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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.10.1991
Aktenzeichen: C-183/90
Rechtsgebiete: Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen und Handelssachen


Vorschriften:

Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen und Handelssachen Art. 38
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen und Handelssachen Art. 37 Abs. 2
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen und Handelssachen Art. 31 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Entscheidung nach Artikel 38 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, durch die das mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung befasste Gericht die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt und die Leistung einer Sicherheit durch den Gläubiger angeordnet hat, ist keine "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens und kann daher nicht mit der Kassationsbeschwerde oder einem ähnlichen Rechtsbehelf angefochten werden. Das gilt unabhängig davon, ob die gemäß Artikel 38 des Übereinkommens getroffene Entscheidung und die "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens sich in ein und demselben Gerichtsentscheid finden.

2. Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens muß eng ausgelegt werden, weil sonst sowohl die Wirksamkeit des Artikels 31 beeinträchtigt würde, der dem Grundsatz folgt, daß die in einem Vertragsstaat ergangenen und dort vollstreckbaren Entscheidungen in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt werden können, auch wenn sie nicht rechtskräftig sind, als auch die Wirksamkeit des Artikels 34 Absatz 3, der es den Gerichten des Vollstreckungsstaats verbietet, die im Ursprungsstaat ergangene Entscheidung in der Sache selbst nachzuprüfen.

Das mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung befasste Gericht darf daher bei seiner Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens nur solche Gründe berücksichtigen, die der Rechtsbehelfsführer vor dem Gericht des Ursprungsstaats nicht vorbringen konnte.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 4. OKTOBER 1991. - B. J. VAN DALFSEN UND ANDERE GEGEN B. VAN LOON UND T. BERENDSEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - BRUESSELER UEBEREINKOMMEN - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 37 UND 38. - RECHTSSACHE C-183/90.

Entscheidungsgründe:

1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Beschluß vom 1. Juni 1990, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 11. Juni 1990, aufgrund des Protokolls vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (ABl. 1972, L 299, S. 32, im folgenden: "Übereinkommen") drei Fragen zur Auslegung der Artikel 37 Absatz 2 und 38 Absatz 1 des Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen B. J. van Dalfsen, J. Timmermann, H. van Dalfsen, J. Harmke, G. van Dalfsen (Kläger), allesamt wohnhaft in den Niederlanden, einerseits, und B. van Loon sowie T. Berendsen (Beklagte), beide wohnhaft in Belgien, andererseits.

3 Aus den dem Gerichtshof übersandten Akten geht hervor, daß der Vrederechter des Kantons Herentals mit Urteil vom 21. Oktober 1986 die von den Klägern erhobene Klage gegen die Beklagten auf Aufhebung des Mietvertrags zwischen den Parteien abwies, aber den Hilfsantrag auf Erstattung der von den Klägern in das angemietete Grundstück dauerhaft investierten Kosten für begründet erklärte und zugleich ein Gutachten zu deren Höhe anforderte. Auf die Widerklage der Beklagten verurteilte der Vrederechter die Kläger, den Beklagten 2 700 000 BFR an Mietrückständen zuzueglich Zinsen zu zahlen. Dieses Urteil wurde für "vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung und ungeachtet aller Rechtsmittel" erklärt.

4 Am 17. Dezember 1986 legten die Kläger beim Tribunal de première instance Turnhout (Belgien) Berufung gegen den sie beschwerenden Teil dieses Urteils ein.

5 Die Beklagten beantragten beim Präsidenten der Arrondissementsrechtbank Zwolle (Niederlande) gemäß Artikel 31 des Übereinkommens die Vollstreckbarerklärung des Urteils des belgischen Vrederechter für die Niederlande. Mit Entscheidung vom 23. Januar 1987 ließ der Präsident der Arrondissementsrechtbank die Zwangsvollstreckung zu.

6 Gegen diese Entscheidung legten die Kläger am 2. April 1987 einen Rechtsbehelf gemäß Artikel 36 des Übereinkommens bei der Arrondissementsrechtbank Zwolle ein. Im Rahmen dieses Rechtsbehelfs beantragten sie lediglich, die Arrondissementsrechtbank solle gemäß Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens die Entscheidung über den Rechtsbehelf aussetzen, und beriefen sich darauf, daß sie gegen das Urteil des Vrederechter von Herentals Berufung eingelegt und eine Bankbürgschaft zur Sicherung des Betrages geleistet hätten, zu dessen Zahlung an die Beklagten sie in diesem Urteil verurteilt worden seien; sie wiesen ferner darauf hin, daß ihrem Hilfsantrag auf Zahlung grundsätzlich entsprochen und dieser nach Maßgabe eines vorläufigen Gutachtens auf 477 954 BFR veranschlagt worden sei.

