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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.01.2006
Aktenzeichen: C-2/05
Rechtsgebiete: Verordnung EWG Nr. 1408/71, Verordnung EWG Nr. 574/72


Vorschriften:

Verordnung EWG Nr. 1408/71 Art. 14 Abs. 1 Buchst. a
Verordnung EWG Nr. 574/72 Art. 11 Abs. 1 Buchst. a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Vierte Kammer)

26. Januar 2006(*)

"Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften - In einen anderen Mitgliedstaat entsandte Arbeitnehmer - Tragweite der Bescheinigung E 101"

Parteien:

In der Rechtssache C-2/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Arbeidshof Brüssel (Belgien) mit Entscheidung vom 23. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Januar 2005, in dem Verfahren

Rijksdienst voor Sociale Zekerheid

gegen

Herbosch Kiere NV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues und K. Lenaerts,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- des Rijksdienst voor Sociale Zekerheid, vertreten durch P. Derveaux, advocaat,

- von Herbosch Kiere NV, vertreten durch B. Mergits, advocaat,

- von Irland, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten,

- der slowenischen Regierung, vertreten durch M. Remic als Bevollmächtigte,

- der schwedischen Regierung, vertreten durch K. Norman als Bevollmächtigte,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Bethell als Bevollmächtigten im Beistand von T. Ward, Barrister,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. van Nuffel und D. Martin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie von Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71, beide in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung, jeweils geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 2195/91 des Rates vom 25. Juni 1991 (ABl. L 206, S. 2, im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71 und Verordnung Nr. 574/72).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Rijksdienst voor Sociale Zekerheid (staatliche Anstalt für soziale Sicherheit, im Folgenden: Rijksdienst) und der belgischen Gesellschaft Herbosch Kiere NV (im Folgenden: Herbosch Kiere) über die Rückzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die Herbosch Kiere für entsandte irische Arbeitnehmer geleistet hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

Die Verordnung Nr. 1408/71

3 Titel II der Verordnung Nr. 1408/71, der die Artikel 13 bis 17a umfasst, regelt die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit.

4 Artikel 13 Absatz 2 dieser Verordnung bestimmt:

"Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:

a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat.

..."

5 Artikel 14 der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:

"Vom Grundsatz des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe a gelten folgende Ausnahmen und Besonderheiten:

1. a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, abhängig beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist.

..."

Der Beschluss Nr. 128 der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer

6 Die gemäß Titel IV der Verordnung Nr. 1408/71 eingesetzte Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (im Folgenden: Verwaltungskommission), die u. a. die Aufgabe hat, alle Verwaltungs- und Auslegungsfragen zu behandeln, die sich aus dieser Verordnung ergeben, hat gemäß deren Artikel 81 Buchstabe a den Beschluss Nr. 128 vom 17. Oktober 1985 zur Durchführung des Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe a und des Artikels 14b Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. 1986, C 141, S. 6) gefasst, der in dem entscheidungserheblichen Zeitraum galt. Dieser Beschluss wurde später durch den Beschluss Nr. 162 vom 31. Mai 1996 (ABl. L 241, S. 28) abgelöst, der seinerseits durch den Beschluss Nr. 181 vom 13. Dezember 2000 (ABl. 2001, L 329, S. 73) abgelöst wurde.

7 Nach Nummer 1 des Beschlusses Nr. 128 findet Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 "auch auf einen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats versicherten Arbeitnehmer Anwendung, der in dem Mitgliedstaat, in dem das Unternehmen seinen Sitz oder eine Betriebsstätte hat, eingestellt wird, um in einen anderen Mitgliedstaat ... entsandt zu werden, ... sofern

a) zwischen diesem Unternehmen und dem Arbeitnehmer während der Dauer der Entsendung weiterhin eine arbeitsrechtliche Bindung besteht;

b) dieses Unternehmen seine Geschäftstätigkeit gewöhnlich im ersten Mitgliedstaat ausübt, das heißt im Falle eines Unternehmens, dessen Geschäftstätigkeit darin besteht, anderen Unternehmen vorübergehend Arbeitnehmer zu überlassen, dass es gewöhnlich Personal im Gebiet dieses Staates niedergelassenen Entleihern zur Beschäftigung in diesem Gebiet zur Verfügung stellt".

Die Verordnung Nr. 574/72

8 Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 574/72, der zu Titel III ("Durchführung der Vorschriften der Verordnung zur Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften") gehört, bestimmt:

"Der Träger, den die zuständige Behörde desjenigen Mitgliedstaats bezeichnet, dessen Rechtsvorschriften weiterhin anzuwenden sind, stellt

a) auf Antrag des Arbeitnehmers oder seines Arbeitgebers in den Fällen des Artikels 14 Absatz 1 ... der Verordnung

...

eine Bescheinigung darüber aus, dass und bis zu welchem Zeitpunkt diese Rechtsvorschriften weiterhin für den Arbeitnehmer gelten."

