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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.03.2003
Aktenzeichen: C-186/01
Rechtsgebiete: Richtlinie 76/207/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 76/207/EWG Art. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes vom 11. März 2003. - Alexander Dory gegen Bundesrepublik Deutschland. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Stuttgart - Deutschland. - Nichtanwendung des Gemeinschaftsrechts auf die Wehrpflicht - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Artikel 2 der Richtlinie 76/207/EWG - Beschränkung der Wehrpflicht in Deutschland auf Männer - Unanwendbarkeit der Richtlinie. - Rechtssache C-186/01.

Parteien:

In der Rechtssache C-186/01

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Verwaltungsgericht Stuttgart in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Alexander Dory

gegen

Bundesrepublik Deutschland

"vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 2 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) und allgemein über die Vereinbarkeit der in Deutschland bestehenden Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer mit dem Gemeinschaftsrecht

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet (Berichterstatter), M. Wathelet, R. Schintgen und C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, P. Jann und V. Skouris, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr und J. N. Cunha Rodrigues,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und B. Muttelsee-Schön als Bevollmächtigte,

- der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham, C. Bergeot-Nunes und C. Chevallier als Bevollmächtigte,

- der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Sack und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Herrn Dory, vertreten durch die Rechtsanwälte W. Dory und C. Lenz, der deutschen Regierung, vertreten durch W. -D. Plessing im Beistand des Sachverständigen C. Tomuschat, der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä, und der Kommission, vertreten durch J. Sack, in der Sitzung vom 16. April 2002,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. November 2002,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 4. April 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 30. April 2001, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 2 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) und allgemein nach der Vereinbarkeit der in Deutschland bestehenden Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer mit dem Gemeinschaftsrecht zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Dory und der Bundesrepublik Deutschland über einen Bescheid des Kreiswehrersatzamts Schwäbisch Gmünd (im Folgenden: Kreiswehrersatzamt), mit dem dieses den Antrag von Herrn Dory zurückwies, ihn aus der Wehrerfassung herauszunehmen und von der Wehrpflicht zu befreien.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 2 EG lautet:

"Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern."

4 Artikel 3 Absatz 2 EG bestimmt, dass die Gemeinschaft im Rahmen der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Tätigkeiten "darauf hin[wirkt], Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern."

5 Artikel 13 EG lautet:

"Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags kann der Rat im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen."

6 Artikel 141 Absatz 1 EG bestimmt:

"Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher."

7 Artikel 141 Absatz 3 EG lautet:

"Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit."

8 Die Richtlinie 76/207 bestimmt in Artikel 1 Absatz 1:

"Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und in Bezug auf die soziale Sicherheit unter den in Absatz 2 vorgesehenen Bedingungen verwirklicht wird... "

9 Artikel 2 Absätze 1 bis 3 dieser Richtlinie lautet wie folgt:

"(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf.

(2) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, solche beruflichen Tätigkeiten und gegebenenfalls die dazu jeweils erforderliche Ausbildung, für die das Geschlecht auf Grund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen.

(3) Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen."

10 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 bestimmt:

"Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beinhaltet, dass bei den Bedingungen des Zugangs - einschließlich der Auswahlkriterien - zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen - unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig - und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt."

Nationales Recht

11 In Artikel 12a des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (in der im BGBl. 2000 I S. 1755 veröffentlichten Fassung, im Folgenden: Grundgesetz) heißt es:

"(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.

...

(4) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden."

