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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.03.1998
Aktenzeichen: C-187/96
Rechtsgebiete: EGV, Verordnung 1612/68/EWG


Vorschriften:

EGV Art. 48
Verordnung 1612/68/EWG Art. 7
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat, der durch Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraxis jede Möglichkeit ausschließt, bei der Gewährung von Dienstalterszulagen und der tariflichen Einstufung eines Arbeitnehmers im nationalen öffentlichen Dienst Dienstzeiten in der öffentlichen Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats zu berücksichtigen, während die in der nationalen Verwaltung zurückgelegten Dienstzeiten in bestimmten Fällen berücksichtigt werden, verstösst gegen seine Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere aus Artikel 48 des Vertrages und aus Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Diese Regelung, die Wanderarbeitnehmer, die einen Teil ihrer Berufslaufbahn im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats absolviert haben, offensichtlich benachteiligt, kann nämlich aufgrund dieses Umstands gegen das in diesen Bestimmungen verankerte Diskriminierungsverbot verstossen.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 12. März 1998. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Griechenland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Artikel 48 EG-Vertrag - Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 - Im öffentlichen Dienst eines Mitgliedstaats beschäftigte Person - Gegenseitige Anerkennung von im öffentlichen Dienst eines anderen Migliedstaats zurückgelegten Dienstzeiten. - Rechtssache C-187/96.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 3. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Griechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere den Artikeln 5 und 48 EG-Vertrag und Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2), verstossen hat, indem sie durch Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraxis bei der Gewährung von Dienstalterszulagen und der tariflichen Einstufung eines Arbeitnehmers im griechischen öffentlichen Dienst die Berücksichtigung von Dienstzeiten in der öffentlichen Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats allein deshalb ausschließt, weil diese Dienstzeiten nicht in der nationalen öffentlichen Verwaltung zurückgelegt worden sind.

Zum rechtlichen Rahmen

2 Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:

"Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer."

3 Artikel 16 Absatz 1 des griechischen Gesetzes Nr. 1505/84 betreffend die Gehaltstabelle für die Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung bestimmt in der durch das Gesetz Nr. 1810/88 geänderten Fassung (im folgenden: streitige Rechtsvorschriften):

"Dienstjahre, die Anspruch auf eine Gehaltserhöhung und die Dienstalterszulage eröffnen

1. Folgende Dienstjahre werden für das in Artikel 3 festgelegte Aufsteigen in den Gehaltsstufen, für die Gewährung der Dienstalterszulage gemäß Artikel 9 und bei der Festsetzung des Gehalts der Beschäftigten gemäß Artikel 15 Absatz 2 des Gesetzes berücksichtigt:

a) die in einer öffentlichen Verwaltung oder bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder bei kommunalen Körperschaften im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisses zurückgelegten Dienstjahre;

b) die bei den oben genannten Einrichtungen im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses zurückgelegten Dienstjahre, soweit sie von der zuständigen örtlichen Einrichtung als ruhegehaltsfähig anerkannt oder bei der Einstufung in die Gehaltsgruppe oder bei einer Gehaltserhöhung berücksichtigt werden;

c) die bei juristischen Personen des Privatrechts zurückgelegten Dienstjahre, die aufgrund von Sonderbestimmungen bei der Ernennung, Verwendung, Einstufung in die Gehaltsgruppe oder jeder anderen Gehaltserhöhung berücksichtigt worden sind oder die von der zuständigen örtlichen Einrichtung als ruhegehaltsfähig anerkannt werden... die Dienstzeiten der Lehrkräfte an den Schulen in Zypern und an den anerkannten griechischen Auslandsschulen sowie ein Zeitraum von höchstens acht Jahren, soweit die einschlägigen Vorschriften im Hinblick auf die Ernennung eine "Qualifizierungsphase" verlangen. Diese "Qualifizierung" kann in einer Anzahl von Dienstjahren oder im Erwerb einer Spezialisierung oder Erfahrung bestehen;

d) die als Berufssoldat, als Freiwilliger oder als Weiterverpflichteter bei den Streitkräften, den Sicherheitskräften oder der Hafenpolizei zurückgelegten Dienstjahre abzueglich der Zeit, in der der Beschäftigte als Einberufener oder als Reservist gedient hat, sofern er sich nicht als Soldat verpflichtet hatte (als Berufsoldat, Freiwilliger oder Weiterverpflichteter);

e) die Dienstjahre, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes als wesentliche berufliche Voraussetzung der Ernennung berücksichtigt wurden...;

f) die Dienstjahre, die repatriierte politische Flüchtlinge in den sozialistischen Ländern zurückgelegt haben;

g) die Dienstjahre der Lehrkräfte an Privatschulen."

