Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.12.1998
Aktenzeichen: C-186/96
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 3950/92


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 Art. 3 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 Art. 3 Abs. 4
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Soweit durch die Artikel 3 Absatz 1 und 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3950/92 die vorübergehende Aussetzung eines Prozentsatzes der von der Zusatzabgabe für Milch befreiten Referenzmenge im Sinne der Verordnung Nr. 775/87 ohne Vergütung für die Erzeuger in eine endgültige Kürzung dieser Referenzmenge umgewandelt wurde, verletzen diese Bestimmungen, was insbesondere die gegen Zahlung erworbenen zusätzlichen Referenzmengen angeht, weder die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts noch das Grundrecht auf Eigentum.

Die zusätzlichen Referenzmengen, die zwar zunächst dem Markt entzogen, dann aber im Rahmen ihrer Neuzuteilung an andere Erzeuger erneut dem Markt zugeführt werden, unterscheiden sich nämlich nicht von ursprünglichen Referenzmengen. Beide unterliegen derselben Regelung über die vorübergehende Aussetzung und die endgültige Kürzung, und es würde dem Sinn und Zweck der Zusatzabgabenregelung zuwiderlaufen, die zusätzlichen Referenzmengen davon auszunehmen.

Die fragliche, dem Gemeinwohl entsprechende Regelung, die zum Abbau von Überschüssen auf dem Milchmarkt bestimmt ist, tastet das Eigentumsgrundrecht nicht in seinem Wesensgehalt an.

Angesichts der seit Jahren bestehenden Überschüsse ist die endgültige Entziehung des fraglichen Prozentsatzes der zusätzlichen Referenzmengen als dem Zweck dieser Maßnahme, d. h. der dauerhaften Verringerung der Überschüsse, angemessen und zur Erreichung dieses Zweckes notwendig anzusehen.

In bezug auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes ergeben die genannten Vorschriften nichts, aufgrund dessen die Erzeuger, die zusätzliche Referenzmengen gegen Zahlung erhalten hatten, hätten erwarten dürfen, daß solche Referenzmengen wegen der Art und Weise ihres Erwerbs anders behandelt und daher von der fraglichen Maßnahme ausgenommen würden.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 17. Dezember 1998. - Stefan Demand gegen Hauptzollamt Trier. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Milch - Zusatzabgabenregelung - Referenzmenge - Vorübergehende Aussetzung - Umwandlung in eine endgültige Kürzung - Verlust der Vergütung - Allgemeine Rechtsgrundsätze und Grundrechte. - Rechtssache C-186/96.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 19. März 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juni 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Gültigkeit der Artikel 3 Absatz 1 und 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl. L 405, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Stefan Demand (im folgenden: Kläger), einem Milcherzeuger, und dem Hauptzollamt Trier (im folgenden: HZA) über die Kürzung der Anlieferungsreferenzmenge des Klägers um 4,74 % zum 1. April 1993.

3 Diese Kürzung der individuellen Referenzmenge des Klägers wurde aufgrund von Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3950/92 in Verbindung mit § 4 Absatz 1 der deutschen Milch-Garantiemengen-Verordnung in der Fassung der 27. Änderungsverordnung (BGBl. 1993 I S. 374) vorgenommen.

Gemeinschaftsrecht

4 Durch Artikel 1 der Verordnung Nr. 3950/92 wurde die Zusatzabgabenregelung für Milch, die mit der Verordnung (EWG) Nr. 856/84 des Rates vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 90, S. 10) für sieben Jahre weitergeführt; sie war zuvor zum 1. April 1984 für fünf aufeinanderfolgende Jahre eingeführt worden und nach mehreren Verlängerungen am 31. März 1993 ausgelaufen.

5 Die fragliche Zusatzabgabe ist für die gelieferten Milchmengen zu zahlen, die eine Referenzmenge überschreiten, die für jeden Erzeuger oder Käufer im Rahmen einer Gesamtgarantiemenge des jeweiligen Mitgliedstaats festzusetzen ist. Die von der Zusatzabgabe ausgenommene Referenzmenge ist nach Artikel 2 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung Nr. 804/68 (ABl. L 90, S. 13) gleich der Milch- oder Milchäquivalenzmenge, die im Referenzjahr nach der maßgeblichen Formel geliefert oder gekauft worden ist. Als Referenzjahr konnten die Mitgliedstaaten ein Jahr zwischen 1981 und 1983 auswählen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte das Jahr 1983 hierzu bestimmt.

