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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.11.1996
Aktenzeichen: C-201/94
Rechtsgebiete: Richtlinie 65/65/EWG vom 26.01.1965, Richtlinie 87/21/EWG vom 22.12.1986


Vorschriften:

Richtlinie 65/65/EWG vom 26.01.1965 Art. 3
Richtlinie 65/65/EWG vom 26.01.1965 Art.4
Richtlinie 87/21/EWG vom 22.12.1986 Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Gelangt die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats zu dem Ergebnis, daß eine Arzneispezialität, für die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen in einem anderen Mitgliedstaat erteilt worden ist, und eine Arzneispezialität, für die sie bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat, von voneinander unabhängigen Unternehmen aufgrund von Verträgen mit ein und demselben Lizenzgeber hergestellt werden und daß diese beiden Arzneispezialitäten, ohne in allen Punkten übereinzustimmen, zumindest nach der gleichen Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt worden sind und überdies die gleichen therapeutischen Wirkungen haben, so muß sie diese Genehmigung auch für die eingeführte Arzneispezialität gelten lassen, soweit dem keine Erwägungen eines wirksamen Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen entgegenstehen. Wenn nämlich die Gesundheitsbehörden des Einfuhrmitgliedstaats aufgrund eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen der betreffenden Arzneispezialität bereits über alle für die Untersuchung der Wirksamkeit und der Unschädlichkeit des Arzneimittels als unentbehrlich angesehenen pharmazeutischen Angaben verfügen, so ist es offensichtlich für den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen nicht notwendig, daß sie von einem zweiten Wirtschaftsteilnehmer, der eine den erwähnten Kriterien entsprechende Arzneispezialität eingeführt hat, verlangen, ihnen nochmals die oben genannten Angaben zu unterbreiten.

In diesem Zusammenhang hat es keinen Einfluß, daß der Lizenzgeber für die beiden in Rede stehenden Arzneispezialitäten ausserhalb der Europäischen Gemeinschaften ansässig ist.

Gelangt die zuständige Behörde dagegen zu dem Ergebnis, daß die Arzneispezialität, die eingeführt werden soll, die genannten Kriterien nicht erfuellt, ist eine neue Genehmigung für das Inverkehrbringen erforderlich. Diese darf nur unter den Voraussetzungen der Artikel 3 und 4 der Richtlinie 65/65 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten in der u. a. durch die Richtlinie 87/21 geänderten Fassung erteilt werden. Insbesondere würde es gegen diese Bestimmungen, die die Möglichkeit einer Genehmigung für das Inverkehrbringen ausschließen, wenn nicht alle in Artikel 4 der Richtlinie aufgeführten Angaben gemacht und nicht alle dort genannten Versuche durchgeführt worden sind, verstossen, wenn eine zuständige Behörde bei der Bearbeitung eines Antrags auf eine Verkehrsgenehmigung die von einem unabhängigen Unternehmen gemachten Angaben ohne dessen Einverständnis zur Stützung eines Antrags auf eine Verkehrsgenehmigung für eine andere Arzneispezialität verwenden würde.

2. Der Inhaber einer nach dem Verfahren der Richtlinie 65/65 erteilten ursprünglichen Genehmigung für das Inverkehrbringen kann sich in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht auf die Bestimmungen dieser Richtlinie in der u. a. durch die Richtlinie 87/21 geänderten Fassung und insbesondere auf deren Artikel 5 berufen, um die Gültigkeit einer Genehmigung anzufechten, die die zuständige Behörde auf der Grundlage dieser Richtlinie einem seiner Wettbewerber für eine Marken-Arzneispezialität mit der gleichen Bezeichnung erteilt hat. Das gleiche gilt für eine Genehmigung, die zwar im Rahmen eines anderen auf nationaler Ebene geregelten Verfahrens erteilt worden ist, jedoch auf der Grundlage der Richtlinie hätte erteilt werden müssen. Die genannten Bestimmungen sind nämlich unbedingt und so genau, wie es hierfür erforderlich ist.


Urteil des Gerichtshofes vom 12. November 1996. - The Queen gegen The Medicines Control Agency, ex parte Smith & Nephew Pharmaceuticals Ltd und Primecrown Ltd gegen The Medicine Control Agency. - Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice, Queen's Bench Division - Vereinigtes Königreich. - Arzneispezialitäten - Paralleleinfuhr - Unmittelbare Wirkung der Richtlinie 65/65/EWG - Genehmigung für das Inverkehrbringen. - Rechtssache C-201/94.