4 Nach Artikel 3 des Sondertarifvertrags Nr. 128 vom 10. Oktober 1989 sind diese Bestimmungen auf das Personal anwendbar, das mit privatrechtlichem Vertrag im öffentlichen Sektor oder bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts beschäftigt ist.

Vorprozessuales Verfahren

5 Die streitigen Rechtsvorschriften wurden der Kommission durch die Beschwerde eines griechischen Staatsangehörigen zur Kenntnis gebracht, der seit April 1986 als Musiker beim Orchester von Thessaloniki beschäftigt ist, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, mit der er einen privatrechtlichen Vertrag geschlossen hat. Der Betreffende war zuvor fünf Jahre lang beim Städtischen Orchester Nizza (Frankreich) beschäftigt.

6 Seine Beschwerde betraf die Weigerung der griechischen Behörden, bei seiner Tarifeinstufung und bei der Gewährung von Dienstalterszulagen die fünf in Frankreich zurückgelegten Beschäftigungsjahre zu berücksichtigen, obwohl diese Zeit Berücksichtigung gefunden hätte, wäre sie in einem städtischen Orchester in Griechenland zurückgelegt worden.

7 Mit Schreiben vom 13. November 1991 forderte die Kommission die griechischen Behörden auf, sich zu der Beschwerde zu äussern. Diese Behörden antworteten, daß die Beschäftigungszeit, die der Betroffene in Frankreich zurückgelegt habe, nicht berücksichtigt worden sei, weil ihre Anerkennung gegen die streitigen Rechtsvorschriften verstossen hätte.

8 Die Kommission gelangte zu der Auffassung, daß diese Regelung gegen das Gemeinschaftsrecht verstosse, und forderte die Griechische Republik mit Schreiben vom 5. Oktober 1993 zur Stellungnahme binnen zwei Monaten auf.

9 Die Kommission hielt die ihr mit Schreiben vom 10. März 1994 übermittelte Antwort nicht für überzeugend und richtete am 18. Mai 1995 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Griechische Republik mit der Aufforderung, dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.

10 Mit Schreiben vom 24. August 1995 wiederholte die Griechische Republik ihren Standpunkt, daß die streitigen Bestimmungen nicht den Zweck hätten, Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gegenüber griechischen Staatsangehörigen oder inländischen Arbeitnehmern zu diskriminieren; jedenfalls hätten sie keine diskriminierende Wirkung.

11 Nach Ablauf der Frist, die der Griechischen Republik eingeräumt war, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

Begründetheit

12 Nach Auffassung der Kommission verstossen die streitigen Rechtsvorschriften in zweierlei Hinsicht gegen den sowohl in Artikel 48 EG-Vertrag als auch in Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 genannten Grundsatz der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer.

13 Erstens brächten die streitigen Rechtsvorschriften, auch wenn sie "neutral" formuliert seien, in Wirklichkeit eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit mit sich. Sie seien nämlich geeignet, die Wanderarbeitnehmer zu benachteiligen, da diesen die Anerkennung von in den öffentlichen Verwaltungen anderer Mitgliedstaaten zurückgelegten Dienstzeiten nur deshalb verweigert werde, weil diese Zeiten nicht in der griechischen öffentlichen Verwaltung zurückgelegt worden seien.

14 Zweitens stelle diese strikte Weigerung, diese Zeiten anzuerkennen, ein Hindernis für die Freizuegigkeit der griechischen Arbeitnehmer dar, da sie auch diese davon abhalten könnte, von der Freizuegigkeit Gebrauch zu machen.

15 Die Griechische Republik vertritt die Meinung, das Problem der Gleichstellung von in der öffentlichen Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Dienstzeiten mit denen, die in der griechischen Verwaltung zurückgelegt worden seien, könne nur durch den Erlaß von Gemeinschaftsrechtsnormen gelöst werden.

