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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.03.1998
Aktenzeichen: C-199/94 P
Rechtsgebiete: EG-Satzung, Verordnung (EWG) Nr. 4028/86, EGV, Verfahrensordnung


Vorschriften:

EG-Satzung Art. 41
Verordnung (EWG) Nr. 4028/86
EGV Art. 173
Verfahrensordnung Art. 119
Verfahrensordnung Art. 100 § 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Gemäß Artikel 41 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes können die Parteien bei Bekanntwerden einer neuen und entscheidenden Tatsache die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Diese Bestimmung sieht zwar nicht ausdrücklich vor, daß auch für ein durch einen Beschluß abgeschlossenes Verfahren ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden kann, doch kann auch in einem solchen Fall die Wiederaufnahme beantragt werden, wenn es sich um einen Beschluß handelt, durch den ein Rechtsmittel gemäß Artikel 119 der Verfahrensordnung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wurde und der also ähnliche Wirkungen wie ein Urteil hat, durch das das Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen worden wäre.

4 Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Artikel 41 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes ist kein Rechtsmittel, sondern ein ausserordentlicher Rechtsbehelf, der es erlaubt, die Rechtskraft eines verfahrensabschließenden Urteils aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt hat, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setzt das Bekanntwerden von Tatsachen voraus, die vor der Verkündung des Urteils eingetreten waren, dem Gericht, das dieses Urteil erlassen hat, sowie der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bis dahin unbekannt waren und die das Gericht, hätte es sie berücksichtigen können, möglicherweise veranlasst hätten, den Rechtsstreit anders als geschehen zu entscheiden.

Daher ist ein Antrag auf Wiederaufnahme unzulässig, der nur auf Verfahrensvorschriften, die dem Gerichtshof völlig bekannt sind, und die Begründetheit betreffende Umstände gestützt ist, während der Gerichtshof in seiner das betreffende Verfahren abschließenden Entscheidung nur Fragen berührt hat, die mit der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs bzw. mit für diese Entscheidung unerheblichen Tatsachen zusammenhängen.


Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 5. März 1998. - Compañía Internacional de Pesca y Derivados SA (Inpesca) gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften und Pesquería Vasco-Montañesa SA (Pevasa). - Wiederaufnahme des Verfahrens - Neue und entscheidende Tatsache - Unzulässigkeit. - Verbundene Rechtssachen C-199/94 P und C-200/94 P REV.

Entscheidungsgründe:

1 Die Compañía Internacional de Pesca y Derivados SA (Inpesca) hat mit Antragsschrift, die am 12. Februar 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 41 der EG-Satzung des Gerichtshofes einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Beschluß des Gerichtshofes vom 26. Oktober 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-199/94 P und C-200/94 P (Pevasa und Inpesca/Kommission, Slg. 1995, I-3709; nachstehend: Beschluß des Gerichtshofes) abgeschlossenen Verfahrens gestellt.

2 Mit diesem Beschluß wies der Gerichtshof gemäß Artikel 119 seiner Verfahrensordnung die von Pevasa und Inpesca gegen den Beschluß des Gerichts vom 28. April 1994 in den verbundenen Rechtssachen T-452/93 und T-453/93 (Pevasa und Inpesca/Kommission, Slg. 1994, II-229; nachstehend: Beschluß des Gerichts) eingelegten Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zurück.

3 Die genannten Rechtsmittel waren erstens auf Aufhebung des Beschlusses des Gerichts, zweitens auf Nichtigerklärung der Entscheidungen der Kommission vom 18. Dezember 1990 und 8. November 1991 (nachstehend: streitige Entscheidungen), mit denen diese es abgelehnt hatte, Pevasa und Inpesca den von ihnen gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 4028/86 des Rates vom 18. Dezember 1986 über Gemeinschaftsmaßnahmen zur Verbesserung und Anpassung der Strukturen im Bereich der Fischerei und der Aquakultur (ABl. L 376, S. 7) beantragten Zuschuß zu gewähren, drittens auf Anordnung an die Kommission, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Zuschuß zu gewähren, und viertens auf Verurteilung der Kommission zum Ersatz des durch ihr Verhalten verursachten Schadens gerichtet.

