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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.07.1992
Aktenzeichen: C-2/90
Rechtsgebiete: EWGV
Vorschriften:
EWGV Art. 169 | |
EWGV Art. 30 | |
EWGV Art. 36 |
1. Ein Mitgliedstaat verstösst dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 84/631 über die Überwachung und Kontrolle ° in der Gemeinschaft ° der grenzueberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle, daß er ein absolutes Verbot der Zwischenlagerung, Ablagerung oder Ableitung gefährlicher Abfälle aus einem anderen Mitgliedstaat in einer seiner Regionen einführt und damit die Anwendung des mit dieser Richtlinie geschaffenen Verfahrens ausschließt.
Mit der Richtlinie 84/631 ist nämlich eine umfassende Regelung geschaffen worden, die insbesondere die grenzueberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle zum Zwecke ihrer Beseitigung in konkret bezeichneten Einrichtungen erfasst und auf der Verpflichtung zu vorheriger, detaillierter Notifizierung durch den Besitzer der Abfälle beruht; die betroffenen nationalen Behörden können Einwände erheben und somit eine bestimmte Verbringung gefährlicher Abfälle verbieten, um Problemen im Zusammenhang mit dem Schutz der Umwelt und der Gesundheit zum einen und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zum anderen zu begegnen, ohne daß sie die Möglichkeit haben, die Verbringung gefährlicher Abfälle insgesamt zu verbieten.
2. Gegenstände, die im Hinblick auf Handelsgeschäfte über eine Grenze verbracht werden, fallen unabhängig von der Natur dieser Geschäfte in den Anwendungsbereich von Artikel 30 EWG-Vertrag, so daß Abfälle, seien sie rückführbar oder nicht, als Erzeugnisse anzusehen sind, deren Verkehr gemäß Artikel 30 EWG-Vertrag grundsätzlich nicht verhindert werden darf.
Jedoch kann unbeschadet der Vorschriften der Richtlinie 84/631 über die grenzueberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle das von einem Mitgliedstaat eingeführte Verbot, Abfälle aus anderen Mitgliedstaaten in einer seiner Regionen zwischenzulagern, abzulagern oder abzuleiten, durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes gerechtfertigt sein. Zum einen sind nämlich Abfälle Gegenstände besonderer Art, deren Ansammlung, noch bevor sie die Gesundheit gefährden, angesichts der beschränkten Aufnahmekapazität der einzelnen Region oder des einzelnen Ortes eine Gefahr für die Umwelt darstellt; zum anderen kann ein solches Verbot nicht als diskriminierend angesehen werden, da der für die Umweltpolitik der Gemeinschaft in Artikel 130r Absatz 2 EWG-Vertrag aufgestellte Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen nach Möglichkeit an ihrem Ursprung zu bekämpfen, bedeutet, daß es Sache jeder Region, Gemeinde oder anderen Gebietskörperschaft ist, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Aufnahme, Behandlung und Beseitigung ihrer eigenen Abfälle sicherzustellen, damit ihre Verbringung soweit wie möglich eingeschränkt wird.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 9. JULI 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH BELGIEN. - VERTRAGSVERLETZUNG EINES MITGLIEDSTAATS - VERBOT DES ABLAGERNS VON ABFALL AUS ANDEREN MITGLIEDSTAATEN. - RECHTSSACHE C-2/90.
Entscheidungsgründe:
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 3. Januar 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39), der Richtlinie 84/631/EWG des Rates vom 6. Dezember 1984 über die Überwachung und Kontrolle ° in der Gemeinschaft ° der grenzueberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle (ABl. L 326, S. 31) sowie den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag verstossen hat, daß es verbietet, Abfälle aus anderen Mitgliedstaaten oder aus einer anderen Region als der Region Wallonien in der Region Wallonien zwischenzulagern, abzulagern oder abzuleiten oder zwischenlagern, ablagern oder ableiten zu lassen.
2 Wie sich aus den Akten ergibt, ist die Grundregelung im Bereich der Abfallwirtschaft in der Region Wallonien das Dekret des wallonischen Regionalrats vom 5. Juli 1985 über Abfälle (Moniteur belge vom 14.12.1985), das die Entstehung von Abfällen verhindern, die Rückführung und den Wiedereinsatz von Energie und Stoffen fördern sowie die Abfallbeseitigung organisieren soll (Artikel 1).
