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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.02.2008
Aktenzeichen: C-2/07
Rechtsgebiete: Richtlinie 85/337/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 85/337/EWG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

28. Februar 2008

"Richtlinie 85/337/EWG - Prüfung der Umweltverträglichkeit von Projekten - Flugplatz mit einer Start- und Landebahngrundlänge von über 2 100 m"

Parteien:

In der Rechtssache C-2/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Belgien) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Januar 2007, in dem Verfahren

Paul Abraham u. a.

gegen

Région wallonne,

Société de développement et de promotion de l'aéroport de Liège-Bierset,

T. N. T. Express Worldwide (Euro Hub) SA,

Société nationale des voies aériennes Belgocontrol,

État belge,

Cargo Airlines Ltd

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter L. Bay Larsen, K. Schiemann, P. Kuris und J.-C. Bonichot (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Abraham u. a., vertreten durch L. Misson, L. Wysen und X. Close, avocats, sowie Rechtsanwältin A. Kettels,

- von Herrn Beaujean u. a., vertreten durch L. Cambier und M. t'Serstevens, avocats,

- von Herrn Dehalleux u. a., vertreten durch L. Cambier, avocat,

- von Herrn Descamps u. a., vertreten durch A. Lebrun, avocat,

- der Région wallonne, vertreten durch F. Haumont, avocat,

- der Société de développement et de promotion de l'aéroport de Liège-Bierset, vertreten durch P. Ramquet, avocat,

- der T. N. T. Express Worldwide (Euro Hub) SA, vertreten durch P. Henfling und V. Bertrand, avocats,

- der belgischen Regierung, vertreten durch A. Hubert und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von F. Haumont, avocat,

- der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Bocek als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Konstantinidis und J.-B. Laignelot als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 29. November 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40, im Folgenden: Richtlinie 85/337) in ihrer dem Erlass der Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl. L 73, S. 5, im Folgenden: Richtlinie 97/11) vorausgehenden Fassung, insbesondere des Anhangs I Nr. 7 und des Anhangs II Nr. 12.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zahlreichen Anrainern des Flughafens Lüttich-Bierset (Belgien) einerseits und der Wallonischen Region, der Société de développement et de promotion de l'aéroport de Liège-Bierset, der T. N. T. Express Worldwide (Euro Hub) SA (im Folgenden: T. N. T. Express Worldwide), der Société nationale des voies aériennes Belgocontrol, dem belgischen Staat und der Cargo Airlines Ltd andererseits über Lärmbelästigungen durch die Einrichtung eines Luftfrachtzentrums in diesem Flughafen.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Gegenstand der Richtlinie 85/337, die hier in ihrer ursprünglichen Fassung anwendbar ist, ist nach ihrem Art. 1 Abs. 1 die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.

4 Nach Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie sind:

"Projekt:

- die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen,

- sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen;

Projektträger:

Person, die die Genehmigung für ein privates Projekt beantragt, oder die Behörde, die ein Projekt betreiben will;

Genehmigung:

Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält."

5 Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor der Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden.

Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert."

6 Art. 3 beschreibt den Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung:

"Die Umweltverträglichkeitsprüfung identifiziert, beschreibt und bewertet in geeigneter Weise nach Maßgabe eines jeden Einzelfalls gemäß den Artikeln 4 bis 11 die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf folgende Faktoren:

- Mensch, Fauna und Flora,

- Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft,

- die Wechselwirkung zwischen den unter dem ersten und dem zweiten Gedankenstrich genannten Faktoren,

- Sachgüter und das kulturelle Erbe."

7 In Art. 4 werden zwei Arten Projekte unterschieden.

8 Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 müssen Projekte der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Klassen vorbehaltlich des Art. 2 Abs. 3 einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 der Richtlinie unterzogen werden. Zu den unter Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie fallenden Projekten gehört nach Anhang I Nr. 7 der "Bau ... von Flugplätzen (2) mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr".

9 Fußnote 2 zu dieser Nr. 7 lautet:

"'Flugplätze' im Sinne dieser Richtlinie sind Flugplätze gemäß den Begriffsbestimmungen des Abkommens von Chicago von 1944 zur Errichtung der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (Anhang 14)."

10 Hinsichtlich der anderen Projektarten sieht Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 vor:

"Projekte der in Anhang II aufgezählten Klassen werden einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen, wenn ihre Merkmale nach Auffassung der Mitgliedstaaten dies erfordern.

Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten insbesondere bestimmte Arten von Projekten, die einer Prüfung zu unterziehen sind, bestimmen oder Kriterien und/oder Schwellenwerte aufstellen, anhand deren bestimmt werden kann, welche von den Projekten der in Anhang II aufgezählten Klassen einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen werden sollen."

11 Als zu diesen Projekten nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie gehörend führt deren Anhang II in Nr. 10 Buchst. d den "Bau von ... Flugplätzen (nicht unter Anhang I fallende Projekte)" und in Nr. 12 die "Änderung von Projekten des Anhangs I" auf.

12 Die Art. 5 bis 9 der Richtlinie 85/337, auf die ihr Art. 4 Bezug nimmt, sehen im Wesentlichen Folgendes vor: Art. 5 legt fest, welche Mindestangaben vom Projektträger vorzulegen sind; Art. 6 begründet insbesondere die Verpflichtung des Projektträgers zur Unterrichtung der Behörden und der Öffentlichkeit; Art. 8 nennt die Verpflichtung der zuständigen Behörden, die im Rahmen des Prüfungsverfahrens eingeholten Angaben zu berücksichtigen; Art. 9 begründet die Verpflichtung der zuständigen Behörden, die Öffentlichkeit von der getroffenen Entscheidung und den gegebenenfalls mit dieser verbundenen Bedingungen zu unterrichten.

Nationales Recht

13 In der Wallonischen Region waren Umweltverträglichkeitsprüfungen bis zum 1. Oktober 2002 im Dekret vom 11. September 1985 und in der Verordnung vom 31. Oktober 1991 zu dessen Durchführung geregelt.

14 Diese Rechtsquellen sahen vor, dass die Projekte, die in dem das Verzeichnis von Anhang I der Richtlinie 85/337 übernehmenden Anhang I des Dekrets vom 11. September 1985 sowie in Anhang II der Verordnung vom 31. Oktober 1991 aufgeführt waren, von Amts wegen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen waren. Die übrigen Projekte, für die eine solche Prüfung nicht von Amts wegen vorgeschrieben war, mussten nur Gegenstand einer vorherigen Umweltverträglichkeitsmitteilung sein.

15 Nach Anhang I des Dekrets vom 11. September 1985 musste der Bau von Flugplätzen mit einer Start- und Landebahngrundlänge von mindestens 2 100 m einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Eine solche Prüfung war nach Anhang II der Verordnung vom 31. Oktober 1991 des Weiteren durchzuführen beim Bau von Flugplätzen mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 1 200 m oder mehr, auch soweit es um die Verlängerung vorhandener Start- und Landebahnen über diesen Schwellenwert hinaus sowie um Freizeitflugplätze ging.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16 Die Anrainer des Flughafens Lüttich-Bierset beklagen sich über die - oft nächtlichen - Lärmbelästigungen, die sich aus der Umstrukturierung dieses ehemaligen Militärflughafens und dessen Benutzung seit 1996 durch Luftfrachtunternehmen ergeben.

17 Eine am 26. Februar 1996 von der Wallonischen Region, der Société de développement et de promotion de l'aéroport de Liège-Bierset und dem Unternehmen T. N. T. Express Worldwide unterzeichnete Vereinbarung sah eine Reihe von Bauarbeiten zur Änderung der Infrastruktur des Flughafens Lüttich-Bierset vor, um dessen Benutzung rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr zu ermöglichen. Insbesondere wurden die Start- und Landebahnen ausgebaut und verbreitert. Außerdem wurden ein Kontrollturm sowie neue Abrollwege und Parkzonen gebaut. Die Länge der Start- und Landebahn von 3 297 m blieb hingegen unverändert.

18 Zur Durchführung dieser Arbeiten waren auch Bau- und Betriebsgenehmigungen erteilt worden.

19 In dem vor dem nationalen belgischen Gericht anhängigen Rechtsstreit geht es um Haftungsfragen. Die Kläger des Ausgangsverfahrens begehren Ersatz des Schadens, der ihnen durch die ihrer Ansicht nach schweren Belästigungen im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des Flughafens entstanden sein soll.

20 In diesem Rahmen wurde die belgische Cour de cassation mit einer Kassationsbeschwerde gegen ein Urteil der Cour d'appel de Liège vom 29. Juni 2004 befasst.