Entscheidungsgründe:

1 Der High Court of Justice, Queen' s Bench Division (Vereinigtes Königreich), hat mit Beschluß vom 4. Mai 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juli 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, 22, S. 369) in der insbesondere durch die Richtlinie 87/21/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 (ABl. 1987, L 15, S. 36) geänderten Fassung und über die Pflichten im Zusammenhang mit der Genehmigung für Arzneispezialitäten zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Smith & Nephew Pharmaceuticals Ltd (im folgenden: Smith & Nephew) einerseits und der Medicines Control Agency (im folgenden: MCA) und der Primecrown Ltd (im folgenden: Primecrown) andererseits sowie zwischen Primecrown und der MCA. In diesen Rechtsstreitigkeiten geht es um die Erteilung einer Einfuhrgenehmigung an Primecrown für eine Arzneispezialität belgischen Ursprungs, die mit derselben Bezeichnung versehen ist und aufgrund eines Vertrages mit demselben Lizenzgeber hergestellt worden ist wie ein Erzeugnis, für das Smith & Nephew über eine Genehmigung für das Inverkehrbringen (im folgenden: Verkehrsgenehmigung) im Vereinigten Königreich verfügt.

3 Nach der ersten Begründungserwägung der Richtlinie 65/65 müssen alle "Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Arzneispezialitäten... in erster Linie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen". Nach der zweiten Begründungserwägung muß dieses "Ziel... mit Mitteln erreicht werden, die die Entwicklung der pharmazeutischen Industrie und den Handel mit pharmazeutischen Erzeugnissen innerhalb der Gemeinschaft nicht hemmen können".

4 Der im maßgebenden Zeitpunkt anwendbare Artikel 3 der Richtlinie 65/65 bestimmt, daß eine Arzneispezialität in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden darf, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats die Genehmigung dafür erteilt hat. Die Arzneispezialitäten werden in Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 65/65 definiert als "alle Arzneimittel, die im voraus hergestellt und unter einer besonderen Bezeichnung und in einer besonderen Aufmachung in den Verkehr gebracht werden". Artikel 4 der Richtlinie führt die Liste der Angaben und Unterlagen auf, die dem Antrag auf eine Verkehrsgenehmigung beizufügen sind.

5 Nach Artikel 5 der Richtlinie 65/65 wird die Verkehrsgenehmigung "versagt, wenn sich nach Prüfung der in Artikel 4 aufgeführten Angaben und Unterlagen ergibt, entweder daß die Arzneispezialität bei bestimmungsgemässem Gebrauch schädlich ist oder daß ihre therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom Antragsteller unzureichend begründet ist oder daß die Arzneispezialität nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist. Die Genehmigung wird auch dann versagt, wenn die Angaben und Unterlagen zur Stützung des Antrags nicht den Bestimmungen des Artikels 4 entsprechen."

6 Eine neue Gemeinschaftsregelung über Verkehrsgenehmigungen trat am 1. Januar 1995 nach dem Erlaß der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Änderung der Richtlinien 65/65/EWG, 75/318/EWG und 75/319/EWG betreffend Arzneimittel (ABl. L 214, S. 22) und der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1) in Kraft. Wegen des Zeitpunkts, zu dem der streitige Antrag auf Erteilung einer Verkehrsgenehmigung eingereicht wurde, sind diese Bestimmungen jedoch im Ausgangsverfahren nicht anwendbar.

7 Die MCA ist nach den nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 65/65 in nationales Recht die zuständige Behörde für die Erteilung der Verkehrsgenehmigung im Vereinigten Königreich.

