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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.06.1992
Aktenzeichen: C-189/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Beschluss 83/516, Verordnung Nr. 2950/83 vom 17.10.1983


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 190
Beschluss 83/516 Art. 3 Abs. 1
Verordnung Nr. 2950/83 vom 17.10.1983 Art. 5 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Zwar genügt im Rahmen eines ersten Antrags auf einen Zuschuß des Europäischen Sozialfonds zu einer Maßnahme der beruflichen Bildung eine gedrängte Begründung der Entscheidung der Kommission, mit der der Zuschuß abgelehnt wird, den Erfordernissen von Artikel 190 EWG-Vertrag; die Entscheidung über die Kürzung des Betrags des zunächst bewilligten Zuschusses muß jedoch, da sie für den Antragsteller gewichtigere Folgen hat, die Gründe klar wiedergeben, die die Kürzung des Zuschusses gegenüber dem ursprünglich bewilligten Betrag rechtfertigen.

Eine Entscheidung, die darauf gestützt wird, daß bestimmte Ausgaben im Zuschussantrag nicht genehmigt worden seien, ohne daß eine detaillierte und genaue Genehmigungsentscheidung mitgeteilt wird, und die keine Angaben über die Einzelheiten enthält, aus denen sich der dem Empfänger mitgeteilte Betrag der Kürzung ergibt, genügt diesem Erfordernis nicht und ist daher für nichtig zu erklären.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 4. JUNI 1992. - CIPEKE - COMERCIO E INDUSTRIA DE PAPEL LDA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - EUROPAEISCHER SOZIALFONDS - NICHTIGKEITSKLAGE GEGEN DIE KUERZUNG DES URSPRUENGLICH GENEHMIGTEN ZUSCHUSSES. - RECHTSSACHE C-189/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cipeke - Comércio e Indústria de Papel, Lda, hat mit Klageschrift, die am 13. Juni 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 15. März 1990, mit der der Zuschuß, den der Europäische Sozialfonds zunächst für ein für Rechnung der Klägerin vorgeschlagenes Bildungsvorhaben genehmigt hatte, gekürzt wurde.

2 Nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a des Beschlusses 83/516/EWG des Rates vom 17. Oktober 1983 über die Aufgaben des Europäischen Sozialfonds (ABl. L 289, S. 38) beteiligt sich der Europäische Sozialfonds (im folgenden: der Fonds) an der Finanzierung von Maßnahmen der beruflichen Bildung und Berufsberatung.

3 Die Genehmigung eines Finanzierungsantrags gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses 83/516 durch den Fonds hat nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2950/83 des Rates vom 17. Oktober 1983 zur Anwendung des Beschlusses 83/516 über die Aufgaben des Europäischen Sozialfonds (ABl. L 289, S. 1; im folgenden: die Verordnung) zur Folge, daß ein Vorschuß in Höhe von 50 % des gewährten Zuschusses zu dem Zeitpunkt gezahlt wird, an dem der Beginn der Maßnahme vorgesehen ist. Nach Artikel 5 Absatz 4 enthalten Anträge auf Restzahlung einen ins einzelne gehenden Bericht über den Inhalt, die Ergebnisse und die finanziellen Einzelheiten der betreffenden Maßnahme.

4 Nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung kann die Kommission, wenn ein Zuschuß des Fonds nicht unter den Bedingungen der Entscheidung über die Genehmigung verwandt wird, ihn aussetzen, kürzen oder streichen, nachdem sie dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Nach Artikel 6 Absatz 1 ist ein Betrag, der nicht unter den in der Entscheidung über die Genehmigung festgelegten Bedingungen verwendet wurde, zu erstatten, und der betroffene Mitgliedstaat haftet subsidiär für die ohne Rechtsgrund empfangenen Beträge, die für Maßnahmen gezahlt wurden, für welche die Gewährleistung nach Artikel 2 Absatz 2 des Beschlusses 83/516 gilt.

5 Das Departamento para os Assuntos do Fundo Social Europeu (Dienststelle für Angelegenheiten des Europäischen Sozialfonds; im folgenden: DAFSE) in Lissabon stellte im Namen der Portugiesischen Republik zugunsten einer Gruppe von Unternehmen, der die Klägerin angehört, einen Antrag auf einen Zuschuß des Fonds für das Wirtschaftsjahr 1987.

6 Das Bildungsvorhaben, für das der Zuschuß beantragt wurde und dessen Vorgang das Aktenzeichen FSE 871012 P1 trägt, wurde am 30. April 1987 vorbehaltlich bestimmter Änderungen mit Entscheidung der Kommission genehmigt. Diese Entscheidung wurde dem DAFSE mitgeteilt und dann von diesem der Klägerin übermittelt.

7 Nach Abschluß der Bildungsmaßnahme stellte die Klägerin beim DAFSE einen Antrag auf Restzahlung und reichte den quantitativen und qualitativen Bewertungsbericht im Sinne von Artikel 5 Absatz 4 der Verordnung ein.

8 Nach der genannten Bestimmung bestätigte die Portugiesische Republik, daß die im Zahlungsantrag enthaltenen Angaben sachlich und rechnerisch richtig seien, und übermittelte den Antrag der Kommission.

