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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.11.2007
Aktenzeichen: C-20/05
Rechtsgebiete: Richtlinie 98/34/EG


Vorschriften:

Richtlinie 98/34/EG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

8. November 2007(*)

"Richtlinie 98/34/EG - Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften - Übermittlungspflicht für Entwürfe technischer Vorschriften - Nationales Gesetz, das die Anbringung des Kennzeichens der mit der Erhebung von Urheberrechtsgebühren beauftragten nationalen Einrichtung auf vermarkteten Compact Discs vorschreibt - Begriff 'technische Vorschrift'"

Parteien:

In der Rechtssache C-20/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale civile e penale di Forlì (Italien) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Januar 2005, in dem Strafverfahren gegen

Karl Josef Wilhelm Schwibbert

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter U. Lõhmus (Berichterstatter), J. Klucka und A. Ó Caoimh sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Schwibbert, vertreten durch A. Sirotti Gaudenzi, avvocato,

- der Società Italiana degli Autori ed Editori, vertreten durch M. Mandel und M. Siragusa, avvocati,

- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von S. Fiorentino und M. Massella Ducci Teri, avvocati dello Stato,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Pignataro und W. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. Juni 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 EG, 23 EG bis 27 EG, der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. L 204, S. 37), in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. L 217, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34), der Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. L 346, S. 61) sowie der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Schwibbert in Italien wegen des Besitzes von Compact Discs (im Folgenden: CDs), die nicht das Kennzeichen der mit der Erhebung der Urheberrechtsgebühren betrauten nationalen Einrichtung trugen.

Rechtlicher Rahmen

Das Gemeinschaftsrecht

3 Mit der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 (ABl. L 109, S. 8) wurde ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften in das Gemeinschaftsrecht eingeführt.

4 Art. 12 der Richtlinie 83/189 lautet:

"(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um dieser Richtlinie innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen; sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

(2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen."

5 Die Richtlinie 83/189 wurde mehrfach in wesentlichen Punkten geändert. Sie wurde von der Richtlinie 98/34 kodifiziert.

6 Art. 1 der Richtlinie 98/34 bestimmt:

"Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1. 'Erzeugnis' Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte;

...

3. 'technische Spezifikation' Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.

...

4. 'sonstige Vorschrift' eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;

...

11. 'Technische Vorschrift': Technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie - vorbehaltlich der in Artikel 10 genannten Bestimmungen - die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten wird.

..."

7 Die Art. 8 und 9 der Richtlinie 98/34 verpflichten die Mitgliedstaaten, zum einen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Entwürfe technischer Vorschriften, die vom Geltungsbereich dieser Richtlinie erfasst werden, zu übermitteln, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt - in diesem Fall reicht eine bloße Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt -, und zum anderen die Inkraftsetzung dieser Entwürfe um mehrere Monate zu verschieben, um der Kommission die Möglichkeit zu geben, zu überprüfen, ob sie mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere dem freien Warenverkehr, vereinbar sind, oder um im betreffenden Bereich eine Richtlinie, eine Verordnung oder eine Entscheidung vorzuschlagen.

8 Zweck der Richtlinie 92/100 ist die Harmonisierung des Rechtsschutzes für urheberrechtlich geschützte Werke und Gegenstände der verwandten Schutzrechte. Sie soll Urhebern und ausführenden Künstlern ein angemessenes Einkommen gewährleisten. Dazu bestimmt die Richtlinie 92/100, dass die Mitgliedstaaten das Recht vorsehen, die Vermietung und das Verleihen von Originalen und Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke und anderer in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie bezeichneter Schutzgegenstände zu erlauben oder zu verbieten. Im Kapitel II der Richtlinie 92/100 über verwandte Schutzrechte bestimmt Art. 9, dass die Mitgliedstaaten das ausschließliche Recht vorsehen, die in diesem Artikel genannten Schutzgegenstände der Öffentlichkeit im Wege der Veräußerung oder auf sonstige Weise zur Verfügung zu stellen.