6 Wegen der anhaltenden Erzeugung von Milchüberschüssen sah sich die Gemeinschaft gezwungen, die den Mitgliedstaaten ursprünglich gewährleistete Gesamtgarantiemenge weiter zu kürzen. Zur Vornahme der verschiedenen Kürzungen auf der Ebene der einzelnen Erzeuger wandte die Kommission im Rahmen der Zusatzabgabenregelung verschiedene Maßnahmen an, wie Programme für die endgültige Einstellung der Milcherzeugung oder die Zwangskürzung der ursprünglich zugeteilten Referenzmenge von Rechts wegen oder eine Kombination der Programme.

7 Abgesehen von einer 1986 beschlossenen Kürzung der Gesamtgarantiemenge gegen Vergütungen, wurden so durch die Verordnung (EWG) Nr. 775/87 des Rates vom 16. März 1987 über die vorübergehende Aussetzung eines Teils der Referenzmengen gemäß Artikel 5c Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 (ABl. L 78, S. 5) für das Wirtschaftsjahr 1987/88 4 % und für das folgende Wirtschaftsjahr 5,5 % der Referenzmengen vorübergehend ausgesetzt. Für diese vorübergehende Aussetzung wurde eine Vergütung von 10 ECU/100 kg je Zeitraum vorgesehen.

8 Im Rahmen der ersten Verlängerung der erstmaligen Zusatzabgabenregelung behielt die Verordnung (EWG) Nr. 1111/88 des Rates vom 25. April 1988 zur Änderung der Verordnung Nr. 775/87 (ABl. L 110, S. 30) die genannte vorübergehende Aussetzung von 5,5 % für die drei Wirtschaftsjahre 1989/90, 1990/91 und 1991/92 bis zum 31. März 1992 bei, änderte jedoch den Charakter der Vergütung. Diese wurde nunmehr als degressive Vergütung unmittelbar an den Erzeuger gezahlt. Sie wurde für das Wirtschaftsjahr 1989/90 auf 8 ECU/100 kg, für das folgende Wirtschaftsjahr auf 7 ECU/100 kg und für das Wirtschaftsjahr 1991/92 auf 6 ECU/100 kg herabgesetzt.

9 Im Rahmen einer Kürzung der Gesamtgarantiemenge um 1 % wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 3882/89 des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 775/87 (ABl. L 378, S. 6) sodann der Prozentsatz der vorübergehend ausgesetzten Referenzmengen auf 4,5 % herabgesetzt, während gleichzeitig die in der Verordnung Nr. 1111/88 vorgesehene Vergütung erhöht wurde. Der Vergütungssatz für das Wirtschaftsjahr 1989/90 wurde auf diese Weise auf 10 ECU/100 kg, für das folgende Wirtschaftsjahr auf 8,5 ECU/100 kg und für das Wirtschaftsjahr 1991/92 auf 7 ECU/100 kg gesenkt.

10 Nach einer weiteren Verringerung der Gesamtgarantiemengen um 2 % durch die Verordnung (EWG) Nr. 1630/91 des Rates vom 13. Juni 1991 zur Änderung der Verordnung Nr. 804/68 (ABl. L 150, S. 19) wurde die am 31. März 1992 auslaufende Zusatzabgabenregelung durch die Verordnung (EWG) Nr. 816/92 des Rates vom 31. März 1992 zur Änderung der Verordnung Nr. 804/68 (ABl. L 86, S. 83) verlängert. Diese Verlängerung wurde auf ein Milchwirtschaftsjahr beschränkt, da der Rat beabsichtigte, im Rahmen der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik eine neue, bis zum Jahr 2000 geltende Regelung zu erlassen.

11 Nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 816/92, durch die dem Artikel 5c Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 (ABl. L 148, S. 13) ein Buchstabe g hinzugefügt wurde, wurden die vorübergehend ausgesetzten Referenzmengen nicht in die Gesamtgarantiemengen aufgenommen. Dies führte in der Praxis zu einer Kürzung der individuellen Referenzmengen ohne Vergütung. Doch beabsichtigte der Rat, im Rahmen der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik endgültig über die künftige Behandlung der ausgesetzten Referenzmengen zu entscheiden.