8 Die MCA veröffentlichte Merkblätter darüber, wie Anträge auf Genehmigungen für Paralleleinfuhren von Arzneimitteln zu stellen sind. Diese Merkblätter tragen die Kennzeichnung MAL 2 (PI) und den Titel "Notes on Application for Product Licences (Parallel Importing) (Medicines for Human Use)" (Hinweise für die Stellung von Anträgen auf Produktlizenzen [Paralleleinfuhr] [Human-Arzneimittel]). Eine "Paralleleinfuhr" liegt bei Arzneispezialitäten nach dem Merkblatt MAL 2 (PI) vor, wenn zwei Voraussetzungen erfuellt sind: Für das Erzeugnis ist im Vereinigten Königreich eine Verkehrsgenehmigung erteilt worden, und ein Antragsteller möchte aus einem anderen Mitgliedstaat eine Version dieses Erzeugnisses einführen, für die bereits eine von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Verkehrsgenehmigung vorliegt. In einem solchen Fall lässt das MCA eine vereinfachte Form der Antragstellung zu, die als "Verfahren PL (PI)" bezeichnet wird. Im Rahmen dieses Verfahrens, das im allgemeinen schneller als das in der Richtlinie 65/65 vorgesehene ist, müssen Antragsteller für eine Verkehrsgenehmigung weniger Angaben machen, als für einen Antrag nach der Richtlinie 65/65 verlangt werden. Damit auf eine Arzneispezialität dieses Verfahren angewandt werden kann, muß sie mehrere Voraussetzungen erfuellen, zu denen insbesondere gehört, daß sie vom Hersteller des Erzeugnisses, für das im Vereinigten Königreich eine Genehmigung erteilt worden ist, oder unter dessen Lizenz oder von einem Mitglied derselben Unternehmensgruppe wie der Hersteller des Erzeugnisses, für das im Vereinigten Königreich eine Genehmigung erteilt worden ist, produziert worden ist.

9 Smith & Nephew vertreibt im Vereinigten Königreich aufgrund eines 1982 mit dem amerikanischen Unternehmen Marion Merrell Dow (im folgenden: MMD) geschlossenen Vertrages die Arzneispezialität "Ditropan", die sie im Vereinigten Königreich von der Boots Pharmaceuticals Ltd für sich herstellen lässt. Ditropan enthält einen Wirkstoff mit der Bezeichnung Oxybutyninhydrochlorid, der zur Behandlung bestimmter Formen von Harninkontinenz verwendet wird. Nach dem Vorlagebeschluß wurden ein Antrag auf Genehmigung klinischer Versuche mit Ditropan und ein nachfolgender Antrag auf Erteilung einer Verkehrsgenehmigung auf Daten und andere Informationen gestützt, die von MMD geliefert worden waren. Diesen Antrag stellte Smith & Nephew 1982 bei der MCA. Nachdem diese zu der Ansicht gelangt war, daß diese Angaben insbesondere im Hinblick auf den erforderlichen Nachweis, daß das Erzeugnis nicht krebserregend ist, unzureichend seien, war Smith & Nephew gezwungen, zusätzliche klinische Untersuchungen vorzunehmen und ° nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts ° die Formel der Arzneispezialität gegenüber der von MMD in den Vereinigten Staaten hergestellten zu ändern. Unter diesen Umständen wurde Smith & Nephew die Verkehrsgenehmigung erst im Januar 1991 erteilt.

10 Am 8. Oktober 1992 stellte Primecrown nach dem Verfahren PL (PI) einen Antrag auf Genehmigung der Paralleleinfuhr einer Variante von Ditropan, die in Frankreich von der Firma Laboratoires Debat vertrieben wurde. Dieser Antrag wurde von der MCA mit der Begründung abgelehnt, daß zwischen Smith & Nephew und Debat keine Verbindung bestehe. Primecrown stellte daraufhin am 22. Februar 1993 bei der MCA einen neuen Antrag nach dem Verfahren PL (PI) auf Genehmigung der Einfuhr und des Vertriebs des in Belgien von Marion Merrell Dow Belgium (im folgenden: MMD Belgium) aufgrund einer belgischen Verkehrsgenehmigung vertriebenen Ditropan im Vereinigten Königreich.

11 Mit Schreiben vom 28. Juni 1993 gab MMD an, sie könne nicht garantieren, daß für das in Belgien hergestellte Ditropan die gleichen Hilfsstoffe verwendet würden wie für das im Vereinigten Königreich hergestellte Ditropan.

12 In einem am 8. Juli 1993 unterzeichneten Schriftstück gelangte der von der MCA beauftragte Arzneimittelsachverständige jedoch zu dem Ergebnis, daß das belgische Ditropan die gleiche Zusammensetzung wie das Ditropan von Smith & Nephew habe.

13 Am 24. August 1993 erteilte die MCA die von Primecrown beantragte Genehmigung, wobei sie fälschlich annahm, daß die für die Anwendung des Verfahrens PL (PI) erforderliche Verbindung zwischen Smith & Nephew und MMD Belgium bestehe. Nach ihrer Ansicht stellte sich in dieser Sache gegenwärtig kein Problem für die öffentliche Gesundheit.