21 Die Cour de cassation, nach deren Ansicht der bei ihr anhängige Rechtsstreit Fragen nach der Auslegung von Gemeinschaftsrecht aufwirft, hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Stellt eine Vereinbarung zwischen dem Staat und einem privaten Unternehmen, durch deren Abschluss dieses Unternehmen veranlasst werden soll, sich an einem Flughafen mit einer (Start- und Lande-)Bahn von mehr als 2 100 m Länge niederzulassen, die eine genaue Beschreibung der Infrastrukturarbeiten enthält, die in Bezug auf den Ausbau der Bahn - ohne dass diese verlängert wird - und den Bau eines Kontrollturms durchgeführt werden sollen, um Flüge von Großraumflugzeugen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr zu ermöglichen, und die sowohl Nacht- als auch Tagflüge vom Beginn der Ansiedlung dieses Unternehmens an vorsieht, ein Projekt im Sinne der Richtlinie 85/337 in der Fassung vor ihrer Änderung durch die Richtlinie 97/11 dar?

2. Entspricht eine Änderung der Infrastruktur eines bestehenden Flughafens, um ihn an eine geplante Steigerung der Zahl der Nacht- und Tagflüge anzupassen - ohne Verlängerung der (Start- und Lande-)Bahn -, dem Begriff "Projekt", für das eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der Art. 1, 2 und 4 der Richtlinie 85/337 in der Fassung vor ihrer Änderung durch die Richtlinie 97/11 vorgeschrieben ist?

3. Muss ein Mitgliedstaat, obwohl eine geplante Steigerung der Aktivitäten eines Flughafens nicht direkt in den Anhängen der Richtlinie 85/337 vorgesehen ist, diese Steigerung trotzdem berücksichtigen, wenn er die mögliche Auswirkung der Änderungen auf die Umwelt prüft, die an der Infrastruktur dieses Flughafens vorgenommen werden sollen, damit der Zuwachs an Tätigkeit aufgenommen werden kann?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

22 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Vereinbarung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, ein "Projekt" im Sinne der Richtlinie 85/337 darstellt.

23 Diese Frage ist zu verneinen. Nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 selbst bezieht sich das Wort "Projekt" nämlich auf materielle Arbeiten oder Eingriffe. Eine Vereinbarung kann daher unabhängig davon, ob sie eine mehr oder weniger genaue Beschreibung der auszuführenden Arbeiten enthält, nicht als Projekt im Sinne der Richtlinie 85/337 angesehen werden.

24 Der Gerichtshof kann jedoch, um dem Gericht, das ihm eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, eine sachdienliche Antwort zu geben, auch auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften eingehen, die das vorlegende Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (vgl. u. a. Urteil vom 20. März 1986, Tissier, 35/85, Slg. 1986, 1207, Randnr. 9).

25 In der vorliegenden Rechtssache ist das vorlegende Gericht darauf hinzuweisen, dass es seine Sache ist, anhand der anwendbaren nationalen Regelung festzustellen, ob eine Vereinbarung wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, eine Genehmigung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 ist, also eine Entscheidung der zuständigen Behörde, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des fraglichen Projekts erhält (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juni 1998, Gedeputeerde Staten van Noord-Holland, C-81/96, Slg. 1998, I-3923, Randnr. 20). Das wäre dann der Fall, wenn diese Entscheidung nach nationalem Recht als Entscheidung der zuständigen Behörde oder Behörden, die den Projektträger zur Errichtung baulicher oder sonstiger Anlagen oder zu Eingriffen in Natur und Landschaft berechtigt, anzusehen wäre.

26 Sieht das nationale Recht im Übrigen ein mehrstufiges Genehmigungsverfahren vor, so ist die Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts grundsätzlich durchzuführen, sobald es möglich ist, sämtliche Auswirkungen zu ermitteln und zu prüfen, die das Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat (vgl. Urteil vom 7. Januar 2004, Wells, C-201/02, Slg. 2004, I-723, Randnr. 53). Ergeht also zunächst eine Grundsatzentscheidung und dann eine Durchführungsentscheidung, die nicht über die in der Grundsatzentscheidung festgelegten Vorgaben hinausgehen darf, so sind die Auswirkungen, die das Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat, im Verfahren zum Erlass der Grundsatzentscheidung zu ermitteln und zu prüfen. Nur dann, wenn diese Auswirkungen erst im Verfahren zum Erlass der Durchführungsentscheidung ermittelt werden können, ist die Prüfung in diesem Verfahren durchzuführen (Urteil Wells, Randnr. 52).