3 In Durchführung von Artikel 19 Absatz 6 dieses Dekrets, das die wallonische Regionalverwaltung ermächtigt, die Benutzung der kontrollierten Deponien, der Lagerstätten und der Behandlungsanlagen für Abfälle aus fremden Staaten und anderen belgischen Regionen besonderen Vorschriften zu unterwerfen, erließ diese Verwaltung die Verordnung vom 19. März 1987 über das Einbringen bestimmter Abfälle in Deponien in der Region Wallonien (Moniteur belge vom 28.3.1987, S. 4671).
4 Artikel 1 dieser Verordnung in der Fassung der Verordnungen vom 9. und 23. Juli 1987 lautet:
"Es ist verboten, Abfälle aus einem fremden Staat in genehmigungspflichtigen Abfallagerstätten, -zwischenlagerstätten und -deponien zwischenzulagern, abzulagern oder abzuleiten oder zwischenlagern, ablagern oder ableiten zu lassen... Ausgenommen sind Lagerplätze, die einer Anlage zur Vernichtung, Neutralisierung und Beseitigung giftiger Abfälle angeschlossen sind.
Den Betreibern der in Absatz 1 genannten Einrichtungen ist es verboten, zu genehmigen oder zuzulassen, daß Abfälle aus einem fremden Staat in den von ihnen betriebenen Einrichtungen gelagert oder dort abgeleitet werden."
5 Nach Artikel 2 dieser Verordnung können auf Antrag einer ausländischen Behörde Abweichungen von Artikel 1 zugelassen werden. Die Abweichung ist jedoch zeitlich zu begrenzen und muß durch schwerwiegende und aussergewöhnliche Umstände gerechtfertigt sein.
6 Nach Artikel 3 gilt das Verbot des Artikels 1 auch für Abfälle aus einer anderen belgischen Region als der Region Wallonien. Ausnahmen können nach Maßgabe von Vereinbarungen zwischen Wallonien und den übrigen belgischen Regionen zugelassen werden.
7 Artikel 5 der Verordnung lautet:
"Als aus einem ausländischen Staat oder aus einer anderen Region als der Region Wallonien stammend gelten Abfälle, die nicht in der Region Wallonien erzeugt worden sind.
Stammt der Abfall aus einem Vorgang, an dem zwei oder mehr Staaten oder Regionen beteiligt waren, so stammt er aus dem Staat oder der Region, in dem oder in der die letzte wesentliche und wirtschaftlich gerechtfertigte Be- oder Verarbeitung stattgefunden hat, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen worden ist..."
8 Nach Ansicht der Kommission läuft diese belgische Regelung dem Gemeinschaftsrecht insoweit zuwider, als sie das Ablagern von Abfällen aus anderen Mitgliedstaaten in Wallonien verbietet und als sie es durch die gemeinsame Wirkung der Artikel 3 und 5 der Verordnung vom 19. März 1987 verbietet, Abfälle aus anderen Mitgliedstaaten, die in einer anderen belgischen Region eine wesentliche und wirtschaftlich gerechtfertigte Be- und Verarbeitung erfahren haben, in Deponien in der Region Wallonien einzubringen. Die Kommission hat deshalb gegen das Königreich Belgien das Verfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag eingeleitet.
9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur wiedergegeben, soweit es die Begründung des Urteils erfordert.
10 Die Kommission macht geltend, die belgische Regelung laufe zum einen den Richtlinien 75/442 und 84/631 und zum anderen den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag zuwider.
Zur Richtlinie 75/442
11 Nach Ansicht der Kommission lässt keine der Bestimmungen der Richtlinie 75/442 über Abfälle ein allgemeines Verbot wie das in der belgischen Regelung enthaltene zu. Ein solches Verbot laufe im übrigen den Zielen der Richtlinie und dem Sinn und Zweck ihrer Bestimmungen zuwider, die darauf gerichtet seien, den freien Verkehr mit Abfällen unter Bedingungen sicherzustellen, die weder der menschlichen Gesundheit noch der Umwelt schadeten.