12 Das Wehrpflichtgesetz in der ab 1. Januar 1996 gültigen Fassung vom 15. Dezember 1995 (BGBl. 1995 I S. 1756) bestimmt in § 1 Absatz 1 (Allgemeine Wehrpflicht):

"Wehrpflichtig sind alle Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind... "

13 Nach § 3 Absatz 1 des Wehrpflichtgesetzes wird "[d]ie Wehrpflicht... durch den Wehrdienst oder im Falle des § 1 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes vom 28. Februar 1983 (BGBl. I S. 203) durch den Zivildienst erfuellt..."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

14 Herr Dory wurde am 15. Juni 1982 geboren. Nachdem er im September 1999 einen Fragebogen zur Vorbereitung der Musterung erhalten hatte, beantragte er beim Kreiswehrersatzamt, ihn aus der Wehrerfassung herauszunehmen und von der Wehrpflicht zu befreien. Zur Begründung führte er aus, das Wehrpflichtgesetz verstoße gegen Gemeinschaftsrecht, wobei er sich auf das Urteil vom 11. Januar 2000 in der Rechtssache C-285/98 (Kreil, Slg. 2000, I-69) berief, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass Frauen nicht vom Zugang zu allen militärischen Verwendungen in der deutschen Bundeswehr ausgeschlossen werden können.

15 Mit Bescheid vom 3. September 2000 wies das Kreiswehrersatzamt diesen Antrag zurück und führte aus, dass das Urteil Kreil nur den Zugang von Frauen zum freiwilligen Dienst in der Bundeswehr betreffe, nicht aber die Frage der Wehrpflicht, und dass die Wehrpflicht nach wie vor in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle.

16 Der Widerspruch von Herrn Dory gegen diesen Bescheid wurde von der Wehrbereichsverwaltung zurückgewiesen. Daraufhin rief Herr Dory das Verwaltungsgericht Stuttgart an, vor dem er geltend macht, dass der Umstand, dass Frauen nach dem Urteil Kreil ein Recht auf Zugang zu militärischen Verwendungen hätten, von der Wehrpflicht aber befreit seien, während Männer der Wehrpflicht unterlägen, dem Gleichheitssatz widerspreche und eine unzulässige Diskriminierung von Männern darstelle.

17 Die Beklagte des Ausgangsverfahrens vertritt die Ansicht, dass keiner Bestimmung des EG-Vertrags zu entnehmen sei, dass die Wehrpflicht dem Gemeinschaftsrecht unterliege. Die Organisation der Wehrpflicht falle in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten. Weder die Artikel 3 Absatz 2 EG und 13 EG, die als solche keine Zuständigkeit der Gemeinschaft begründeten, sondern lediglich die Modalitäten der Ausübung von sich aus anderen Bestimmungen ergebenden Zuständigkeiten festlegten, noch Artikel 141 EG und die Richtlinie 76/207, die nur berufliche Tätigkeiten beträfen, könnten auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens Anwendung finden.

18 Das Verwaltungsgericht Stuttgart hegt Zweifel an der Richtigkeit des Standpunktes der Beklagten des Ausgangsverfahrens. Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache C-79/99 (Schnorbus, Slg. 2000, I-10997) weist es darauf hin, dass die Ableistung des Wehrdienstes jedenfalls zu einem verspäteten Zugang der Männer zur Beschäftigung und Berufsausbildung führe und damit eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 darstellen könnte. Diese Ungleichbehandlung könnte jedoch als spezifische Vergünstigung zugunsten der Frauen gerechtfertigt sein, durch die mit Schwangerschaft und Kindererziehung einhergehende berufliche Ausfallzeiten ausgeglichen würden.

19 Unter diesen Umständen hält das Verwaltungsgericht Stuttgart eine Klarstellung der Reichweite des Gemeinschaftsrechts auf diesem Gebiet durch den Gerichtshof für erforderlich. Daher hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Steht - insbesondere in Bezug auf die Auslegung von Artikel 2 der Richtlinie 76/207/EWG - der deutschen Wehrpflicht nur für Männer Europarecht entgegen?

20 Am 26. September 2001 hat Herr Dory einen Einberufungsbescheid erhalten, wonach er seinen am 1. November 2001 beginnenden Wehrdienst am 5. November 2001 anzutreten hatte.

