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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.10.2006
Aktenzeichen: C-192/05
Rechtsgebiete: EG
Vorschriften:
EG Art. 18 Abs. 1 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
26. Oktober 2006
"Zivilen Kriegsopfern von einem Mitgliedstaat gewährte Leistung - Erfordernis des Wohnsitzes im Hoheitsgebiet dieses Staates zum Zeitpunkt des Leistungsantrags - Artikel 18 Absatz 1 EG"
Parteien:
In der Rechtssache C-192/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Centrale Raad van Beroep (Niederlande) mit Entscheidung vom 22. April 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 29. April 2005, in dem Verfahren
K. Tas-Hagen,
R. A. Tas
gegen
Raadskamer WUBO van de Pensioen- en Uitkeringsraad
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter R. Schintgen und P. Kuris, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie des Richters L. Bay Larsen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Raadskamer WUBO van de Pensioen- en Uitkeringsraad, vertreten durch B. Drijber, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und C. ten Dam als Bevollmächtigte,
- der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriauciunas als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Gibbs als Bevollmächtigte im Beistand von M. Chamberlain, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Condou-Durande und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 30. März 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 18 Absatz 1 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Frau Tas-Hagen und Herrn Hagen gegen die Raadskamer WUBO van de Pensioen- en Uitkeringsraad (Beratungskammer des Rates für Renten und Leistungen, im Folgenden: PUR) wegen deren Entscheidung, ihnen verschiedene Leistungen nicht zu gewähren, auf die sie als zivile Kriegsopfer Anspruch zu haben behaupten.
Nationales Recht
3 Die nationale Regelung ist im Gesetz über die Leistungen an zivile Opfer des Krieges 1940-1945 (Wet uitkeringen burger-oorlogsslachtoffers 1940-1945) vom 10. März 1984 (Staatsblad 1984, Nr. 94, im Folgenden: WUBO) enthalten.
4 Artikel 2 Absatz 1 WUBO bestimmt:
"Für die Anwendung dieses Gesetzes oder seiner Durchführungsbestimmungen ist ziviles Kriegsopfer:
...
f) derjenige, der in den Nachkriegsjahren im ehemaligen Niederländisch-Indien als Zivilperson eine körperliche oder psychische Beschädigung durch Ausschreitungen, die sich unmittelbar nach dem Krieg bis zum 27. Dezember 1949 dort ereignet haben und die nach ihrer Art und ihren Folgen mit den unter den Buchstaben a, b, c oder d genannten Umständen vergleichbar sind, erlitten hat und der infolge dieser Beschädigung dauernd invalide geworden oder gestorben ist".
5 Artikel 3 der WUBO lautet:
"1. Dieses Gesetz findet Anwendung auf:
a) denjenigen, der während der Kriegsjahre 1940-1945 oder in den Nachkriegsjahren als Zivilperson durch kriegerische Handlungen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 betroffen wurde und zu diesem Zeitpunkt niederländischer Staatsbürger ... war, sofern er die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt und zum Zeitpunkt der Antragstellung ... im Inland wohnt.
b) denjenigen, der während der Kriegsjahre 1940-1945 oder in den Nachkriegsjahren als Zivilperson durch kriegerische Gewalt im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 betroffen wurde und zu diesem Zeitpunkt als Ausländer aus anderem Grunde als im Auftrag einer feindlichen Macht in den Niederlanden ansässig war, sofern er die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt und bis zum Zeitpunkt der Antragstellung ... ununterbrochen im Inland wohnen geblieben ist.
c) denjenigen, der während der Kriegsjahre 1940-1945 oder in den Nachkriegsjahren als Zivilperson durch kriegerische Gewalt im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 betroffen wurde und zu diesem Zeitpunkt als Ausländer im ehemaligen Niederländisch-Indien aus anderem Grunde als im Auftrag einer feindlichen Macht ansässig war, sofern er die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt und bis zum Zeitpunkt seiner Ankunft in den Niederlanden, doch spätestens bis zum 1. April 1964, ununterbrochen im ehemaligen Niederländisch-Indien, in Indonesien oder dem ehemaligen Niederländisch-Neuguinea wohnen geblieben ist und sich anschließend in den Niederlanden niedergelassen hat und bis zum Zeitpunkt der Antragstellung ... ununterbrochen im Inland wohnen geblieben ist; ...