12 Die Richtlinie 75/442 stellt für den Bereich der Abfallbeseitigung bestimmte Grundsätze auf und enthält Bestimmungen allgemeiner Art.
13 So sieht sie vor, daß die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen treffen, um die Einschränkung der Abfallbildung sowie die Verwertung und Umwandlung von Abfällen zu fördern, und daß sie die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, daß die Abfälle beseitigt werden, ohne die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gefährden. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten auch, die Behörden zu bestimmen, die dafür zuständig sind, die Maßnahmen zur Abfallbeseitigung zu planen, zu organisieren, zu genehmigen und zu überwachen, und sieht vor, daß die Unternehmen, die eigene oder fremde Abfälle befördern, sammeln, lagern, ablagern oder aufbereiten, einer entsprechenden Genehmigung bedürfen oder der Überwachung durch die zuständigen Behörden unterliegen.
14 Hieraus ergibt sich, daß weder der mit dieser Richtlinie geschaffene allgemeine Rahmen noch eine ihrer Bestimmungen in spezifischer Weise den Abfallhandel zwischen Mitgliedstaaten betreffen oder ein konkretes Verbot enthalten, Maßnahmen wie die mit der beanstandeten Regelung eingeführten zu erlassen. Daher ist festzustellen, daß die von der Kommission behauptete Verletzung der Richtlinie 75/442 nicht dargetan ist.
15 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß die beanstandete Regelung für Abfälle im allgemeinen ° ohne Unterscheidung zwischen gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen ° gilt. Da für die Kategorie der gefährlichen Abfälle im Gemeinschaftsrecht mit der Richtlinie 84/631 eine besondere Regelung besteht, ist zunächst die mit dieser Richtlinie eingeführte Regelung zu prüfen.
Zur Richtlinie 84/631
16 Die Richtlinie 84/631, geändert durch die Richtlinie 86/279/EWG des Rates vom 12. Juni 1986 (ABl. L 181, S. 13) und an den technischen Fortschritt angepasst durch die Richtlinie 87/112/EWG der Kommission vom 23. Dezember 1986 (ABl. 1987 L 48, S. 31), fügt sich nach ihrer ersten Begründungserwägung in die gemeinschaftlichen Aktionsprogramme zur Überwachung der Beseitigung gefährlicher Abfälle ein. In der zweiten Begründungserwägung wird auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten hingewiesen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit giftige und gefährliche Abfälle beseitigt werden, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die Umwelt zu schädigen. In der dritten Begründungserwägung heisst es, die Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten könne notwendig sein, damit die Abfälle unter den bestmöglichen Bedingungen beseitigt würden. In der siebten Begründungserwägung wird auf die Notwendigkeit einer Überwachung und Kontrolle gefährlicher Abfälle vom Zeitpunkt ihres Anfalls bis zu ihrer Aufbereitung beziehungsweise endgültigen sicheren Beseitigung hingewiesen.
17 Im Rahmen dieser Ziele stellt die Richtlinie für die Beseitigung dieser Abfälle Bedingungen auf, die insbesondere sicherstellen, daß die Beseitigung keine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, und sieht ein Genehmigungssystem für Lagerung, Behandlung oder Ablagerung dieser Abfälle vor; ferner sieht sie vor, daß die Mitgliedstaaten der Kommission bestimmte Informationen über die Anlagen, Einrichtungen oder Unternehmen übermitteln, die über eine Genehmigung verfügen.
18 Für den Bereich der grenzueberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle zum Zwecke ihrer Beseitigung sieht die Richtlinie vor, daß der Besitzer, der die Absicht hat, solche Abfälle von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten zu verbringen oder verbringen zu lassen, dies der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats mit Hilfe eines einheitlichen "Begleitscheins" notifiziert, der unter anderem Angaben zum Ursprung und zur Zusammensetzung der Abfälle, zu den in bezug auf Strecken und Versicherung getroffenen Vorkehrungen und zu den zur Gewährleistung der Transportsicherheit zu treffenden Maßnahmen enthält (Artikel 3).