9 Nach Prüfung des Antrags auf Restzahlung wies die Kommission darauf hin, daß ein bestimmter Betrag der Ausgaben nicht zuschußfähig sei. Nach einem Schriftwechsel zwischen dem DAFSE und der Kommission kürzte die Kommission mit Schreiben vom 2. März 1990 den zunächst bewilligten Zuschuß des Fonds. Diese Entscheidung wurde der Klägerin mit Schreiben des DAFSE vom 15. März 1990 mitgeteilt.

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Die fragliche Entscheidung wurde dem DAFSE von der Kommission in Form eines Schreibens übermittelt, mit dem ihm mitgeteilt wurde, daß der Zuschuß des Fonds nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung auf einen unter der zunächst bewilligten Summe liegenden Betrag gekürzt worden sei.

12 Daher betrifft die streitige Entscheidung, obwohl sie an die Portugiesische Republik gerichtet ist, die Klägerin unmittelbar und individuell im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag, indem sie ihr einen Teil der ihr ursprünglich gewährten Unterstützung entzieht, ohne daß der Mitgliedstaat in dieser Hinsicht über eine eigene Beurteilungsbefugnis verfügt.

13 Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin zunächst geltend, daß die Kommission dadurch wesentliche Formvorschriften verletzt habe, daß die angefochtene Entscheidung nicht dem Begründungserfordernis des Artikels 190 EWG-Vertrag entspreche.

14 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes hat die Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen den Zweck, dem Gerichtshof die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmässigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht. Der Umfang der Begründungspflicht hängt von der Art des Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde (Urteil vom 7. April 1987 in der Rechtssache 32/86, Sisma, Slg. 1987, 1645, Randnr. 8).

15 Der Gerichtshof hat im Rahmen eines ersten Antrags auf einen Zuschuß des Fonds, wie der Generalanwalt unter Nr. 74 seiner Schlussanträge ausführt, für Recht erkannt, daß eine gedrängte Begründung den Erfordernissen von Artikel 190 EWG-Vertrag genügt (Urteil vom 7. Februar 1990 in der Rechtssache C-213/87, Gemeente Amsterdam, Slg. 1990, I-221, Randnr. 28). Diese Lösung ist dadurch gerechtfertigt, daß die Ablehnung eines solchen Antrags nur die Versagung der beantragten finanziellen Unterstützung beinhaltet.

16 Ist hingegen der erste Antrag genehmigt worden, so hat die Entscheidung über die Kürzung des Betrags des zunächst bewilligten Zuschusses für den Antragsteller gewichtigere Folgen.

17 Der Antragsteller hat nämlich einen Vorschuß erhalten, der 50 % der bewilligten Ausgaben abdeckt, so daß er selbst bis zur Zahlung des Restbetrags, auf die er vertrauen darf, soweit er nachgewiesen hat, daß er den Zuschuß des Fonds gemäß den in der Entscheidung über die Genehmigung festgelegten Bedingungen verwendet hat, erhebliche Mittel verauslagen muß.

18 Daher muß eine Entscheidung über die Kürzung eines Zuschusses die Gründe klar wiedergeben, die diese Kürzung gegenüber dem ursprünglich bewilligten Betrag rechtfertigen.

19 Zu den Gründen, auf die sich die Kommission zur Stützung ihrer Entscheidung, den Zuschuß zu kürzen, stützt, ist auszuführen, daß die Genehmigung für einen Gesamtbetrag erteilt wurde und daß der Antrag auf Restzahlung insgesamt für das ganze Vorhaben eingereicht wurde, ohne daß jedem der betroffenen Unternehmen eine detaillierte und genaue Genehmigungsentscheidung mitgeteilt wurde.

20 Ferner hat die Kommission die Kürzungen auf die Mitglieder der Gruppe von Unternehmen, zu denen die Klägerin gehört, proportional nach dem Anteil der einzelnen Unternehmen an den betreffenden Posten aufgeteilt, nicht aber nach dem genauen Betrag der zuviel getätigten Ausgaben. Diese Berechnungsweise wurde jedoch der Klägerin niemals zur Kenntnis gebracht.

21 Zwar konnte die Klägerin tatsächlich den Gesamtbetrag der Kürzung erfahren, die genaue Aufstellung der betroffenen Posten oder Spalten, die Aufteilung der Kürzung je Posten und die Berechnungsweise dieser Kürzung waren ihr jedoch unbekannt.

22 Da die Klägerin nicht über die Einzelheiten der Kürzung des Zuschusses des Fonds unterrichtet wurde, ist die streitige Entscheidung nicht hinreichend im Sinne von Artikel 190 EWG-Vertrag begründet.

23 Daher ist die Entscheidung über die streitige Kürzungsentscheidung für nichtig zu erklären, ohne daß die übrigen Klagegründe geprüft zu werden brauchten, auf die sich die Klägerin stützt.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Entscheidung der Kommission vom 15. März 1990, mit der Ausgaben in Höhe von 11 104 748 ESC im Rahmen des Zuschussantrags 871012 P1 an den Europäischen Sozialfonds für nicht zuschußfähig erklärt worden sind, wird für nichtig erklärt.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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