7 Mit Urteil vom 13. April 1988 wies die Arrondissementsrechtbank Zwolle den Antrag auf Aussetzung mit der Begründung zurück, die Kläger hätten sich zur Begründung dieses Antrags auf keine anderen Gründe als diejenigen gestützt, die bereits das ausländische Gericht bei seiner Entscheidung habe zugrundelegen können; mit dem gleichen Urteil wies die Arrondissementsrechtbank den Rechtsbehelf als unbegründet zurück und ließ daher die Vollstreckung des Urteils des belgischen Vrederechter in den Niederlanden zu, machte allerdings zugleich die Vollstreckung gemäß Artikel 38 letzter Absatz des Übereinkommens von der Stellung einer Bankbürgschaft in Höhe von 478 000 BFR bis zur endgültigen Entscheidung über den hilfsweise gestellten Klageantrag der Kläger abhängig.

8 Die Kläger legten gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden ein. Mit ihrem einzigen Beschwerdegrund beanstandeten sie, die Arrondissementsrechtbank sei von einem falschen Verständnis des Umfangs der Befugnisse ausgegangen, die Artikel 38 des Übereinkommens dem "mit dem Rechtsbehelf befassten Gericht" verleihe. Das nach Maßgabe dieser Vorschrift entscheidende Gericht habe nämlich alle Umstände zu berücksichtigen, die das ausländische Gericht bereits bei seiner Entscheidung habe würdigen können, und insbesondere die Erfolgsaussichten eines ordentlichen Rechtsbehelfs zu beurteilen, der in einem anderen Vertragsstaat eingelegt sei oder eingelegt werden solle.

9 Der Hoge Raad warf vorab die Frage auf, ob das angefochtene Urteil im Sinne von Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens als eine "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", zu betrachten sei; anderenfalls sei die Kassationsbeschwerde der Kläger unzulässig. Bei Bejahung der Frage hingegen sei die Begründetheit dieses Rechtsbehelfs zu prüfen; dann stelle sich das Problem des Umfangs der Befugnisse, die Artikel 38 des Übereinkommens dem "mit dem Rechtsbehelf befassten Gericht" zuerkennt.

10 Da der Rechtsstreit somit nach seinem Dafürhalten Fragen der Auslegung des Übereinkommens aufwarf, hat der Hoge Raad der Nederlanden mit Beschluß vom 1. Juni 1990 aufgrund des Protokolls vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof über die folgenden Fragen entschieden hat:

1) Können Entscheidungen des "mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts" darüber, ob es von den ihm in Artikel 38 des Übereinkommens zuerkannten Befugnissen, gegebenenfalls in bestimmter Weise, Gebrauch macht, als "Entscheidungen, die über den Rechtsbehelf ergangen sind", angesehen werden, gegen die gemäß Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens in den Niederlanden Kassationsbeschwerde eingelegt werden kann?

2) Ist die erste Frage anders zu beantworten, wenn die dort genannten, auf Artikel 38 des Übereinkommens beruhenden Entscheidungen nicht in dem (End-)Urteil ihren Niederschlag finden, mit dem über den Rechtsbehelf entschieden wird?

3) Kann das "mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht" von den ihm in Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens zuerkannten Befugnissen

a) auch dann Gebrauch machen, wenn der Rechtsbehelfsführer seinen Antrag auf Aussetzung der Entscheidung oder darauf, daß die Zulassung der Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht wird, auf keine anderen als diejenigen Gründe stützt, die das ausländische Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen konnte;

b) nur dann Gebrauch machen, wenn der genannte Antrag unter anderem oder ausschließlich auf Gründe gestützt wird, die im Verfahren vor dem ausländischen Gericht nicht vorgebracht wurden, oder

c) nur dann Gebrauch machen, wenn der Antrag unter anderem oder ausschließlich auf Gründe gestützt wird, die im Verfahren vor dem ausländischen Gericht deshalb nicht vorgebracht werden konnten, weil die dem Antrag zugrunde liegenden Tatsachen dem Rechtsbehelfsführer damals noch unbekannt waren?