19 Die grenzueberschreitende Verbringung ist nur zulässig, wenn die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats den Eingang der Notifizierung bestätigt haben. Sie können Einwände erheben, die anhand der Rechts- und Verwaltungsvorschriften zum Schutz der Umwelt, zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit zu begründen sind, die mit dieser Richtlinie, mit anderen gemeinschaftlichen Rechtsakten oder mit internationalen Übereinkommen, die der betroffene Mitgliedstaat auf diesem Gebiet geschlossen hat, in Einklang stehen (Artikel 4).
20 Hieraus ergibt sich, daß mit der Richtlinie 84/631 eine umfassende Regelung geschaffen worden ist, die insbesondere die grenzueberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle zum Zwecke ihrer Beseitigung in konkret bezeichneten Einrichtungen erfasst und auf der Verpflichtung zu vorheriger, detaillierter Notifizierung durch den Besitzer der Abfälle beruht; die betroffenen nationalen Behörden können Einwände erheben und somit eine bestimmte Verbringung gefährlicher Abfälle (im Gegensatz zur Verbringung gefährlicher Abfälle im allgemeinen) verbieten, um Problemen im Zusammenhang mit dem Schutz der Umwelt und der Gesundheit zum einen und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zum anderen zu begegnen. Demnach lässt sich dieser Regelung keinerlei Möglichkeit für die Mitgliedstaaten entnehmen, die Verbringung gefährlicher Abfälle insgesamt zu verbieten.
21 Daher ist festzustellen, daß die beanstandete belgische Regelung, soweit sie die Anwendung des in der Richtlinie vorgesehenen Verfahrens ausschließt und ein absolutes Verbot der Einfuhr gefährlicher Abfälle nach Wallonien aufstellt, ungeachtet des Umstands, daß sie die Zulassung bestimmter Abweichungen durch die zuständigen Behörden vorsieht, nicht im Einklang mit dieser Richtlinie steht.
Zu den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag
22 Soweit sie Abfälle betrifft, die nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 84/631 fallen, ist die beanstandete belgische Regelung schließlich noch anhand der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zu prüfen.
23 Es ist unstreitig, daß rückführbare und wiederverwendbare Abfälle ° gegebenenfalls nach einer Behandlung ° einen eigenen Handelswert haben und Waren sind, auf die der Vertrag Anwendung findet, und daß sie daher in den Anwendungsbereich der Artikel 30 ff. EWG-Vertrag fallen.
24 Dagegen ist vor dem Gerichtshof über die Frage gestritten worden, ob auch nicht rückführbare und nicht wiederverwendbare Abfälle in den Anwendungsbereich der Artikel 30 ff. fallen.
25 Hierzu hat die belgische Regierung geltend gemacht, daß nicht rückführbare und nicht wiederverwendbare Abfälle nicht als Waren im Sinne der Artikel 30 ff. EWG-Vertrag angesehen werden könnten. Sie hätten keinen eigenen Handelswert und könnten daher nicht Gegenstand eines Kaufvertrags sein. Die Vorgänge der Beseitigung oder Ablagerung solcher Abfälle fielen unter die Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr.
26 Gegenüber diesem Vorbringen genügt der Hinweis, daß Gegenstände, die im Hinblick auf Handelsgeschäfte über eine Grenze verbracht werden, unabhängig von der Natur dieser Geschäfte Artikel 30 unterliegen.
27 Wie im übrigen vor dem Gerichtshof dargelegt wurde, ist die Unterscheidung zwischen rückführbaren und nicht rückführbaren Abfällen aus praktischer Sicht sehr schwierig, insbesondere was die Kontrollen an der Grenze angeht. Eine solche Unterscheidung stützt sich nämlich auf ungewisse Kriterien, die sich im Laufe der Zeit nach Maßgabe des technischen Fortschritts ändern können. Zudem hängt die Rückführbarkeit von Abfall auch von den Kosten der Rückführung und damit von der Rentabilität der beabsichtigten Wiederverwendung ab, so daß die Beurteilung dieser Frage notwendig subjektiv ist und von veränderlichen Faktoren abhängt.
28 Folglich sind Abfälle, seien sie rückführbar oder nicht, als Erzeugnisse anzusehen, deren Verkehr gemäß Artikel 30 EWG-Vertrag grundsätzlich nicht verhindert werden darf.