27 Das vorlegende Gericht ist schließlich darauf hinzuweisen, dass das Ziel der Regelung nicht durch eine Aufsplitterung von Projekten umgangen werden darf und dass eine Nichtberücksichtigung der kumulativen Wirkung von Projekten nicht zur Folge haben darf, dass die Projekte insgesamt der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung entzogen werden, wenngleich sie zusammengenommen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 haben können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 1999, Kommission/Irland, C-392/96, Slg. 1999, I-5901, Randnr. 76).

28 Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass eine Vereinbarung, wie sie im Ausgangsverfahren im Streit steht, zwar kein Projekt im Sinne der Richtlinie 85/337 ist, dass es jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist, anhand der anwendbaren nationalen Regelung festzustellen, ob eine solche Vereinbarung eine Genehmigung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 ist. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob diese Genehmigung Teil eines mehrstufigen Verfahrens mit einer Grundsatzentscheidung und Durchführungsentscheidungen ist und ob die kumulative Wirkung mehrerer Projekte zu berücksichtigen ist, deren Umweltverträglichkeit insgesamt zu prüfen ist.

Zur zweiten Frage

29 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Arbeiten an der Infrastruktur eines schon erbauten Flugplatzes, dessen Start- und Landebahn bereits über 2 100 m lang ist, in den Anwendungsbereich von Anhang II Nr. 12 in Verbindung mit Anhang I Nr. 7 der Richtlinie 85/337 in ihrer ursprünglichen Fassung fallen.

30 Gemäß Anhang II Nr. 12 in seiner Fassung vor Erlass der Richtlinie 97/11 stellt die "Änderung von Projekten des Anhangs I" ein Projekt nach Art. 4 Abs. 2 dar. Anhang I führt seinerseits in Nr. 7 den "Bau ... von Flugplätzen ... mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr" auf.

31 Die Société de développement et de promotion de l'aéroport de Liège-Bierset, T. N. T. Express Worldwide und das Königreich Belgien tragen vor, aus diesen Formulierungen folge notwendig, dass damit nur Änderungen des "Baus" eines Flugplatzes mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr, nicht aber Änderungen eines vorhandenen Flugplatzes gemeint seien.

32 Der Gerichtshof hat allerdings schon des Öfteren festgestellt, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie 85/337 ausgedehnt ist und ihr Zweck sehr weit reicht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a., C-72/95, Slg. 1996, I-5403, Randnr. 31, und vom 16. September 1999, WWF u. a., C-435/97, Slg. 1999, I-5613, Randnr. 40). Es würde aber dem Zweck der Richtlinie 85/337 selbst zuwiderlaufen, wenn Arbeiten zur Verbesserung oder Erweiterung der Infrastruktur eines schon erbauten Flugplatzes dem Anwendungsbereich des Anhangs II dieser Richtlinie mit der Begründung entzogen werden könnten, dass sich ihr Anhang I auf den "Bau von Flugplätzen" und nicht auf "Flugplätze" als solche beziehe. Durch eine solche Auslegung könnten nämlich alle Arbeiten zur Änderung eines schon vorhandenen Flugplatzes unabhängig vom Umfang dieser Arbeiten den Verpflichtungen aus der Richtlinie 85/337 entzogen werden, so dass deren Anhang II insoweit völlig leerliefe.

33 Anhang II Nr. 12 in Verbindung mit Anhang I Nr. 7 ist deshalb dahin auszulegen, dass er auch Änderungen eines schon erbauten Flugplatzes erfasst.

34 Dieser Auslegung steht keineswegs entgegen, dass die Richtlinie 97/11 Nr. 12 des Anhangs II der Richtlinie 85/337 durch eine neue Nr. 13 ersetzt hat, die "[d]ie Änderung oder Erweiterung von bereits genehmigten, durchgeführten oder in der Durchführungsphase befindlichen Projekten des Anhangs I oder II" ausdrücklich als Projekt nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 97/11 geänderten Fassung bezeichnet, während sich Anhang II Nr. 12 lediglich auf die "Änderung von Projekten des Anhangs I" bezog. Die neue Fassung durch die Richtlinie 97/11, deren vierter Erwägungsgrund auf die bei der Umweltverträglichkeitsprüfung gemachten Erfahrungen verweist und die Notwendigkeit hervorhebt, Bestimmungen vorzusehen, mit denen die Vorschriften für das Prüfverfahren deutlicher gefasst, ergänzt und verbessert werden sollen, stellt nämlich insoweit nur den der Richtlinie 85/337 in ihrer ursprünglichen Fassung zukommenden Anwendungsbereich deutlicher heraus. Demgemäß lässt sich aus dem Tätigwerden des Gemeinschaftsgesetzgebers keine auf einem Umkehrschluss beruhende Auslegung der Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung herleiten.