14 Mit Schreiben vom 7. September 1993 an die MCA führte MMD aus, sie kenne und kontrolliere zwar die Spezifikationen des in Belgien hergestellten Ditropans, nicht aber die Spezifikationen des im Vereinigten Königreich hergestellten Ditropans. Smith & Nephew stelle eine andere juristische Person im Rahmen der Unternehmensgruppe MMD dar, und MMD habe diesem Unternehmen nur den Inhaltsstoff Oxybutyninhydrochlorid geliefert. Sie könne daher nicht bestätigen, daß die Spezifikationen des in Belgien hergestellten Ditropans mit denjenigen des im Vereinigten Königreich hergestellten Ditropans übereinstimmten.

15 Nachdem die MCA auf diese Weise Kenntnis davon erlangt hatte, daß zwischen Smith & Nephew und MMD Belgium, der Inhaberin der Verkehrsgenehmigung für Ditropan in Belgien, keine Verbindung im Sinne des Verfahrens PL (PI) bestand, widerrief sie die Primecrown erteilte Genehmigung.

16 Am 26. Januar 1994 ließ der High Court die Klage von Smith & Nephew auf Aufhebung der Entscheidung der MCA vom 24. August 1993, Primecrown die Genehmigung für die Einfuhr des belgischen Ditropans in das Vereinigte Königreich zu erteilen, zu. Primecrown beantragte im Verfahren vor dem High Court gemäß Section 107 (2) des Medicines Act 1968 die Aufhebung der Entscheidung der MCA über den Widerruf der Genehmigung.

17 Unter diesen Umständen wurde das vorlegende Gericht mit diesen beiden Rechtsstreitigkeiten befasst. Es ist der Ansicht, daß seine Entscheidung von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt, und hat daher dem Gerichtshof folgende vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann ein Unternehmen, dem gemäß den in der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vorgesehenen Verfahren eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Marken-Arzneimittels (Erzeugnis X) erteilt worden ist, unter Berufung auf diese Richtlinie, insbesondere auf ihren Artikel 5, vor einem nationalen Gericht die Gültigkeit einer Genehmigung für das Inverkehrbringen (mit dem Ziel ihrer Aufhebung) anfechten, die einem Wettbewerber im Hinblick auf eine Arzneispezialität mit derselben Bezeichnung (Erzeugnis Y) erteilt worden ist?

2. Darf die genehmigende Behörde eines Mitgliedstaats A eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses Y, das aus einem Mitgliedstaat B eingeführt werden soll, erteilen, wenn das Erzeugnis Y nicht von oder unter der Aufsicht der Person, die Inhaberin der Genehmigung für das Inverkehrbringen im Mitgliedstaat A ist, oder eines Mitglieds derselben Firmengruppe hergestellt wird?

3. Wenn die Frage 2 bejaht wird,

a) welche Voraussetzungen müssen erfuellt sein, damit der Mitgliedstaat A berechtigt ist, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses Y zu erteilen, insbesondere

b) über welche Daten sollte der Mitgliedstaat A bezueglich des Erzeugnisses Y verfügen, bevor die genehmigende Behörde eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses Y erteilt?

c) Inwieweit darf sich die genehmigende Behörde auf Daten, die vom Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses X beigebracht wurden, verlassen, wenn die in Artikel 4 Nummer 8 der Richtlinie 65/65 (in der geänderten Fassung) festgelegten Datenausschlußfristen noch nicht abgelaufen sind?

d) Darf die genehmigende Behörde eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses Y, das eingeführt werden soll, erteilen, wenn sie die tatsächlichen Herstellungsverfahren des Erzeugnisses X nicht mit denen des Erzeugnisses Y verglichen hat?

4. Spielt es für die Beantwortung der Fragen 2 und 3 eine Rolle, daß der Inhaber der Produktlizenz für das Erzeugnis X im Mitgliedstaat A und der Inhaber der Produktlizenz für das Erzeugnis Y im Mitgliedstaat B Lizenznehmer desselben ausserhalb der Europäischen Gemeinschaft ansässigen kaufmännischen Lizenzgebers sind?