Diese Bescheinigung ist unter der Bezeichnung "Entsendebescheinigung" oder "Bescheinigung E 101" bekannt.

Belgisches Recht

9 Artikel 31 Absatz 1 des Gesetzes vom 24. Juli 1987 über befristete Arbeit, Zeitarbeit und Arbeitnehmerüberlassung (Belgisch Staatsblad vom 20. August 1987, S. 12405) lautet:

"Die Ausübung einer Tätigkeit, die in der Überlassung von Arbeitnehmern an Dritte besteht, die diese Arbeitnehmer verwenden und ihnen gegenüber einen Teil der üblicherweise dem Arbeitgeber zustehenden Weisungsbefugnisse ausüben, durch eine natürliche oder juristische Person, die diese Arbeitnehmer eingestellt hat, ist außerhalb der in den Kapiteln I und II aufgestellten Regeln verboten. Dies gilt nicht für bestimmte gemeinnützige Vereinigungen, die durch im Ministerrat beschlossene Königliche Verordnung bezeichnet werden."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10 Im Zeitraum zwischen April und September 1991 war Herbosch Kiere mit der Ausführung von Schalungs- und Betonarbeiten und dem Einsetzen der Armierung auf zwei Baustellen in Belgien beauftragt. Zur Ausführung dieser Arbeiten nahm diese Gesellschaft das irische Unternehmen ICDS Constructors Ltd (im Folgenden: ICDS Constructors) in Anspruch. Für die betreffenden Baustellen wurden zwei Subunternehmerverträge abgeschlossen.

11 Herbosch Kiere prüfte insbesondere, ob die in Belgien eingesetzten Beschäftigten von ICDS Constructors über eine gültige Entsendebescheinigung verfügten, die von den zuständigen irischen Behörden unter Anwendung von Artikel 11 der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellt worden war, und ob die für diese Beschäftigten geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge in Irland gezahlt worden waren. Das erstinstanzliche Gericht stellte fest, dass bis auf eine Ausnahme alle betroffenen Arbeitnehmer eine Bescheinigung E 101 besaßen.

12 Am 12. Oktober 1992 errichtete die Inspectie van de sociale wetten (Kontrollbehörde auf dem Gebiet des Sozialrechts) des belgischen Ministerie van Tewerkstelling en Arbeid (Ministerium für Beschäftigung und Arbeit) ein Protokoll, in dem festgestellt wurde, dass Herbosch Kiere die ihr von ICSD Constructors zur Verfügung gestellten irischen Arbeitnehmer verwendete und dass deshalb nicht ICSD Constructors, sondern Herbosch Kiere der wahre Arbeitgeber dieser Arbeitnehmer sei.

13 Angesichts der in diesem Protokoll getroffenen Feststellungen war der Rijksdienst der Auffassung, dass Herbosch Kiere gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern einen gewissen Teil der dem Arbeitgeber zustehenden Weisungsbefugnisse in der Weise ausübe, dass diese als mit einem Arbeitsvertrag an Herbosch Kiere gebunden anzusehen seien. Folglich forderte der Rijksdienst Herbosch Kiere zur Zahlung der nach den Regelungen über die belgische Sozialversicherung zu leistenden Beiträge auf.

14 Herbosch Kiere zahlte den vom Rijksdienst als Beiträge geforderten Betrag, nämlich 3 647 567 BEF (90 420,82 Euro) unter Vorbehalt und verlangte dessen Rückerstattung mit einer vor der Arbeidsrechtbank Brüssel (Arbeitsgericht Brüssel) erhobenen Klage, der die Arbeidsrechtbank zum großen Teil stattgab.

15 Der vom Rijksdienst als Berufungsinstanz angerufene Der DerArbeidshof Brüssel (Arbeitsgerichtshof Brüssel) hat Zweifel im Hinblick auf die Auslegung der fraglichen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71. Im Licht der Urteile vom 10. Februar 2000 (Rechtssache C-202/97, FTS, Slg. 2000, I-883) und vom 30. März 2000 (Rechtssache C-178/97, Banks u. a., Slg. 2000, I-2005) stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, welche Aussagekraft der Bescheinigung E 101 vom zuständigen Träger und den nationalen Gerichten des Gaststaats der betroffenen Arbeitnehmer rechtlich beizumessen sei. Angesichts der vom Rijksdienst abgegebenen Erklärungen, wonach die Bescheinigung nur die zum Zeitpunkt der Entsendung bestehende Situation - oder die Situation, die zu diesem Zeitpunkt bestehen sollte - statisch wiedergebe, sei fraglich, unter welchen Bedingungen geprüft werden könne, ob für den Zeitraum der Entsendung weiterhin eine arbeitsrechtliche Bindung zwischen Arbeitnehmer und entsendendem Unternehmen bestehe.

