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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.02.1996
Aktenzeichen: C-197/94
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 4 der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital definiert die Vorgänge, die der harmonisierten Gesellschaftsteuer unterliegen oder von den Mitgliedstaaten dieser Steuer unterworfen werden können, objektiv und einheitlich für alle Mitgliedstaaten, ohne daß dabei auf eventuelle Besonderheiten der einzelnen nationalen Rechtsordnungen oder auf die Ausgestaltung der nationalen Steuersysteme verwiesen wird. Er ist dahin auszulegen, daß in den Anwendungsbereich seines Absatzes 1 Buchstabe c, der die Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art betrifft, Fusionen fallen, an denen ausschließlich juristische Personen oder gesellschaftsteuerpflichtige Körperschaften beteiligt sind, und zwar mit den Folgen, die sich daraus gemäß Artikel 7 Absatz 1, der sich auf den Fall bezieht, daß eine oder mehrere Kapitalgesellschaften ihr gesamtes Gesellschaftsvermögen in eine oder mehrere Kapitalgesellschaften einbringen, die gegründet werden oder bereits bestehen, in bezug auf die Erhebung einer Gesellschaftsteuer und deren Satz ergeben.

Die letztgenannte Vorschrift ließ nach ihrer ab 1. Januar 1976 geltenden Änderung durch die Richtlinie 73/80 nur noch einen ermässigten Satz zu, der nicht höher als 0,50 % sein durfte, und sieht seit ihrer ab 1. Januar 1986 geltenden Änderung durch die Richtlinie 85/303 die Befreiung von der Gesellschaftsteuer vor. Sie steht daher der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegen, durch die die Erhebung einer Gesellschaftsteuer mit einem Satz von 1,20 % auf die Einbringung von beweglichen Vermögensgegenständen im Rahmen einer Fusion beibehalten wird.

2. Durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Artikel 177 des Vertrages vornimmt, wird erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, daß die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlaß des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit vorliegen.

In Anbetracht dieser Grundsätze muß eine Beschränkung der Wirkungen eines Auslegungsurteils eine absolute Ausnahme bleiben und kommt nur unter ganz bestimmten Umständen in Betracht, wenn die Gefahr von schweren wirtschaftlichen Folgen besteht, die insbesondere auf die grosse Zahl von Rechtsverhältnissen zurückzuführen sind, die in gutem Glauben auf der Grundlage einer als rechtswirksam angesehenen Regelung begründet worden sind, und wenn es sich zeigt, daß die einzelnen und die nationalen Behörden zu einem nicht in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehenden Verhalten aufgrund einer objektiven und erheblichen Unsicherheit in bezug auf die Tragweite von gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften veranlasst worden sind, zu der unter Umständen gerade das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hat.

Diese Voraussetzungen liegen bei einem Urteil, durch das die Richtlinie 69/335 in bezug auf die Besteuerung von Fusionen von Kapitalgesellschaften ausgelegt wird, nicht vor, wenn die betroffene nationale Regierung nicht dargetan hat, daß das Gemeinschaftsrecht bei vernünftiger Betrachtung dahin verstanden werden konnte, daß es eine andere Besteuerung als diejenige im Rahmen der Gesellschaftsteuer zuließ, die diese Richtlinie vorsieht.

Die Beschränkung der Wirkungen eines solchen Urteils kann im übrigen nicht ausschließlich mit den finanziellen Konsequenzen gerechtfertigt werden, die sich für eine Regierung aus der Rechtswidrigkeit einer Abgabe oder einer Steuer ergeben könnten. Würde man sich allein auf diese Art von Erwägungen stützen, so liefe dies nämlich darauf hinaus, daß der gerichtliche Schutz der Rechte, die die Steuerpflichtigen aus den Steuervorschriften der Gemeinschaft herleiten, wesentlich eingeschränkt wäre


Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1996. - Société Bautiaa gegen Directeur des services fiscaux des Landes und Société française maritime gegen Directeur des services fiscaux du Finistère. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de grande instance de Dax und Tribunal de grande instance de Quimper - Frankreich. - Artikel 7, Absatz 1 der Richtlinie 69/335/EWG - Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital - Gesellschaftsteuer - Fusion von Gesellschaften - Befreiung. - Verbundene Rechtssachen C-197/94 und C-252/94.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de grande instance Dax und das Tribunal de grande instance Quimper haben mit Beschlüssen vom 15. Juni und vom 9. August 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juli und am 13. September 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinien des Rates 73/79/EWG vom 9. April 1973 zur Änderung des Anwendungsbereichs des ermässigten Satzes der Gesellschaftsteuer, der zugunsten bestimmter Umstrukturierungen von Gesellschaften in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vorgesehen ist (ABl. L 103, S. 13), 73/80/EWG vom 9. April 1973 betreffend die Festsetzung gemeinsamer Sätze der Gesellschaftsteuer (ABl. L 103, S. 15), 74/553/EWG vom 7. November 1974 zur Änderung von Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 69/335 (ABl. L 303, S. 9) und 85/303/EWG vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich zum einen in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Bautiaa und dem Directeur des services fiscaux des Landes (C-197/94) und zum anderen in einem Rechtsstreit zwischen der Société française maritime und dem Directeur des services fiscaux du Finistère (C-252/94) über die Erstattung bestimmter Beträge, die die beiden Unternehmen aufgrund von nationalen Rechtsvorschriften über die Eintragungssteuer auf Kapitaleinlagen bei einer Fusion an die Finanzverwaltung gezahlt haben.

Die nationalen Rechtsvorschriften

3 Artikel 810-I des französischen Code général des impôts (im folgenden: Abgabenordnung) sieht vor:

"Der Satz der Eintragungssteuer, die auf die Einbringung von beweglichen Vermögensgegenständen erhoben wird, wird auf 1 % festgesetzt."

4 Von dieser Regel gibt es mehrere Ausnahmen. So bestimmt Artikel 812-I-1º der Abgabenordnung im Abschnitt "Kapitalerhöhungen" folgendes:

"... die durch Artikel 810-I eingeführte Steuer wird mit einem Satz von 3 % erhoben, wenn sie für Urkunden über die Erhöhung des Kapitals der in Artikel 108 genannten Gesellschaften [d. h. der Gesellschaften, die der Gesellschaftsteuer unterliegen] durch Umwandlung von Gewinnen, Rücklagen oder Rückstellungen jeder Art gilt."

5 Was Fusionen im besonderen angeht, bestimmt Artikel 816 der Abgabenordnung:

"I. Für Urkunden über Fusionen, an denen ausschließlich juristische Personen oder gesellschaftsteuerpflichtige Körperschaften beteiligt sind, gilt folgende Regelung:

1. Es wird ein Grundbetrag der Eintragungssteuer oder Publizitätsabgabe für Immobilien in Höhe von 1 220 F erhoben.

2. Die proportionale Steuer von 3 % gemäß Artikel 812-I-1º wird auf 1,20 % herabgesetzt.

Sie berechnet sich nach dem Wert des Nettovermögens der übernommenen Gesellschaft abzueglich des eingezahlten Betrages des Gesellschaftskapitals, der nicht in Anrechnung auf den künftigen Liquidationsanteil der Gesellschafter ohne entsprechende Minderung des nominalen Gesellschaftskapitals zurückgezahlt worden ist (montant libéré et non amorti; im folgenden: eingezahlter und nicht zurückgezahlter Betrag)..."

Die gemeinschaftsrechtliche Regelung

6 Was die Gesellschaftsteuer angeht, sollen durch die Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital insbesondere die Faktoren, die die Festsetzung und die Erhebung der Gesellschaftsteuer in der Gemeinschaft beeinflussen, im Rahmen der Beseitigung der steuerlichen Hindernisse, die dem freien Kapitalverkehr entgegenstehen, harmonisiert werden.

7 Artikel 4 dieser Richtlinie enthält eine Aufzählung der Vorgänge, bei denen die Gesellschaftsteuer zu erheben ist, und der Vorgänge, die die Mitgliedstaaten dieser Steuer unterwerfen können. Diese Vorschrift bestimmt insbesondere:

"(1) Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:

...

c) die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;

...

(2) Die nachstehenden Vorgänge können der Gesellschaftsteuer unterworfen werden:

a) die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Umwandlung von Gewinnen, Rücklagen oder Rückstellungen;

..."

8 Ursprünglich war in Artikel 7 der Richtlinie 69/335 eine Spanne, innerhalb deren die Mitgliedstaaten die in ihrem Hoheitsgebiet geltenden Sätze frei festsetzen konnten, festgelegt und die Anwendung von je nach Art des fraglichen Vorgangs obligatorischen oder fakultativen ermässigten Sätzen vorgesehen. Er lautete wie folgt:

"(1) Bis zum Inkrafttreten der vom Rat gemäß Absatz 2 zu erlassenden Bestimmungen

a) darf der Satz der Gesellschaftsteuer nicht über 2 v. H. und nicht unter 1 v. H. liegen;

b) wird dieser Satz um 50 v. H. oder mehr ermässigt, wenn eine oder mehrere Kapitalgesellschaften ihr gesamtes Gesellschaftsvermögen oder einen oder mehrere Zweige ihrer Tätigkeit in eine oder mehrere Kapitalgesellschaften einbringen, die gegründet werden oder bereits bestehen.