Zur zweiten und dritten Frage

18 Mit der zweiten und der dritten Frage, die zweckmässigerweise zuerst zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, unter welchen Voraussetzungen die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats eine Verkehrsgenehmigung für eine Arzneispezialität, die aus einem zweiten Mitgliedstaat, wo für sie eine Verkehrsgenehmigung erteilt worden ist, eingeführt werden soll, erteilen darf, wenn die zuständige Behörde des Einfuhrmitgliedstaats bereits eine Verkehrsgenehmigung für eine andere Arzneispezialität erteilt hat und die beiden Spezialitäten aufgrund eines Vertrages mit ein und demselben Lizenzgeber von voneinander unabhängigen Personen hergestellt worden sind.

19 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß mit der Richtlinie 65/65 nach ihrer ersten und zweiten Begründungserwägung im wesentlichen bezweckt ist, zu gewährleisten, daß beim Inverkehrbringen einer Arzneispezialität der Schutz der öffentlichen Gesundheit mit Mitteln erreicht wird, die die Entwicklung der pharmazeutischen Industrie und den Handel mit pharmazeutischen Erzeugnissen innerhalb der Gemeinschaft nicht hemmen können. Zu diesem Zweck verlangt die Richtlinie für die Erteilung einer Verkehrsgenehmigung die Vorlage einer Reihe von genauen und detaillierten Angaben, Dokumenten, selbst wenn für die betreffende Arzneispezialität schon von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats eine Verkehrsgenehmigung erteilt worden ist.

20 Jedoch ist der Zweck des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, wie er mit der Richtlinie 65/65 verfolgt wird, mit einer solchen Strenge nur bei Arzneispezialitäten gerechtfertigt, die erstmals auf einen Markt gebracht werden.

21 Daher können die Bestimmungen der Richtlinie 65/65, die das Verfahren der Erteilung einer Verkehrsgenehmigung betreffen, keine Anwendung auf eine Arzneispezialität finden, für die eine Verkehrsgenehmigung in einem Mitgliedstaat erteilt worden ist und deren Einfuhr aus einem anderen Mitgliedstaat im Verhältnis zu einer Arzneispezialität, für die bereits eine Verkehrsgenehmigung in diesem zweiten Mitgliedstaat erteilt worden ist, eine Paralleleinfuhr darstellt. In einem solchen Fall kann nämlich die eingeführte Arzneispezialität nicht als erstmals im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht angesehen werden.

22 In diesem Sinn hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 20. Mai 1976 in der Rechtssache 104/75 (De Peijper, Slg. 1976, 613, Randnrn. 21 und 36) entschieden, daß es, wenn die Gesundheitsbehörden des Einfuhrmitgliedstaats aufgrund einer früheren Einfuhr bereits über alle für die Untersuchung der Wirksamkeit und der Unschädlichkeit des Arzneimittels als unentbehrlich angesehenen pharmazeutischen Angaben verfügen, offensichtlich für den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen nicht notwendig ist, daß sie von einem zweiten Wirtschaftsteilnehmer, der ein in allen Punkten identisches oder ein in therapeutisch nicht relevanter Weise unterschiedliches Arzneimittel eingeführt hat, verlangen, ihnen nochmals die oben genannten Angaben zu unterbreiten.

23 In Randnummer 10 des Urteils De Peijper hat der Gerichtshof den Fall untersucht, daß sich eine nach einheitlichem Verfahren hergestellte Arzneispezialität mit einer feststehenden qualitativen und quantitativen Zusammensetzung in mehreren Mitgliedstaaten rechtmässig im Verkehr befand, da dem Hersteller oder demjenigen, der für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses in diesen Mitgliedstaaten jeweils verantwortlich war, die nach den Rechtsvorschriften dieser Staaten erforderlichen Genehmigungen erteilt waren. Diese Arzneispezialität stimmte in allen Punkten mit einer Arzneispezialität überein, für die den Gesundheitsbehörden des Einfuhrmitgliedstaats bereits die Unterlagen über das Herstellungsverfahren sowie die quantitative und qualitative Zusammensetzung vorlagen, weil ihnen diese Unterlagen bereits früher vom Hersteller oder dessen offiziellem Importeur zur Stützung eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen unterbreitet worden waren.

24 Im übrigen waren die Arzneispezialitäten, um die es in diesem Urteil ging, von derselben Unternehmensgruppe hergestellt worden und hatten daher einen gemeinsamen Ursprung.