11 Wegen einer eingehenderen Darstellung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

12 Vorab ist daran zu erinnern, daß Artikel 37 Absatz 2 und 38 Absatz 1 des Übereinkommens Teil des Abschnitts 2 des Titels III dieses Übereinkommens sind, der sich mit der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen befasst, die im Ursprungsstaat vollstreckbar sind.

13 Nach Artikel 31 des Übereinkommens werden solche Entscheidungen in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten durch das gemäß Artikel 32 des Übereinkommens zuständige Gericht nach Maßgabe der Artikel 33 bis 35 und 42 bis 45 dieses Übereinkommens für vollstreckbar erklärt worden sind. Gemäß Artikel 34 des Übereinkommens erhält die Partei, gegen die Vollstreckung betrieben wird, in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit zur Abgabe einer Erklärung; der Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann nur aus einem der in den Artikeln 27 und 28 des Übereinkommens angeführten Gründen abgelehnt werden; die ausländische Entscheidung darf nicht in der Sache selbst nachgeprüft werden.

14 Wird die Vollstreckung zugelassen, so kann der Schuldner gemäß Artikel 36 des Übereinkommens bei einem der in Artikel 37 Absatz 1 aufgeführten Gerichte gegen diese Entscheidung einen Rechtsbehelf einlegen. Nach Artikel 39 des Übereinkommens darf die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht über Maßnahmen zur Sicherung hinausgehen, solange die Frist für den Rechtsbehelf läuft und solange nicht über den Rechtsbehelf entschieden ist.

15 Ist gegen die ausländische Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, im Ursprungsstaat ein Rechtsbehelf eingelegt oder die Frist für einen solchen Rechtsbehelf noch nicht verstrichen, so kann gemäß Artikel 38 des Übereinkommens das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht des Vollstreckungsstaats auf Antrag der Partei, die den Rechtsbehelf gemäß Artikel 36 eingelegt hat, das Verfahren aussetzen. Gemäß Artikel 38 letzter Absatz des Übereinkommens kann dieses Gericht auch die Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig machen.

16 Gemäß Artikel 37 Absatz 2 kann gegen die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist, nur Kassationsbeschwerde oder ein ähnlicher Rechtsbehelf eingelegt werden.

Zur ersten und zweiten Frage

17 Mit seinen beiden ersten Vorlagefragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, daß eine Entscheidung gemäß Artikel 38 des Übereinkommens, mit der das mit einem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung eines in einem anderen Vertragsstaat ergangenen Urteils befasste Gericht die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt und die Leistung einer Sicherheit durch den Gläubiger angeordnet hat, als "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens anzusehen ist, so daß gegen sie Kassationsbeschwerde oder ein ähnlicher Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Das vorlegende Gericht will ferner wissen, ob die Antwort auf diese Frage davon abhängt, ob die gemäß Artikel 38 des Übereinkommens getroffene Entscheidung und die "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist" (Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens), sich in ein und demselben Gerichtsentscheid finden oder nicht.

18 Das Übereinkommen enthält keine Definition der "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens.

19 Der Gerichtshof hat sich für eine restriktive Auslegung des Begriffs "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", in Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens ausgesprochen und in dem Urteil vom 27. November 1984 in der Rechtssache 258/83 (Brennero/Wendel, Slg. 1984, 3971, Randnr. 15) für Recht erkannt, daß "nach dem Gesamtsystem des Übereinkommens und im Lichte eines seiner Hauptziele, das Verfahren im Vollstreckungsstaat zu vereinfachen", diese Vorschrift des Übereinkommens "nicht in der Weise ausgedehnt werden kann, daß ein Rechtsmittel gegen eine andere Entscheidung als die, die über den Rechtsbehelf ergangen ist, zum Beispiel ein Rechtsmittel gegen eine vorbereitende oder Zwischenentscheidung über die Anordnung einer Beweiserhebung, zulässig wäre".

20 Der aus Anlaß der Erarbeitung des Übereinkommens erstellte Sachverständigenbericht (ABl. 1979, C 59, S. 1) hat ebenfalls die Notwendigkeit einer engen Auslegung des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens unterstrichen. Nach diesem Bericht würde "eine Häufung von Rechtsbehelfen, die von der unterlegenen Partei nur in der Absicht benutzt werden könnten, das Verfahren zu verschleppen,... eine Behinderung der von dem Übereinkommen erstrebten Freizuegigkeit der Urteile bedeuten".