12 Mit der durch die Verordnung Nr. 3950/92 eingeführten neuen Regelung werden die Vorschriften über die Referenzmengen und die Zusatzabgaben kodifiziert. Die angekündigte Regelung über die endgültige Behandlung der vorübergehend ausgesetzten Referenzmengen im Rahmen der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik enthält die genannte Verordnung jedoch nicht.

13 Zu den ausgesetzten Mengen sieht Artikel 3 der Verordnung Nr. 3950/92 folgendes vor:

"Die Summe der einzelbetrieblichen Referenzmengen gleicher Art darf die entsprechenden Gesamtmengen, die für jeden Mitgliedstaat festzusetzen sind, nicht überschreiten.

..."

14 Artikel 4 der Verordnung Nr. 3950/92 bestimmt:

"(1) Die einzelbetriebliche Referenzmenge entspricht der am 31. März 1993 zur Verfügung stehenden Menge, die gegebenenfalls für jeden der betreffenden Zeiträume angepasst wird, damit die Summe der einzelbetrieblichen Referenzmengen gleicher Art die entsprechenden in Artikel 3 genannten Gesamtmengen nicht überschreitet, wobei Kürzungen zur Aufstockung der einzelstaatlichen Reserve gemäß Artikel 5 zu berücksichtigen sind.

..."

15 In der Verordnung (EWG) Nr. 748/93 des Rates vom 17. März 1993 zur Änderung der Verordnung Nr. 3950/92 (ABl. L 77, S. 16) wurden bei der Festsetzung der Gesamtgarantiemengen nur für das Wirtschaftsjahr 1993/94 die durch die Verordnung Nr. 816/92 schon für das vorhergehende Wirtschaftsjahr ausgeschlossenen 4,5 % der Referenzmengen wiederum nicht berücksichtigt.

16 Sodann wurde mit der Verordnung (EWG) Nr. 1560/93 des Rates vom 14. Juni 1993 zur Änderung der Verordnung Nr. 3950/92 (ABl. L 154, S. 30) für jeden Mitgliedstaat die Gesamtgarantiemenge festgesetzt. In der zweiten Begründungserwägung dieser Verordnung wurde folgendes ausgeführt: "Die vorübergehende Aussetzung eines Teils der Referenzmengen... gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 775/87 ist aufgrund der Marktlage notwendig geworden. Für die auf diese Weise ausgesetzten Mengen ist den Erzeugern fünf Jahre lang eine degressive Vergütung gewährt worden. Mit der Verordnung (EWG) Nr. 816/92, mit der die... Zusatzabgabenregelung verlängert worden ist, sind... nicht die Mengen aufgenommen worden, die zuvor in Anbetracht der fortbestehenden Überschüsse - welche eine Konsolidierung der Aussetzung von 4,5 % der Referenzmengen für Lieferungen als endgültige Verringerung der Gesamtgarantiemengen erforderlich machten - ausgesetzt worden waren. In die Verordnungen, die im Milchsektor schließlich angenommen worden sind, damit die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik durchgeführt werden kann,... wurden die betreffenden Mengen nicht mehr aufgenommen."

17 Die dem Kläger zur Verfügung stehende individuelle Referenzmenge, um deren Kürzung es geht, umfasst u. a. eine zusätzliche Referenzmenge, durch die er seine ursprüngliche Referenzmenge erhöhen konnte. Er hatte diese zusätzliche Menge im Wirtschaftsjahr 1990/91 im Rahmen einer innerstaatlichen, genauer, regionalen Aktion zur Verringerung der individuellen Referenzmengen zum Preis von 1,60 DM je Kilogramm Milch erworben.

Deutsches Recht und innerstaatliches Verfahren

18 Diese Aktion war durch eine Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz vom 19. März 1991 über die Gewährung einer Vergütung für die endgültige Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt und Zuweisung von zusätzlichen Anlieferungs-Referenzmengen (MinBl. Rheinland-Pfalz 1991, S. 163; im folgenden: Verwaltungsvorschrift) vorgesehen. Diese Verwaltungsvorschrift wurde, wie sich aus Abschnitt 1.1 ihrer Begründung ergibt, u. a. aufgrund von Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben a und c der Verordnung Nr. 857/84 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1183/90 des Rates vom 7. Mai 1990 (ABl. L 119, S. 27) erlassen.