2. Wenn derjenige, der die Voraussetzungen nach Absatz 1 Buchstaben b und c erfüllt, oder dessen Hinterbliebene ... während ihres ununterbrochenen Aufenthalts in den Niederlanden, dem ehemaligen Niederländisch-Indien, Indonesien oder dem ehemaligen Niederländisch-Neuguinea die niederländische Staatsangehörigkeit erworben haben, ist die Fortsetzung dieses ununterbrochenen Aufenthalts nicht länger erforderlich, sofern er oder der Hinterbliebene die niederländische Staatsangehörigkeit behält oder bis zu seinem Tod behalten hat und zum Zeitpunkt der Antragstellung noch im Inland wohnt.
3. Wenn derjenige, der die Voraussetzungen nach Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 erfüllt, oder dessen Hinterbliebene ... sich nach Inkrafttreten dieses Gesetzes im Inland niederlassen, erlischt der Anspruch auf die Leistungen nach diesem Gesetz, wenn sie sich innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren wieder an einem anderen Ort niederlassen.
4. Unter Ankunft in den Niederlanden im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe c ... ist die Einreichung eines Antrags auf Erlaubnis der Wohnsitznahme in den Niederlanden zu verstehen, wenn diesem stattgegeben wurde.
5. Unter ununterbrochenem Aufenthalt im Sinne des Absatzes 1 ist jedes Wohnen zu verstehen, das nicht durch einen Aufenthalt von mehr als einem Jahr an einem anderen Ort unterbrochen worden ist.
6. In Fällen, in denen die Nichtanwendung dieses Gesetzes eine offensichtliche Härte wäre, kann der Raad dieses Gesetz auch auf die während der Kriegsjahre 1940-1945 oder in den Nachkriegsjahren als Zivilpersonen durch kriegerische Gewalt im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Betroffenen oder auf deren Hinterbliebene für anwendbar erklären, die nicht die in den Absätzen 1, 2 oder 3 aufgestellten Voraussetzungen erfüllen."
6 Die "Härteklausel" in Artikel 3 Absatz 6 WUBO erlaubt es, in bestimmten Fällen von den Erfordernissen der Staatsangehörigkeit und des Wohnsitzes abzuweichen, soweit eine besondere Verbundenheit des zivilen Kriegsopfers mit der niederländischen Gesellschaft zum Zeitpunkt des Krieges und zum Zeitpunkt des Leistungsantrags bestanden hat oder besteht. Das allgemeine hierbei geltende Kriterium ist, dass das Wohnen außerhalb der Niederlande durch Umstände bedingt ist, die sich dem unmittelbaren Einflussbereich des Betroffenen objektiv entziehen, insbesondere eine Grenzkorrektur oder medizinische Gründe.
Das Ausgangsverfahren und die Vorabentscheidungsfrage
7 Frau Tas-Hagen wurde 1943 im ehemaligen Niederländisch-Indien geboren und kam 1954 in die Niederlande. 1961 erwarb sie die niederländische Staatsangehörigkeit. Nachdem sie arbeitsunfähig geworden und deshalb gezwungen war, ihre berufliche Tätigkeit zu beenden, verzog sie 1987 nach Spanien.
8 Im Dezember 1986, als Frau Tas-Hagen noch in den Niederlanden wohnte, stellte sie nach der WUBO einen Antrag auf Bewilligung einer regelmäßig wiederkehrenden Leistung und Entschädigung zur Finanzierung verschiedener Maßnahmen. Sie stützte diesen Antrag auf gesundheitliche Beschwerden infolge der Ereignisse, die ihr in Niederländisch-Indien während der japanischen Besetzung und der darauf folgenden so genannten Bersiap-Periode widerfahren waren.
9 Mit Entscheidung vom 5. Juni 1989 lehnte die PUR diesen Antrag ab. Dabei wurde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme eines medizinischen Gutachters berücksichtigt, dass Frau Tas-Hagen keine zu einer dauernden Invalidität führende Beschädigung erlitten habe, so dass sie nicht als ziviles Kriegsopfer im Sinne der WUBO angesehen werden könne. Die Betroffene legte gegen diese Entscheidung keinen Rechtsbehelf ein.