21 Mit Schriftsätzen vom 28. September 2001 hat Herr Dory beim vorlegenden Gericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Einberufungsbescheid und beim Gerichtshof die Aussetzung des Vollzugs dieses Bescheids im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Das vorlegende Gericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 19. Oktober 2001 stattgegeben. Der Gerichtshof hat den Antrag auf einstweilige Anordnung mit Beschluss vom 24. Oktober 2001 in der Rechtssache C-186/01 R (Dory, Slg. 2001, I-7823) als unzulässig zurückgewiesen.

Zur Vorlagefrage

Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen

22 Herr Dory macht geltend, die Wehrpflicht führe dazu, dass während ihrer Erfuellung ein Berufsverbot bestehe, und sie verzögere den Einstieg in das Berufsleben. Sie falle daher unter die Richtlinie 76/207 und stelle eine nach dieser verbotene Diskriminierung dar. Jedenfalls sei sie mit dem in Artikel 3 Absatz 2 EG verankerten allgemeinen Grundsatz der Gleichstellung von Männern und Frauen unvereinbar.

23 Die deutsche Regierung weist darauf hin, dass der Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland wesentliche Bedeutung zukomme. Sie solle einen engen Kontakt zwischen den Streitkräften und der Bevölkerung schaffen, wodurch die demokratische Transparenz des Militärapparats gewährleistet werden solle, und sei ein Träger der inneren Einheit, insbesondere unter jungen Menschen der westlichen und der östlichen Bundesländer. Die im Verteidigungsfall erforderliche Truppenstärke werde ohne die Reservisten, die aus dem Kreis der Wehrpflichtigen gewonnen würden, nicht erreicht.

24 Außerdem sei die Wehrpflicht dem Bereich der Organisation der Streitkräfte zuzuordnen, der als wichtiger Bereich der staatlichen Hoheitsrechte in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sei. Der Gerichtshof habe dies in den Urteilen vom 26. Oktober 1999 in der Rechtssache C-273/97 (Sirdar, Slg. 1999, I-7403, Randnr. 15) und Kreil (Randnr. 15) anerkannt.

25 Jedenfalls verstoße die Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer, selbst wenn die Wehrpflicht in den Anwendungsbereich des Vertrages und der Richtlinie 76/207 fallen sollte, nicht gegen das Gemeinschaftsrecht. Artikel 3 Absatz 2 EG, wonach die Gemeinschaft das Ziel verfolge, die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern, sei nur auf spezifische Maßnahmen der Gemeinschaft aufgrund anderer Ermächtigungen anwendbar. Artikel 13 EG sei nicht unmittelbar anwendbar und ermächtige den Rat nur im Rahmen der ihm durch den Vertrag zugewiesenen Zuständigkeiten dazu, Vorkehrungen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts zu treffen. Artikel 141 EG und die Richtlinie 76/207 schließlich regelten nur Arbeitsverhältnisse, die sich aus einer Vereinbarung zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer ergäben, so dass sie auf die allgemeine Dienstverpflichtung, die die Wehrpflicht für die Einberufenen darstelle, nicht anwendbar seien.

26 Die französische Regierung vertritt die Ansicht, dass die Erfuellung der Wehrpflicht nicht mit der Ausübung einer Beschäftigung gleichgesetzt werden könne und folglich weder unter die Sozialvorschriften des Vertrages noch unter die Richtlinie 76/207 falle. Die Einführung einer Wehrpflicht sei eine Maßnahme der Landesverteidigung, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle.

27 Die finnische Regierung macht geltend, dass verteidigungspolitische Grundsatzentscheidungen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen, wie der Gerichtshof im Urteil Kreil entschieden habe, und dass das Gemeinschaftsrecht im Ausgangsverfahren keine Anwendung finde. Die Wehrpflicht betreffe jedenfalls nicht die Zugangsbedingungen zu militärischen Berufen und falle somit nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 76/207. Im Übrigen führe der Umstand, dass die Wehrpflicht auf Männer beschränkt sei, nicht zu einer Beeinträchtigung der Laufbahn von Frauen in den Streitkräften, da Frauen einen Wehrdienst freiwillig ableisten könnten und sich so in der gleichen Situation befänden wie einberufene Männer.