Nationales Recht

9 Nach dem Gesetz Nr. 633 vom 22. April 1941 auf dem Gebiet des Urheberrechts (GURI Nr. 166 vom 16. Juli 1941, im Folgenden: Gesetz von 1941) ist die Verpflichtung, das Kennzeichen auf jedem Träger anzubringen, der geschützte Werke enthält, ein Mittel zur Authentifikation und zur Gewährleistung, das es ermöglicht, das rechtmäßige Erzeugnis von der Raubkopie zu unterscheiden. Die Società Italiana degli Autori ed Editori (italienischer Autoren- und Verlegerverband), eine öffentliche Ad-hoc-Einrichtung, ist mit der Aufgabe des Schutzes, der Vermittlung und der Zertifizierung betraut. Dieses gesetzlich vorgesehene Kennzeichen besteht aus den Initialen "SIAE".

10 Das Gesetz Nr. 121/87 (GURI Nr. 73 vom 28. März 1987) erstreckte die Pflicht zur Anbringung des Kennzeichens "SIAE" auf weiteren Trägern geistiger Werke.

11 Im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 92/100 fügte der italienische Gesetzgeber aufgrund des Decreto-Legge Nr. 685 vom 16. November 1994 (GURI Nr. 293 vom 16. Dezember 1994), das das Gesetz Nr. 121/87 aufhob, u. a. Art. 171b Abs. 1 Buchst. c in das Gesetz von 1941 ein, der bestimmte strafrechtliche Sanktionen vorsieht und wie folgt lautet:

"1. Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren und mit einer Geldstrafe von fünfhunderttausend ITL bis sechs Millionen ITL wird bestraft, wer

...

c) ... Videokassetten, Musikkassetten oder andere Bild- oder Tonträger mit Ton- oder Bildaufnahmen von kinematografischen oder audiovisuellen Werken oder von Sequenzen bewegter Bilder verkauft oder verleiht, die nicht vom italienischen Autoren- und Verlegerverband (SIAE) im Sinne dieses Gesetzes und der Durchführungsverordnung gekennzeichnet sind.

..."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

12 Die Procura della Repubblica presso il Tribunale civile e penale di Forlì (Staatsanwaltschaft beim Zivil- und Strafgericht Forlì) eröffnete am 12. Februar 2000 ein gerichtliches Ermittlungsverfahren gegen Herrn Schwibbert, wohnhaft in Italien, gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft K.J.W.S. Srl, und bestätigte, dass er am 9. und 10. Februar 2000 in den Lagerräumen dieser Gesellschaft eine gewisse Anzahl von CDs mit Nachbildungen von Werken der Maler Giorgio De Chirico und Mario Schifano zu Verkaufszwecken in Besitz hatte. Diese CDs, die für andere Gesellschaften aus Deutschland eingeführt worden waren, um sie im Rahmen kultureller Veranstaltungen zu verkaufen, trugen nicht das Kennzeichen "SIAE".

13 Bei den von der Guardia di Finanza - Comando Tenenza di Cesena (Finanzpolizei - Einsatzzentrale Cesena) am 9. und 10. Februar 2000 durchgeführten Ermittlungen war gemäß der Strafprozessordnung ein Beschlagnahmeprotokoll für diese CDs erstellt worden, in dem erwähnt wurde, dass nach einer ersten Prüfung der Anschein bestehe, dass es sich bei den Waren um Fälschungen handele.

14 Am 23. Mai 2001 erhob die Procura della Repubblica presso il Tribunale civile e penale di Forlì bei diesem Gericht Anklage gegen Herrn Schwibbert wegen einer Straftat nach Art. 171b Abs. 1 Buchst. c des Gesetzes von 1941.

15 Die mündliche Verhandlung vor dem Tribunale civile e penale di Forlì fand am 14. Dezember 2004 statt. Im Sitzungsprotokoll hebt das vorlegende Gericht hervor, dass Herrn Schwibbert keine missbräuchliche Vervielfältigung der Werke vorgeworfen werde, da er im Besitz der erforderlichen Genehmigungen gewesen sei, sondern ausschließlich der Umstand, dass die CDs nicht mit dem Kennzeichen "SIAE" versehen gewesen seien.

