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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.03.1993
Aktenzeichen: C-186/91
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 85/203/EWG vom 07.03.1985


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
EWG-Vertrag Art. 189
Richtlinie 85/203/EWG vom 07.03.1985 Art. 11
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Im Rahmen der Richtlinie 85/203 über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid können die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Werte festsetzen, die unter den in der Richtlinie vorgesehenen liegen, und sie müssen nach Artikel 11 bestimmten Konsultations- und Informationspflichten genügen, wenn sie von dieser Möglichkeit in einem an einen oder mehrere Mitgliedstaaten angrenzenden Gebiet Gebrauch machen möchten. Um einen vollständigen und wirksamen Schutz der Atmosphäre gegen übermässige Stickstoffdioxidkonzentrationen in grenznahen Gebieten zu gewährleisten, ist es unerläßlich, daß der betroffene Mitgliedstaat ausdrücklich in seinen Rechtsvorschriften vorsieht, daß die in Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehene vorherige Konsultation stattfindet, bevor Maßnahmen ergriffen werden, die die grenznahen Gebiete betreffen, und daß diese Rechtsvorschriften ausdrücklich die in Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie vorgesehene Konsultation für den Fall einer spürbaren Verschmutzung regeln, die ihren Ursprung in einem benachbarten Mitgliedstaat hat.

Daher stellt eine Umsetzung von Artikel 4 der Richtlinie ohne eine Umsetzung von Artikel 11, der eine Verpflichtung im Zusammenhang mit dem Gebrauchmachen von der nach Artikel 4 gebotenen Möglichkeit vorsieht, eine unvollständige Durchführung der Richtlinie dar.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 10. MAERZ 1993. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH BELGIEN. - VERTRAGSVERLETZUNG EINES MITGLIEDSTAATS - TEILWEISE DURCHFUEHRUNG DER RICHTLINIE 85/203/EWG - LUFTQUALITAETSNORMEN FUER STICKSTOFFDIOXID - VERPFLICHTUNG ZUR ABSPRACHE MIT DEN NACHBARLAENDERN. - RECHTSSACHE C-186/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 23. Juli 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 11 der Richtlinie 85/203/EWG des Rates vom 7. März 1985 über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid (ABl. L 87, S. 1; im folgenden: Richtlinie) sowie aus Artikel 189 EWG-Vertrag verstossen hat, daß es nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um die in diesem Artikel der Richtlinie enthaltene Verpflichtung in innerstaatliches Recht umzusetzen.

2 Artikel 2 und die Anhänge I und II der Richtlinie setzen den Grenzwert und die Leitwerte für Konzentrationen von Stickstoffdioxid in der Atmosphäre fest.

3 Nach Artikel 4 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen Werte festsetzen, die unter den in den Anhängen I und II vorgesehenen liegen. Ein Mitgliedstaat, der von dieser Möglichkeit in einem an einen oder mehrere Mitgliedstaaten angrenzenden Gebiet Gebrauch machen möchte, ist nach Artikel 11 Absatz 1 verpflichtet, vorher Konsultationen mit den betroffenen Mitgliedstaaten durchzuführen. Artikel 11 Absatz 2 verpflichtet diese Mitgliedstaaten, einander zu konsultieren, um Abhilfe zu schaffen, wenn der Grenzwert oder die nach den Artikeln 4 und 11 Absatz 1 festgesetzten niedrigeren Werte überschritten sind oder infolge einer spürbaren Verschmutzung, die ihren Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat hat oder haben kann, die Gefahr ihrer Überschreitung besteht. Nach Artikel 11 muß die Kommission in jedem Fall informiert werden und kann an diesen Konsultationen teilnehmen.

4 Nach Artikel 15 der Richtlinie waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie spätestens bis zum 1. Januar 1987 nachzukommen.

5 Zu diesem Zweck erließ die belgische Regierung die Königliche Verordnung vom 1. Juli 1986 zur Festlegung von Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid (Moniteur belge vom 23. September 1986, S. 12867; im folgenden: Königliche Verordnung).

