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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.12.1998
Aktenzeichen: C-185/95 P
Rechtsgebiete: Entscheidung 89/515/EWG, EWG-Vertrag


Vorschriften:

Entscheidung 89/515/EWG
EWG-Vertrag Art. 85
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Aus Artikel 168a des Vertrages und Artikel 51 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes ergibt sich, daß der Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels nachprüfen kann, ob es im Verfahren vor dem Gericht zu Verfahrensfehlern gekommen ist, durch die die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt wurden, und daß er sich vergewissern muß, daß die allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze eingehalten worden sind.

Zu diesen Grundsätzen gehört der in Artikel 6 Absatz 1 der Menschenrechtskonvention verankerte Anspruch eines jeden auf einen fairen Prozeß, insbesondere auf einen Prozeß innerhalb einer angemessenen Frist.

2 Im Rahmen eines Rechtsmittels ist der Gerichtshof weder für die Feststellung der Tatsachen zuständig noch grundsätzlich befugt, die Beweise zu prüfen, auf die das Gericht diese Feststellung gestützt hat. Sofern diese Beweise nämlich ordnungsgemäß erhoben und die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die Vorschriften über die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden sind, ist es allein Sache des Gerichts, den Beweiswert der ihm vorgelegten Beweismittel zu beurteilen. Diese Würdigung ist, sofern diese Beweismittel nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegt.

3 Aus dem Aufbau der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit folgt zum Teil schon, daß das Gericht, das die Tatsachen festzustellen und den Rechtsstreit in der Sache zu prüfen hat, ausreichend Zeit auf die Durchführung von Verfahren verwenden kann, die eine eingehende Prüfung komplexer Sachverhalte erfordern. Diese Aufgabe entbindet das speziell zu diesem Zweck errichtete Gemeinschaftsgericht jedoch nicht davon, bei der Behandlung der bei ihm anhängigen Rechtssachen eine angemessene Frist einzuhalten.

Die Angemessenheit der Dauer des Verfahrens vor dem Gericht ist nach den Umständen jeder einzelnen Rechtssache, insbesondere nach den Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, nach der Komplexität der Rechtssache sowie nach dem Verhalten des Klägers und dem der zuständigen Behörden, zu beurteilen.

4 Ein Verfahren vor dem Gericht über eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln, das ungefähr fünf Jahre und sechs Monate gedauert hat, überschreitet unter Berücksichtigung der relativen Komplexität der Rechtssache eine angemessene Verfahrensdauer, wenn erwiesen ist, daß

- das Verfahren nicht nur für den Rechtsmittelführer - auch ohne daß sein wirtschaftliches Überleben durch den Rechtsstreit unmittelbar gefährdet war - und seine Konkurrenten, sondern wegen der grossen Zahl betroffener Personen und der berührten finanziellen Interessen auch für Dritte von erheblichem Interesse war;

- der Rechtsmittelführer nicht wesentlich zur Verlängerung der Verfahrensdauer beigetragen hat;

- diese Dauer weder aufgrund der dem Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten immanenten Zwänge, die sich insbesondere aus der Sprachenregelung für das Verfahren ergeben, noch aufgrund aussergewöhnlicher Umstände - insbesondere wenn das Verfahren nicht gemäß den Artikeln 77 und 78 der Verfahrensordnung des Gerichts ausgesetzt worden ist - gerechtfertigt war.

Ein solcher Verfahrensfehler rechtfertigt als unmittelbaren und effektiven Rechtsbehelf die Aufhebung des Urteils des Gerichts insoweit, als darin die Höhe der für die festgestellte Zuwiderhandlung verhängten Geldbusse festgesetzt wird, und die Festsetzung dieses Betrages durch den Gerichtshof in einer Höhe, die dem Erfordernis, dem Rechtsmittelführer einen angemessenen Ausgleich zu gewähren, Rechnung trägt.

Dagegen kann ein solcher Verfahrensfehler nicht zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, wenn jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, daß die Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hätte.

5 Bezueglich eines angeblichen Verstosses gegen einen Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens ergibt sich weder aus Artikel 55 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts noch aus einer anderen Vorschrift dieser Verfahrensordnung oder der Satzung des Gerichtshofes, daß die Urteile des Gerichts innerhalb einer bestimmten Frist nach Abschluß der mündlichen Verhandlung ergehen müssen.

6 Gemäß Artikel 48 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts können die Parteien in der Erwiderung oder in der Gegenerwiderung noch Beweismittel benennen; sie haben die Verspätung aber zu begründen.

Von der vorgenannten Präklusionsvorschrift nicht erfasst sind der Gegenbeweis und die Erweiterung der Beweisangebote im Anschluß an einen Beweis der Gegenpartei in der Klagebeantwortung. Diese Vorschrift betrifft nämlich neue Beweismittel und ist im Zusammenhang mit Artikel 66 § 2 zu sehen, wonach Gegenbeweis und Erweiterung des Beweisantritts vorbehalten bleiben.

7 Die allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze über das Recht auf Zugang zu den Akten der Kommission in Wettbewerbssachen gelten als solche nicht im gerichtlichen Verfahren, da dieses durch die Satzung des Gerichtshofes und durch die Verfahrensordnung des Gerichts geregelt ist.

Gemäß Artikel 64 §§ 3 Buchstabe d und 4 der Verfahrensordnung des Gerichts können prozeßleitende Maßnahmen, zu denen die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen oder Beweisstücken im Zusammenhang mit der Rechtssache gehört, von den Parteien in jedem Verfahrensstadium vorgeschlagen werden.

Die antragstellende Partei muß aber, damit das Gericht feststellen kann, ob die Anordnung der Vorlage bestimmter Unterlagen dem ordnungsgemässen Ablauf des Verfahrens dienlich ist, die erbetenen Dokumente bezeichnen und dem Gericht zumindest einen Anhaltspunkt dafür geben, daß diese Dokumente für das Verfahren zweckdienlich sind.

8 Aus Artikel 168a des Vertrages, Artikel 51 der Satzung des Gerichtshofes und Artikel 112 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung folgt, daß ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muß. Ein Rechtsmittel, das sich darauf beschränkt, die bereits vor dem Gericht dargelegten Klagegründe einschließlich derjenigen, die auf ein vom Gericht ausdrücklich zurückgewiesenes Tatsachenvorbringen gestützt waren, zu wiederholen oder wörtlich wiederzugeben, entspricht diesem Erfordernis nicht. Ein solches Rechtsmittel zielt nämlich in Wirklichkeit nur auf eine erneute Prüfung der beim Gericht eingereichten Klage ab, was nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofes fällt.

9 Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, bei der Entscheidung über Rechtsfragen im Rahmen eines Rechtsmittels die Beurteilung des Gerichts, das in Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis über den Betrag der gegen Unternehmen wegen eines Verstosses gegen das Gemeinschaftsrecht festgesetzten Geldbussen entscheidet, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen.

10 Zu den Faktoren, anhand deren die Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln zu beurteilen ist, können die Menge und der Wert der Waren, die Gegenstand der Zuwiderhandlung waren, die Grösse und die Wirtschaftskraft des Unternehmens und folglich der Einfluß gehören, den das Unternehmen auf den Markt ausüben konnte.

Daraus ergibt sich, daß bei der Festsetzung der Geldbusse sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der - wenn auch nur annähernd und unvollständig - etwas über dessen Grösse und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden dürfen, der mit den Waren erzielt worden ist, hinsichtlich deren die Zuwiderhandlung begangen wurde, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann. Die Marktanteile eines Unternehmens können zwar nicht entscheidend sein für die Schlußfolgerung, daß ein Unternehmen einer mächtigen Wirtschaftseinheit angehört, doch sind sie relevant für die Bestimmung des Einflusses, den das Unternehmen auf den Markt ausüben konnte.


Urteil des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1998. - Baustahlgewebe GmbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Rechtsmittel - Zulässigkeit - Dauer des Verfahrens - Beweisaufnahme - Akteneinsicht - Wettbewerb - Kartelle - Geldbußen. - Rechtssache C-185/95 P.

Entscheidungsgründe:

1 Die Baustahlgewebe GmbH hat mit Rechtsmittelschrift, die am 14. Juni 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-145/89 (Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1995, II-987; im folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt, mit dem das Gericht Artikel 1 der Entscheidung 89/515/EWG der Kommission vom 2. August 1989 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.553 - Betonstahlmatten) (ABl. L 260, S. 1; im folgenden: Entscheidung) teilweise für nichtig erklärt, die Höhe der von der Kommission gegen sie festgesetzten Geldbusse auf 3 Millionen ECU festgesetzt, die Klage im übrigen abgewiesen und sie zur Tragung ihrer eigenen Kosten sowie eines Drittels der Kosten der Kommission verurteilt hat.

Sachverhalt und Urteil des Gerichts

2 Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß es von 1980 an im Betonstahlmattensektor auf dem deutschen, dem französischen und dem Benelux-Markt zu einer Reihe von Absprachen und Praktiken gekommen sein soll. Betonstahlmatten sind vorgefertigte Bewehrungen, die in fast allen Anwendungsgebieten des bewehrten Stahlbetonbaus eingesetzt werden und aus glatten oder gerippten kaltgezogenen Stahldrähten bestehen, die durch rechteckiges Punktschweissen zu einem Netz verbunden werden.

3 Es gibt verschiedene Typen von Betonstahlmatten, und zwar Lagermatten, Letter- oder teilstandardisierte Matten, Listenmatten und Zeichnungsmatten.

4 Für den deutschen Markt erteilte das Bundeskartellamt am 31. Mai 1983 die Erlaubnis zur Bildung eines Strukturkrisenkartells der deutschen Betonstahlmattenhersteller, die nach einmaliger Verlängerung im Jahr 1988 ablief. Das Kartell bezweckte einen Kapazitätsabbau und sah ausserdem Lieferquoten und eine Preisregelung vor, die allerdings nur für die ersten beiden Jahre der Anwendung des Kartellvertrags genehmigt wurde. Die Dienststellen der Kommission wurden 1983 durch das Bundeskartellamt über die Bildung des Strukturkrisenkartells unterrichtet.

5 Am 6. und 7. November 1985 führten Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), gleichzeitig und ohne vorherige Ankündigung Nachprüfungen in den Geschäftsräumen von sieben Unternehmen und zwei Unternehmensvereinigungen durch, und zwar bei Tréfilunion SA, Sotralentz SA, Tréfilarbed Luxembourg/Saarbrücken SARL, Ferriere Nord SpA (Pittini), Baustahlgewebe GmbH, Thibo Draad- en Bouwstaalprodukten BV (Thibodraad), NV Bekärt, Syndicat national du tréfilage d'acier (STA) und Fachverband Betonstahlmatten e. V.; am 4. und 5. Dezember 1985 erfolgten weitere Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der Unternehmen ILRO SpA, G. B. Martinelli, NV Usines Gustave Boël (afdeling Trébos), Tréfileries de Fontaine-l'Evêque (TFE), Frère-Bourgeois Commerciale SA (FBC), Van Merksteijn Staalbouw BV und ZND Bouwstaal BV.