16 In der mündlichen Verhandlung beantragte der Rechtsanwalt von Herrn Schwibbert bei diesem Gericht, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen. Das Tribunale civile e penale Forlì gab dem Antrag statt, fügte aber in seiner Vorlageentscheidung nur den Schriftsatz des Rechtsanwalts als Anlage bei und formulierte selbst keine präzisen Fragen.

17 Am 17. Juli 2006 hat der Gerichtshof gemäß Art. 104 § 5 der Verfahrensordnung das vorlegende Gericht um Klarstellungen ersucht. Dessen Antwort ist am 31. Oktober 2006 beim Gerichtshof eingegangen.

18 Aus dieser Antwort ergibt sich, dass das Tribunale civile e penale di Forlì dem Gerichtshof folgende Frage stellt:

Sind die nationalen Bestimmungen über die Kennzeichnung mit dem Zeichen SIAE mit den Art. 3 EG, 23 EG bis 27 EG, den Art. 1, 8, 10 und 11 der Richtlinie 98/34/EG und den Richtlinien 92/100/EWG und 2001/29/EG vereinbar?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit

19 Die italienische Regierung macht in ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zurückzuweisen sei. Dieses Ersuchen enthalte nämlich nicht die Informationen, die erforderlich seien, um dem Gerichtshof eine sachdienliche Antwort auf die Vorlagefrage zu ermöglichen. Entgegen den Anforderungen in Art. 20 der Satzung des Gerichtshofs lege dieses Ersuchen nicht die Gründe dar, warum die Auslegung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts erforderlich sein solle, und es mache nicht deutlich, welche nationalen Vorschriften tatsächlich auf das Ausgangsverfahren anwendbar seien. Auf alle Fälle sei es für die Entscheidung dieses Rechtsstreits unerheblich.

20 Die Kommission trägt in ihren schriftlichen Erklärungen vor, dass die Vorlagefrage für unzulässig erklärt werden müsse, soweit sie die Auslegung der Art. 3 EG, 23 EG bis 27 EG und der Richtlinie 92/100 betreffe, da die Vorlageentscheidung keine ausreichenden Angaben enthalte.

21 Es ist daran zu erinnern, dass die Angaben in den Vorlageentscheidungen nicht nur dem Gerichtshof sachdienliche Antworten ermöglichen, sondern auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben müssen, gemäß Art. 20 der Satzung des Gerichtshofs Erklärungen abzugeben (Beschluss vom 2. März 1999, Colonia Versicherung u. a., C-422/98, Slg. 1999, I-1279, Randnr. 5). Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (Urteil vom 1. April 1982, Holdijk u. a., 141/81 bis 143/81, Slg. 1982, 1299, Randnr. 6, Beschluss vom 13. März 1996, Banco de Fomento e Exterior, C-326/95, Slg. 1996, I-1385, Randnr. 7, sowie Urteil vom 13. April 2000, Lehtonen und Castors Braine, C-176/96, Slg. 2000, I-2681, Randnr. 23). Daher ist es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unerlässlich, dass das nationale Gericht ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Gemeinschaftsbestimmungen, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Bestimmungen und den auf den Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften herstellt (vgl. u. a. Beschluss vom 28. Juni 2000, Laguillaumie, C-116/00, Slg. 2000, I-4979, Randnr. 16, sowie Urteil vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C-94/04 und C-202/04, Slg. 2006, I-11421, Randnr. 38).

22 Wie sich aus Randnr. 17 des vorliegenden Urteils ergibt, hat das vorlegende Gericht hier auf Ersuchen des Gerichtshofs Klarstellungen zum Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und zum nationalen und gemeinschaftlichen rechtlichen Rahmen getroffen. Zudem haben sich die Società Italiana degli Autori ed Editori, die italienische Regierung und die Kommission in der Lage gesehen, aufgrund der Informationen dieses Gerichts Erklärungen beim Gerichtshof abzugeben.