16 Der Arbeidshof hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Darf ein Gericht des Gaststaats das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem entsandten Arbeitnehmer prüfen und/oder beurteilen, in Anbetracht der Tatsache, dass der in Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 enthaltene Begriff "Unternehmen, dem [er] gewöhnlich angehört", (gemäß dem Beschluss Nr. 128) verlangt, dass während der Entsendungszeit weiterhin eine arbeitsrechtliche Bindung besteht?

2. Darf das Gericht eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, der den genannten Nachweis (Bescheinigung E 101) ausgestellt hat, diesen Nachweis unbeachtet lassen und/oder für nichtig erklären, wenn nach den ihm zur Beurteilung vorgelegten tatsächlichen Umständen feststeht, dass zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem entsandten Arbeitnehmer während des Entsendungszeitraums keine arbeitsrechtliche Bindung bestand?

3. Ist der zuständige Träger des Entsendestaats an die Entscheidung des Gerichts des Gaststaats gebunden, das unter den oben angegebenen Umständen den genannten Nachweis (Bescheinigung E 101) unbeachtet lässt und/oder für nichtig erklärt?

Zu den Vorlagefragen

17 Die gestellten Fragen beziehen sich nur auf die Auslegung der Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 und 11 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 574/72. Die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) - die nach ihrer 19. Begründungserwägung "[u]nbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen ... weder die Verpflichtung zur rechtlichen Anerkennung der Existenz von Leiharbeitsunternehmen [beinhaltet[, noch ... die Mitgliedstaaten [hindert], ihre Rechtsvorschriften über das Zurverfügungstellen von Arbeitskräften und über Leiharbeitsunternehmen auf Unternehmen anzuwenden, die nicht in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassen, dort aber im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen tätig sind" - braucht daher nicht berücksichtigt zu werden.

Zur ersten und zur zweiten Frage

18 Mit der ersten und der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob und inwieweit eine gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte Bescheinigung E 101 die innerstaatliche Rechtsordnung des Gaststaats im Hinblick auf das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung zwischen entsendendem Unternehmen und entsandtem Arbeitnehmer während der Dauer der Entsendung bindet.

19 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, die in den Beschluss Nr. 128 der Verwaltungskommission eingegangen ist, für die Anwendung von Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 erforderlich ist, dass zwischen dem Unternehmen mit einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat und den Arbeitnehmern, die dieses Unternehmen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt hat, während der Dauer ihrer Entsendung weiterhin eine arbeitsrechtliche Bindung besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil FTS, Randnr. 24). Der in der Bescheinigung E 101 enthaltenen Erklärung liegt das Bestehen einer solchen Bindung zugrunde.

20 Diese Bescheinigung soll - ebenso wie die materiell-rechtliche Regelung in Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 - die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Dienstleistungsfreiheit fördern (vgl. in diesem Sinne Urteil FTS, Randnr. 48).

21 In dieser Bescheinigung erklärt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem das Zeitarbeitsunternehmen seine Betriebsstätte hat, dass sein eigenes System der sozialen Sicherheit auf die entsandten Arbeitnehmer während der Dauer der Entsendung anwendbar bleibt. Wegen des Grundsatzes, dass die Arbeitnehmer einem einzigen System der sozialen Sicherheit angeschlossen sein sollen, hat diese Bescheinigung damit notwendig zur Folge, dass das System der sozialen Sicherheit des anderen Mitgliedstaats nicht angewandt werden kann (Urteil FTS, Randnr. 49).

22 Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach Artikel 10 EG verpflichtet den zuständigen Träger, den Sachverhalt, der für die Bestimmung der im Bereich der sozialen Sicherheit anwendbaren Rechtsvorschriften maßgebend ist, ordnungsgemäß zu beurteilen und damit die Richtigkeit der in der Bescheinigung E 101 aufgeführten Angaben zu gewährleisten (Urteil FTS, Randnr. 51).

23 Die zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt werden, würden ihre Verpflichtungen zur Zusammenarbeit nach Artikel 10 EG verletzen - und die Ziele der Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 und 11 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 574/72 verfehlen -, wenn sie sich nicht an die Angaben in der Bescheinigung gebunden sähen und die Arbeitnehmer zusätzlich ihrem eigenen System der sozialen Sicherheit unterstellten (Urteil FTS, Randnr. 52).

24 Da die Bescheinigung E 101 eine Vermutung dafür begründet, dass die entsandten Arbeitnehmer dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem das diese Arbeitnehmer entsendende Unternehmen seine Betriebsstätte hat, ordnungsgemäß angeschlossen sind, bindet sie folglich den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in den diese Arbeitnehmer entsandt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil FTS, Randnr. 53).