6 Aufgrund des im Rahmen dieser Prüfungen gefundenen Materials und der gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 erhaltenen Auskünfte gelangte die Kommission zu der Schlußfolgerung, daß die betreffenden Hersteller zwischen 1980 und 1985 durch eine Reihe von Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen betreffend Lieferquoten und Preise für Betonstahlmatten gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen hätten. Die Kommission leitete das Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 ein, und am 12. März 1987 wurde den betroffenen Unternehmen die Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt, die hierzu Stellung nahmen. Eine Anhörung ihrer Vertreter fand am 23. und 24. November 1987 statt.

7 Am Ende dieses Verfahrens erließ die Kommission ihre Entscheidung, mit der sie gegen vierzehn Hersteller von Betonstahlmatten eine Geldbusse wegen Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages festsetzte. In Punkt 22 der Entscheidung heisst es, daß es sich bei den Wettbewerbsbeschränkungen um eine Reihe von Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen handele, die die Festsetzung von Preisen und/oder Lieferquoten sowie die Aufteilung der Märkte für Betonstahlmatten zum Gegenstand hätten. Diese Absprachen beträfen verschiedene Teilmärkte (den französischen, den deutschen oder den Benelux-Markt), hätten jedoch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, da an ihnen Unternehmen mit Sitz in mehreren Mitgliedstaaten beteiligt gewesen seien.

8 Aus dem angefochtenen Urteil geht hervor, daß der Rechtsmittelführerin in der Entscheidung insbesondere folgendes vorgeworfen wird:

Zum deutschen Markt

- Sie habe sich an Absprachen mit dem französischen Unternehmen Tréfilunion über den Interpenetrationsverkehr zwischen Deutschland und Frankreich beteiligt. Diese Absprachen seien am 7. Juni 1985 während eines Gesprächs zwischen Herrn Müller, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Rechtsmittelführerin, Vertreter des Strukturkrisenkartells und Vorsitzender des Fachverbands Betonstahlmatten, und Herrn Marie, Direktor bei der Tréfilunion und Vorsitzender der Association française technique pour le développement de l'emploi des treillis soudés (ADETS - französischer Fachverband für die Förderung der Verwendung von Betonstahlmatten) getroffen worden. In Randnummer 63 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, daß der Rechtsmittelführerin in der Entscheidung (Punkt 140) vorgeworfen werde, sie habe mit Tréfilunion eine generelle Verhaltensabstimmung herbeigeführt, die darauf abgezielt habe, die gegenseitige Penetration ihrer Erzeugnisse in Deutschland und Frankreich zu begrenzen (vgl. Punkte 135 bis 143 und 176 der Entscheidung sowie Randnrn. 59 bis 68 des angefochtenen Urteils).

- Sie habe sich an Absprachen über den deutschen Markt beteiligt, die zum einen eine Regulierung der Ausfuhren von Benelux-Herstellern nach Deutschland und zum anderen die Respektierung der auf dem deutschen Markt geltenden Preise bezweckt hätten (vgl. Punkte 147, 178 und 182 der Entscheidung sowie Randnrn. 83 bis 94 des angefochtenen Urteils).

- Sie habe in dem Interesse, ausländische Importe nach Deutschland einzuschränken oder zu regulieren, am 24. November 1976 und 22. März 1982 zwei Lieferverträge mit der Bouwstaal Rörmond BV (später Tréfilarbed Bouwstaal Rörmond) und der Arbed SA Afdeling Nederland geschlossen. In diesen Verträgen habe die Rechtsmittelführerin den ausschließlichen Vertrieb einer bestimmten jährlichen Menge von Betonstahlmatten aus dem Werk Rörmond in Deutschland zu einem nach bestimmten Kriterien festzusetzenden Preis übernommen. Bouwstaal Rörmond und die Arbed SA Afdeling Nederland hätten sich verpflichtet, während der Laufzeit dieser Verträge weder direkt noch indirekt Lieferungen nach Deutschland zu tätigen. In der Entscheidung wird festgestellt, daß diese Alleinvertriebsverträge nicht die Voraussetzungen der Verordnung Nr. 67/67/EWG der Kommission vom 22. März 1967 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz (3) des Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen (ABl. 1967, Nr. 57, S. 849) erfuellt hätten, zumindest seit dem Bestehen der Absprachen über den Interpenetrationsverkehr zwischen Deutschland und Benelux. Seit diesem Zeitpunkt seien diese Vereinbarungen als Teil einer globalen Marktaufteilungsabsprache zu betrachten (vgl. Punkte 148 und 189 der Entscheidung sowie Randnrn. 95 bis 109 des angefochtenen Urteils).

- Sie habe sich an einer Absprache mit Tréfilarbed über die Abstellung der Reimporte von Betonstahlmatten des Werkes St. Ingbert über Luxemburg nach Deutschland beteiligt (vgl. Punkte 152 und 180 der Entscheidung und Randnrn. 110 bis 122 des angefochtenen Urteils).

Zum Benelux-Markt

- Sie habe sich an Absprachen zwischen deutschen Herstellern, die nach Benelux exportierten, und den übrigen Marktteilnehmern auf dem Benelux-Markt über die Respektierung der festgesetzten Preise für den Benelux-Markt beteiligt. Diese Absprachen seien in Sitzungen getroffen worden, die zwischen August 1982 und November 1985 in Breda und Bunnik stattgefunden hätten. Ausserdem habe sich die Rechtsmittelführerin an Absprachen zwischen deutschen Herstellern und Benelux-Herstellern ("Gesprächskreis von Breda") beteiligt, die die Anwendung mengenmässiger Beschränkungen auf die deutschen Ausfuhren nach Belgien und in die Niederlande sowie die Übermittlung der Exportzahlen bestimmter deutscher Hersteller an die belgisch-niederländische Gruppe vorgesehen hätten (vgl. Punkte 78 Buchstabe b, 163, 168 und 171 der Entscheidung und Randnrn. 123 bis 138 des angefochtenen Urteils).

9 Die Entscheidung enthält folgenden verfügenden Teil:

"Artikel 1

Die Unternehmen Tréfilunion SA, Société Métallurgique de Normandie (SMN), CCG (TECNOR), Société de treillis et panneaux soudés (STPS), Sotralentz SA, Tréfilarbed SA bzw. Tréfilarbed Luxembourg/Saarbrücken Sarl, Tréfileries de Fontaine l'Evêque, Frère Bourgeois Commerciale SA (jetzt Steelinter SA), NV Usines Gustave Boël, afdeling Trébos, Thibo Draad- en Bouwstaalprodukten BV (jetzt Thibo Bouwstaal BV), Van Merksteijn Staalbouw BV, ZND Bouwstaal BV, Baustahlgewebe GmbH, ILRO SpA, Ferriere Nord SpA (Pittini) und GB Martinelli fu GB Metallurgica SpA haben gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen, indem sie sich in dem Zeitraum vom 27. Mai 1980 bis zum 5. November 1985 in einem oder mehreren Fällen an einer oder mehreren Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen (Absprachen) beteiligten, die in der Festsetzung von Verkaufspreisen, der Einschränkung des Absatzes, der Aufteilung der Märkte sowie in Maßnahmen zur Anwendung dieser Absprachen und zu deren Kontrolle bestanden.

Artikel 2

Die in Artikel 1 genannten Unternehmen, soweit sie nach wie vor auf dem Betonstahlmatten-Sektor in der EWG tätig sind, sind verpflichtet, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzueglich abzustellen (falls sie dies noch nicht getan haben) und in Zukunft bezueglich ihrer Betonstahlmatten-Aktivitäten von allen Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen.

Artikel 3

Gegen die nachstehend aufgeführten Unternehmen werden wegen der in Artikel 1 festgestellten Zuwiderhandlungen folgende Geldbussen festgesetzt:

1. Tréfilunion SA (TU): eine Geldbusse von 1 375 000 ECU,

2. Société Métallurgique de Normandie (SMN): eine Geldbusse von 50 000 ECU,

3. Société des treillis et panneaux soudés (STPS): eine Geldbusse von 150 000 ECU,

4. Sotralentz SA: eine Geldbusse von 228 000 ECU,

5. Tréfilarbed Luxembourg-Saarbrücken Sarl: eine Geldbusse von 1 143 000 ECU,

6. Steelinter SA: eine Geldbusse von 315 000 ECU,

7. NV Usines Gustave Boël, afdeling Trébos: eine Geldbusse von 550 000 ECU,

8. Thibo Bouwstaal BV: eine Geldbusse von 420 000 ECU,

9. Van Merksteijn Staalbouw BV: eine Geldbusse von 375 000 ECU,

10. ZND Bouwstaal BV: eine Geldbusse von 42 000 ECU,

11. Baustahlgewebe GmbH (BStG): eine Geldbusse von 4 500 000 ECU,

12. ILRO SpA: eine Geldbusse von 13 000 ECU, 13. Ferriere Nord SpA (Pittini): eine Geldbusse von 320 000 ECU,

14. GB Martinelli fu GB Metallurgica SpA: eine Geldbusse von 20 000 ECU.

..."

10 Die Rechtsmittelführerin hat am 20. Oktober 1989 beim Gerichtshof Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung, hilfsweise Herabsetzung der Geldbusse, und Verurteilung der Kommission zur Tragung der Kosten des Verfahrens erhoben. Mit Beschlüssen vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof diese Rechtssache und zehn weitere Klagen gegen dieselbe Entscheidung gemäß Artikel 14 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) an das Gericht verwiesen.

11 Diese Klagen sind unter den Nummern T-141/89 bis T-145/89 und T-147/89 bis T-152/89 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden. Mit Beschluß vom 13. Oktober 1992 hat das Gericht diese Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 seiner Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden. In der Rechtssache, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittels ist, hat das schriftliche Verfahren vor dem Gericht am 5. Juli 1990 geendet. Die Erste Kammer des Gerichts hat in ihrer Sitzung vom 16. Februar 1993 auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen und die Parteien aufzufordern, vor der Sitzung schriftlich verschiedene Fragen zu beantworten. Am 18. Mai 1993 ist den Parteien der Sitzungsbericht zugestellt worden; die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung, die vom 14. bis 18. Juni 1993 stattgefunden hat, Ausführungen gemacht und auf die Fragen des Gerichts geantwortet. Das Gericht hat am 6. April 1995 das Urteil verkündet.

12 In dem angefochtenen Urteil hat das Gericht angesichts dessen, daß sich die Rechtsmittelführerin weder an einer Vereinbarung mit Tréfilunion, die die Verknüpfung ihrer zukünftigen Exporte mit der Festsetzung von Quoten bezweckte, noch an einer Absprache mit Sotralentz über die Kontingentierung der Ausfuhren von Soltralentz auf den deutschen Markt beteiligt habe, sowie unter Anwendung eines mildernden Umstands auf die Absprache zwischen der Rechtsmittelführerin und Tréfilarbed, die die Abstellung der Wiederausfuhren von St. Ingbert nach Deutschland bezweckte, entschieden, daß Artikel 1 der Entscheidung teilweise für nichtig zu erklären und die gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzte Geldbusse von 4,5 Millionen ECU herabzusetzen und auf 3 Millionen ECU festzusetzen sei. Das Gericht hat die Klage im übrigen abgewiesen und die Rechtsmittelführerin zur Tragung ihrer eigenen Kosten und eines Drittels der Kosten der Kommission verurteilt.