10 1999 stellte Frau Tas-Hagen erneut einen Antrag auf Anerkennung als ziviles Kriegsopfer und Bewilligung einer regelmäßig wiederkehrenden Leistung und eines Zuschusses für Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Lebensumstände.
11 Mit Entscheidung vom 29. Dezember 2000 lehnte die PUR diesen Antrag ab. Dabei erkannte sie unter Berücksichtigung der ab 1. Juli 1998 bei der Beurteilung dauernder Invalidität angewandten Richtlinien Frau Tas-Hagen nach Stellungnahme ihrer medizinischen Gutachter als ziviles Kriegsopfer an. Da diese zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung jedoch in Spanien ansässig war, war die PUR der Auffassung, dass die in der WUBO aufgestellte Territorialitätsbedingung nicht erfüllt sei. Außerdem wurde in der Entscheidung ausgeführt, dass von derart besonderen Umständen, dass die Anwendung der Härteklausel gerechtfertigt sei, nicht die Rede sein könne. Mit Entscheidung vom 28. Dezember 2001 erklärte die PUR den Widerspruch gegen die Entscheidung vom 29. Dezember 2000 für unbegründet.
12 Herr Tas wurde 1931 in Niederländisch-Indien geboren. Im Laufe des Jahres 1947 ließ er sich in den Niederlanden nieder. Von 1951 bis 1971 besaß er die indonesische Staatsangehörigkeit. 1971 erhielt er wieder die niederländische Staatsangehörigkeit.
13 1983 endete seine Tätigkeit als Beamter der Gemeinde Den Haag, und er wurde aus psychischen Gründen für vollständig arbeitsunfähig erklärt. 1987 verzog er nach Spanien.
14 Im April 1999 stellte er einen Antrag nach der WUBO u. a. auf Bewilligung einer regelmäßig wiederkehrenden Leistung und eines Zuschusses für Maßnahmen zur Verbesserung seiner Lebensumstände. Mit Entscheidung vom 28. Dezember 2000 lehnte die PUR diesen Antrag ab. Sie führte aus, dass der Betroffene zwar als ziviles Kriegsopfer anerkannt werde, dass er aber nicht die in der WUBO aufgestellte Territorialitätsbedingung erfülle, da er zur Zeitpunkt der Antragstellung in Spanien ansässig gewesen sei. Die PUR berücksichtigte auch, dass die Umstände nicht derart besonders seien, dass die Anwendung der Härteklausel gerechtfertigt sei. Mit Entscheidung vom 28. Dezember 2001 erklärte die PUR den Widerspruch gegen die Entscheidung vom 28. Dezember 2000 für unbegründet.
15 Frau Tas-Hagen und Herr Tas erhoben Klage gegen diese Entscheidungen und machten u. a. geltend, dass das in Artikel 3 WUBO vorgesehene Erfordernis des Wohnsitzes in den Niederlanden zum Zeitpunkt der Antragstellung gegen die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Unionsbürgerschaft verstoße.
16 Der Centrale Raad van Beroep hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 18 EG, einer nationalen Regelung entgegen, nach der unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Bewilligung einer Leistung für zivile Kriegsopfer ausschließlich aus dem Grund verweigert wird, dass der Betroffene, der die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitzt, bei Einreichung des Antrags nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats, sondern in dem eines anderen Mitgliedstaats wohnt?
Zur Vorabentscheidungsfrage
Zur Anwendbarkeit von Artikel 18 Absatz 1 EG
17 Zur sachdienlichen Beantwortung der vorgelegten Frage ist zunächst zu prüfen, ob eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts und insbesondere des Artikels 18 Absatz 1 EG unterliegt.
18 Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Bestimmung genügt die Feststellung, dass gemäß Artikel 17 EG Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Außerdem knüpft Artikel 17 Absatz 2 EG an die Unionsbürgerschaft die im EG-Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten, zu denen die in Artikel 18 Absatz 1 EG genannten gehören.