25 Jede andere Lösung würde den Grundsatz des Anschlusses der Arbeitnehmer an ein einziges System der sozialen Sicherheit sowie die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Systems und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigen. In Fällen, in denen die Feststellung des anwendbaren Systems schwierig wäre, könnte nämlich jeweils der zuständige Träger beider betreffenden Mitgliedstaaten sein eigenes System der sozialen Sicherheit für anwendbar erklären, was den betroffenen Arbeitnehmern zum Nachteil gereichte (Urteil FTS, Randnr. 54).

26 Solange also eine Bescheinigung E 101 nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird, hat der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt sind, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese bereits dem Recht der sozialen Sicherheit des Staates unterliegen, in dem das Unternehmen, das sie beschäftigt, seine Betriebsstätte hat; er kann daher die fraglichen Arbeitnehmer nicht seinem eigenen System der sozialen Sicherheit unterstellen (Urteil FTS, Randnr. 55).

27 Allerdings muss der zuständige Träger des Mitgliedstaats, der diese Bescheinigung ausgestellt hat, deren Richtigkeit überprüfen und die Bescheinigung gegebenenfalls zurückziehen, wenn der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt sind, Zweifel an der Richtigkeit des der Bescheinigung zugrunde liegenden Sachverhalts und demnach der darin gemachten Angaben insbesondere deshalb geltend macht, weil diese den Tatbestand des Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 nicht erfüllten (Urteil FTS, Randnr. 56).

28 Soweit die betroffenen Träger im Einzelfall namentlich bei der Beurteilung des Sachverhalts und damit der Frage, ob dieser unter Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 fällt, zu keiner Übereinstimmung gelangen, können sie sich an die Verwaltungskommission wenden (Urteil FTS, Randnr. 57).

29 Gelingt es dieser nicht, zwischen den Standpunkten der zuständigen Träger in Bezug auf das anwendbare Recht zu vermitteln, steht es dem Mitgliedstaat, in den die betreffenden Arbeitnehmer entsandt sind - unbeschadet einer in dem Mitgliedstaat der ausstellenden Behörde etwa möglichen Klage - zumindest frei, gemäß Artikel 227 EG ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, so dass der Gerichtshof die Frage des auf diese Arbeitnehmer anwendbaren Rechts und damit die Richtigkeit der Angaben in der Bescheinigung E 101 prüfen kann (Urteil FTS, Randnr. 58).

30 Könnte ein zuständiger nationaler Träger des Gaststaats des entsandten Arbeitnehmers eine Bescheinigung E 101 von einem Gericht dieses Staates für ungültig erklären lassen, wäre das auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Trägern der Mitgliedstaaten gegründete System gefährdet.

31 Solange sie nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird, gilt die Bescheinigung E 101 in der Rechtsordnung des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt worden sind, und bindet daher seine Träger.

32 Daraus ergibt sich, dass ein Gericht des Gaststaats nicht befugt ist, die Gültigkeit einer Bescheinigung E 101 im Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, insbesondere das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem entsandten Arbeitnehmer, zu überprüfen.

33 Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass eine gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte Bescheinigung E 101 den zuständigen Träger und die Gerichte des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt worden sind, bindet, solange sie nicht von den Behörden des Ausstellungsstaats zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird. Folglich ist ein Gericht des Gaststaats dieser Arbeitnehmer nicht befugt, die Gültigkeit einer Bescheinigung E 101 im Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, insbesondere das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung mit Punkt 1 des Beschlusses Nr. 128 zwischen dem Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat und den von ihm in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandten Arbeitnehmern während der Dauer der Entsendung dieser Arbeitnehmer zu überprüfen.

Zur dritten Frage

34 In Anbetracht der Antworten auf die erste und die zweite Frage braucht die dritte Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

35 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Tenor:

Solange eine gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, wiederum geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 2195/91 des Rates vom 25. Juni 1991, ausgestellte Bescheinigung E 101 nicht von den Behörden des Ausstellungsstaats zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird, bindet sie den zuständigen Träger und die Gerichte des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt worden sind. Folglich ist ein Gericht des Gaststaats dieser Arbeitnehmer nicht befugt, die Gültigkeit einer Bescheinigung E 101 im Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, insbesondere das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung, wiederum geändert durch die Verordnung Nr. 2195/91, in Verbindung mit Punkt 1 des Beschlusses Nr. 128 der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 17. Oktober 1985 zur Durchführung des Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe a und des Artikels 14b Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 zwischen dem Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat und den von ihm in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaat entsandten Arbeitnehmern während der Dauer der Entsendung dieser Arbeitnehmer zu überprüfen.



Ende der Entscheidung

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