Das Rechtsmittel 13 In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin,

- das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es eine Geldbusse in Höhe von 3 Millionen ECU für sie festsetzt, ihre Klage abweist und sie zur Tragung ihrer eigenen Kosten und eines Drittels der Kosten der Kommission verurteilt, und das Verfahren einzustellen;

- hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Wiederaufnahme des Verfahrens an das Gericht zurückzuverweisen;

- die Artikel 1, 2 und 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Rechtsmittelführerin betreffen und soweit sie nicht schon durch das angefochtene Urteil für nichtig erklärt worden sind;

- hilfsweise, die Geldbusse auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten des erstinstanzlichen und des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

14 Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

15 Die Rechtsmittelführerin macht zur Begründung ihres Rechtsmittels geltend, das Gericht habe durch eine überlange Verfahrensdauer ihren Anspruch aus Artikel 6 Absatz 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) darauf, daß ihre Sache innerhalb einer angemessenen Frist gehört werde, verletzt und gegen den allgemeinen Grundsatz der Unmittelbarkeit verstossen, indem es sein Urteil 22 Monate nach Abschluß der mündlichen Verhandlung gefällt habe. Ausserdem habe das Gericht einen falschen Beurteilungsmaßstab bei der Beweiswürdigung angelegt, indem es nicht die Kontrollüberlegung angestellt habe, ob sich die von der Kommission festgestellten Tatsachen nicht auch anders als durch das Bestehen einer Absprache erklären ließen, und habe es abgelehnt, den von der Rechtsmittelführerin angebotenen Beweisen nachzugehen. Damit habe das Gericht gegen die anerkannten Beweisgrundsätze verstossen. Ferner habe das Gericht die Verteidigungsrechte verletzt, indem es den Antrag der Rechtsmittelführerin abgelehnt habe, der Kommission aufzugeben, ihr die gesamten Akten des Verwaltungsverfahrens und bestimmte Dokumente in bezug auf das deutsche Strukturkrisenkartell zur Einsicht vorzulegen.

16 Ausserdem habe das Gericht bezueglich der Abgrenzung des relevanten Marktes und bezueglich der angeblichen Absprachen

- zwischen der Rechtsmittelführerin und Tréfilunion über den Interpenetrationsverkehr zwischen Deutschland und Frankreich,

- mit den Benelux-Herstellern über den deutschen Markt und

- über die Quoten und Preise auf dem Benelux-Markt

durch Subsumtions- und/oder Begründungsmangel gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen. Zudem habe das Gericht in bezug auf die Alleinvertriebsverträge zwischen der Rechtsmittelführerin auf der einen und der Bouwstaal Rörmond BV sowie der Arbed SA Afdeling Nederland auf der anderen Seite die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung Nr. 67/67 verkannt.

17 Schließlich wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, es habe bezueglich der Verhängung der Geldbussen gegen Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 verstossen.

18 Was zunächst die etwaigen Verfahrensfehler angeht, so ist das Rechtsmittel gemäß Artikel 168a EG-Vertrag und Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes auf Rechtsfragen beschränkt. Es kann nur auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, sowie auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht gestützt werden.

19 Der Gerichtshof kann somit nachprüfen, ob es vor dem Gericht zu Verfahrensfehlern gekommen ist, durch die die Interessen der Rechtsmittelführerin beeinträchtigt werden, und er muß sich vergewissern, daß die allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze sowie die Vorschriften über die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden sind (vgl. insbesondere Beschluß vom 17. September 1996 in der Rechtssache C-19/95 P, San Marco Impex/Kommission, Slg. 1996, I-4435, Randnr. 40).

20 Gemäß Artikel 6 Absatz 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat.

21 Der aus den Grundrechten der EMRK entwickelte allgemeine gemeinschaftliche Rechtsgrundsatz (vgl. insbesondere Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, Slg. 1996, I-1759, Randnr. 33, und Urteil vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-299/95, Kremzow, Slg. 1997, I-2629, Randnr. 14), daß jedermann Anspruch auf einen fairen Prozeß, insbesondere auf einen Prozeß innerhalb einer angemessenen Frist hat, gilt auch für die Klage eines Unternehmens gegen eine Entscheidung der Kommission, mit der diese wegen Verstosses gegen das Wettbewerbsrecht Geldbussen gegen das Unternehmen verhängt.

22 Daher hat der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren solche das Verfahren vor dem Gericht betreffenden Rechtsmittelgründe zu prüfen.

23 Was sodann die angeblich fehlerhafte Sachverhaltsprüfung angeht, so ergibt sich aus Artikel 168a des Vertrages und Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes, daß für die Feststellung der Tatsachen - sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, daß die Feststellungen tatsächlich falsch sind - und für ihre Würdigung ausschließlich das Gericht zuständig ist. Wenn das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt hat, ist der Gerichtshof gemäß Artikel 168a EG-Vertrag zu einer Kontrolle der rechtlichen Qualifizierung und der rechtlichen Folgen befugt, die das Gericht aus ihnen abgeleitet hat (vgl. insbesondere Beschluß San Marco Impex/Kommission, Randnr. 39).

24 Der Gerichtshof ist daher weder für die Feststellung der Tatsachen zuständig noch grundsätzlich befugt, die Beweise zu prüfen, auf die das Gericht diese Feststellung gestützt hat. Sofern diese Beweise nämlich ordnungsgemäß erhoben und die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die Vorschriften über die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden sind, ist es allein Sache des Gerichts, den Beweiswert der ihm vorgelegten Beweismittel zu beurteilen (vgl. insbesondere Beschluß San Marco Impex/Kommission, Randnr. 40). Diese Würdigung ist somit, sofern diese Beweismittel nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegt (vgl. Urteil vom 2. März 1994 in der Rechtssache C-53/92 P, Hilti/Kommission, Slg. 1994, I-667, Randnr. 42).

25 Die Frage jedoch, ob die Begründung eines Urteils des Gerichts widersprüchlich oder unzulänglich ist, ist eine Rechtsfrage, die als solche im Rahmen eines Rechtsmittels aufgeworfen werden kann (vgl. u. a. Urteile vom 1. Oktober 1991 in der Rechtssache C-283/90 P, Vidrányi/Kommission, Slg. 1991, I-4339, Randnr. 29, vom 20. November 1997 in der Rechtssache C-188/96 P, Kommission/V, Slg. 1997, I-6561, Randnr. 24, und vom 7. Mai 1998 in der Rechtssache C-401/96 P, Somaco/Kommission, Slg. 1998, I-2587, Randnr. 53).

Zu den Rechtsmittelgründen, mit denen Verfahrensfehler geltend gemacht werden

Verstoß gegen den Grundsatz der Angemessenheit der Verfahrensdauer

26 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, der Zeitraum, den das Gericht für seine Entscheidung benötigt habe, sei überlang; das Gericht habe daher gegen Artikel 6 Absatz 1 EMRK verstossen. Die Dauer des Verfahrens sei keineswegs auf die Umstände des Falles zurückzuführen, sondern sei vielmehr dem Gericht anzulasten. Eine solche Verzögerung begründe ein Prozeßhindernis, das die Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Entscheidung sowie die Einstellung des Verfahrens rechtfertige. Hilfsweise macht die Rechtsmittelführerin geltend, die überlange Dauer des Verwaltungs- und des anschließenden gerichtlichen Verfahrens stelle als solche einen mildernden Umstand und nach dem Grundsatz der Strafmilderung, der sowohl in der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten als auch in der Rechtsprechung des Gerichts anerkannt sei, einen Grund für die Reduzierung der Geldbusse dar.

27 Die Kommission trägt vor, die Dauer des Verfahrens sei nicht übermässig lang; auch wenn die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht lang erscheinen möge, könne sie kein Prozeßhindernis darstellen.

28 Das Verfahren, das der Gerichtshof im vorliegenden Fall im Hinblick darauf zu prüfen hat, ob ein Verfahrensfehler begangen wurde, durch den die Interessen der Rechtsmittelführerin beeinträchtigt wurden, hat vom 20. Oktober 1989, dem Tag des Eingangs der Nichtigkeitsklage, bis zum 6. April 1995, dem Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils, gedauert. Folglich beträgt die Dauer des vom Gerichtshof zu prüfenden Verfahrens ungefähr fünf Jahre und sechs Monate.

29 Dies ist auf den ersten Blick ein beträchtlicher Zeitraum. Die Angemessenheit einer Verfahrensdauer ist jedoch nach den Umständen jeder einzelnen Rechtssache, insbesondere nach den Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, nach der Komplexität der Rechtssache sowie nach dem Verhalten des Klägers und dem der zuständigen Behörden, zu beurteilen (vgl. EGMR, Urteile Erkner und Hofauer vom 23. April 1987, Serie A Nr. 117, § 66; Kemmache vom 27. November 1991, Serie A Nr. 218, § 60; Phocas/Frankreich vom 23. April 1996, Recüil des arrêts et décisions 1996-II, S. 546, § 71; Garyfallou ÄBE/Griechenland vom 27. September 1997, Recüil des arrêts et décisions 1997-V, S. 1821, § 39).

30 Was die Interessen angeht, die in dem Rechtsstreit für die Rechtsmittelführerin auf dem Spiel standen, so war deren wirtschaftliches Überleben durch den Rechtsstreit nicht unmittelbar gefährdet. Gleichwohl sind bei einem Rechtsstreit über eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln das grundlegende Gebot der für die Wirtschaftsteilnehmer unerläßlichen Rechtssicherheit und das Ziel, zu gewährleisten, daß der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird, nicht nur für die Rechtsmittelführerin und ihre Konkurrenten, sondern wegen der grossen Zahl betroffener Personen und der berührten finanziellen Interessen auch für Dritte von erheblichem Interesse.

31 Für die Rechtsmittelführerin bestand nämlich nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 die Gefahr, daß gegen sie eine Geldbusse in Höhe von bis zu 10 % des im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festgesetzt wird. Im vorliegenden Fall hat die Kommission gemäß den Artikeln 3 und 4 der Entscheidung gegen die Rechtsmittelführerin eine Geldbusse von 4,5 Millionen ECU festgesetzt, die innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung zu zahlen war, zuzueglich 12,5 % Verzugszinsen pro Jahr nach Ablauf dieser Frist.

32 Artikel 192 EG-Vertrag sieht insoweit vor, daß die Entscheidungen der Kommission, die eine Zahlung auferlegen, - ausser gegenüber Staaten - vollstreckbare Titel sind und daß die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften des Zivilprozeßrechts des Staates erfolgt, in dessen Hoheitsgebiet sie stattfindet. Nach den Artikeln 185, 186 und 192 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses 88/591 haben Klagen bei dem Gericht keine aufschiebende Wirkung; das Gericht kann, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen, die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen und gegebenenfalls die Zwangsvollstreckung aussetzen.