4 Aus dem Beschluß des Gerichtshofes ergibt sich insbesondere folgendes: Das Gericht habe zu Recht die Auffassung vertreten, daß die Klagen auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidungen nach Ablauf der Frist des Artikels 173 des Vertrages eingereicht worden seien; soweit die Anträge darauf gerichtet seien, die streitigen Entscheidungen für null und nichtig zu erklären, fielen sie mit dem Antrag auf Nichtigerklärung zusammen, den das Gericht als unzulässig zurückgewiesen habe; die Anträge, der Kommission aufzugeben, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, widersprächen der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach die Gemeinschaftsgerichte im Rahmen der auf Artikel 173 des Vertrages gestützten Rechtmässigkeitskontrolle nicht befugt seien, Anordnungen zu erlassen; der Schadensersatzantrag, der auf die Zahlung von Beträgen in Höhe des verweigerten Gemeinschaftszuschusses gerichtet und auf dieselben Rechtswidrigkeitsgründe wie die Nichtigkeitsklage gestützt gewesen sei, stelle einen Verfahrensmißbrauch dar; schließlich brauchten die anderen Anträge nicht geprüft zu werden, da sie von der Aufhebung des Beschlusses des Gerichts abhingen.

5 Die Antragstellerin beantragt,

- den Wiederaufnahmeantrag für zulässig zu erklären;

- den Beschluß des Gerichtshofes aufzuheben und folglich die beim Gericht gegen die streitigen Entscheidungen eingereichte Nichtigkeitsklage für zulässig zu erklären;

- die streitigen Entscheidungen für nichtig zu erklären;

- die Kommission zu verpflichten, gemäß Artikel 176 EG-Vertrag die erforderlichen Maßnahmen zur Gewährung des beantragten Gemeinschaftszuschusses zu erlassen;

- den Antrag gemäß den Artikeln 176, 178 und 215 EG-Vertrag auf Ersatz des infolge des Verhaltens der Kommission entstandenen Schadens für zulässig und begründet zu erklären;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

6 Pevasa unterstützt in ihrem Schriftsatz die Anträge von Inpesca.

7 Die Kommission beantragt,

- den Wiederaufnahmeantrag für unzulässig zu erklären;

- der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen.

8 Die Antragstellerin nennt drei Tatsachen, die sie als neu und entscheidend ansieht und die nach ihrer Auffassung die Wiederaufnahme des mit dem Beschluß des Gerichtshofes abgeschlossenen Verfahrens rechtfertigen: erstens ein Schreiben der Kanzlei des Gerichtshofes vom 27. November 1995; zweitens den Jahresbericht des Rechnungshofes für das Haushaltsjahr 1994 (ABl. 1995, C 303, S. 1); drittens den Bau und die Inbetriebnahme des Thunfischfängers der Frosterflotte, für den die Subvention beantragt worden war, nachgewiesen durch eine Bescheinigung der Anabac vom 8. Februar 1996.

9 In bezug auf die erste dieser Tatsachen habe Inpesca den Kanzler des Gerichtshofes nach Zustellung des Beschlusses des Gerichtshofes um eine vollständige Kopie des Berichts des Berichterstatters und der Stellungnahme des Generalanwalts gebeten, "um im Hinblick auf den knappen Inhalt der Randnummern 16 bis 29 des Beschlusses dessen Gründe zu erfahren". Am 27. November 1995 habe der Kanzler des Gerichtshofes geantwortet, daß aufgrund der Dienstanweisungen für den Kanzler des Gerichtshofes vom 23. Februar 1989 die Parteien keinen Zugang zum Bericht des Berichterstatters erhalten könnten und daß der Generalanwalt angehört werde, aber nicht schriftlich Stellung nehme.