21 Aus dem Vorstehenden ergibt sich mit Rücksicht auf den Umstand, daß das Übereinkommen die Freizuegigkeit gerichtlicher Entscheidungen durch die Einrichtung eines einfachen und schnellen Verfahrens im Vollstreckungsstaat erleichtern will, daß der Ausdruck "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", in Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens nur die Entscheidungen meint, die über die Begründetheit des Rechtsbehelfs gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung befinden, nicht aber die Entscheidungen, die nach Artikel 38 des Übereinkommens ergehen.

22 Zu ergänzen ist, daß auch für den Fall, daß die Entscheidung, die die Aussetzung des Verfahrens versagt oder die Leistung einer Sicherheit anordnet, in dem gleichen Gerichtsentscheid enthalten sein sollte wie die Entscheidung, mit der über die Begründetheit des Rechtsbehelfs gegen die Zulassung der Vollstreckung entschieden wird, die jeweils gemäß Artikel 36 bzw. gemäß Artikel 38 des Übereinkommens angestrengten Verfahren nichtsdestoweniger einen anderen Gegenstand betreffen.

23 Das Verfahren des Rechtsbehelfs gemäß Artikel 36 betrifft nämlich die Rechtsfrage, ob im Hinblick auf die in den Artikeln 27 und 28 des Übereinkommens abschließend angeführten Gründe die Zulassung der Vollstreckung zu Recht erfolgt ist, während die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens oder über die Leistung einer Sicherheit nach Artikel 38 eine Hilfsmaßnahme ist, die den späteren Ablauf des Verfahrens regeln soll und einen Ausgleich der jeweiligen Interessen von Gläubiger und Schuldner voraussetzt.

24 Unter diesen Umständen kann eine gemäß Artikel 38 des Übereinkommens ergehende Entscheidung nicht als Entscheidung behandelt werden, mit der der Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung zurückgewiesen oder ihm stattgegeben wird, mag sie auch formell gesehen Teil des gleichen Gerichtsentscheids wie die letztgenannte Entscheidung sein.

25 Daraus folgt, daß eine auf Artikel 38 des Übereinkommens gestützte Entscheidung, selbst wenn sie in dem gleichen Gerichtsentscheid enthalten ist wie die Entscheidung, mit der über die Begründetheit des Rechtsbehelfs gegen die Zulassung der Vollstreckung entschieden wurde, nicht als "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens betrachtet und daher nicht mit der Kassationsbeschwerde angefochten werden kann.

26 Auf die erste und die zweite Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu antworten, daß eine Entscheidung nach Artikel 38 des Übereinkommens, durch die das mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung befasste Gericht die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt und die Leistung einer Sicherheit durch den Gläubiger angeordnet hat, keine "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens ist und daher nicht mit der Kassationsbeschwerde oder einem ähnlichen Rechtsbehelf angefochten werden kann. Das gilt unabhängig davon, ob die gemäß Artikel 38 des Übereinkommens getroffene Entscheidung und die "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens sich in ein und demselben Gerichtsentscheid finden.

Zur dritten Frage

27 Mit der dritten Vorlagefrage will das vorlegende Gericht wissen, ob das mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidung befasste Gericht bei seiner Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 38 des Übereinkommens nur die Gründe berücksichtigen darf, die der Rechtsbehelfsführer im Verfahren vor dem Gericht des Ursprungsstaats nicht vorbringen konnte, oder ob dieses Gericht bei dieser Entscheidung auch Gründe, die bei dem ausländischen Gericht bereits vorgebracht wurden, sowie solche Gründe berücksichtigen darf, die diesem Gericht bei seiner Entscheidung nicht bekannt waren, weil der Rechtsbehelfsführer sie nicht vorgebracht hatte.

28 Artikel 31 Absatz 1 des Übereinkommens folgt dem Grundsatz, daß die im Ursprungsstaat ergangenen und dort vollstreckbaren Entscheidungen in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt werden können, auch wenn sie nicht rechtskräftig sind.

29 Die Befugnis zur Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens, die dem mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung befassten Gericht zuerkannt ist, stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Wie aus dem aus Anlaß der Erarbeitung des Übereinkommens erstellten Sachverständigenbericht hervorgeht, soll diese Ausnahme den Schutz des Schuldners vor Schäden ermöglichen, die aus der Vollstreckung noch nicht rechtskräftiger, später abgeänderter Entscheidungen entstehen können; sie dient damit als Gegengewicht zu dem einseitigen Charakter des Anerkennungsverfahrens nach den Artikeln 31 ff. des Übereinkommens.