33 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, daß während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens keine Maßnahme zur Einziehung der Geldbusse getroffen wurde, da die Rechtsmittelführerin, wie von der Kommission verlangt, eine Bankbürgschaft gestellt hat. Dieser Umstand kann der Rechtsmittelführerin jedoch nicht ihren Anspruch auf einen fairen Prozeß innerhalb angemessener Frist und insbesondere darauf nehmen, daß über die sachliche Begründetheit der ihr von der Kommission vorgeworfenen Verstösse gegen das Wettbewerbsrecht und der deswegen gegen sie festgesetzten Geldbusse entschieden wird.

34 In Anbetracht all dieser Umstände ist daher festzustellen, daß für die Rechtsmittelführerin im Verfahren vor dem Gericht tatsächliche Interessen auf dem Spiel standen.

35 Was die Komplexität der Rechtssache angeht, so ist die Kommission in ihrer Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, daß vierzehn Hersteller von Betonstahlmatten durch eine Reihe von Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen in bezug auf Lieferquoten und Preise für dieses Erzeugnis gegen Artikel 85 des Vertrages verstossen hatten. Die Klage der Rechtsmittelführerin war eine der elf - in drei verschiedenen Verfahrenssprachen eingereichten - Klagen, die zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden wurden.

36 Insoweit ergibt sich aus den Akten und dem angefochtenen Urteil, daß das die Rechtsmittelführerin betreffende Verfahren eine eingehende Prüfung von verhältnismässig umfangreichen Dokumenten sowie von Tatsachen- und Rechtsfragen von einiger Komplexität erforderte.

37 Zum Verhalten der Rechtsmittelführerin vor dem Gericht ergibt sich aus den Akten, daß auf ihren Antrag die Frist für die Einreichung der Erwiderung um ungefähr einen Monat verlängert wurde.

38 In diesem Zusammenhang geht das Vorbringen der Kommission fehl, daß sich das Verfahren vor dem Gericht deshalb verzögert habe, weil der Anwalt der Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren vor der Kommission noch nicht eingeschaltet gewesen sei und sodann das Hauptaugenmerk zu Unrecht der Geldbusse gewidmet habe, die die Kommission der Rechtsmittelführerin wegen ihrer Beteiligung am Strukturkrisenkartell auferlegt habe.

39 Ein Unternehmen, an das eine Entscheidung der Kommission gerichtet ist, in der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt und ihm Geldbussen auferlegt werden, muß nämlich die Richtigkeit der ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe mit allen Mitteln, die ihm zweckdienlich erscheinen, in Frage stellen können.

40 Daher ist nicht erwiesen, daß die Rechtsmittelführerin wesentlich zur Verlängerung der Verfahrensdauer beigetragen hat.

41 Was das Verhalten der zuständigen Behörden betrifft, so ist daran zu erinnern, daß die Beiordnung des Gerichts zum Gerichtshof und die Einführung zweier Rechtszuege insbesondere für Klagen, deren Entscheidung eine eingehende Prüfung komplexer Sachverhalte erfordert, zum einen den Rechtsschutz des einzelnen verbessern sollte und zum anderen die Qualität und die Effizienz des Rechtsschutzes in der Rechtsprechung der Gemeinschaft aufrechterhalten sollten, indem es dem Gerichtshof ermöglicht wird, seine Tätigkeit auf seine grundlegende Aufgabe - die Sicherung der Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts - zu konzentrieren.

42 Aus diesem Grund folgt zum Teil schon aus dem Aufbau der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, daß das Gericht, das die Tatsachen festzustellen und den Rechtsstreit in der Sache zu prüfen hat, vergleichsweise mehr Zeit auf die Durchführung von Verfahren verwenden kann, die eine eingehende Prüfung komplexer Sachverhalte erfordern. Diese Aufgabe entbindet das speziell zu diesem Zweck errichtete Gemeinschaftsgericht jedoch nicht davon, bei der Behandlung der bei ihm anhängigen Rechtssachen eine angemessene Frist einzuhalten.

43 Ausserdem ist den Zwängen, die dem Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten immanent sind, Rechnung zu tragen, die sich insbesondere aus der in Artikel 35 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehenen Sprachenregelung für das Verfahren und der Verpflichtung aus Artikel 36 § 2 der Verfahrensordnung ergeben, die Urteile in den in Artikel 1 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) genannten Sprachen zu veröffentlichen.

44 Aus den Umständen des vorliegenden Falles ergibt sich jedoch nicht, daß derartige Zwänge die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht rechtfertigen könnten.

45 Für die Wahrung der angemessenen Frist sind zwei Zeitabschnitte des Verfahrens vor dem Gericht relevant. Vom Abschluß des schriftlichen Verfahrens bis zur Entscheidung, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, sind ungefähr 32 Monate vergangen. Zwar sind die elf Rechtssachen mit Beschluß vom 13. Oktober 1992 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden worden, doch ist während dieses Zeitraums keine andere prozeßleitende Maßnahme oder Beweisaufnahme erfolgt. Hinzu kommt, daß vom Schluß der mündlichen Verhandlung bis zur Verkündung des Urteils des Gerichts 22 Monate vergangen sind.

46 Auch angesichts der Zwänge, die dem Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten immanent sind, kann eine derartige Dauer der Untersuchung und der Beratung nur aufgrund aussergewöhnlicher Umstände gerechtfertigt sein. Da das Verfahren vor dem Gericht nicht - insbesondere gemäß den Artikeln 77 und 78 der Verfahrensordnung des Gerichts - ausgesetzt worden ist, sind solche aussergewöhnlichen Umstände im vorliegenden Fall nicht gegeben.

47 Nach alledem ist unter Berücksichtigung der relativen Komplexität der Rechtssache festzustellen, daß das Verfahren vor dem Gericht eine angemessene Verfahrensdauer überschritten hat.

48 Aus Gründen der Prozessökonomie und im Hinblick darauf, daß gegen einen solchen Verfahrensfehler ein unmittelbarer und effektiver Rechtsbehelf gegeben sein muß, ist auf den Rechtsmittelgrund der überlangen Verfahrensdauer hin das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als darin die Höhe der gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzten Geldbusse auf 3 Millionen ECU festgesetzt wird.

49 Dagegen fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hätte, so daß dieser Rechtsmittelgrund nicht zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Urteils führen kann.

Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit

50 Die Rechtsmittelführerin vertritt die Ansicht, das Gericht habe dadurch, daß es sein Urteil 22 Monate nach Abschluß der mündlichen Verhandlung verkündet habe, in einem solchen Masse gegen den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Unmittelbarkeit des Gerichtsverfahrens verstossen, daß die mündliche Verhandlung mit dem Verblassen der Erinnerung bei den Richtern ihre eigentliche Funktion nicht mehr habe erfuellen können. Die Rechtsmittelführerin macht im wesentlichen geltend, daß der Grundsatz der Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens die Unmittelbarkeit des Verfahrens verlange, die ebenso wie in den Zivil- und Strafprozessordnungen der meisten Mitgliedstaaten mit der Verpflichtung des Gerichts einhergehe, unmittelbar nach Abschluß der mündlichen Verhandlung über die Rechtssache zu beraten und sein Urteil im zeitlichen Zusammenhang mit dieser Verhandlung zu erlassen.

51 Die Kommission ist der Ansicht, daß es den Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens, wie die Rechtsmittelführerin ihn verstehe, im Gemeinschaftsrecht nicht gebe; daher sei dieser Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

52 Entgegen dem Vortrag der Rechtsmittelführerin in der mündlichen Verhandlung ergibt sich weder aus Artikel 55 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts noch aus einer anderen Vorschrift dieser Verfahrensordnung oder der EG-Satzung des Gerichtshofes, daß die Urteile des Gerichts innerhalb einer bestimmten Frist nach Abschluß der mündlichen Verhandlung ergehen müssen.

53 Ausserdem hat die Rechtsmittelführerin nicht dargetan, daß sich die Dauer der Beratung in irgendeiner Weise, etwa durch einen Verlust von Beweisen, auf den Ausgang des beim Gericht anhängigen Rechtsstreits ausgewirkt hätte.

54 Daher ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Verstoß gegen anerkannte Grundsätze des Beweisverfahrens

55 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe einen falschen Beurteilungsmaßstab bei der Beweiswürdigung herangezogen, indem es unter Ausserachtlassung ihres Vortrags nur geprüft habe, ob die Kommission ihre Beteiligung an den Absprachen bewiesen habe; ausserdem habe das Gericht die Präklusionsvorschriften verkannt, indem es die angebotenen Zeugenvernehmungen als verspätet zurückgewiesen habe. Das Gericht habe dadurch, daß es sich darauf beschränkt habe, den Vortrag der Kommission zu prüfen, und es abgelehnt habe, den von der Rechtsmittelführerin angebotenen Beweisen nachzugehen, die Aufklärungspflicht und den Anspruch auf einen fairen Prozeß verletzt sowie gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und den Grundsatz in dubio pro reo verstossen.

56 Bezueglich des ersten Punktes wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht im wesentlichen vor, nicht geprüft zu haben, ob sich die von der Kommission angeführten Tatsachen nicht anders als durch das Bestehen einer Absprache erklären ließen, obwohl die Rechtsmittelführerin eine plausible und in sich schlüssige Alternativbegründung vorgetragen habe.

57 Die Kommission trägt vor, diese Rüge stelle in Wirklichkeit einen Antrag auf erneute Tatsachenprüfung dar.

58 Soweit diese Rüge nicht die Tatsachenwürdigung durch das Gericht betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei Streitigkeiten über das Vorliegen von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen hat, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend beweisen.

59 Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Gericht die von der Rechtsmittelführerin vorgetragenen Gesichtspunkte bei der Prüfung der von der Kommission vorgetragenen Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hat. Aus den Randnummern 64 bis 67 des angefochtenen Urteils ergibt sich, daß das Gericht bezueglich der Absprache zwischen der Rechtsmittelführerin und Trefilunion aufgrund einer Untersuchung der von der Kommission vorgelegten Vermerke zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Kommission nur der Beweis von zwei der drei vorgeworfenen Verhaltensabstimmungen rechtlich gelungen sei. Sodann zeigen die Randnummern 90 bis 92 des angefochtenen Urteils zu den Quoten- und Preisabsprachen mit den Benelux-Herstellern, die Randnummern 115 bis 118 zur Absprache zwischen der Rechtsmittelführerin und Trefilarbed und die Randnummern 131 bis 136 zu den Peis- und Quotenabsprachen über den Benelux-Markt, daß das Gericht die von der Kommission vorgetragenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Vorbringens der Rechtsmittelführerin geprüft hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Kommission der Beweis, daß sich die Rechtsmittelführerin an diesen Absprachen beteiligt habe, rechtlich gelungen sei.