10 Die Antragstellerin weist insoweit darauf hin, daß der Bericht des Berichterstatters nach Artikel 119 der Verfahrensordnung eine wesentliche Grundlage für die Einleitung des besonderen Verfahrens darstelle, das nach diesem Artikel Voraussetzung für die Feststellung der Unzulässigkeit sei. Ausserdem bestimme Artikel 18 Absatz 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes, daß das mündliche Verfahren die Verlesung des von einem Berichterstatter vorgelegten Berichts umfasse. Diesen Bericht den Parteien vorzuenthalten, gebe Anlaß zu Zweifeln am Vorhandensein eines entscheidungserheblichen Schriftstücks. Die genaue und gewissenhafte Einhaltung von Artikel 119 der Verfahrensordnung verlange ausserdem eine Anhörung des Generalanwalts. Bei dieser seien die Artikel 164, 166 und 168 EG-Vertrag einzuhalten, wonach der Generalanwalt begründete Schlussanträge zu den dem Gerichtshof unterbreiteten Rechtssachen öffentlich zu stellen habe. Diese Beteiligung sei für die Sicherung der Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages unerläßlich.

11 Zur zweiten der in dem Wiederaufnahmeantrag genannten Tatsachen beruft sich die Antragstellerin auf den Wortlaut des Jahresberichts des Rechnungshofes zum Haushaltsjahr 1994, wonach "[d]ie Beispiele von Verschwendung und Mißmanagement von EU-Geldern, die sich in zahlreichen Prüfberichten des Hofes finden lassen,... Beweis genug [sind] für die Notwendigkeit, sich konzertiert zu bemühen, die Verbesserungsprogramme der Kommission zu vervollständigen und die eher nachlässige Einstellung "der Haushaltsplan muß ausgegeben werden" in einen solchen Ansatz zu verwandeln, der den Ruf nach einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis verstärkt". Diese Ausführungen des Rechnungshofs entsprächen dem Inhalt ihrer ursprünglichen Klage. Der Gerichtshof habe die Rechtsmittel ohne den geringsten Hinweis auf diese Mängel der Verwaltung der Kommission zurückgewiesen.

12 Drittens macht die Antragstellerin geltend, sie habe die durch die Verordnung Nr. 4028/86 vorgesehenen Verpflichtungen erfuellt, jedoch den beantragten Zuschuß nicht erhalten. Ein Thunfischfänger der Frosterflotte, die "Txori-berri", sei in Astilleros Balenciaga de Zumaya (Spanien) gebaut worden und sei seit dem 12. März 1992 bei den Seychellen, Madagaskar und den Komoren auf Fang, wie aus der Bescheinigung der Anabac vom 8. Februar 1996 hervorgehe.

13 Nach Auffassung der Kommission erfuellt keiner der von der Antragstellerin angeführten Umstände die Voraussetzungen, die erforderlich seien, um eine Wiederaufnahme zu rechtfertigen. Insbesondere seien die Umstände, daß die Parteien keinen Zugang zum Bericht des Berichterstatters erhalten hätten und daß der Generalanwalt keine schriftlichen Schlussanträge vorgetragen habe, dem Gerichtshof im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannt gewesen und hätten sich auf den Inhalt des Beschlusses nicht auswirken können. Auch die Veröffentlichung des Berichts des Rechnungshofs nach Verkündung des Beschlusses habe auf die Entscheidung des Rechtsstreits keinen entscheidenden Einfluß haben können. Ebenso seien der Bau und die Inbetriebnahme des Schiffes vor der Verkündung des Beschlusses der Antragstellerin bekannt gewesen und könnten dessen Inhalt in keiner Weise beeinflussen.

14 Gemäß Artikel 100 § 1 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts in nichtöffentlicher Sitzung durch Urteil über die Zulässigkeit des Antrags, ohne der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen.