19 Als niederländische Staatsangehörige sind Frau Tas-Hagen und Herr Tas gemäß Artikel 17 Absatz 1 EG Unionsbürger und können sich daher gegebenenfalls auf die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte, insbesondere das in Artikel 18 Absatz 1 EG verliehene Recht berufen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
20 Was den sachlichen Anwendungsbereich von Artikel 18 Absatz 1 EG angeht, so wurde im Verfahren vor dem Gerichtshof die Frage aufgeworfen, ob auch das Ausgangsverfahren in diesen falle. Nach Auffassung der PUR und einiger der Mitgliedstaaten, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, kann diese Bestimmung nur zur Anwendung kommen, wenn sich ein Sachverhalt über die bloße Ausübung der Freizügigkeit hinaus auf eine durch das Gemeinschaftsrecht geregelte Materie bezieht, so dass dieses sachlich auf den betreffenden Rechtsstreit anwendbar ist. Nach dieser Auslegung könnten Frau Tas-Hagen und Herr Tas im vorliegenden Fall keine Verletzung von Artikel 18 Absatz 1 EG geltend machen, da die Leistungen für zivile Kriegsopfer nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen.
21 In der Tat fällt eine Leistung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, deren Zweck in der Entschädigung ziviler Kriegsopfer für eine von ihnen erlittene psychische oder körperliche Beschädigung besteht, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.
22 Diese müssen von dieser Zuständigkeit jedoch unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Vertragsbestimmungen über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, Gebrauch machen.
23 Außerdem steht fest, dass die in Artikel 17 EG vorgesehene Unionsbürgerschaft nicht bezweckt, den sachlichen Anwendungsbereich des EG-Vertrags auf interne Sachverhalte auszudehnen, die keinerlei Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweisen (Urteile vom 5. Juni 1997 in den Rechtssachen C-64/96 und C-65/96, Uecker und Jacquet, Slg. 1997, I-3171, Randnr. 23, und vom 2. Oktober 2003 in der Rechtssache C-148/02, Garcia Avello, Slg. 2003, I-11613, Randnr. 26).
24 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass eine Situation wie die der Kläger unter das Recht der Unionsbürger fällt, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
25 Frau Tas-Hagen und Herr Tas haben nämlich mit ihrer Wohnsitznahme in Spanien von dem in Artikel 18 Absatz 1 EG jedem Unionsbürger zuerkannten Recht Gebrauch gemacht, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates, dessen Staatsangehöriger er ist, frei zu bewegen und aufzuhalten.
26 Darüber hinaus ergibt sich aus den dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten klar, dass die Ablehnung der von Frau Tas-Hagen und Herrn Tas gestellten Leistungsanträge darauf beruht, dass die Betroffenen zum Zeitpunkt der Einreichung dieser Anträge ihren Wohnsitz in Spanien genommen hatten.
27 Da die WUBO für die Bewilligung einer zivilen Kriegsopfern gewährten Leistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vorschreibt, dass die Antragsteller zum Zeitpunkt der Einreichung ihres Antrags ihren Wohnsitz in den Niederlanden haben müssen, ist festzustellen, dass die Ausübung des Rechts, sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörige sie sind, frei zu bewegen und aufzuhalten, den Anspruch auf diese Leistung beeinträchtigen kann.
28 Da sich folglich die Ausübung eines von der Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechts durch Frau Tas-Hagen und Herrn Tas auf ihren Anspruch auf Bewilligung einer im nationalen Recht vorgesehenen Leistung auswirkt, handelt es sich nicht um einen rein internen Sachverhalt ohne irgendeinen Bezug zum Gemeinschaftsrecht.
29 Es ist daher zu prüfen, ob Artikel 18 Absatz 1 EG, der somit auf eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der diejenigen, die eine zivilen Kriegsopfern gewährte Leistung beantragen, zum Zeitpunkt der Einreichung ihres Antrags ihren Wohnsitz in den Niederlanden haben müssen.
Zum Wohnsitzerfordernis
30 Zur Reichweite des Artikels 18 Absatz 1 EG hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die vom EG-Vertrag eröffneten Erleichterungen der Freizügigkeit ihre volle Wirkung nicht entfalten könnten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die Nachteile daran knüpft, dass er von ihnen Gebrauch gemacht hat (Urteil vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-224/02, Pusa, Slg. 2004, I-5763, Randnr. 19).
31 Eine nationale Regelung, die bestimmte Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, stellt eine Beschränkung der Freiheiten dar, die Artikel 18 Absatz 1 EG jedem Unionsbürger verleiht (Urteil vom 18. Juli 2006 in der Rechtssache C-406/04, De Cuyper, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 39).