...

(4) Wenn ein Mitgliedstaat von der in Artikel 4 Absatz 2 genannten Möglichkeit Gebrauch macht, kann die Gesellschaftsteuer zu einem ermässigten Satz erhoben werden."

9 Die in dieser Weise festgelegten Sätze wurden zweimal geändert.

10 Zunächst sah Artikel 1 der ab 1. Januar 1976 geltenden Richtlinie 73/80 vor:

"Der in Artikel 7 der obengenannten Richtlinie [69/335] erwähnte Satz der Gesellschaftsteuer wird ab 1. Januar 1976 auf 1 v. H. festgesetzt."

In Artikel 2 war ausserdem bestimmt:

"Die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b) und bb) der gleichen Richtlinie genannten ermässigten Steuersätze werden ab 1. Januar 1976 auf 0 bis 0,50 v. H. festgesetzt."

11 Durch die ab 1. Januar 1986 geltende Richtlinie 85/303 wurden dann die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b bezeichneten Vorgänge von der Steuer befreit. Artikel 7 hat in der Fassung dieser Richtlinie folgenden Wortlaut:

"(1) Mit Ausnahme der in Artikel 9 genannten Vorgänge befreien die Mitgliedstaaten von der Gesellschaftsteuer die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.

Für die Befreiung gelten die zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Bedingungen für die Gewährung der Befreiung oder gegebenenfalls für die Anwendung eines Steuersatzes von 0,50 v. H. oder weniger.

...

(2) Die Mitgliedstaaten können entweder alle anderen als die in Absatz 1 bezeichneten Vorgänge [d. h. andere Vorgänge als Fusion, Spaltung und Einbringung von Unternehmensteilen] von der Gesellschaftsteuer befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1 v. H. erheben."

12 Artikel 9 der Richtlinie 69/335 sieht jedoch die Möglichkeit vor, von den in Artikel 7 vorgesehenen Sätzen abzuweichen:

"Für bestimmte Arten von Vorgängen oder Kapitalgesellschaften können Befreiungen, Ermässigungen oder Erhöhungen der Sätze vorgenommen werden, und zwar aus Gründen der Steuergerechtigkeit, aus sozialen Gründen oder um einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, einer besonderen Lage Rechnung zu tragen. Zieht ein Mitgliedstaat eine solche Maßnahme in Betracht, so befasst er die Kommission rechtzeitig im Hinblick auf die Anwendung des Artikels 102 des Vertrages damit."

13 Schließlich bestimmt Artikel 10 der Richtlinie 69/335:

"Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf:

a) die in Artikel 4 genannten Vorgänge;

b) die Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Artikel 4 genannten Vorgänge;

..."

Zur Rechtssache C-197/94

14 Am 5. November 1990 übernahm die Aktiengesellschaft Bautiaa die Société nouvelle de matériaux et travaux publics (im folgenden: SNMTP) rückwirkend zum 1. Januar 1990 zu einem Nettowert von 1 931 948 FF. In der Fusionsurkunde war vorgesehen, daß eine proportionale Eintragungssteuer in Höhe von 1,20 % auf den Betrag von 1 881 948 FF erhoben werden sollte, der den sich aus dem Vorgang ergebenden Fusionsüberschuß darstellte, d. h. den Unterschied zwischen dem Wert des von der SNMTP eingebrachten Nettovermögens und dem eingezahlten und nicht zurückgezahlten Betrag ihres Gesellschaftskapitals (50 000 FF). Diese Steuer, die sich auf 22 583 FF belief, wurde von der Firma Bautiaa am 9. Januar 1991 an die Staatskasse gezahlt.

15 Am 31. Dezember 1991 beantragte das Unternehmen bei der Steuerverwaltung die Erstattung dieser von ihr gezahlten Steuern und machte geltend, Artikel 816-I-2º der Abgabenordnung, der Fusionen der proportionalen Eintragungssteuer in Höhe von 1,20 % unterwerfe, sei nicht vereinbar mit der geänderten Richtlinie 69/335, die den Mitgliedstaaten verbiete, auf nach dem 1. Januar 1986 vorgenommene Fusionen Gesellschaftsteuern zu erheben. Mit Entscheidung vom 27. April 1992 wies der Directeur des services fiscaux (Direktor der Steuerverwaltung, im folgenden: Beklagter) die Beschwerde zurück.