16 Es sei nämlich nicht immer leicht, festzustellen, ob die Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat in einer öffentlichen Verwaltung ausgeuebt worden sei, da öffentlicher und privater Sektor in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich voneinander abgegrenzt seien. Ausserdem sei ein Vergleich der Aufgaben, die ein Arbeitnehmer in der öffentlichen Verwaltung zweier Mitgliedstaaten wahrgenommen habe, in der Praxis schwierig.

17 Eine Berufung auf die in Artikel 48 Absatz 4 EG-Vertrag vorgesehene Ausnahme, wonach die Bestimmungen über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer "auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" keine Anwendung finden, ist im vorliegenden Fall nicht möglich, da diese Ausnahme den Mitgliedstaaten nur die Möglichkeit eröffnet, Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten den Zugang zu bestimmten Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung zu verwehren (Urteil vom 13. November 1997 in der Rechtssache C-248/96, Grahame und Hollanders, Slg. 1997, I-0000, Randnr. 32). Diese Ausnahme erfasst nicht die Kriterien, die ein Mitgliedstaat berücksichtigt, wenn er die Voraussetzungen für die Entlohnung eines Arbeitnehmers festsetzt, der bereits in der öffentlichen Verwaltung dieses Staates beschäftigt ist.

18 Nach ständiger Rechtsprechung verbietet sodann der sowohl in Artikel 48 EG-Vertrag als auch in Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (vgl. insbesondere Urteil vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96, Meints, Slg. 1997, I-0000, Randnr. 44).

19 Eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, diskriminiert mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, daß sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (Urteil Meints, Randnr. 45).

20 Aus den Akten geht eindeutig hervor, daß die Bestimmungen der streitigen Rechtsvorschriften, zumindest so wie sie Anwendung finden, jede Möglichkeit ausschließen, bei der tariflichen Einstufung eines Arbeitnehmers und der Gewährung von Dienstalterszulagen Dienstzeiten zu berücksichtigen, die in der öffentlichen Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats als der Griechischen Republik zurückgelegt worden sind, während die in der griechischen Verwaltung zurückgelegten Dienstzeiten in bestimmten Fällen berücksichtigt werden.

21 Diese Regelung, die Wanderarbeitnehmer, die einen Teil ihrer Berufslaufbahn im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats als der Griechischen Republik absolviert haben, offensichtlich beanachteiligt, kann daher aufgrund dieses Umstands gegen das in Artikel 48 EG-Vertrag und in Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 verankerte Diskriminierungsverbot verstossen.

22 Auch wenn insoweit spezielle Gemeinschaftsbestimmungen fehlen, obliegt es demnach der Griechischen Republik, auf Antrag des Betroffenen festzustellen, ob die Tätigkeit, die dieser in einem anderen Mitgliedstaat ausgeuebt hat, einer Tätigkeit in der griechischen Verwaltung entspricht, die bei der tariflichen Einstufung und der Gewährung von Dienstalterszulagen berücksichtigt wird. Der betreffende Mitgliedstaat kann seine Weigerung, einen solchen Vergleich vorzunehmen, keinesfalls damit rechtfertigen, daß er ihn in der Praxis für schwierig hält.

23 Da die Griechische Republik keinen weiteren Gesichtspunkt angeführt hat, der geeignet wäre, die von der Kommission beanstandete Diskriminierung der Wanderarbeitnehmer objektiv zu rechtfertigen, ist festzustellen, daß sie gegen ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere aus Artikel 48 EG-Vertrag und aus Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68, verstossen hat, indem sie durch Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraxis bei der Gewährung von Dienstalterszulagen und der tariflichen Einstufung eines Arbeitnehmers im griechischen öffentlichen Dienst die Berücksichtigung von Dienstzeiten in der öffentlichen Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats allein deshalb ausschließt, weil diese Dienstzeiten nicht in der nationalen öffentlichen Verwaltung zurückgelegt worden sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Griechische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr dem Antrag der Kommission entsprechend die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Griechische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere aus Artikel 48 EG-Vertrag und aus Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 verstossen, indem sie durch Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraxis bei der Gewährung von Dienstalterszulagen und der tariflichen Einstufung eines Arbeitnehmers im griechischen öffentlichen Dienst die Berücksichtigung von Dienstzeiten in der öffentlichen Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats allein deshalb ausschließt, weil diese Dienstzeiten nicht in der nationalen öffentlichen Verwaltung zurückgelegt worden sind.

2. Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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