28 Nach Ansicht der Kommission stellt die Wehrpflicht eine einseitige öffentlich-rechtliche Dienstpflicht dar, bei der die Wehrpflichtigen nicht in einem arbeitsrechtlichen Verhältnis zu einem Dienstherrn stuenden. Sie sei demnach nicht Teil des Arbeitsmarktes und falle daher nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Die Wehrpflicht schränke die Reichweite des Gemeinschaftsrechts nicht mehr ein, als ihrem Wesen gemäß sei. Daher bedürfe es keiner Erörterung, ob die Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer im Rahmen der Richtlinie 76/207 gerechtfertigt werden könnte. Das Ausgangsverfahren unterscheide sich somit stark von den Rechtssachen, über die der Gerichtshof bereits entschieden habe. Die Mitgliedstaaten könnten sich folglich in diesem Zusammenhang zur Achtung ihrer Wehrhoheit im traditionell gewachsenen nationalen Zuschnitt auf die Artikel 6 Absatz 3 EU und 5 EG berufen.

Antwort des Gerichtshofes

29 Um festzustellen, ob die Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, wie er im Gemeinschaftsrecht verankert ist, vereinbar ist, sind zunächst die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen das Gemeinschaftsrecht auf die Tätigkeiten betreffend die Organisation der Streitkräfte anwendbar ist.

30 Die von den Mitgliedstaaten insoweit getroffenen Maßnahmen sind nicht schon deshalb in ihrer Gesamtheit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts entzogen, weil sie im Interesse der öffentlichen Sicherheit oder der Landesverteidigung ergehen.

31 Der Vertrag sieht nämlich, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nur in den Artikeln 30 EG, 39 EG, 46 EG, 58 EG, 64 EG, 296 EG und 297 EG vor; diese betreffen ganz bestimmte außergewöhnliche Fälle. Aus ihnen lässt sich kein allgemeiner, dem Vertrag immanenter Vorbehalt ableiten, der jede Maßnahme, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit getroffen wird, vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausnähme. Würde ein solcher Vorbehalt unabhängig von den besonderen Tatbestandsmerkmalen der Bestimmungen des Vertrages anerkannt, so könnte das die Verbindlichkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen (vgl. Urteile vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 26, Sirdar, Randnr. 16, und Kreil, Randnr. 16).

32 Der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne der in vorstehender Randnummer genannten Artikel des Vertrages umfasst aber sowohl die innere Sicherheit eines Mitgliedstaats, um die es in dem Verfahren ging, das dem Urteil Johnston zugrunde lag, als auch seine äußere Sicherheit, die Gegenstand des Verfahrens war, das zum Urteil Sirdar geführt hat (vgl. Urteile vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-367/89, Richardt und "Les Accessoires Scientifiques", Slg. 1991, I-4621, Randnr. 22, vom 17. Oktober 1995 in der Rechtssache C-83/94, Leifer u. a., Slg. 1995, I-3231, Randnr. 26, Sirdar, Randnr. 17, und Kreil, Randnr. 17).

33 Außerdem betreffen einige der im Vertrag vorgesehenen Ausnahmen nur die Bestimmungen über den freien Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr und nicht die Sozialvorschriften des Vertrages, zu denen der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen gehört. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass dieser Grundsatz allgemeine Geltung hat und dass die Richtlinie 76/207 auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse anwendbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Mai 1985 in der Rechtssache 248/83, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 1459, Randnr. 16, vom 2. Oktober 1997 in der Rechtssache C-1/95, Gerster, Slg. 1997, I-5253, Randnr. 18, Sirdar, Randnr. 18, und Kreil, Randnr. 18).