32 Die WUBO stellt eine solche Beschränkung dar. Da sie die Inanspruchnahme der zugunsten ziviler Kriegsopfer eingeführten Leistung davon abhängig macht, dass die Betroffenen ihren Wohnsitz zum Zeitpunkt der Einreichung ihres Antrags im Hoheitsgebiet haben, kann dieses Gesetz niederländische Staatsangehörige, die sich in einer Situation wie der der Kläger befinden, davon abhalten, von ihrer Freiheit, sich außerhalb der Niederlande frei zu bewegen und aufzuhalten, Gebrauch zu machen.
33 Eine solche Beschränkung lässt sich nach Gemeinschaftsrecht nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruht, die in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck stehen (Urteil De Cuyper, Randnr. 40).
34 Hinsichtlich der ersten Voraussetzung, des Bestehens objektiver Erwägungen des Allgemeininteresses, ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die durch die WUBO mittels des Wohnsitzerfordernisses bewirkte Beschränkung der Zahl derjenigen, die die mit diesem Gesetz eingeführten Leistungen in Anspruch nehmen können, Folge des Wunsches des niederländischen Gesetzgebers ist, die Solidaritätsverpflichtung gegenüber zivilen Kriegsopfern auf die Personen zu beschränken, die während des Krieges oder danach eine Verbindung zum niederländischen Volk hatten. Das Wohnsitzerfordernis wäre daher eine Äußerung des Grades ihrer Verbundenheit mit dieser Gesellschaft.
35 Dieses Ziel der Solidarität kann zwar eine objektive Erwägung des Allgemeininteresses darstellen. Jedoch muss aber auch die in Randnummer 33 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass eine Maßnahme dann verhältnismäßig ist, wenn sie zur Verwirklichung des verfolgten Zieles geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung notwendig ist (Urteil De Cuyper, Randnr. 42).
36 Dabei haben die Mitgliedstaaten für Leistungen, die nicht gemeinschaftsrechtlich geregelt sind, ein weites Ermessen in Bezug auf die Festlegung der Kriterien zur Beurteilung einer solchen Verbundenheit, wobei sie freilich die vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen zu beachten haben.
37 Ein Wohnsitzerfordernis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist jedoch kein Mittel, das geeignet wäre, das verfolgte Ziel zu erreichen.
38 Wie die Generalanwältin in den Nummern 67 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, kann nämlich ein Kriterium, das ein Wohnsitzerfordernis vorschreibt, nicht als hinreichendes Indiz für die Verbundenheit der Antragsteller mit dem die Leistung gewährenden Mitgliedstaat angesehen werden, wenn es, wie dies der Fall des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kriteriums ist, bei Personen, die im Ausland ansässig sind und deren Niveau der Integration in die Gesellschaft des die Leistung gewährenden Mitgliedstaats in allen Punkten vergleichbar ist, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.
39 Daher ist die Festlegung eines Wohnsitzkriteriums wie des im Ausgangsverfahren verwendeten, das ausschließlich auf den Zeitpunkt der Einreichung des Leistungsantrags abstellt, kein Kriterium, das den Grad der Verbundenheit des Antragstellers mit der Gesellschaft, die sich ihm auf diese Weise solidarisch zeigt, hinreichend ausweist. Aus dem soeben Dargelegten folgt, dass dieses Wohnsitzerfordernis den in den Randnummern 33 und 35 des vorliegenden Urteils erwähnten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht wahrt.
40 Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Artikel 18 Absatz 1 EG dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der dieser einem seiner Staatsangehörigen die Bewilligung einer Leistung für zivile Kriegsopfer ausschließlich deshalb verweigert, weil der Betroffene zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht im Hoheitsgebiet dieses Staates, sondern in dem eines anderen Mitgliedstaats wohnte.
Kostenentscheidung:
Kosten
41 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 18 Absatz 1 EG ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der dieser einem seiner Staatsangehörigen die Bewilligung einer Leistung für zivile Kriegsopfer ausschließlich deshalb verweigert, weil der Betroffene zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht im Hoheitsgebiet dieses Staates, sondern in dem eines anderen Mitgliedstaats wohnte.
Ende der Entscheidung
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