29 Zur Rechtfertigung der von ihm geschaffenen Beeinträchtigungen des Verkehrs mit Abfällen macht der beklagte Staat geltend, die streitige Regelung entspreche zum einen zwingenden Erfordernissen des Umweltschutzes und dem Ziel des Gesundheitsschutzes, das dem Ziel des freien Warenverkehrs vorgehe, und stelle zum anderen eine zeitlich begrenzte und ausserordentliche Schutzmaßnahme angesichts eines Zustroms von Abfällen aus Nachbarländern nach Wallonien dar.
30 Was die Umwelt betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß Abfälle Gegenstände besonderer Art sind. Ihre Ansammlung stellt, noch bevor sie die Gesundheit gefährden, angesichts der beschränkten Aufnahmekapazität der einzelnen Region oder des einzelnen Ortes eine Gefahr für die Umwelt dar.
31 Im vorliegenden Fall hat die belgische Regierung ° von der Kommission unwidersprochen ° geltend gemacht, daß es zu einem massiven und anomalen Zustrom von Abfällen aus anderen Regionen zum Zwecke der Ablagerung in Wallonien gekommen sei, der angesichts der begrenzten Kapazität dieser Region eine echte Gefahr für die Umwelt darstelle.
32 Folglich ist das Vorbringen, daß die beanstandeten Maßnahmen durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes gerechtfertigt seien, als begründet anzusehen.
33 Die Kommission vertritt jedoch die Ansicht, daß diese zwingenden Erfordernisse im vorliegenden Fall nicht angeführt werden könnten, da die betreffenden Maßnahmen diskriminierend für Abfälle aus anderen Mitgliedstaaten seien, die nicht schädlicher seien als die in Wallonien erzeugten Abfälle.
34 Es trifft zu, daß zwingende Erfordernisse nur zu berücksichtigen sind, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die unterschiedslos auf einheimische und eingeführte Erzeugnisse anwendbar sind (vgl. namentlich Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-1/90, Aragonesa de publicidad, Slg. 1991, I-4151). Um jedoch die Frage zu beurteilen, ob die beanstandete Beeinträchtigung diskriminierend ist oder nicht, ist die Besonderheit der Abfälle zu berücksichtigen. Der für die Umweltpolitik der Gemeinschaft in Artikel 130r Absatz 2 EWG-Vertrag aufgestellte Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen nach Möglichkeit an ihrem Ursprung zu bekämpfen, bedeutet nämlich, daß es Sache jeder Region, Gemeinde oder anderen Gebietskörperschaft ist, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Aufnahme, Behandlung und Beseitigung ihrer eigenen Abfälle sicherzustellen; diese sind daher möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung zu beseitigen, um ihre Verbringung soweit wie möglich einzuschränken.
35 Dieser Grundsatz steht im übrigen mit den Grundsätzen der Entsorgungsautarkie und der Entsorgungsnähe im Einklang, die in der von der Gemeinschaft unterzeichneten Baseler Konvention vom 22. März 1989 über die Kontrolle des grenzueberschreitenden Verkehrs mit Sonderabfällen und ihrer Beseitigung aufgestellt werden (Kluwer: International environmental Law, Deventer-Boston, 1991, S. 546).
36 Daraus ergibt sich, daß die beanstandeten Maßnahmen unter Berücksichtigung der zwischen den Abfällen je nach dem Ort ihrer Erzeugung bestehenden Unterschiede und ihres Zusammenhangs mit dem Ort ihrer Erzeugung nicht als diskriminierend angesehen werden können.
37 Die Klage ist daher abzuweisen, soweit sie nicht unter die Richtlinie 84/631 fallende Abfälle betrifft.
Kostenentscheidung:
Kosten
38 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien nur teilweise unterlegen ist, sind den Parteien gemäß Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung ihre jeweiligen eigenen Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1) Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 84/631/EWG des Rates vom 6. Dezember 1984 über die Überwachung und Kontrolle ° in der Gemeinschaft ° der grenzueberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle verstossen, daß es ein absolutes Verbot der Zwischenlagerung, Ablagerung oder Ableitung gefährlicher Abfälle aus einem anderen Mitgliedstaat in der Region Wallonien eingeführt und damit die Anwendung des mit dieser Richtlinie geschaffenen Verfahrens ausgeschlossen hat.
2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Ende der Entscheidung
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