34 So hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie 76/207 auf den Zugang zur Beschäftigung in den Streitkräften anwendbar ist und dass er zu prüfen hat, ob die Maßnahmen, die die nationalen Stellen in Ausübung des ihnen zuerkannten Ermessens getroffen haben, tatsächlich das Ziel verfolgen, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, und ob sie angemessen und erforderlich sind, um dieses Ziel zu erreichen (Urteile Sirdar, Randnr. 28, und Kreil, Randnr. 25).

35 Die Entscheidungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Organisation ihrer Streitkräfte können zwar nicht vollständig der Anwendung des Gemeinschaftsrechts entzogen sein, insbesondere wenn es um die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen geht, vor allem beim Zugang zu militärischen Berufen. Daraus folgt jedoch nicht, dass Entscheidungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der militärischen Organisation, die die Verteidigung ihres Hoheitsgebiets oder ihrer unabdingbaren Interessen zum Ziel haben, unter das Gemeinschaftsrecht fallen.

36 Es ist nämlich Sache der Mitgliedstaaten, die die geeigneten Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer inneren und äußeren Sicherheit zu ergreifen haben, die Entscheidungen über die Organisation ihrer Streitkräfte zu treffen, wie der Gerichtshof in den Urteilen Sirdar (Randnr. 15) und Kreil (Randnr. 15) ausgeführt hat.

37 Die deutsche Regierung hat geltend gemacht, dass die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland sowohl politisch als auch streitkräfteorganisatorisch große Bedeutung habe. Sie hat in ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Wehrpflicht zur demokratischen Transparenz des Militärapparats, zum nationalen Zusammenhalt, zum engen Kontakt zwischen Streitkräften und Bevölkerung sowie zu der im Verteidigungsfall erforderlichen Mobilmachungsfähigkeit der Streitkräfte beitragen könne.

38 Mit einer solchen, im Grundgesetz verankerten Entscheidung wird eine Dienstverpflichtung im Interesse der territorialen Sicherheit auferlegt, auch wenn dies in vielen Fällen zu Lasten des Zugangs junger Menschen zum Arbeitsmarkt geht. Sie hat somit Vorrang vor den politischen Zielen der Eingliederung junger Menschen in den Arbeitsmarkt.

39 Die Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland dafür, ihre Verteidigung teilweise mit einer Wehrpflicht zu sichern, ist Ausdruck einer solchen Entscheidung hinsichtlich der militärischen Organisation, auf die das Gemeinschaftsrecht demzufolge nicht anwendbar ist.

40 Die auf Männer beschränkte Wehrpflicht bedeutet zwar in der Regel für die Betroffenen eine Verzögerung in ihrer beruflichen Laufbahn, auch wenn der Wehrdienst es einzelnen Einberufenen ermöglicht, eine Zusatzausbildung zu erhalten oder später eine militärische Laufbahn einzuschlagen.

41 Die Verzögerung in der beruflichen Laufbahn der Einberufenen ist aber eine unvermeidbare Konsequenz der Entscheidung des Mitgliedstaats hinsichtlich der militärischen Organisation und führt nicht dazu, dass diese Entscheidung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt. Denn es wäre ein Eingriff in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, wenn nachteilige Auswirkungen auf den Zugang zur Beschäftigung zur Folge hätten, dass der betroffene Mitgliedstaat gezwungen wäre, die im Wehrdienst bestehende Verpflichtung auf Frauen auszudehnen und ihnen somit dieselben Nachteile beim Zugang zur Beschäftigung aufzuerlegen oder die Wehrpflicht abzuschaffen.

42 Nach alledem ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht der Wehrpflicht nur für Männer nicht entgegensteht.

Kostenentscheidung:

Kosten

43 Die Auslagen der deutschen, der französischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 4. April 2001 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Das Gemeinschaftsrecht steht der Wehrpflicht nur für Männer nicht entgegen.

Ende der Entscheidung

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