23 Hinsichtlich der Richtlinie 98/34 sind die Beteiligten unterschiedlicher Auffassung darüber, ob die Verpflichtung zur Anbringung des Kennzeichens "SIAE" für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende CD gilt und zu welchem Zeitpunkt diese Verpflichtung gegebenenfalls auf diese Träger ausgedehnt worden war, nämlich vor oder nach der Einführung der Verpflichtung zur Übermittlung der Entwürfe technischer Vorschriften in das Gemeinschaftsrecht. Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass ein Strafverfahren gegen Herrn Schwibbert eingeleitet worden ist, weil er das Kennzeichen "SIAE" nicht angebracht hatte. Die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem die Verpflichtung zur Anbringung dieses Kennzeichens tatsächlich in das italienische Recht eingeführt worden ist, gehört jedoch zur Auslegung des nationalen Rechts, für die der Gerichtshof nicht zuständig ist. Die Ungewissheit in diesem Punkt nimmt der Antwort des Gerichtshofs auf die Frage, so wie sie vom vorlegenden Gericht auf das Ersuchen um Klarstellung präzisiert wurde, jedenfalls nicht ihre Sachdienlichkeit.

24 Unter diesen Umständen hält sich der Gerichtshof für hinlänglich unterrichtet, um auf die Vorlagefrage, soweit sie die Richtlinie 98/34 betrifft, antworten zu können.

25 Dagegen enthält die Vorlageentscheidung hinsichtlich der Auslegung der Art. 3 EG, 23 EG bis 27 EG und der Richtlinie 92/100 nicht die notwendigen Informationen, um dem Gerichtshof eine sachdienliche Antwort an das vorlegende Gericht zu ermöglichen.

26 Diese Vorschriften des EG-Vertrags verbieten es, zwischen den Mitgliedstaaten Ein- und Ausfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung zu erheben. Die Richtlinie 92/100 harmonisiert die Vorschriften zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums.

27 Anhand der Angaben des vorlegenden Gerichts zum Sachverhalt des Ausgangsverfahrens lässt sich weder der Herstellungsort der CDs mit Sicherheit feststellen, noch lässt sich ermitteln, ob sie tatsächlich nach Italien eingeführt wurden. Die Informationen zum nationalen rechtlichen Rahmen geben dem Gerichtshof nicht ausreichend Aufschluss über die Merkmale der finanziellen Gegenleistung für den Erhalt des Kennzeichens "SIAE", um zu bestimmen, ob es sich um einen Zoll oder eine Abgabe gleicher Wirkung im Sinne dieser Artikel des Vertrags handelt. Schließlich lässt sich aufgrund dieser Angaben auch nicht beurteilen, ob die Richtlinie 92/100 solchen nationalen Vorschriften entgegensteht.

28 Unter diesen Umständen ist es nicht möglich, sich zu der Frage zu äußern, ob die Art. 3 EG, 23 EG bis 27 EG und die Richtlinie 92/100 einer Verpflichtung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen.

29 Darüber hinaus betrifft die Vorlagefrage auch die Auslegung der Richtlinie 2001/29. Diese Richtlinie stützt sich auf die Grundsätze und Vorschriften, die u. a. bereits in der Richtlinie 92/100 enthalten sind, und ändert diese Richtlinie. Die Richtlinie 2001/29 wurde am 22. Mai 2001 erlassen, und ihr Art. 13 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten ihr vor dem 22. Dezember 2002 nachkommen müssen. Die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Vorgänge fanden aber im Februar 2000 statt, als die Richtlinie noch nicht erlassen worden war. Somit ist die Vorlagefrage, soweit sie die Auslegung der Richtlinie 2001/29 betrifft, unzulässig.

30 Infolgedessen ist das Vorabentscheidungsersuchen nur hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie 98/34 zulässig.

Zur Begründetheit

31 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 1, 8, 10 und 11 der Richtlinie 98/34 nationalen Vorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, soweit diese vorsehen, dass bei der Vervielfältigung geistiger Werke auf deren Träger das Zeichen der Società Italiana degli Autori ed Editori anzubringen ist.

32 Hierzu ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass im Ausgangsverfahren ein Strafverfahren gegen Herrn Schwibbert eingeleitet worden ist, weil er dieses Kennzeichen auf CDs mit Werken der bildenden Kunst nicht angebracht hatte. Es ist deshalb zu prüfen, ob die vom vorlegenden Gericht geltend gemachten Gemeinschaftsvorschriften nationalen Vorschriften entgegenstehen, die eine solche Verpflichtung vorsehen.