16 Am 9. Juli 1992 erhob die Firma Bautiaa (im folgenden: Klägerin) beim Tribunal de grande instance Dax gegen den Beklagten Klage auf Erstattung der gezahlten Steuern.

17 Im Rahmen dieses Verfahrens trug der Beklagte zunächst vor, die Fusion, die Anlaß zur Erhebung der streitigen Steuer gegeben habe, sei steuerlich als eine Umwandlung von Rücklagen anzusehen. Nach einem Urteil der Chambre de requêtes vom 31. Oktober 1927 bestehe die Umwandlung von Rücklagen aus zwei Vorgängen: zum einen der Ausschüttung der Gesamtheit oder eines Teils der von der Gesellschaft gebildeten Rücklagen an die Gesellschafter und zum anderen der sofortigen Einlage dieser Rücklagen durch diese Gesellschafter und damit ihrer Zuführung zum Gesellschaftskapital gegen Ausgabe von Gratisaktien an die Aktionäre. Zum Ausgleich der für diese Ausgabe von Aktien geltenden Befreiung von der Ausschüttungssteuer sei eine besondere Eintragungssteuer für Umwandlungen von Rücklagen eingeführt worden. Dieser Gedankengang sei auf den Fall der Fusion auszudehnen, da diese bewirken könne, daß Rücklagen der übernommenen Gesellschaft dem Kapital der übernehmenden Gesellschaft zugeführt würden. Die Besteuerung der Fusion gleiche daher die Befreiung von der Einkommensteuer aus, die für die Ausgabe von Gratisaktien gelte.

18 Der Beklagte machte ferner geltend, die Richtlinie 69/335 in ihrer zuletzt durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung gelte nur für die gewöhnliche Gesellschaftsteuer auf normale Einlagen und betreffe nicht die bei der Umwandlung von Rücklagen oder einer Fusion geschuldete Steuer, da diese Steuer einen "Ersatz für die Ausschüttungssteuer" darstelle, die auf anderen Gründen beruhe als die Gesellschaftsteuer im Sinne der Richtlinie.

19 Die Klägerin trug vor, die Steuer in Höhe von 1,20 %, die gemäß Artikel 816-I-2º der Abgabenordnung auf Fusionsurkunden erhoben werde, stelle nur einen besonderen Satz des in Artikel 812-I-1º der Abgabenordnung geregelten proportionalen Steuer in Höhe von 3 % dar, die ihrerseits nichts anderes als die durch Artikel 810-I eingeführte "Gesellschaftsteuer" sei, die zu einem Satz von 3 % anstelle von 1 % erhoben werde. Sie folgert daraus, daß die Steuer in Höhe von 1,20 %, die auf die Fusion vom 26. Dezember 1990 erhoben worden sei, eine Gesellschaftsteuer darstelle, deren Erhebung gegen die Richtlinie 69/335 in ihrer geänderten Fassung verstosse, und daß das Vorbringen der Verwaltung zum Ersatz der Ausschüttungssteuer nicht stichhaltig sei.

20 Mit Urteil vom 15. Juni 1994 hat das Tribunal de grande instance Dax das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Artikel 99 ff. des Vertrages und 7 der Richtlinie 69/335/EWG vom 17. Juli 1969 (zuletzt geändert durch die Richtlinie 85/303/EWG vom 10. Juni 1985) dahin auszulegen, daß sie der Anwendung einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wie in den Artikeln 812 bis 816-I des Code général des impôts (Abgabenordnung) vorgesehen, für Fusionen von Gesellschaften weiterhin eine Eintragungssteuer von 1,20 % gilt?

Zur Rechtssache C-252/94

21 Die Société française maritime nahm zwischen 1987 und 1991 verschiedene Fusionen vor, die Anlaß zur Erhebung einer Gesellschaftsteuer in Höhe von 1,20 % gemäß Artikel 816-I-2º der Abgabenordnung durch den französischen Staat gaben. Der Gesamtbetrag der von der Société française maritime anläßlich dieser Fusionen entrichteten Steuern beläuft sich auf 1 406 960 FF.

22 Am 5. März 1992 beantragte die Société française maritime die Erstattung dieser von ihr gezahlten Steuern abzueglich eines Steuergrundbetrags von 1 220 FF, zu dessen Zahlung sie ihrer Ansicht nach ausschließlich verpflichtet ist.