15 Zunächst ist daran zu erinnern, daß nach Artikel 41 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes die Wiederaufnahme des Verfahrens beim Gerichtshof nur dann beantragt werden kann, wenn eine Tatsache von entscheidender Bedeutung bekannt wird, die vor Verkündung des Urteils dem Gerichtshof und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt war.

16 In der Satzung ist nicht ausdrücklich vorgesehen, daß für ein durch einen Beschluß abgeschlossenes Verfahren ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden kann. Im vorliegenden Fall betrifft der Wiederaufnahmeantrag jedoch einen Beschluß, durch den Rechtsmittel gemäß Artikel 119 der Verfahrensordnung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wurden und der also ähnliche Wirkungen wie ein Urteil hat, durch das die Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen worden wären. Es ist daher anzuerkennen, daß bei Bekanntwerden einer neuen und entscheidenden Tatsache die Wiederaufnahme des durch einen solchen Beschluß abgeschlossenen Verfahrens beantragt werden kann (vgl. insoweit die Urteile vom 7. März 1995 in der Rechtssache C-130/91 REV, ISÄ/VP und Interdata/Kommission, Slg. 1995, I-407, und vom 16. Januar 1996 in der Rechtssache C-130/91 REV II, ISÄ/VP und Interdata/Kommission, Slg. 1996, I-65).

17 Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, ist die Wiederaufnahme kein Rechtsmittel, sondern ein ausserordentlicher Rechtsbehelf, der es erlaubt, die Rechtskraft eines verfahrensabschließenden Urteils aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt hat, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setzt das Bekanntwerden von Tatsachen voraus, die vor der Verkündung des Urteils eingetreten waren, die dem Gericht, das dieses Urteil erlassen hat, und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bis dahin unbekannt waren und die das Gericht, hätte es sie berücksichtigen können, möglicherweise veranlasst hätten, den Rechtsstreit anders als geschehen zu entscheiden (vgl. insbesondere Urteil vom 16. Januar 1996, ISÄ/VP und Interdata/Kommission, a. a. O., Randnr. 6).

18 In der vorliegenden Rechtssache betreffen die im Schreiben der Kanzlei des Gerichtshofes vom 27. November 1995 genannten Umstände, auf die die Antragstellerin ihren Antrag stützt, die bei einer Entscheidung des Gerichtshofes durch Beschluß geltenden Verfahrensvorschriften und insbesondere die dem Gerichtshof völlig bekannten Umstände, daß der Generalanwalt nicht öffentlich schriftliche Schlussanträge stellt und daß die Parteien keinen Zugang zum Bericht des Berichterstatters haben. Diese Umstände stellen daher keine neuen Tatsachen dar, die einen Wiederaufnahmeantrag rechtfertigen könnten.

19 Zum Bericht des Rechnungshofs ist festzustellen, daß er allenfalls die Begründetheit der von Pevasa und Inpesca vor dem Gericht anhängig gemachten Rechtssachen betrifft, während der Beschluß des Gerichtshofes nur Fragen berührt, die mit der Zulässigkeit der in der ersten Instanz erhobenen Klagen und der gegen den Unzulässigkeitsbeschluß des Gerichts eingelegten Rechtsmittel zusammenhängen. Es ist daher offensichtlich, daß dieser Bericht für die ergangene Entscheidung des Rechtsstreit nicht von entscheidender Bedeutung sein kann.

20 Ferner ist die Bescheinigung über den Bau und die Inbetriebnahme des Schiffes, für das der Gemeinschaftszuschuß beantragt worden war, für den Beschluß, der Gegenstand des Wiederaufnahmeantrags ist, völlig unerheblich. Da die genannten Tatsachen der Antragstellerin überdies schon lange vor der Entscheidung des Gerichtshofes durch Beschluß bekannt waren, sind sie nicht neu.

21 Folglich ist der Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem Beschluß des Gerichtshofes abgeschlossenen Verfahrens gemäß Artikel 100 § 1 der Verfahrensordnung für unzulässig zu erklären.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Pevasa ist gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Der Wiederaufnahmeantrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Inpesca trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Pevasa trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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