, kann er also eine spezifische Referenzmenge in Anspruch nehmen.

38 Wie der Generalanwalt in Nummer 46 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, kann eine solche teilweise Versagung einer spezifischen Referenzmenge nicht als Sanktion betrachtet werden. Sie ist lediglich die zwangsläufige Folge des Systems der spezifischen Referenzmengen, nach dem eine solche Menge nur gewährt wird, soweit der Erzeuger hierauf berechtigterweise vertrauen kann.

39 Somit kann dem Vorbringen des Klägers, durch die Rückforderung der Prämie und die Versagung einer spezifischen Referenzmenge einer doppelten Sanktion unterworfen zu sein, nicht gefolgt werden.

40 Diese Auslegung des Artikels 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 ist schließlich auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar. Die Bemessung - und der etwaige Verlust - der spezifischen Referenzmenge nach Maßgabe der Milchmenge, die unter Verletzung der vom Erzeuger eingegangenen Verpflichtung vermarktet worden ist, stellt sich nämlich gegenüber dem Zweck der fraglichen Vorschrift, den Betriebsinhabern, die die Vermarktung aufgrund einer solchen Verpflichtung eingestellt haben, die Wiederaufnahme ihrer Erzeugung zu ermöglichen, nicht als offensichtlich unangemessen dar. Soweit die Kürzung der spezifischen Referenzmenge genau dem Umfang des Verstoßes gegen diese Verpflichtung entspricht, kann somit nicht angenommen werden, daß sie dem genannten Zweck zuwiderläuft.

41 Da diese Auslegung des Artikels 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 auf den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit aufbaut, braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob die Versagung einer spezifischen Referenzmenge mit diesen Grundsätzen vereinbar ist.

42 Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 857/84 dahin auszulegen ist, daß ein Milcherzeuger, dem der Anspruch auf die nach der Verordnung Nr. 1078/77 gewährte Nichtvermarktungs- oder Umstellungsprämie wegen einer angeblichen Verletzung der von ihm eingegangenen Verpflichtung, keine Milch oder Milcherzeugnisse zu vermarkten, aberkannt worden ist, eine der Einhaltung und Erfuellung dieser Verpflichtung entsprechende spezifische Referenzmenge erhält.

Kostenentscheidung:

Kosten

43 Die Auslagen des Rates und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Zweite Kammer)

auf die ihm vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 21. März 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 3a Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1639/91 des Rates vom 13. Juni 1991 ist dahin auszulegen, daß ein Milcherzeuger, dem der Anspruch auf die nach der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 des Rates vom 17. Mai 1977 zur Einführung einer Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände gewährte Nichtvermarktungs- oder Umstellungsprämie wegen einer angeblichen Verletzung der von ihm eingegangenen Verpflichtung, keine Milch oder Milcherzeugnisse zu vermarkten, aberkannt worden ist, eine der Einhaltung und Erfuellung dieser Verpflichtung entsprechende spezifische Referenzmenge erhält.

Ende der Entscheidung

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