23 Zur Begründung ihres Antrags machte sie geltend, Artikel 816-I-2º der Abgabenordnung, der Fusionen mit einer proportionalen Gesellschaftsteuer in Höhe von 1,20 % belaste, stehe nicht im Einklang mit Artikel 7 der Richtlinie 69/335 in seiner durch die Richtlinien 73/80 und 85/303 geänderten Fassung. Die Richtlinie 73/80 habe die bei Fusionen erhobenen Steuern mit Wirkung vom 1. Januar 1976 auf 0,50 % begrenzt, während die Richtlinie 85/305 den Mitgliedstaaten ab 1. Januar 1986 vorgeschrieben habe, die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 bereits steuerfrei gewesen seien oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 % oder weniger unterlegen hätten, von der Steuer zu befreien.

24 Der Directeur des services fiscaux du Finistère (Direktor der Steuerverwaltung des Departements Finistère; im folgenden: Beklagter) wies ihre Beschwerde mit der Entscheidung vom 12. Oktober 1992 zurück.

25 Am 20. November 1992 erhob die Société française maritime (im folgenden: Klägerin) beim Tribunal de grande instance Quimper Klage gegen den Beklagten und beantragte den Erlaß der obengenannten Steuern, wobei sie sich auf dieselbe Begründung stützte wie zuvor in ihrer Beschwerde. Zu ihrer Verteidigung machte die Steuerverwaltung geltend, die Beschwerde der Klägerin hinsichtlich der 1987 und 1989 entrichteten Steuern sei unzulässig und verspätet und nur die im Januar 1991 durchgeführte Fusion bleibe noch im Streit. Ausserdem trug sie vor, die Steuer in Höhe von 1,20 % stelle keine Gesellschaftsteuer im eigentlichen Sinn dar, sondern sei in Wirklichkeit ein Ersatz für die Ausschüttungssteuer, die durch die Richtlinie 69/335 nicht erfasst werde.

26 Die Klägerin trug vor, die von der Beklagten für die 1987 und 1989 entrichteten Steuern geltend gemachte Unzulässigkeit ihrer Beschwerde sei nicht gegeben, weil nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-208/90 (Emmott, Slg. 1991, I-4269) einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich auf die Vorschriften einer Richtlinie berufe, eine Ausschlußfrist nicht entgegengehalten werden könne, bevor die Richtlinie nicht ordnungsgemäß in das nationale Recht umgesetzt worden sei.

27 Mit Zwischenurteil vom 9. August 1994 erklärte das Tribunal de grande instance Quimper die Beschwerde der Klägerin hinsichtlich der 1987 und 1989 entrichteten Steuern für unzulässig und entschied darüber hinaus, daß dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen sei. Die letztgenannte Entscheidung wurde am 9. August 1994 mit der Kassationsbeschwerde angefochten. Mit Schreiben vom 2. März 1995, das am 7. März 1995 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden ist, teilte das Tribunal de grande instance Quimper mit, daß seines Erachtens kein Anlaß bestehe, das vorliegende Verfahren auszusetzen.

28 Die Vorabentscheidungsfrage des Tribunal de grande instance Quimper lautet wie folgt:

Darf die Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats nach der Richtlinie 85/303 vom 10. Juni 1985, die insbesondere das Steuersystem für Fusionen betrifft und nach der "die Mitgliedstaaten von der Gesellschaftsteuer die Vorgänge [befreien], die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen" (Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie), in Verbindung mit der Richtlinie 73/80 vom 9. April 1973, mit der die bei Fusionen erhobene Steuer mit Wirkung vom 1. Januar 1976 auf maximal 0,5 % begrenzt wurde, bei Fusionen eine proportionale Eintragungssteuer von 1,20 % erheben?

29 Mit Beschluß vom 30. Juni 1995 sind die beiden Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Zur Auslegung der Richtlinie 69/335 in der geänderten Fassung

30 Die Vorabentscheidungsfragen der vorlegenden Gerichte gehen im wesentlichen dahin, ob Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 69/335 in seiner durch die ab 1. Januar 1976 geltende Richtlinie 73/80 und dann durch die ab 1. Januar 1986 geltende Richtlinie 85/303 geänderten Fassung der Anwendung einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Satz der Eintragungssteuer auf die Einbringung von beweglichen Vermögensgegenständen im Rahmen einer Fusion weiterhin 1,20 % beträgt.