33 Zunächst ist zu untersuchen, ob die Verpflichtung, ein solches Zeichen anzubringen, eine "technische Vorschrift" im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 98/34 ist. Falls dies bejaht wird, ist zu prüfen, ob die italienischen Behörden der Kommission den Entwurf der technischen Vorschrift mitgeteilt haben, da sie andernfalls Herrn Schwibbert nicht entgegengehalten werden könnte (vgl. u. a. Urteile vom 30. April 1996, CIA Security International, C-194/94, Slg. 1996, I-2201, Randnrn. 48 und 54, vom 16. Juni 1998, Lemmens, C-226/97, Slg. 1998, I-3711, Randnr. 33, und vom 6. Juni 2002, Sapod Audic, C-159/00, Slg. 2002, I-5031, Randnr. 49).

34 Nach Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 bezeichnet der Begriff der "technischen Vorschrift" dreierlei, nämlich erstens die "technische Spezifikation" im Sinne von Art. 1 Nr. 3 dieser Richtlinie, zweitens die "sonstige Vorschrift" im Sinne von Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie und drittens das Verbot von Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie (vgl. u. a. Urteil vom 21. April 2005, Lindberg, C-267/03, Slg. 2005, I-3247, Randnr. 54).

35 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, setzt der Begriff der "technischen Spezifikation" voraus, dass sich die nationale Maßnahme auf das Erzeugnis und seine Verpackung als solche bezieht und daher eines der vorgeschriebenen Merkmale für ein Erzeugnis festlegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. März 2001, van der Burg, C-278/99, Slg. 2001, I-2015, Randnr. 20, vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital, C-390/99, Slg. 2002, I-607, Randnr. 45, und Sapod Audic, Randnr. 30, und Lindberg, Randnr. 57).

36 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, wie die Generalanwältin in den Nrn. 46 und 48 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, dass das Kennzeichen "SIAE", das die Verbraucher und die nationalen Behörden darüber informieren soll, dass die Vervielfältigungsstücke legal sind, auf dem Träger selbst angebracht wird, auf dem das geistige Werk enthalten ist, somit auf dem Erzeugnis selbst. Entgegen dem, was die Società Italiana degli Autori ed Editori und die italienische Regierung vorgetragen haben, bezieht sich dieses Zeichen daher nicht ausschließlich auf das geistige Werk.

37 Ein solches Kennzeichen stellt eine "technische Spezifikation" im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34 dar, denn es fällt unter die für die betreffenden Erzeugnisse geltenden Vorschriften über Kennzeichnung und Beschriftung. Da diese Spezifikation für das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse rechtlich zwingend zu beachten ist, stellt sie eine "technische Vorschrift" im Sinne von Art. 1 Nr. 11 Unterabs. 1 dieser Richtlinie dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. März 1997, Bic Benelux, C-13/96, Slg. 1997, I-1753, Randnr. 23).

38 Gemäß Art. 8 der Richtlinie 98/34 "übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift". Ist diese Verpflichtung nicht beachtet worden, kann die technische Vorschrift, worauf in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils hingewiesen wurde, Einzelnen nicht entgegengehalten werden. Es ist deshalb zu prüfen, ob im vorliegenden Fall der Mitgliedstaat seine Verpflichtungen aus Art. 8 der Richtlinie beachtet hat. Ist das nicht der Fall, könnte die in Rede stehende technische Vorschrift Herrn Schwibbert nicht entgegengehalten werden.

39 Die Società Italiana degli Autori ed Editori und die italienische Regierung machen geltend, dass die Verpflichtung zur Anbringung des Zeichens "SIAE" auf Trägern mit geistigen Werken bereits lange vor dem Inkrafttreten der maßgeblichen Gemeinschaftsrichtlinien im Gesetz von 1941 für die Träger aus Papier vorgesehen gewesen sei und dass die nach diesem Inkrafttreten erfolgten Gesetzesänderungen in den Jahren 1987 bzw. 1994 nur Anpassungen an den technischen Fortschritt gewesen seien, bei denen nur neue Träger in den Geltungsbereich dieser Verpflichtung aufgenommen worden seien. Infolgedessen hätten diese Gesetzesänderungen der Kommission nicht mitgeteilt werden müssen.