19 Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 in der geänderten Fassung bestimmt:

"Zur erfolgreichen Umstrukturierung der Milcherzeugung auf nationaler oder regionaler Ebene oder auf Ebene der Erfassungszonen können die Mitgliedstaaten im Rahmen der Anwendung der Formeln A und B

a) - Erzeugern, die sich zur endgültigen Aufgabe ihrer gesamten Milcherzeugung verpflichten, eine Vergütung gewähren, die in einer oder mehreren Jahreszahlungen angewiesen wird;

- Erzeugern, die sich zur endgültigen Aufgabe eines Teils ihrer Milcherzeugung verpflichten, eine Vergütung gewähren, die in einer oder mehreren Jahreszahlungen angewiesen wird;

...

c) - Erzeugern, die hauptberuflich die Landwirtschaft betreiben, eine zusätzliche Referenzmenge zuweisen, gleichgültig, ob ihr Milchviehbestand den Bedingungen des Buchstabens b) entspricht oder nicht."

20 Nach der Verwaltungsvorschrift umfasste die Aktion zwei Teile. Zunächst wurde jedem zur endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung bereiten Erzeuger eine Vergütung von 1,60 DM je Kilogramm seiner Garantiemenge gewährt.

21 Da sich daraus eine höhere als die ursprünglich vorgesehene Kürzung ergab, boten die deutschen Behörden den Überschuß den Erzeugern, die ihre Quote erhöhen wollten, gegen Zahlung eines Betrages in der gleichen Höhe wie derjenige an, den das Land Rheinland-Pfalz den Milcherzeugern, die die Milchproduktion aufgegeben hatten, als Vergütung gewährt hatte. Zu diesem Zweck musste ein Erzeuger, der eine zusätzliche Referenzmenge erwerben wollte, nach Abschnitt 3.1.2 mit einem seine Erzeugung aufgebenden Erzeuger einen Übertragungsvertrag abschließen und das Entgelt an die zuständige Staatskasse entrichten.

22 Mit Bescheid vom 13. Dezember 1993 bestätigte das HZA die von der zuständigen Molkerei vorgenommene Kürzung um 4,74 %. Diese gilt unterschiedslos sowohl für die ursprünglichen als auch für die zusätzlichen Referenzmengen, die der Kläger im Rahmen der im Wirtschaftsjahr 1990/91 durchgeführten Aktion erworben hatte.

23 Nach Abweisung seiner Klage gegen den Bescheid des HZA durch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz legte der Kläger hiergegen Revision an den Bundesfinanzhof ein.

Vorabentscheidungsfrage

24 Da der Bundesfinanzhof der Ansicht ist, daß die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Gültigkeit von Artikel 4 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3950/92 abhängt, hat er dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:

Ist die Regelung in Artikel 4 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 mit der Gemeinschaftsrechtsordnung, insbesondere der Eigentumsgarantie, dem Gleichbehandlungs- und dem Vertrauensschutzgrundsatz vereinbar, durch welche die aufgrund des Artikels 5c Absatz 3 Buchstabe g der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 816/92 vorzunehmenden Aussetzungen eines Teils der den Erzeugern zugeteilten Referenzmengen entschädigungslos in eine dauerhafte Kürzung der Referenzmengen umgewandelt worden sind, ohne wenigstens vom Erzeuger hinzuerworbene Referenzmengen von der Kürzung auszunehmen?

25 Diese Frage nach der Gültigkeit der entschädigungslosen Umwandlung der vorübergehenden Aussetzung eines Prozentsatzes der Referenzmenge in eine endgültige Kürzung hat der Gerichtshof bereits im Rahmen der Rechtssache C-22/94 (Irish Farmers Association u. a.) geprüft, in der am 15. April 1997 das Urteil erging (Slg. 1997, I-1809). Im übrigen hat der Bundesfinanzhof auf diese Rechtssache, die bei Eingang des Vorabentscheidungsersuchens noch anhängig war, in den Gründen seines Vorlagebeschlusses Bezug genommen.

26 Im Urteil Irish Farmers Association u. a. hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß die Prüfung der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, des Diskriminierungsverbots und der Verhältnismässigkeit sowie die Untersuchung des Grundrechts auf Eigentum nichts ergeben haben, was die Gültigkeit des Artikels 5c Absatz 3 Buchstabe g der Verordnung Nr. 804/68, eingefügt durch Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung Nr. 816/92, und des Artikels 3 der Verordnung Nr. 3950/92 in der Fassung des Artikels 1 der Verordnung Nr. 1560/93 beeinträchtigen könnte, soweit durch diese Bestimmungen die vorübergehende Aussetzung eines Prozentsatzes der Referenzmenge im Sinne der Verordnung Nr. 775/87 ohne Vergütung in eine endgültige Kürzung umgewandelt wurde.