31 Zur Qualifizierung der streitigen Steuer im Hinblick auf die Richtlinie 69/335 und zur Beurteilung ihrer Vereinbarkeit mit dieser Richtlinie, insbesondere was die anwendbaren Sätze angeht, ist zunächst zu prüfen, ob Vorgänge wie diejenigen, die in den beiden Ausgangsverfahren Anlaß zur Erhebung der Gesellschaftsteuer gegeben haben, in den Geltungsbereich der Richtlinie 69/335 fallen, und sind diese Vorgänge dann in bezug auf diese Richtlinie zu qualifizieren. Aus Artikel 1 der Richtlinie in Verbindung mit Artikel 4 geht hervor, daß die Abgabe auf Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften eine "Gesellschaftsteuer" im Sinne der Richtlinie darstellt, wenn sie auf durch die Richtlinie erfasste Vorgänge erhoben wird.

32 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die Vorgänge, die der harmonisierten Gesellschaftsteuer unterliegen oder von den Mitgliedstaaten dieser Steuer unterworfen werden können, in Artikel 4 der Richtlinie objektiv und einheitlich für alle Mitgliedstaaten definiert sind, ohne daß dabei auf eventuelle Besonderheiten der einzelnen nationalen Rechtsordnungen oder auf die Ausgestaltung der nationalen Steuersysteme verwiesen wird.

33 Aus den Akten geht hervor, daß die streitige Steuer auf Fusionen erhoben wird, an denen ausschließlich juristische Personen oder gesellschaftsteuerpflichtige Körperschaften beteiligt sind.

34 Diese Vorgänge stellen Erhöhungen des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 in dem besonderen, durch Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b erfassten Fall dar, daß eine oder mehrere Kapitalgesellschaften ihr gesamtes Gesellschaftsvermögen in eine oder mehrere Kapitalgesellschaften einbringen, die gegründet werden oder bereits bestehen.

35 Entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung ist es nicht möglich, im Rahmen einer von der Richtlinie 69/335 erfassten Fusion einen gesonderten Vorgang der Umwandlung von Rücklagen bei der zu übernehmenden Gesellschaft festzustellen, der unter Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 69/335 fallen würde.

36 Zum einen bezeichnet nämlich der in der nationalen Vorschrift verwendete Begriff "Fusion" eindeutig einen Vorgang der Kapitalansammlung, der in der Erhöhung des Kapitals einer, der sogenannten "übernehmenden" Gesellschaft durch die Einbringung des gesamten Vermögens durch eine andere, die sogenannte "übernommene" Gesellschaft besteht; zum anderen besteht das Ziel der Kapitalansammlung in der Stärkung einer anderen, bereits bestehenden Gesellschaft, der übernehmenden Gesellschaft, deren Kapital durch die Einlage der Aktionäre der übernommenen Gesellschaft erhöht wird. Zum letztgenannten Punkt hat der Gerichtshof im Urteil vom 5. Februar 1991 in der Rechtssache C-15/89 (Deltakabel, Slg. 1991, I-241, Randnr. 14) festgestellt, daß das ausschlaggebende Kriterium dafür, ob ein Vorgang, bei dem Kapital angesammelt wird, der Gesellschaftsteuer unterworfen werden kann, darin besteht, ob das Wirtschaftspotential der begünstigten Gesellschaft verstärkt wird.

37 Daraus folgt, daß die Umwandlung von Rücklagen, die die übernommene Gesellschaft durchgeführt haben soll, in beiden Ausgangsverfahren nur eine Modalität der Kapitalansammlung dargestellt hat, die sich für die Anwendung der Richtlinie erst im Zeitpunkt der Kapitalerhöhung durch die Einbringung des Vermögens der übernommenen Gesellschaft in die übernehmende Gesellschaft konkretisiert hat. Erst nach Abschluß des Prozesses des Zusammenschlusses der beiden Gesellschaften ist nämlich die Voraussetzung der Verstärkung des Wirtschaftspotentials erfuellt und die Erhebung einer Gesellschaftsteuer zu dem durch Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 festgelegten Satz gerechtfertigt.

38 Somit fallen Vorgänge der in den Ausgangsverfahren streitigen Art in den Geltungsbereich der Richtlinie 69/335 und sind in bezug auf Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie (Erhöhung des Kapitals durch Einlagen jeder Art) mit den Folgen zu prüfen, die sich daraus in bezug auf die Anwendung des Satzes der Gesellschaftsteuer gemäß Artikel 7 Absatz 1 in seiner durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung ergeben.