40 Im vorliegenden Fall scheint sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten zu ergeben, dass die Verpflichtung zur Anbringung des Kennzeichens "SIAE" für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Träger, nämlich CDs mit Werken der bildenden Kunst, im Jahr 1994 aufgrund des Decreto-Legge Nr. 685 Geltung erlangte. Unter solchen Umständen hätte die Italienische Republik der Kommission diese Verpflichtung übermitteln müssen, da sie nach Einführung des Informationsverfahrens im Bereich der Normen und technischen Vorschriften durch die Richtlinie 83/189 begründet wurde. Wie in Randnr. 23 des vorliegenden Urteils dargelegt wurde, ist es jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob die in Rede stehende Verpflichtung tatsächlich zu diesem Zeitpunkt in das italienische Recht eingeführt worden ist.

41 Soweit die Verpflichtung zur Anbringung des Zeichens "SIAE" nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 83/189 auf solche Erzeugnisse ausgedehnt wurde, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 der Richtlinie bezweckt, der Kommission zu jedem Entwurf einer technischen Vorschrift eine möglichst vollständige Information über deren Inhalt, Tragweite und allgemeinen Zusammenhang zu verschaffen, damit sie die ihr durch die Richtlinie verliehenen Befugnisse so wirksam wie möglich ausüben kann (vgl. u. a. Urteile CIA Security International, Randnr. 50, vom 16. September 1997, Kommission/Italien, C-279/94, Slg. 1997, I-4743, Randnr. 40, und vom 7. Mai 1998, Kommission/Belgien, C-145/97, Slg. 1998, I-2643, Randnr. 12).

42 Zudem machen nach Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 3 "[d]ie Mitgliedstaaten ... eine weitere Mitteilung, wenn sie an dem Entwurf einer technischen Vorschrift wesentliche Änderungen vornehmen, die den Anwendungsbereich ändern". Werden neue Träger wie CDs in den Geltungsbereich der Verpflichtung zur Anbringung des Kennzeichens "SIAE" aufgenommen, so ist das als eine solche Änderung anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juni 1994, Kommission/Deutschland, C-317/92, Slg. 1994, I-2039, Randnr. 25, und Lindberg, Randnrn. 84 und 85).

43 Die Kommission hat in ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung ohne Widerspruch seitens des Mitgliedstaats zu diesem Punkt ausgeführt, dass die Italienische Republik ihr diese Änderung nicht übermittelt habe.

44 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist aber der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht ein Verfahrensmangel beim Erlass der betreffenden technischen Vorschriften, der zur Unanwendbarkeit dieser technischen Vorschriften führt, so dass diese dem Einzelnen nicht entgegengehalten werden können (vgl. u. a. Urteile CIA Security International, Randnr. 54, und Lemmens, Randnr. 33). Diese Unanwendbarkeit kann von den Einzelnen vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden; das Gericht ist verpflichtet, die Anwendung einer nationalen technischen Vorschrift, die nicht gemäß der Richtlinie 98/34 mitgeteilt wurde, abzulehnen (vgl. u. a. Urteile CIA Security International, Randnr. 55, und Sapod Audic, Randnr. 50).

45 Nach alledem ist festzustellen, dass die Richtlinie 98/34 dahin auszulegen ist, dass nationale Vorschriften wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, sofern damit nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 83/189 die Verpflichtung eingeführt wurde, auf CDs mit Werken der bildenden Kunst für deren Inverkehrbringen in dem betreffenden Mitgliedstaat das Kennzeichen "SIAE" anzubringen, eine technische Vorschrift darstellen, die, da sie der Kommission nicht mitgeteilt worden ist, einem Einzelnen nicht entgegengehalten werden kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

46 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass nationale Vorschriften wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, sofern damit nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften die Verpflichtung eingeführt wurde, auf Compact Discs mit Werken der bildenden Kunst für deren Inverkehrbringen in dem betreffenden Mitgliedstaat das Kennzeichen "SIAE" anzubringen, eine technische Vorschrift darstellen, die, da sie der Kommission nicht mitgeteilt worden ist, einem Einzelnen nicht entgegengehalten werden kann.

Ende der Entscheidung

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