27 Am 22. April 1997 fragte der Gerichtshof beim Bundesfinanzhof unter Übersendung des Urteils Irish Farmers Association u. a. an, ob er sein Ersuchen aufrechterhalten wolle.

28 Mit Schreiben vom 30. Juli 1997 teilte der Bundesfinanzhof dem Gerichtshof mit, daß er insbesondere wegen des vom Kläger in bezug auf die aufgrund von Zuweisungen des Landes Rheinland-Pfalz erworbenen Zusatzquoten geltend gemachten Eigentums- und Vertrauensschutzes an seinem Vorabentscheidungsersuchen festhalte.

29 Angesichts dieser Antwort ist die vorgelegte Frage dahin zu verstehen, daß sie lediglich die zusätzlichen Referenzmengen betrifft, die der Kläger zum Preis von 1,60 DM je Kilogramm Milch erworben hat.

Zu den zusätzlichen Referenzmengen

30 Wie der Generalanwalt in Nummer 29 seiner Schlussanträge dargelegt hat, enthält die vorliegende Rechtssache keinen neuen Gesichtspunkt, der hinsichtlich der Gültigkeit der Regelung über die Umwandlung und die endgültige Kürzung im Ausgangsverfahren ein gegenüber dem Urteil in der Rechtssache Irish Farmers Association u. a. abweichendes Ergebnis rechtfertigt.

31 Die Gültigkeit der Artikel 3 und 4 der Verordnung Nr. 3950/92 kann auch nicht im Hinblick auf die zusätzlichen Referenzmengen in Frage gestellt werden, die der Kläger nur gegen Zahlung von 1,60 DM/kg an die zuständige Behörde erhalten konnte.

32 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, daß es um die zusätzlichen Referenzmengen nicht nur im Urteil Irish Farmers Association u. a. ging, sondern auch in den Urteilen des Gerichts vom 13. Juli 1995 in den Rechtssachen T-466/93, T-469/93, T-473/93, T-474/93 und T-477/93 (O'Dwyer u. a./Rat, Slg. 1995, II-2071) und vom 14. Juli 1998 in der Rechtssache T-119/95 (Hauer/Rat und Kommission, Slg. 1998, II-2713), in denen die Gültigkeit der Verordnung Nr. 816/92 bestritten worden war.

33 Einem Mitgliedstaat stehen nur insofern solche Referenzmengen zu einer Neuzuteilung zur Verfügung, als andere Erzeuger die ihnen ursprünglich zugewiesenen Referenzmengen freigegeben haben. Wie sich nämlich aus dem durch die Verordnung Nr. 856/84 eingefügten Artikel 5c Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68, ergibt, stellt die Summe aller zugeteilten individuellen Referenzmengen die Gesamtgarantiemenge dar, die nicht überschritten werden darf. Somit hat die zuständige deutsche Behörde dem Kläger nur Referenzmengen zuweisen können, die andere Erzeuger nicht nutzten.

34 Unabhängig davon, daß der vom Kläger gezahlte Betrag im vorliegenden Fall der von der zuständigen Behörde für die Aufgabe der Erzeugung gewährten Vergütung entsprach, stellt die gemeinschaftliche Milchquotenregelung jedoch kein rechtliches Band zwischen beiden Vorgängen her.

35 Wenngleich die Mitgliedstaaten nach der Zusatzabgabenregelung der Gemeinschaft in bestimmten Fällen freigesetzte Referenzmengen ohne Übertragung der Flächen, an die diese gebunden sind, neu zuteilen können, soweit sie die Gesamtgarantiemenge respektieren, legt diese Regelung doch nicht die Modalitäten für eine solche Neuzuteilung fest. Daher ist es Sache der Mitgliedstaaten, die von dieser Befugnis Gebrauch machen, die Modalitäten der Neuzuteilung unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze und der Grundrechte, wie sie aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. Urteile vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 5/88, Wachauf, Slg. 1989, 2609, und vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-2/92, Bostock, Slg. 1994, I-955) im Gemeinschaftsrecht anerkannt sind, festzulegen und in diesem Rahmen über eine eventuelle Pflicht zur Zahlung einer Gegenleistung für die Neuzuteilung zu entscheiden.