60 Was den zweiten Punkt angeht, so wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, es habe seine Verfahrensordnung falsch ausgelegt, als es ihre Beweisangebote als verspätet zurückgewiesen habe. Die Rechtsmittelführerin bestreitet nicht, daß ihre Beweisangebote erstmals in der Erwiderung enthalten gewesen seien. Die in der Erwiderung benannten Beweismittel seien aber weder neu noch verspätet im Sinne von Artikel 48 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts, da sie die Vernehmung von Zeugen und ihr persönliches Erscheinen in der Erwiderung angeboten habe, um die von der Kommission in der Klagebeantwortung angebotenen Beweise zu widerlegen.

61 Die Rechtsmittelführerin trägt weiter vor, die Aufklärungspflicht sowie die Grundsätze des kontradiktorischen Verfahrens und des fairen Prozesses verpflichteten das Gericht, den Beweisanträgen zu entsprechen, ausser in bestimmten, eng begrenzten Fällen, deren Vorliegen nicht dargetan sei. Die Ablehnung der von ihr angebotenen Vernehmung von Zeugen und des von ihr angebotenen persönlichen Erscheinens laufe auf eine vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus; auch ohne Beweisanträge gebiete es der gerichtliche Untersuchungsgrundsatz, daß das Gericht insbesondere in Verfahren, die zu Geldbussen führen könnten, die Beweisaufnahme auf alle ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel erstrecke und sich um den bestmöglichen Beweis bemühe.

62 Die Kommission meint, das Gericht habe sich mit seiner Auffassung, daß die erstmals in der Erwiderung gestellten Beweisanträge verspätet seien und die Verspätung daher zu begründen sei, an seine ständige Rechtsprechung gehalten.

63 Die Rechtsmittelführerin hat zum Beweis ihres Vorbringens in der Klageschrift die Vernehmung ihres Anwalts Pillmann als Zeugen und in der Erwiderung ihr persönliches Erscheinen in der Person ihres Vertreters Müller sowie die Vernehmung des ehemaligen Vorsitzenden der Benelux-Hersteller, Brökman, als Zeugen beantragt.

64 Aus den Akten ergibt sich, daß das Gericht in seiner Sitzung vom 18. und 24. März 1993 beschlossen hat, an die Parteien Fragen zu richten. Unter Berücksichtigung des Antrags der Rechtsmittelführerin auf Zeugenvernehmung und im Hinblick auf vier Fernschreiben vom 15. Dezember 1983 sowie 11. Januar, 4. März und 4. April 1984 wurde die Rechtsmittelführerin gebeten, "über das pauschale Bestreiten in ihren Schriftsätzen hinaus anzugeben, aus welchen konkreten und auf Tatsachen beruhenden Gründen sie den ersichtlichen Inhalt der angeführten Dokumente bestreitet".

65 Das Gericht hat in seiner Sitzung vom 13. und 17. Mai 1993 beschlossen, die Stellungnahme der Parteien zu einer Vernehmung der Herren Müller und Brökman sowie zum persönlichen Erscheinen der Klägerinnen Boël, Steelinter und Tréfilunion in der Person von Vertretern einzuholen, die über die damaligen Kontakte unterrichtet waren.

66 Mit Schreiben vom 19. Mai 1993 sprach sich die Kommission gegen die Vernehmung der genannten Zeugen aus, weil sie die Vertreter der von der Entscheidung betroffenen Unternehmen seien. Das Gericht hat am 26. Mai 1993 beschlossen, sich die Entscheidung über eine etwaige Vernehmung der Zeugen vorzubehalten.

67 In Randnummer 68 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, daß es nicht erforderlich sei, die Vernehmung von Zeugen oder das Erscheinen der Rechtsmittelführerin anzuordnen. In den Randnummern 94, 120 und 138 des Urteils hat das Gericht gemäß Artikel 48 § 1 seiner Verfahrensordnung die angebotene Vernehmung von Zeugen und das angebotene persönliche Erscheinen der Rechtsmittelführerin mit der Begründung zurückgewiesen, daß diese in der Erwiderung enthaltenen Beweisangebote verspätet seien, da die Rechtsmittelführerin keinen Umstand geltend gemacht habe, der sie daran gehindert hätte, sie in der Klageschrift zu formulieren.

68 In Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles kann die vom Gericht vorgenommene Beurteilung der Frage der Sachdienlichkeit einer Vernehmung der Herren Pillmann und Müller zur Absprache zwischen Baustahlgewebe und Tréfilunion nicht in Frage gestellt werden.

69 Was die Weigerung des Gerichts angeht, die Herren Müller und Brökman zu vernehmen, weil diese Beweisangebote verspätet seien, so ist darauf hinzuweisen, daß das Gericht nach Artikel 68 § 1 seiner Verfahrensordnung von Amts wegen oder auf Antrag der Parteien nach Anhörung der Parteien die Vernehmung von Zeugen über bestimmte Tatsachen anordnen kann. Die Partei hat in ihrem Antrag die Tatsachen zu bezeichnen, über die die Vernehmung stattfinden soll, und die Gründe anzugeben, die die Vernehmung rechtfertigen. Nach Artikel 44 § 1 Buchstabe e der Verfahrensordnung des Gerichts muß die Klageschrift gegebenenfalls die Bezeichnung der Beweismittel enthalten.

70 Bezeichnet ein in der Klageschrift enthaltener Antrag auf Vernehmung von Zeugen die Tatsachen, über die die Vernehmung des oder der Zeugen stattfinden soll, und gibt er die Gründe an, die ihre Vernehmung rechtfertigen, ist es Sache des Gerichts, die Sachdienlichkeit des Antrags im Hinblick auf den Streitgegenstand und die Erforderlichkeit einer Vernehmung der genannten Zeugen zu beurteilen.

71 Gemäß Artikel 48 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts können die Parteien in der Erwiderung oder in der Gegenerwiderung noch Beweismittel benennen. Sie haben die Verspätung zu begründen.

72 Somit sind der Gegenbeweis und die Erweiterung der Beweisangebote im Anschluß an einen Beweis der Gegenpartei in der Klagebeantwortung von der Präklusionsvorschrift des Artikels 48 § 1 der Verfahrensordnung nicht erfasst. Diese Vorschrift betrifft nämlich neue Beweismittel und ist im Zusammenhang mit Artikel 66 § 2 zu sehen, wonach Gegenbeweis und Erweiterung des Beweisantritts vorbehalten bleiben.

73 Bezueglich der angebotenen Vernehmung von Herrn Brökman als Zeugen und des persönlichen Erscheinens der Rechtsmittelführerin genügt jedoch die Feststellung, daß sich aus den Akten ergibt, daß die Beweismittel, auf die sich die Kommission in ihrer Klagebeantwortung berufen hat, bereits in der Entscheidung und in der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt oder dieser beigefügt waren und von der Rechtsmittelführerin selbst in Anlage 3 zu ihrer Klageschrift vorgelegt worden waren. Auch bezueglich der Erklärungen von Herrn Müller bei der Vernehmung vor der Kommission am 24. November 1987, auf die das Gericht in den Randnummern 92 und 135 des angefochtenen Urteils Bezug genommen hat, steht fest, daß sie im Protokoll dieser Sitzung enthalten waren, das ebenfalls von der Rechtsmittelführerin selbst in Anlage 9 zu ihrer Klageschrift vorgelegt worden war.

74 Daher können der Antrag auf Vernehmung von Herrn Brökman und der Antrag auf persönliches Erscheinen der Rechtsmittelführerin in der Person ihres Vertreters Müller nicht als Angebot eines Gegenbeweises angesehen werden; die Rechtsmittelführerin war in der Lage, diese Beweismittel in ihrer Klageschrift zu benennen.

75 Daher hat das Gericht zu Recht die Beweisangebote in der Erwiderung als verspätet angesehen und sie mit der Begründung abgelehnt, daß die Rechtsmittelführerin die Verspätung nicht begründet habe.

76 Ausserdem ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen, das Gericht habe eine ihm obliegende Aufklärungspflicht verletzt, da feststeht, daß das Gericht gemäß Artikel 64 § 2 seiner Verfahrensordnung prozeßleitende Maßnahmen mit dem Ziel erlassen hat, die Beweiserhebung zu erleichtern und das Vorbringen der Parteien zu verdeutlichen.

77 Schließlich ist das Gericht nicht verpflichtet, Zeugen von Amts wegen zu laden, da Artikel 66 § 1 seiner Verfahrensordnung vorsieht, daß es durch Beschluß die Beweismittel und die zu beweisenden Tatsachen bezeichnet.

78 Folglich ist der Rechtsmittelgrund, das Gericht habe gegen anerkannte Grundsätze des Beweisverfahrens verstossen, zurückzuweisen.

Verstoß gegen das Recht auf Einsichtnahme in bestimmte Dokumente

79 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstossen, indem es abgelehnt habe, ihrem Antrag auf Vorlage der gesamten Akten des Verwaltungsverfahrens stattzugeben, obwohl das Recht auf Akteneinsicht auf einem fundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts beruhe, dessen Einhaltung unter allen Umständen geboten sei. Die Kommission sei daher verpflichtet, den von einem Verfahren nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt habe. Diese Grundsätze gälten auch im Verfahren vor dem Gericht, wenn einem Unternehmen die für seine Verteidigung möglicherweise relevanten Unterlagen im Verwaltungsverfahren nicht zugänglich gemacht worden seien. Jedenfalls habe das Gericht den Antrag der Rechtsmittelführerin auf Vorlegung von Dokumenten nicht mit der Begründung ablehnen können, daß sie keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen habe, daß diese Unterlagen für ihre Verteidigung von Bedeutung gewesen wären. Ob ein Dokument für die Verteidigung von Bedeutung sei oder nicht, könnten eine Partei und ihr Prozeßbevollmächtigter erst dann beurteilen, wenn sie von der Existenz und dem Inhalt des Dokuments Kenntnis hätten.

80 Ausserdem habe das Gericht die Verteidigungsrechte verletzt, indem es sich geweigert habe, die Vorlage der das deutsche Strukturkrisenkartell betreffenden Unterlagen anzuordnen.

81 Die Kommission weist bezueglich des Antrags auf Einsicht in die gesamten Verfahrensakten darauf hin, das Gericht habe zu Recht entschieden, daß die Rechtsmittelführerin keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen habe, daß diese Unterlagen für ihre Verteidigung von Bedeutung gewesen wären. Was die das Strukturkrisenkartell betreffenden Unterlagen angehe, so sei ein derartiger Verfahrensfehler nicht rechtsmittelfähig, da er nicht geeignet sei, die Interessen der Rechtsmittelführerin zu beeinträchtigen, und seine Geltendmachung eine im Rechtsmittelverfahren unzulässige Erweiterung des dem Gericht unterbreiteten Streitgegenstands darstelle.