35 Auch ist der Umstand, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen Arbeiten nicht die Länge der Start- und Landebahn betreffen, für die Beantwortung der Frage unerheblich, ob diese Arbeiten in den Anwendungsbereich von Anhang II Nr. 12 der Richtlinie 85/337 fallen. Anhang I Nr. 7 der Richtlinie 85/337 bestimmt nämlich den Begriff "Flugplatz" ausdrücklich durch Verweisung auf die Begriffsbestimmung in Anhang 14 des Chicagoer Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt. Nach diesem Anhang ist "ein Flugplatz ... eine festgelegte Fläche auf dem Land oder Wasser (einschließlich der Gebäude, der Anlagen und der Ausrüstung), die ganz oder teilweise für Ankunft, Abflug und Bewegungen von Luftfahrzeugen am Boden bestimmt ist".

36 Daraus folgt, dass alle Arbeiten, die Gebäude, Anlagen oder Ausrüstung eines Flugplatzes betreffen, als Arbeiten am Flugplatz als solchem anzusehen sind. Das bedeutet für die Anwendung von Anhang II Nr. 12 in Verbindung mit Anhang I Nr. 7 der Richtlinie 85/337, dass Änderungen eines Flugplatzes mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr somit nicht nur Arbeiten sind, die eine Verlängerung der Bahn zum Gegenstand haben, sondern vielmehr alle Arbeiten an Gebäuden, Anlagen oder der Ausrüstung dieses Flugplatzes, sofern sie, insbesondere aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Merkmale, als Änderung des Flugplatzes selbst anzusehen sind. Das gilt insbesondere für Arbeiten, die dazu bestimmt sind, die Aktivitäten des Flugplatzes und den Luftverkehr erheblich zu steigern.

37 Schließlich ist das vorlegende Gericht darauf hinzuweisen, dass zwar Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 85/337 den Mitgliedstaaten einen Wertungsspielraum einräumt, in dessen Rahmen sie bestimmte Arten von Projekten, die einer Prüfung zu unterziehen sind, bestimmen oder einschlägige Kriterien und/oder Schwellenwerte aufstellen können, dass dieser Spielraum jedoch durch die in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie festgelegte Pflicht begrenzt wird, die Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen zu unterziehen (Urteil Kraaijeveld u. a., Randnr. 50).

38 Daher würde ein Mitgliedstaat, der Kriterien und/oder Schwellenwerte so festlegte, dass nur die Größe, nicht aber Art und Standort der Projekte berücksichtigt würden, den ihm durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 eingeräumten Wertungsspielraum überschreiten.

39 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, ob die zuständigen Behörden ordnungsgemäß geprüft haben, ob die im Ausgangsverfahren fraglichen Arbeiten einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen waren.

40 Demgemäß ist auf die zweite Frage zu antworten, dass sich Anhang II Nr. 12 in Verbindung mit Anhang I Nr. 7 der Richtlinie 85/337 in ihrer ursprünglichen Fassung auch auf Änderungen der Infrastruktur eines vorhandenen Flugplatzes ohne Verlängerung der Start- und Landebahn bezieht, sofern diese Arbeiten, insbesondere aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Merkmale, als Änderung des Flugplatzes selbst anzusehen sind. Das gilt insbesondere für Arbeiten, die dazu bestimmt sind, die Aktivitäten des Flugplatzes und den Luftverkehr erheblich zu steigern. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, ob die zuständigen Behörden ordnungsgemäß geprüft haben, ob die im Ausgangsverfahren fraglichen Bauarbeiten einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen waren.

Zur dritten Frage

41 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die zuständigen Behörden verpflichtet sind, bei der Beantwortung der Frage, ob ein von Anhang II Nr. 12 der Richtlinie 85/337 erfasstes Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, die geplante Steigerung der Aktivitäten des betreffenden Flugplatzes zu berücksichtigen.

42 Wie in Randnr. 32 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, hat der Gerichtshof schon des Öfteren festgestellt, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie 85/337 ausgedehnt ist und ihr Zweck sehr weit reicht. Außerdem räumt zwar Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Wertungsspielraum ein, in dessen Rahmen sie bestimmte Arten von Projekten, die einer Prüfung zu unterziehen sind, bestimmen oder einschlägige Kriterien und/oder Schwellenwerte aufstellen können; jedoch wird dieser Spielraum durch die in Art. 2 Abs. 1 festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen zu unterziehen. Insofern knüpft die Richtlinie 85/337 an eine Gesamtbewertung der Auswirkungen von Projekten oder deren Änderung auf die Umwelt an.