36 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß landwirtschaftliche Flächen mit Quoten beim Erwerb teurer sind als solche ohne Quoten, da das Bestehen einer Milchquote einer der Faktoren der Wertbemessung für Land ist.

37 Nach alledem hat die Art und Weise der Zuteilung der individuellen Referenzmengen keine Auswirkung auf deren Rechtsnatur. Demgemäß unterscheiden sich zusätzliche Referenzmengen nicht von ursprünglichen Referenzmengen; beide unterliegen derselben Regelung über die vorübergehende Aussetzung und die endgültige Kürzung.

38 Dagegen würde es dem Sinn und Zweck der Zusatzabgabenregelung zuwiderlaufen, Referenzmengen von einem Programm für die vorübergehende Aussetzung und anschließende endgültige Kürzung auszunehmen, nachdem diese dem Markt zwar entzogenen Mengen im Rahmen ihrer Neuzuteilung an andere Erzeuger erneut dem Markt zugeführt werden. Der Erwerb einer zusätzlichen Referenzmenge ist eine wirtschaftliche Entscheidung, die es den Erzeugern ermöglicht, ihre Liefermengen zu erhöhen. Damit tragen die betreffenden Erzeuger zur Erhöhung des strukturellen Überschusses in diesem Sektor bei. Es ist daher gerechtfertigt, daß sie sich an den von den Erzeugern verlangten Anstrengungen zur Verringerung des Überschusses zu beteiligen haben.

39 Wie der Generalanwalt in Nummer 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, unterliegt der Kläger unter diesen Umständen hinsichtlich der genannten zusätzlichen Referenzmenge denselben Begünstigungen und Beschränkungen wie jeder andere Erzeuger, der eine ursprüngliche Referenzmenge innehat.

Zum Eigentumsschutz und zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit

40 Zum Eigentumsschutz, dessen Verletzung der Kläger geltend gemacht hat, hat der Gerichtshof in den Randnummern 28 und 29 des Urteils Irish Farmers Association u. a. festgestellt, daß die fragliche Regelung Teil eines zum Abbau von Überschüssen auf dem Milchmarkt bestimmten Systems ist und daher dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entspricht sowie daß die Umwandlung in eine endgültige Kürzung ohne Vergütung ein solches Recht nicht in seinem Wesensgehalt antasten kann.

41 Ferner ist eine endgültige Entziehung von 4,74 % einer zusätzlichen Referenzmenge unabhängig von deren Rechtsnatur angesichts der seit Jahren bestehenden Überschüsse als dem Zweck dieser Maßnahme, d. h. der dauerhaften Verringerung der Überschüsse, angemessen und zur Erreichung dieses Zweckes notwendig anzusehen.

42 Somit hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Grenzen seines Ermessens nicht überschritten, da die endgültige Kürzung sowohl der ursprünglichen als auch der zusätzlichen Menge um 4,74 % nicht ausser Verhältnis zu ihrem Zweck steht.

Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes

43 Was das Vorbringen des Klägers angeht, mit dem dieser eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes insoweit geltend macht, als die zusätzlichen Referenzmengen von der fraglichen Umwandlungsmaßnahme erfasst werden, ergeben die betreffenden Vorschriften nichts, aufgrund dessen die sich in derselben Lage wie der Kläger befindenden Erzeuger hätten erwarten dürfen, daß eine solche zusätzliche Referenzmenge wegen der Art und Weise ihres Erwerbs anders behandelt und daher von der fraglichen Maßnahme ausgenommen würde.

44 Nach alledem hat die Untersuchung der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze, insbesondere derjenigen des Vertrauensschutzes und des Grundrechts auf Eigentum, nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 4 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3950/92 beeinträchtigen könnte, soweit durch diese Bestimmungen die vorübergehende Aussetzung eines Prozentsatzes der gegen Entgelt zugeteilten zusätzlichen Referenzmenge ohne Vergütung in eine endgültige Kürzung umgewandelt wurde.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Die Auslagen der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof durch Beschluß vom 19. März 1996 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Untersuchung der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze, insbesondere derjenigen des Vertrauensschutzes und des Grundrechts auf Eigentum, hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 4 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor beeinträchtigen könnte, soweit durch diese Bestimmungen die vorübergehende Aussetzung eines Prozentsatzes der gegen Entgelt zugeteilten zusätzlichen Referenzmenge ohne Vergütung in eine endgültige Kürzung umgewandelt wurde.

Ende der Entscheidung

Zurück