39 Was die Steuer angeht, die auf diese Vorgänge erhoben wird, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, daß die Qualifizierung einer Steuer, Abgabe oder Gebühr nach Gemeinschaftsrecht vom Gerichtshof nach den objektiven Merkmalen der Steuer unabhängig von ihrer Qualifizierung im nationalen Recht vorzunehmen ist (Urteile vom 27. November 1985 in der Rechtssache 295/84, Rousseau Wilmot, Slg. 1985, 3759, und vom 31. März 1992 in der Rechtssache C-200/90, Dansk Denkavit und Poulsen Trading, Slg. 1992, I-2217).

40 Da die streitige Eintragungssteuer auf Kapitaleinlagevorgänge erhoben wird, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 69/335 fallen, stellt sie eine Gesellschaftsteuer im Sinne dieser Richtlinie dar. Folglich ist ihre Vereinbarkeit mit Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 zu prüfen, und zwar insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Steuersatzes.

41 Diese Vorschrift ist mehrfach geändert worden. Die Beibehaltung einer Gesellschaftsteuer wie der streitigen Steuer in einem Mitgliedstaat war vom 1. Januar 1976 bis zum 31. Dezember 1985 unvereinbar mit Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 in seiner durch die Richtlinie 73/80 geänderten Fassung, wonach die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b genannten ermässigten Sätze nicht höher als 0,50 % sein durften.

42 Ab 1. Januar 1986 blieb die Beibehaltung einer solchen Steuer unvereinbar mit der Richtlinie, da Artikel 7 Absatz 1 in der Folge durch die Richtlinie 85/303 geändert worden war, die die Befreiung von Kapitalerhöhungen durch das Einbringen des gesamten Vermögens einer Gesellschaft in eine andere Gesellschaft eindeutig vorschreibt.

43 Auf die Frage ist folglich zu antworten, daß Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 69/335 in seiner durch die ab 1. Januar 1976 geltende Richtlinie 73/80 und dann durch die ab 1. Januar 1986 geltende Richtlinie 85/303 geänderten Fassung der Anwendung einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Satz der Eintragungssteuer auf die Einbringung von beweglichen Vermögensgegenständen im Rahmen einer Fusion weiterhin 1,20 % beträgt.

Zu den zeitlichen Wirkungen dieses Urteils

44 In der mündlichen Verhandlung hat die französische Regierung beantragt, die zeitlichen Wirkungen dieses Urteils zu begrenzen, falls der Gerichtshof der Auffassung sein sollte, daß die Beibehaltung einer Eintragungssteuer der im Ausgangsverfahren streitigen Art nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

45 Zur Begründung ihres Antrags hat sie geltend gemacht, daß zum einen eine objektive und erhebliche Unsicherheit bestehe, die auf das Verhalten der anderen Mitgliedstaaten und vor allem der Kommission zurückzuführen sei, und daß zum anderen dieses Urteil äusserst schwerwiegende Auswirkungen auf die französischen Staatsfinanzen haben würde.

46 Was den ersten Teil des Vorbringens angeht, hat die französische Regierung auf eine Erklärung während der Vorarbeiten für die Richtlinie 69/335 hingewiesen, in der es heisse:

"Die Delegationen stellen... fest, daß Frankreich aufgrund dieses Artikels [d. h. des Artikels 9] auf die Vorgänge gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a andere als die in Artikel 7 Absatz 4 vorgesehenen Sätze anwenden kann."

Dabei entspricht die letztgenannte Vorschrift nach Angabe der französischen Regierung Artikel 7 Absatz 1 der endgültigen Fassung der Richtlinie.

47 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in der Ausübung seiner Befugnisse aus Artikel 177 des Vertrages vornimmt, erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht wird, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, daß die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlaß des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (Urteil vom 27. März 1980 in der Rechtssache 61/79, Denkavit italiana, Slg. 1980, 1205, Randnr. 16).

48 In Anbetracht dieser Grundsätze muß eine Beschränkung der Wirkungen eines Urteils, durch das über ein Auslegungsersuchen entschieden wird, eine absolute Ausnahme bleiben (siehe u. a. Urteil Denkavit italiana, a. a. O., Randnr. 17). Der Gerichtshof hat von seiner dahin gehenden Befugnis nämlich nur unter ganz bestimmten Umständen Gebrauch gemacht. Dies war der Fall, wenn die Gefahr von schweren wirtschaftlichen Folgen bestand, die insbesondere auf die grosse Zahl von Rechtsverhältnissen zurückzuführen waren, die in gutem Glauben auf der Grundlage einer als rechtswirksam angesehenen Regelung begründet worden waren, und sich zeigte, daß die einzelnen und die nationalen Behörden zu einem nicht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehenden Verhalten aufgrund einer objektiven und erheblichen Unsicherheit in bezug auf die Tragweite von gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften veranlasst worden waren, zu der unter Umständen gerade das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte (siehe u. a. Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-163/90, Legros u. a., Slg. 1992, I-4625).