6 Die Kommission wirft der belgischen Regierung jedoch vor, Artikel 11 der Richtlinie nicht in der genannten Königlichen Verordnung umgesetzt zu haben und daher weder die Verpflichtung zur Konsultation der Behörden der benachbarten Mitgliedstaaten unter den Voraussetzungen des Artikels 11 Absätze 1 und 2 noch die Verpflichtung, die Dienststellen der Kommission zu informieren, um es dieser zu ermöglichen, gegebenenfalls an diesen Konsultationen teilzunehmen, vorgesehen zu haben.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Die Kommission macht geltend, daß beim Unterbleiben der in Artikel 11 Absätze 1 und 2 vorgesehenen Konsultationen die praktische Wirksamkeit der nach Artikel 4 der Richtlinie festgesetzten Werte als allgemeines Ziel der Richtlinie, die auf den Schutz der Umwelt und der Gesundheit des Menschen gerichtet sei, nicht erreicht werden könne. Artikel 11 der Richtlinie lege genaue und eingehende Bestimmungen fest, die den einzelnen gegenüber Rechte und Pflichten entstehen ließen.

9 Die belgische Regierung bestreitet nicht, daß Artikel 11 nicht umgesetzt worden sei. Sie hält dies jedoch für gerechtfertigt, denn die belgischen Behörden beabsichtigten keine Maßnahmen, die in den Anwendungsbereich dieses Artikels fielen. In diesem Zusammenhang macht sie insbesondere geltend, daß, falls die belgischen Behörden ihre Ansicht änderten, die in Rede stehenden Konsultationen notwendigerweise stattfinden würden, da die beabsichtigten Maßnahmen in diesem Fall ihr Ziel nur erreichen könnten, wenn der benachbarte Staat vergleichbare Maßnahmen ergriffe. Diese Konsultation werde gemäß den Bestimmungen der belgischen Verfassung vorgenommen. Die Regierung trägt schließlich vor, die Konsultationspflicht nach Artikel 11 könne jedoch den benachbarten Mitgliedstaat nicht dazu zwingen, vergleichbare Maßnahmen zu ergreifen, und somit Rechte für die einzelnen entstehen lassen.

10 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß, wie die Kommission ausgeführt hat, die in Artikel 11 der Richtlinie enthaltenen Verpflichtungen die Folge des den Mitgliedstaaten in Artikel 4 eingeräumten Rechts sind, niedrigere als die in den Anhängen I und II der Richtlinie vorgesehenen Werte festzusetzen.

11 Sodann ist zu bemerken, daß, um einen vollständigen und wirksamen Schutz der Atmosphäre gegen übermässige Stickstoffdioxidkonzentrationen in grenznahen Gebieten zu gewährleisten, es unerläßlich ist, daß der betroffene Mitgliedstaat ausdrücklich in seinen Rechtsvorschriften vorsieht, daß die in Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehene vorherige Konsultation stattfindet, bevor Maßnahmen ergriffen werden, die die grenznahen Gebiete betreffen. Ebenso ist es unerläßlich, daß diese Rechtsvorschriften ausdrücklich die in Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie vorgesehene Konsultation für den Fall einer spürbaren Verschmutzung regeln, die ihren Ursprung in einem benachbarten Mitgliedstaat hat, damit die betroffenen Mitgliedstaaten in dieser Situation Abhilfe schaffen.

12 Deshalb ist festzustellen, daß eine Umsetzung von Artikel 4 der Richtlinie, der den Mitgliedstaaten eine Handlungsmöglichkeit einräumt, in nationales Recht, ohne eine Umsetzung von Artikel 11, der eine Verpflichtung im Zusammenhang mit dem Gebrauchmachen von dieser Möglichkeit vorsieht, eine unvollständige Durchführung der Richtlinie darstellt.

13 Zum Vorbringen des Beklagten, das auf die Bestimmungen der belgischen Verfassung gestützt wird, die die jeweiligen Zuständigkeiten der nationalen Behörden und der Regionalbehörden auf dem Gebiet der Beziehungen zu den Nachbarstaaten regeln, genügt die Feststellung, daß keine Bestimmung der belgischen Verfassung die Vornahme von Konsultationen, wie sie in Artikel 11 der Richtlinie vorgesehen sind, gebietet.

14 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß es nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um Artikel 11 der Richtlinie 85/203/EWG des Rates vom 7. März 1985 über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid nachzukommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

15 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß es nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um Artikel 11 der Richtlinie 85/203/EWG des Rates vom 7. März 1985 über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid (ABl. L 87, S. 1) nachzukommen.

2) Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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