30 Hieraus ergibt sich, daß Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens als Ausnahmevorschrift eng ausgelegt werden muß, weil sonst die Wirksamkeit des Artikels 31 des Übereinkommens beeinträchtigt und das Ziel des Übereinkommens gefährdet würde, die Freizuegigkeit der Entscheidungen dadurch sicherzustellen, daß vollstreckbare Entscheidungen eines Vertragsstaats in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt werden können.

31 Zudem ist in Artikel 34 Absatz 3 des Übereinkommens das grundlegende Prinzip verankert, daß eine im Ursprungsstaat ergangene Entscheidung von den Gerichten eines anderen Vertragsstaats unter keinen Umständen in der Sache selbst nachgeprüft werden darf.

32 Wenn aber das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht bei seiner Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens Gründe berücksichtigen dürfte, die bereits vor dem ausländischen Gericht vorgebracht wurden, dann würde die ernsthafte Gefahr bestehen, daß dieses Gericht unmittelbar oder mittelbar zu einer Nachprüfung in der Sache selbst gelangte, die das Übereinkommen in aller Form untersagt. Gleiches hätte zu gelten, wenn dieses Gericht befugt wäre, die Aussichten eines im Ursprungsstaat eingelegten oder einzulegenden ordentlichen Rechtsbehelfs zu beurteilen.

33 Unter diesen Umständen kann Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens nicht dahin ausgelegt werden, daß das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens Gründe berücksichtigen dürfte, die bereits vor dem ausländischen Gericht vorgebracht wurden.

34 Zu der Frage, ob das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht bei seiner Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens Gründe berücksichtigen darf, die dem ausländischen Gericht bei seiner Entscheidung nicht bekannt waren, weil der Rechtsbehelfsführer sie nicht vorgebracht hatte, ist darauf hinzuweisen, daß eine Partei, die einen Rechtsbehelf nicht eingelegt hat, sich nach dem zu Artikel 36 des Übereinkommens ergangenen Urteil des Gerichtshofes vom 4. Februar 1988 in der Rechtssache 145/86 (Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645) um die Möglichkeit gebracht sieht, in einem späteren Abschnitt des Verfahrens einen Grund geltend zu machen, den sie im Rahmen dieses Rechtsbehelfs hätte vorbringen können.

35 Dieser Grundsatz hat in gleicher Weise bei Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens Anwendung zu finden. Das System des Übereinkommens sowie insbesondere der Grundsatz der Freizuegigkeit der Entscheidungen, der eines seiner Hauptanliegen darstellt, hindern eine Partei, die vor dem ausländischen Gericht Gründe nicht vorgebracht hat, sich auf diese vor dem Gericht zu berufen, das gemäß Artikel 38 Absatz 1 über einen Antrag auf Aussetzung der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung zu befinden hat.

36 Demgemäß kann Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens nicht dahin ausgelegt werden, daß das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach dieser Vorschrift Gründe berücksichtigen dürfte, die dem ausländischen Gericht bei seiner Entscheidung nicht bekannt waren, weil der Rechtsbehelfsführer sie nicht vorgebracht hatte.

37 Nach den gesamten vorstehenden Erwägungen ist auf die dritte Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß das mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung befasste Gericht bei seiner Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens nur solche Gründe berücksichtigen darf, die der Rechtsbehelfsführer vor dem Gericht des Ursprungsstaats nicht vorbringen konnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

38 Die Auslagen der Bundesrepublik Deutschland, des Königreichs der Niederlande und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung obliegt daher diesem Gericht.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Eine Entscheidung nach Artikel 38 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, durch die das mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung befasste Gericht die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt und die Leistung einer Sicherheit durch den Gläubiger angeordnet hat, ist keine "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens und kann daher nicht mit der Kassationsbeschwerde oder einem ähnlichen Rechtsbehelf angefochten werden. Das gilt unabhängig davon, ob die gemäß Artikel 38 des Übereinkommens getroffene Entscheidung und die "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Übereinkommens sich in ein und demselben Gerichtsentscheid finden.

2) Das mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidung befasste Gericht darf bei seiner Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens nur solche Gründe berücksichtigen, die der Rechtsbehelfsführer vor dem Gericht des Ursprungsstaats nicht vorbringen konnte.

Ende der Entscheidung

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