82 Zu der von der Kommission erhobene Unzulässigkeitseinrede genügt die Feststellung, daß erstens die Frage, ob das Bestehen des deutschen Strukturkrisenkartells die Entscheidung beeinflusst hat, vor dem Gericht erörtert wurde und daß zweitens die Rechtsmittelführerin vor dem Gerichtshof weiterhin behauptet, daß dieses Krisenkartell zumindest die Höhe der auferlegten Geldbussen beeinflusst habe. Daher handelt es sich insoweit nicht um eine Erweiterung des vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstands. Der Rechtsmittelgrund, mit dem das Recht auf Einsichtnahme in die das Krisenkartell betreffenden Unterlagen geltend gemacht wird, ist daher zulässig.

83 Sodann ergibt sich bezueglich der Einsicht in die Unterlagen aus Randnummer 23 des angefochtenen Urteils, daß die Kommission im Laufe des Verwaltungsverfahrens der Rechtsmittelführerin die sie direkt oder indirekt betreffenden Dokumente übersandt hat, mit Ausnahme der vertraulichen Dokumente; gleichzeitig wurde die Rechtsmittelführerin darauf hingewiesen, daß sie Gelegenheit habe, zur Ausarbeitung ihrer Stellungnahme andere Dokumente der Kommission mit deren Genehmigung einzusehen.

84 Aus Randnummer 28 des angefochtenen Urteils und aus den Akten ergibt sich, daß der neu bestellte Anwalt der Rechtsmittelführerin gegenüber der Kommission behauptet hat, daß er auch nach dem Erlaß der Entscheidung noch ein Recht auf Akteneinsicht habe. Aus einem Schriftwechsel zwischen den Parteien geht hervor, daß die Kommission die Rechtsmittelführerin darauf hingewiesen hat, daß sie ihr in der Anlage zur Mitteilung der Beschwerdepunkte die Unterlagen übersandt habe, auf denen diese beruhe. Mit Telefax vom 11. Oktober 1989 hat die Kommission ein Verzeichnis der gesamten Akten vorgelegt, soweit sie die Rechtsmittelführerin betrafen, und ihr die Zusendung von Kopien angeboten. Die Rechtsmittelführerin hat unter Bezugnahme auf dieses Angebot mit Telefax vom 16. Oktober 1989 zum einen um Übersendung des Berichts und des Vorgangs über die Nachprüfung vom 6. und 7. November 1985 in ihren Geschäftsräumen sowie des Berichts über die an denselben Tagen in den Geschäftsräumen des Fachverbands Betonstahlmatten vorgenommene Nachprüfung gebeten und zum anderen Einsicht in die Protokolle und sonstigen Unterlagen beantragt, die die Unterrichtung der Kommission durch das Bundeskartellamt über das deutsche Strukturkrisenkartell betrafen. Bis zur Einreichung der Klage hat die Kommission jedoch der Rechtsmittelführerin zufolge nicht reagiert.

85 In ihrer Klageschrift hat die Rechtsmittelführerin daher beantragt, der Kommission aufzugeben, ihr a) die gesamten Verfahrensakten, die sie betreffen, b) sämtliche Dokumente, Schriftwechsel, Protokolle und Notizen betreffend die Unterrichtung der Kommission durch das Bundeskartellamt über das Strukturkrisenkartell sowie c) sämtliche Unterlagen, Dokumente, Protokolle und Notizen betreffend die trilateralen Verhandlungen zwischen der Kommission, dem Bundeskartellamt und Vertretern der deutschen Strukturkrisenkartell-Gemeinschaft zur Einsicht vorzulegen.

86 Das Gericht hat in Randnummer 33 des angefochtenen Urteils entschieden, daß der Antrag der Rechtsmittelführerin als Antrag auf eine prozeßleitende Maßnahme im Sinne des Artikels 64 § 3 Buchstabe d der Verfahrensordnung des Gerichts anzusehen sei.

87 In Randnummer 34 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den Antrag auf Einsicht in die Akten der Kommission mit der Begründung zurückgewiesen, die Rechtsmittelführerin habe nicht bestritten, daß sie während des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission alle Aktenunterlagen erhalten habe, die sie direkt oder indirekt beträfen und auf die die Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt gewesen sei, und daß sie keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen habe, daß andere Unterlagen für ihre Verteidigung von Bedeutung gewesen wären. Infolgedessen war das Gericht der Ansicht, daß der Rechtsmittelführerin Gelegenheit gegeben worden sei, so wie sie es gewünscht habe, ihren Standpunkt zu sämtlichen Beschwerdepunkten, die die Kommission in der an sie gerichteten Mitteilung der Beschwerdepunkte ihr gegenüber formuliert hatte, und zu den zur Stützung dieser Beschwerdepunkte bestimmten Beweiselementen, die die Kommission in dieser Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt hatte oder die dieser beigefügt waren, geltend zu machen, so daß die Verteidigungsrechte gewahrt worden seien. Daher seien die Anwälte der Rechtsmittelführerin sowohl bei der Vorbereitung der Klageschrift als auch während des Verfahrens vor dem Gericht in der Lage gewesen sind, die Rechtmässigkeit der Entscheidung in voller Kenntnis der Umstände zu prüfen und die Verteidigung der Rechtsmittelführerin in vollem Umfang zu gewährleisten.

88 In Randnummer 35 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausserdem den Antrag auf Vorlage der das deutsche Strukturkrisenkartell betreffenden Unterlagen mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Rechtsmittelführerin nicht vorgebracht habe, daß sie ohne Kenntnis dieser Unterlagen nicht imstande gewesen sei, sich gegen die ihr zur Last gelegten Beschwerdepunkte zu verteidigen, und daß sie kein Indiz vorgetragen habe, das dartun könnte, in welcher Hinsicht diese Schriftstücke für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits von Bedeutung sein konnten. Hinzu komme in jedem Fall, daß es sich um Beweismittel handele, die mit dem Gegenstand des Verfahrens nichts zu tun hätten.

89 Der Zweck der Akteneinsicht in Wettbewerbssachen besteht insbesondere darin, es den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ermöglichen, von den in den Akten der Kommission enthaltenen Beweismitteln Kenntnis zu nehmen, damit sie auf deren Grundlage zu den Schlußfolgerungen, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangt ist, Stellung nehmen können (vgl. Urteile vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 7, vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnrn. 9 und 11, und vom 6. April 1995 in der Rechtssache C-310/93 P, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Slg. 1995, I-865, Randnr. 21).

90 Entgegen dem Vortrag der Rechtsmittelführerin gelten die allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze über das Recht auf Zugang zu den Akten der Kommission als solche nicht im gerichtlichen Verfahren, da dieses durch die EG-Satzung des Gerichtshofes und durch die Verfahrensordnung des Gerichts geregelt ist.

91 Nach Artikel 21 der EG-Satzung des Gerichtshofes kann der Gerichtshof von den Parteien die Vorlage aller Urkunden und die Erteilung aller Auskünfte verlangen, die er für wünschenswert hält. Artikel 64 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts bestimmt: "Prozeßleitende Maßnahmen sollen die Vorbereitung der Entscheidungen, den Ablauf der Verfahren und die Beilegung der Rechtsstreitigkeiten unter den bestmöglichen Bedingungen gewährleisten."

92 Gemäß Artikel 64 § 2 Buchstaben a und b der Verfahrensordnung des Gerichts haben prozeßleitende Maßnahmen insbesondere zum Ziel, den ordnungsgemässen Ablauf des schriftlichen Verfahrens oder der mündlichen Verhandlung zu gewährleisten und die Beweiserhebung zu erleichtern sowie die Punkte zu bestimmen, zu denen die Parteien ihr Vorbringen ergänzen sollen oder die eine Beweisaufnahme erfordern. Gemäß Artikel 64 §§ 3 Buchstabe d und 4 können diese Maßnahmen, zu denen die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen oder Beweisstücken im Zusammenhang mit der Rechtssache gehört, von den Parteien in jedem Verfahrensstadium vorgeschlagen werden.

93 Daraus folgt, daß die Rechtsmittelführerin beim Gericht beantragen konnte, der Gegenpartei aufzugeben, in ihrem Besitz befindliche Unterlagen vorzulegen. Die antragstellende Partei muß aber, damit das Gericht feststellen kann, ob die Anordnung der Vorlage bestimmter Unterlagen dem ordnungsgemässen Ablauf des Verfahrens dienlich wäre, die erbetenen Dokumente bezeichnen und dem Gericht zumindest einen Anhaltspunkt dafür geben, daß diese Dokumente für das Verfahren zweckdienlich sind.

94 Aus dem angefochtenen Urteil und den Akten des Gerichts ergibt sich, daß die Rechtsmittelführerin, obwohl die Kommission ihr ein Verzeichnis sämtlicher sie betreffenden Aktenstücke vorgelegt hatte, in ihrem Antrag beim Gericht die Schriftstücke, deren Vorlage sie wünschte, unzureichend bezeichnet hat. Was die das deutsche Strukturkrisenkartell betreffenden Unterlagen angeht, so hat die Rechtsmittelführerin der Kommission zwar vorgeworfen, ihre Beteiligung an dem Kartell als einen strafschärfenden Umstand berücksichtigt zu haben; sie hat jedoch nicht genau angegeben, inwiefern die beantragten Dokumente für sie von Nutzen sein konnten.

95 Das Gericht hat in den Randnummern 34 und 35 des angefochtenen Urteils zu Recht den Antrag auf Vorlage der Unterlagen abgelehnt. Daher ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zu den Rechtsmittelgründen, mit denen ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages geltend gemacht wird

Abgrenzung des Marktes

96 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe im angefochtenen Urteil seine Ausführungen zur Bestimmung des relevanten Marktes unzureichend begründet. Insbesondere habe sie entgegen den Feststellungen des Gerichts in den Randnummern 38 und 40 des angefochtenen Urteils in der mündlichen Verhandlung nie behauptet, daß sie auf ihren Maschinen Standardmatten herstellen könne oder daß Listenmatten und Lagermatten austauschbar seien. Daher könne der Markt nicht in der Weise festgelegt werden, daß er beide Typen von Matten einschließe.

97 Die Kommission ist der Ansicht, die Rechtsmittelführerin versuche mit diesem Rechtsmittelgrund, Tatsachenfeststellungen des Gerichts der Kontrolle durch den Gerichtshof zu unterwerfen.

98 Soweit mit diesem Rechtsmittelgrund eine unzureichende Begründung des angefochtenen Urteils geltend gemacht wird, ist er im Rechtsmittelverfahren zulässig.

99 Insoweit genügt die Feststellung, daß das Gericht bei der Abgrenzung des relevanten Marktes in Randnummer 39 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen hat, daß die Preise von Lagermatten und Listenmatten nicht sehr weit auseinanderlägen. In Randnummer 40 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausserdem festgestellt, daß sich in der mündlichen Verhandlung ergeben habe, daß die Verwendung von Lagermatten auf Baustellen, auf denen normalerweise Zeichnungsmatten verwendet werden müssten, tatsächlich möglich sei, wenn der Lagermattenpreis so niedrig sei, daß er dem Bauherrn eine bedeutende Einsparung verschaffe, die die zusätzlichen Kosten decke und die technischen Nachteile ausgleiche, die mit dem Wechsel des verwendeten Materials verbunden seien, und daß diese Situation während eines Teils des von den Absprachen erfassten Zeitraums bestanden habe.