43 Es stellte eine Vereinfachung dar und liefe diesem Ansatz zuwider, wenn im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts oder seiner Änderung nur die unmittelbaren Wirkungen der geplanten Arbeiten selbst in Rechnung gestellt würden, nicht aber die Auswirkungen auf die Umwelt, die durch die Benutzung und den Betrieb der aus diesen Arbeiten hervorgegangenen Anlagen hervorgerufen werden können.

44 Im Übrigen zeigt die Aufzählung der nach Art. 3 der Richtlinie 85/337 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, darunter die Auswirkungen des Projekts u. a. auf Mensch, Fauna und Flora, Boden, Wasser, Luft oder das kulturelle Erbe, selbst schon, dass es bei der Umweltverträglichkeit, deren Prüfung die Richtlinie 85/337 ermöglichen soll, nicht nur um die Auswirkungen der vorgesehenen Arbeiten, sondern auch und vor allem um diejenigen des zu realisierenden Projekts geht.

45 So hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit einem Projekt, das den zweigleisigen Ausbau einer bereits vorhandenen Eisenbahnstrecke zum Gegenstand hatte, festgestellt, dass ein Projekt dieser Art erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne der Richtlinie 85/337 haben kann, da es geeignet ist, etwa zu beträchtlichen Lärmbelästigungen zu führen (Urteil vom 16. September 2004, Kommission/Spanien, C-227/01, Slg. 2004, I-8253, Randnr. 49). In der diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache stellten jedoch nicht die durch die Arbeiten zum zweigleisigen Ausbau der Eisenbahnstrecke verursachten Belästigungen die beträchtlichen Lärmbelästigungen dar, sondern vielmehr die Belästigungen, die durch die vorhersehbare Zunahme der Frequenz des Eisenbahnverkehrs verursacht würden, wobei diese Steigerung gerade durch diesen zweigleisigen Ausbau der Eisenbahnstrecke ermöglicht wurde. Gleiches muss für ein Projekt, wie es im Ausgangsverfahren im Streit steht, gelten, das eine Steigerung der Aktivitäten eines Flugplatzes und damit der Intensität des Luftverkehrs ermöglichen soll.

46 Aufgrund dessen ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die zuständigen Behörden die geplante Steigerung der Aktivitäten eines Flugplatzes berücksichtigen müssen, wenn sie die Auswirkungen der Änderungen auf die Umwelt prüfen, die an der Infrastruktur dieses Flugplatzes vorgenommen werden sollen, damit der Zuwachs an Tätigkeit aufgenommen werden kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Eine Vereinbarung, wie sie im Ausgangsverfahren im Streit steht, ist zwar kein Projekt im Sinne der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten; es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, anhand der anwendbaren nationalen Regelung festzustellen, ob eine solche Vereinbarung eine Genehmigung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 ist. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob diese Genehmigung Teil eines mehrstufigen Verfahrens mit einer Grundsatzentscheidung und Durchführungsentscheidungen ist und ob die kumulative Wirkung mehrerer Projekte zu berücksichtigen ist, deren Umweltverträglichkeit insgesamt zu prüfen ist.

2. Anhang II Nr. 12 in Verbindung mit Anhang I Nr. 7 der Richtlinie 85/337 in ihrer ursprünglichen Fassung bezieht sich auch auf Änderungen der Infrastruktur eines vorhandenen Flugplatzes ohne Verlängerung der Start- und Landebahn, sofern diese Arbeiten, insbesondere aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Merkmale, als Änderung des Flugplatzes selbst anzusehen sind. Das gilt insbesondere für Arbeiten, die dazu bestimmt sind, die Aktivitäten des Flugplatzes und den Luftverkehr erheblich zu steigern. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, ob die zuständigen Behörden ordnungsgemäß geprüft haben, ob die im Ausgangsverfahren fraglichen Bauarbeiten einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen waren.

3. Die zuständigen Behörden müssen die geplante Steigerung der Aktivitäten eines Flugplatzes berücksichtigen, wenn sie die Auswirkungen der Änderungen auf die Umwelt prüfen, die an der Infrastruktur dieses Flugplatzes vorgenommen werden sollen, damit der Zuwachs an Tätigkeit aufgenommen werden kann.



Ende der Entscheidung

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