49 Im vorliegenden Fall ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß ein Auslegungsurteil auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ausgelegten Vorschrift zurückwirkt, durch nichts gerechtfertigt (Urteil vom 19. Oktober 1995 in der Rechtssache C-137/94, Richardson, Randnr. 33, Slg. 1995, I-0000).

50 Erstens hat die französische Regierung nicht dargetan, daß das Gemeinschaftsrecht zu der Zeit, als die streitige Eintragungssteuer erhoben wurde, bei vernünftiger Betrachtung dahin verstanden werden konnte, daß es die Beibehaltung dieser Steuer zuließ. Das Vorbringen, mit dem sie nachzuweisen versucht hat, daß sie gedacht habe, für sie gelte eine Ausnahmeregelung gemäß Artikel 9 der Richtlinie 69/335, aufgrund deren sie andere als die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie vorgeschriebenen Sätze anwenden könne, ist nicht stichhaltig.

51 In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, daß die französische Regierung keine Angaben dazu hat machen können, ob die Erklärung, die sie erwähnt, in das Protokoll der Sitzung des Rates aufgenommen worden ist. Im übrigen können Erklärungen, die bei vorbereitenden Arbeiten, die zum Erlaß einer Richtlinie führen, in ein Protokoll des Rates aufgenommen werden, nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung der Richtlinie nicht berücksichtigt werden, wenn der Inhalt der Erklärungen im Wortlaut der fraglichen Bestimmung keinen Ausdruck gefunden und somit keine rechtliche Bedeutung hat (Urteil vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-292/89, Antonissen, Slg. 1991, 745, Randnr. 18).

52 Sodann ist unstreitig, daß Artikel 9 der Richtlinie für eine Abweichung von den Vorschriften der Richtlinie ausdrücklich auf das in Artikel 102 EG-Vertrag vorgesehene Verfahren verweist, das im vorliegenden Fall nicht beachtet worden ist.

53 Schließlich ist festzustellen, daß die Ausnahmeregelung, auf die sich die französische Regierung beruft, nur auf den Satz der Steuer bezieht, die auf die in Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie genannten Vorgänge erhoben wird (Kapitalerhöhung durch Umwandlung von Gewinnen, Rücklagen oder Rückstellungen), und nicht auf die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c in Verbindung mit Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b genannten Vorgänge, zu denen Fusionen gehören.

54 Zweitens kann das Vorbringen, die französische Regierung werde einen erheblichen finanziellen Schaden erleiden, nicht durchgreifen.

55 Die möglichen finanziellen Konsequenzen der Rechtswidrigkeit einer Abgabe oder einer Steuer haben für sich allein die Beschränkung der Wirkung eines Urteils des Gerichtshofes niemals gerechtfertigt (Urteil Dansk Denkavit und Poulsen Trading, a. a. O.). Zudem würde eine allein auf diese Art von Erwägungen gestützte Beschränkung der Wirkungen eines Urteils darauf hinauslaufen, daß der gerichtliche Schutz der Rechte, die die Steuerpflichtigen aus den Steuervorschriften der Gemeinschaft herleiten, wesentlich eingeschränkt wäre (Urteil vom 11. August 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-367/93 bis C-377/93, Roders u. a., Slg. 1995, I-2229).

56 Es besteht folglich kein Anlaß, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu beschränken

Kostenentscheidung:

Kosten

57 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Tribunal de grande instance Dax und vom Tribunal de grande instance Quimper mit Beschlüssen vom 15. Juni und vom 9. August 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in seiner durch die ab 1. Januar 1976 geltende Richtlinie 73/80/EWG des Rates vom 9. April 1973 betreffend die Festsetzung gemeinsamer Sätze der Gesellschaftsteuer und dann durch die ab 1. Januar 1986 geltende Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung steht der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, wonach der Satz der Eintragungssteuer auf die Einbringung von beweglichen Vermögensgegenständen im Rahmen einer Fusion weiterhin 1,20 % beträgt

Ende der Entscheidung

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