100 Das Gericht hat somit rechtlich hinreichend die Gründe dargelegt, aus denen bestimmte mit dem Preisniveau in Zusammenhang stehende Umstände die Wirtschaftsteilnehmer veranlassen konnten, Listenmatten mit Lagermatten zu substituieren, und damit einen gemeinsamen Markt für beide Erzeugnisse abgegrenzt.

101 Daher ist der Rechtsmittelgrund, mit dem ein Begründungsmangel bei der Marktabgrenzung geltend gemacht wird, als unbegründet zurückzuweisen.

Absprachen zwischen der Rechtsmittelführerin und Tréfilunion

102 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, aus dem angefochtene Urteil ergebe sich nicht, weshalb die Vereinbarungen mit Tréfilunion einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstellten, und wirft dem Gericht vor, es habe keine Subsumtion des Sachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift vorgenommen.

103 Das Gericht habe zum einen nicht das Vorbringen geprüft, daß die Zusage von Tréfilunion, keine Beschwerde bei der Kommission gegen das deutsche Strukturkrisenkartell zu führen, keine Wettbewerbsbeschränkung darstelle, und zum anderen nicht über die Frage entschieden, ob die Zusage der Rechtsmittelführerin, für zwei bis drei Monate keine Listenmatten nach Frankreich auszuführen, eine solche Beschränkung habe bewirken oder den Handel zwischen Mitgliedstaaten nachhaltig habe beeinträchtigen können.

104 Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht die streitigen Tatsachen ordnungsgemäß unter die anwendbare Vorschrift subsumiert.

105 Das Gericht hat in Randnummer 63 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß der Rechtsmittelführerin in der Entscheidung vorgeworfen werde, sie habe mit Tréfilunion eine "generelle Verhaltensabstimmung herbeigeführt, die darauf abgezielt habe, die gegenseitige Penetration ihrer Erzeugnisse in Deutschland und Frankreich zu begrenzen". Diese Verhaltensabstimmung habe sich in drei Punkten konkretisiert: 1. Tréfilunion führe nicht Beschwerde bei der Kommission gegen das deutsche Krisenkartell; 2. das Werk Gelsenkirchen der Rechtsmittelführerin exportiere zwei bis drei Monate lang keine Listenmatten nach Frankreich; 3. die beiden Parteien hätten sich dahin geeinigt, daß ihre zukünftige Exporttätigkeit mit bestimmten Quoten verknüpft werde.

106 Aufgrund der Würdigung zweier interner Vermerke von Herrn Marie vom 16. Juli 1985 und Herrn Müller vom 27. August 1985 ist das Gericht zu der Schlußfolgerung gelangt, daß der Kommission der Beweis für die Zusage von Tréfilunion, keine Beschwerde gegen das deutsche Strukturkrisenkartell zu führen, und für den Verzicht der Rechtsmittelführerin auf die Ausfuhr von Listenmatten nach Frankreich für einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten rechtlich gelungen sei. Dagegen hat das Gericht entschieden, daß der Kommission der Beweis für das Bestehen einer Vereinbarung, die die Verknüpfung der zukünftigen Exporte mit der Festsetzung von Quoten bezweckt habe, rechtlich nicht gelungen sei.

107 In Randnummer 64 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die Auffassung vertreten, daß die Zusage von Herrn Marie, keine Beschwerde gegen das deutsche Strukturkrisenkartell zu führen, als ein Verhalten gegenüber einem Konkurrenten anzusehen sei, das eine Gegenleistung für Zugeständnisse dieses Konkurrenten im Rahmen einer gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossenden Absprache gewesen sei.

108 Da das Gericht festgestellt hat, daß diese Zusage ebenso wie der Verzicht der Rechtsmittelführerin auf die Ausfuhr von Listenmatten nach Frankreich für einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten Teil einer generellen Verhaltensabstimmung über die gegenseitige Penetration ihrer Erzeugnisse in Deutschland und Frankreich gewesen sei, hat es zu Recht die Schlußfolgerung ziehen können, daß die Kommission nicht fehlerhaft angenommen habe, daß sich die Rechtsmittelführerin an einer Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zuwiderlaufenden Absprache beteiligt habe.

109 Da kein Beweis für einen offensichtlichen Beurteilungsfehler des Gerichts vorliegt, ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Quoten- und Preisabsprachen über den Benelux-Markt und mit den Benelux-Herstellern über den deutschen Markt

110 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fehlerhaft angewandt, da es wesentlichen Sachvortrag, auf den sie sich vor dem Gericht berufen habe, ausser acht gelassen habe; das Gericht habe die Tatsache ignoriert, daß ihre Mitarbeiter an den Sitzungen von Herstellern nur in ihrer Eigenschaft als Vertreter der Strukturkrisenkartell-Gemeinschaft oder des Fachverbands Betonstahlmatten und nicht als Vertreter der Rechtsmittelführerin teilgenommen hätten. Ausserdem sei bezueglich des Benelux-Marktes die Begründung des Urteils in sich widersprüchlich, da die blosse Teilnahme an einer Sitzung, bei der andere Unternehmen eine Preisabsprache träfen, kein Verstoß gegen Artikel 85 sein könne, wenn das Unternehmen selbst die Produkte, die Gegenstand der Absprache seien, nicht in den Markt liefere.

111 Die Kommission ist der Ansicht, daß die Rechtsmittelführerin mit ihren Rügen die Würdigung der vorgelegten Beweise durch das Gericht in Frage stellen wolle, was, sofern diese Beweismittel nicht verfälscht würden, keine Rechtsfrage sei, die der Kontrolle des Gerichtshofes unterliege. Eine solche Verfälschung sei nicht dargetan. Schließlich sei die Begründung des Urteils des Gerichts nicht in sich widersprüchlich.

112 Wie der Generalanwalt in den Nummern 200 und 246 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, beschränkt sich die Rechtsmittelführerin im wesentlichen darauf, lange Passagen aus ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts wiederzugeben, um daraus wie vor dem Gericht zu schließen, daß die fraglichen Dokumente zeigten, daß Herr Müller als Vertreter des Fachverbands Betonstahlmatten und des Aufsichtsgremiums des deutschen Strukturkrisenkartells, nicht aber als Vorsitzender der Geschäftsleitung der Rechtsmittelführerin gehandelt habe.

113 Aus Artikel 168a des Vertrages, Artikel 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 112 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung folgt, daß ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muß. Ein Rechtsmittel, das sich darauf beschränkt, die bereits vor dem Gericht dargelegten Klagegründe einschließlich derjenigen, die auf ein vom Gericht ausdrücklich zurückgewiesenes Tatsachenvorbringen gestützt waren, zu wiederholen oder wörtlich wiederzugeben, entspricht diesem Erfordernis nicht. Ein solches Rechtsmittel zielt nämlich in Wirklichkeit nur auf eine erneute Prüfung der beim Gericht eingereichten Klage ab, was nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofes fällt (vgl. Beschluß San Marco Impex/Kommission, Randnrn. 36 bis 38).

114 Auch soweit das Rechtsmittel keine solche Wiederholung oder Wiedergabe enthält, zielt es auf eine Überprüfung der Tatsachenwürdigung des Gerichts ab.

115 Daraus folgt, daß diese Rechtsmittelgründe unzulässig sind.

Nichtanwendung der Verordnung Nr. 67/67 auf die Alleinvertriebsverträge

116 Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin hat das Gericht nicht dargelegt, daß die Alleinvertriebsverträge zwischen der Rechtsmittelführerin auf der einen und der Bouwstaal Rörmond BV sowie der Arbed SA Afdeling Nederland auf der anderen Seite ein Verbot von Parallelimporten enthielten, und sich auch nicht dazu geäussert, daß die Kommission diese Verträge geduldet habe, die ihr anläßlich der Neuordnung der luxemburgischen und der saarländischen Stahlindustrie vorgelegt worden seien.

117 Die Kommission macht geltend, das Vorbringen, daß kein Verbot von Parallelimporten bestanden habe, falle in den Bereich der Tatsachenwürdigung des Gerichts; das Vorbringen, sie habe die streitigen Verträge geduldet, stelle ein neues Angriffsmittel dar.

118 Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, es sei nicht dargelegt worden, daß ihre Verträge mit der Bouwstaal Rörmond BV und der Arbed SA Afdeling Nederland ein Verbot von Parallelimporten enthielten, ist unzulässig, da mit diesem Vorbringen, wie der Generalanwalt in den Nummern 210 bis 223 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Tatsachenwürdigung des Gerichts in Frage gestellt werden soll.

119 Was das Vorbringen der Rechtsmittelführerin angeht, das Gericht habe sich nicht zur Duldung der betreffenden Verträge durch die Kommission geäussert, so bestand, wie der Generalanwalt in den Nummern 228 bis 232 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, das Vorbringen vor dem Gericht insoweit aus blossen unsubstantiierten Behauptungen, für die kein Beweis angeboten wurde. Daher kann dem Gericht nicht vorgeworfen werden, daß es sich zu diesem Vorbringen nicht geäussert hat.

120 Dieser Rechtsmittelgrund ist somit zurückzuweisen.

Zu den Rechtsmittelgründen, mit denen ein Verstoß gegen Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 geltend gemacht wird

121 Die Möglichkeit, im Fall einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages Geldbussen festzusetzen, ist ausdrücklich in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehen, wo es heisst:

"Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbussen in Höhe von eintausend bis einer Million Rechnungseinheiten oder über diesen Betrag hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig:

a) gegen Artikel 85 Absatz (1)... verstossen,

b)...

Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbusse ist neben der Schwere des Verstosses auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen."

122 Die Rechtsmittelführerin wirft dem Gericht erstens vor, die mildernden und strafschärfenden Umstände der Zuwiderhandlungen rechtsfehlerhaft gewürdigt zu haben. Das Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Kommission eine individuelle Abwägung der Kriterien für die Bestimmung der Schwere der Zuwiderhandlungen vorgenommen habe. Insbesondere hätten sowohl die Kommission als auch das Gericht bei der Festsetzung der Geldbusse ihre Beteiligung am Strukturkrisenkartell als einen strafschärfenden Umstand berücksichtigt. Ausserdem sei die gegen sie verhängte Geldbusse unverhältnismässig, da verschiedenen Milderungsgründen nicht Rechnung getragen worden sei.

123 Die Kommission entgegnet, diese Rüge sei unzulässig, da sie darauf hinauslaufe, die von der Rechtsmittelführerin vor dem Gericht dargelegten Argumente wiederaufzugreifen. Was das deutsche Strukturkrisenkartell angehe, so habe das Gericht die in der Entscheidung getroffene Wahl gerechtfertigt, das Bestehen dieses Kartells nicht als einen mildernden Umstand zugunsten der Rechtsmittelführerin anzusehen.

124 Zweitens trägt die Rechtsmittelführerin vor, es sei nicht berücksichtigt worden, daß sie sich über die Rechtswidrigkeit des deutschen Strukturkrisenkartells und der zu seinem Schutz durchgeführten Maßnahmen im Irrtum befunden habe.

125 Die Kommission hält diese Rüge für unzulässig, da sie erstmals im Rechtsmittelverfahren erhoben werde.

126 Schließlich beantragt die Rechtsmittelführerin hilfsweise die Herabsetzung der Geldbusse auf einen angemessenen Betrag.

127 Die Kommission bemerkt, daß es nicht Sache des Gerichtshofes sei, aus Gründen der Billigkeit die vom Gericht vorgenommene Beurteilung durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen.

FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 695J0185.1

128 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß allein das Gericht zuständig ist, die Art und Weise, wie die Kommission im Einzelfall die Schwere der rechtswidrigen Verhaltensweisen beurteilt hat, zu überprüfen. Im Rechtsmittelverfahren richtet sich die Kontrolle durch den Gerichtshof zum einen darauf, inwieweit das Gericht rechtlich korrekt alle Faktoren berücksichtigt hat, die für die Beurteilung der Schwere eines bestimmten Verhaltens anhand des Artikels 85 des Vertrages und des Artikels 15 der Verordnung Nr. 17 von Bedeutung sind, und zum anderen darauf, zu prüfen, ob das Gericht auf alle von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Argumente für eine Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbusse rechtlich hinreichend eingegangen ist (vgl. zu letzterem Urteil vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-219/95 P, Ferriere Nord/Kommission, Slg. 1997, I-4411, Randnr. 31).

129 Was die Rüge angeht, die Geldbusse sei unverhältnismässig, so ist es nicht Sache des Gerichtshofes, bei der Entscheidung über Rechtsfragen im Rahmen eines Rechtsmittels die Beurteilung des Gerichts, das in Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis über den Betrag der gegen Unternehmen wegen eines Verstosses gegen das Gemeinschaftsrecht festgesetzten Geldbussen entscheidet, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen (vgl. Urteile BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Randnr. 34, und Ferriere Nord/Kommission, Randnr. 31). Diese Rüge ist daher unzulässig, soweit sie eine generelle erneute Überprüfung der Geldbussen bezweckt und hilfsweise auf deren Herabsetzung auf einen angemessenen Betrag abzielt. Das gleiche gilt, wie der Generalanwalt in Nummer 286 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, für die von der Rechtsmittelführerin vor dem Gericht nicht erhobenen Rüge, mit der sie ihren angeblichen Irrtum über den rechtswidrigen Charakter der zur Verteidigung des deutschen Strukturkrisenkartells bestimmten Verhaltensweisen geltend macht.

130 Zur Rüge einer fehlenden Abwägung zwischen mildernden und strafschärfenden Umständen genügt zunächst die Feststellung, daß das angefochtene Urteil die Zuwiderhandlungen der Rechtsmittelführerin kurz wiedergibt und ihr Verhalten sowie ihre Rolle beim Zustandekommen oder Funktionieren jeder einzelnen Absprache individualisiert.

131 Sodann hat das Gericht in Randnummer 146 des angefochtenen Urteils ausgeführt, daß der Rechtsmittelführerin mit der Entscheidung insgesamt gesehen die erforderlichen Angaben mitgeteilt worden seien, so daß diese die verschiedenen Zuwiderhandlungen, die ihr vorgeworfen worden seien, sowie die spezifischen Umstände ihres Verhaltens, insbesondere auch die in bezug auf die Dauer ihrer Beteiligung an den verschiedenen Zuwiderhandlungen, habe erkennen können. Das Gericht hat ausserdem festgestellt, daß die Kommission in dem die rechtliche Beurteilung enthaltenden Teil der Entscheidung die verschiedenen Kriterien für die Bewertung der Schwere der der Rechtsmittelführerin zur Last gelegten Zuwiderhandlungen und die verschiedenen Umstände, die die wirtschaftlichen Folgen der Zuwiderhandlungen abgeschwächt hätten, dargelegt habe.

132 Ausserdem hat das Gericht bezueglich der zu Lasten der Rechtsmittelführerin berücksichtigten erschwerenden Umstände in Randnummer 149 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin nichts vorgebracht habe, was die Beweise widerlegen könnte, die die Kommission vorgelegt habe, um die aktive Rolle zu belegen, die die Rechtsmittelführerin bei den Absprachen gespielt habe. Wie der Generalanwalt in Nummer 268 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat sich das Gericht auf bestimmte Passagen aus der streitigen Entscheidung bezogen, in denen Verhaltensweisen der Rechtsmittelführerin geschildert werden, die geeignet sind, eine grössere Strenge bei der Festsetzung der verhängten Sanktion zu rechtfertigen. In diesen Ausführungen hat die Kommission gleichzeitig die Rolle der Rechtsmittelführerin als treibende Kraft bei den Zuwiderhandlungen und das Eingreifen von Herrn Müller in seiner dreifachen Eigenschaft als Vorsitzender der Geschäftsleitung der Rechtsmittelführerin, Vertreter des deutschen Strukturkrisenkartells und Vorsitzender des Fachverbands Betonstahlmatten hervorgehoben. In Punkt 207 der Entscheidung hat die Kommission erklärt, daß gegen Unternehmen, deren leitende Persönlichkeiten in Unternehmensvereinigungen wie dem Fachverband Betonstahlmatten leitende Stellungen und wichtige Funktionen innehätten, höhere Geldbussen als gegen die übrigen Unternehmen festgesetzt werden müssten.

133 Was die nachteilige Berücksichtigung der Beteiligung der Rechtsmittelführerin am Strukturkrisenkartell angeht, so genügt die Feststellung, daß das Gericht, da gegen die Rechtsmittelführerin eine Sanktion wegen Absprachen verhängt wurde, die nicht untrennbar mit der Bildung des Kartells verbunden waren und die den deutschen Markt vor unkontrollierten Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten schützen sollten, zu Recht davon ausgehen konnte, daß das Bestehen dieses genehmigten Kartells nicht als genereller mildernder Umstand im Hinblick auf diese Handlungen der Rechtsmittelführerin angesehen werden konnte, die aufgrund der Funktionen des Vorsitzenden ihrer Geschäftsleitung insoweit eine besondere Verantwortung auf sich genommen hatte.

134 Was schließlich das Vorliegen von Milderungsgründen im einzelnen betrifft, so trägt die Rechtsmittelführerin vor, das Gericht habe verschiedene derartige Umstände unberücksichtigt gelassen. So hätten die Kommission und das Gericht die gegen sie verhängte Geldbusse auf der Grundlage ihres Gesamtumsatzes berechnet anstatt anhand des Umsatzes, der sich aus den Absprachen ergeben habe. Die Rechtsmittelführerin macht ausserdem einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz geltend, der in der unverhältnismässigen Höhe der gegen sie verhängten Geldbusse im Vergleich mit den anderen Geldbussen bestehe. Ausserdem wendet sie sich dagegen, daß das Gericht bei der Festsetzung der Geldbusse ihren Anteil am deutschen Markt berücksichtigt habe, weil die finanziellen Ressourcen eines Unternehmens nicht zwangsläufig seiner Marktposition entsprächen.

135 Das Gericht hat in Randnummer 158 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß die Kommission nicht den Gesamtumsatz der Rechtsmittelführerin, sondern nur den Umsatz an Betonstahlmatten in den sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft berücksichtigt und die 10%-Grenze nicht überschritten habe; daher habe sie angesichts der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung nicht gegen Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 verstossen.

136 In Randnummer 160 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zur Festsetzung der Höhe der Geldbusse auf einen Prozentsatz von 3,15 des Umsatzes ausgeführt, daß bei der Rechtsmittelführerin, der kein allgemeiner mildernder Umstand zugute komme, - ebenso wie bei Tréfilunion - ein erschwerender Umstand berücksichtigt worden sei, der der Anzahl und der Bedeutung der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen entspreche.

137 Sodann ist zu prüfen, ob das Gericht rechtlich korrekt die Anteile der Rechtsmittelführerin am deutschen Markt berücksichtigt hat, als es in Randnummer 147 des angefochtenen Urteils unter Hinweis darauf, daß die Rechtsmittelführerin das Unternehmen mit dem bei weitem grössten Anteil am deutschen Markt gewesen sei, festgestellt hat, daß die Kommission es zu Recht abgelehnt habe, bei der Rechtsmittelführerin als mildernden Umstand zu berücksichtigen, daß sie keiner mächtigen Wirtschaftseinheit angehört habe.

138 Zu den Faktoren, anhand deren die Schwere der Zuwiderhandlung zu beurteilen ist, können die Menge und der Wert der Waren, die Gegenstand der Zuwiderhandlung waren, die Grösse und die Wirtschaftskraft des Unternehmens und folglich der Einfluß gehören, den das Unternehmen auf den Markt ausüben konnte (vgl. Urteil vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 120).

139 Daraus ergibt sich, daß bei der Festsetzung der Geldbusse sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der - wenn auch nur annähernd und unvollständig - etwas über dessen Grösse und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden dürfen, der mit den Waren erzielt worden ist, hinsichtlich deren die Zuwiderhandlung begangen wurde, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann (vgl. Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 121). Die Marktanteile eines Unternehmens können zwar nicht entscheidend sein für die Schlußfolgerung, daß ein Unternehmen einer mächtigen Wirtschaftseinheit angehört, doch sind sie relevant für die Bestimmung des Einflusses, den das Unternehmen auf den Markt ausüben konnte.

140 Daher ist diese Rüge zurückzuweisen.

Zu den Folgen der Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit darin die Höhe der Geldbusse festgesetzt wird

141 In Anbetracht aller Umstände des vorliegenden Falles ist der Gerichtshof der Ansicht, daß ein Betrag von 50 000 ECU einen angemessenen Ausgleich für die überlange Dauer des Verfahrens darstellt.

142 Demzufolge wird das angefochtene Urteil insoweit aufgehoben, als darin die Höhe der Geldbusse festgesetzt wird (siehe Randnr. 48 des vorliegenden Urteils); der Gerichtshof entscheidet gemäß Artikel 54 seiner Satzung den Rechtsstreit endgültig und setzt die Geldbusse auf 2 950 000 ECU fest.

143 Im übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

Kostenentscheidung:

Kosten

144 Gemäß Artikel 122 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet. Nach Artikel 69 § 2, der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 69 § 3 kann der Gerichtshof jedoch die Kosten teilen, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Kommission teils unterlegen ist, während die Rechtsmittelführerin im übrigen unterlegen ist, ist zu beschließen, daß die Rechtsmittelführerin ihre eigenen Kosten und drei Viertel der Kosten der Kommission trägt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Punkt 2 des Tenors des Urteils des Gerichts erster Instanz vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-145/89 (Baustahlgewebe/Kommission) wird aufgehoben, soweit darin die gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzte Geldbusse auf 3 Millionen ECU festgesetzt wird.

2. Die gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzte Geldbusse wird auf 2 950 000 ECU festgesetzt.

3. Im übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

4. Die Rechtsmittelführerin trägt ihre eigenen Verfahrenskosten und drei Viertel der Kosten der Kommission.

Ende der Entscheidung

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