25 Diese Rechtsprechung lässt sich auf einen Fall wie denjenigen des Ausgangsverfahrens übertragen, in dem voneinander unabhängige Unternehmen Arzneispezialitäten herstellen, die insofern einen gemeinsamen Ursprung haben, als sie aufgrund von Verträgen mit ein und demselben Lizenzgeber hergestellt werden. Andernfalls könnten solche Verträge nämlich zu einer Abschottung der nationalen Märkte der verschiedenen Mitgliedstaaten führen.

26 Allerdings muß die zuständige Behörde des Einfuhrmitgliedstaats prüfen, ob die beiden Arzneispezialitäten, wenn sie nicht in allen Punkten übereinstimmen, zumindest nach der gleichen Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt worden sind und ob sie überdies die gleichen therapeutischen Wirkungen haben.

27 Zu diesem Zweck verfügt die zuständige Behörde des Einfuhrmitgliedstaats, wie der Gerichtshof in Randnummer 26 des Urteils De Peijper ausgeführt hat, über legislative und administrative Mittel, mit denen der Hersteller, dessen offizieller Vertreter oder der Lizenzinhaber für die betreffende Arzneispezialität gezwungen werden können, die Angaben zu machen, über die sie verfügen und die die Behörde für notwendig hält. Die zuständige Behörde kann ferner auf die Unterlagen zurückgreifen, die im Rahmen des Antrags auf Verkehrsgenehmigung für die bereits zugelassene Arzneispezialität eingereicht worden sind.

28 Schließlich würde, wie der Gerichtshof bereits in Randnummer 27 des zitierten Urteils De Peijper festgestellt hat, bereits eine einfache Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten die Möglichkeit bieten, die notwendigen Kontrollunterlagen untereinander auszutauschen.

29 Stellt die zuständige Behörde des Einfuhrmitgliedstaats am Ende der Untersuchung fest, daß alle oben aufgeführten Kriterien erfuellt sind, so ist die Arzneispezialität, die eingeführt werden soll, als bereits im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht anzusehen; daher muß dann auch für sie die Verkehrsgenehmigung für die bereits im Verkehr befindliche Arzneispezialität gelten, soweit keine Erwägungen eines wirksamen Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen dem entgegenstehen.

30 Falls die zuständige Behörde zu dem Ergebnis gelangt, daß die Arzneispezialität, die eingeführt werden soll, nicht alle oben aufgeführten Kriterien erfuellt und daher nicht als bereits im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht betrachtet werden kann, darf sie die neue Verkehrsgenehmigung, die dann für das Inverkehrbringen der einzuführenden Spezialität erforderlich ist, nur unter den Voraussetzungen der Richtlinie 65/65 in der durch die Richtlinie 87/21 geänderten Fassung erteilen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das Ermessen der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats im Rahmen dieser Richtlinie sehr beschränkt ist. Es umfasst in keinem Fall die Möglichkeit, eine Verkehrsgenehmigung gemäß Artikel 3 der Richtlinie 65/65 zu erteilen, wenn nicht alle in Artikel 4 der Richtlinie aufgeführten Angaben gemacht und nicht alle dort genannten Versuche durchgeführt worden sind. Eine solche Verkehrsgenehmigung darf nur erteilt werden, wenn nachgewiesen ist, daß alle in Artikel 4 vorgesehenen Verpflichtungen erfuellt sind (Urteil vom 5. Oktober 1995 in der Rechtssache C-440/93, Scotia Pharmaceuticals, Slg. 1995, I-2851).

31 Daher würde es gegen die Richtlinie 65/65 in der durch die Richtlinie 87/21 geänderten Fassung verstossen, wenn eine zuständige Behörde bei der Bearbeitung eines Antrags auf eine Verkehrsgenehmigung, der in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt, die von einem unabhängigen Unternehmen gemachten Angaben ohne dessen Einverständnis zur Stützung eines Antrags auf eine Verkehrsgenehmigung für eine andere Arzneispezialität verwenden würde.

32 Nach allem muß die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, wenn sie zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Arzneispezialität, für die eine Verkehrsgenehmigung in einem anderen Mitgliedstaat erteilt worden ist, und eine Arzneispezialität, für die sie bereits eine Verkehrsgenehmigung erteilt hat, von voneinander unabhängigen Unternehmen aufgrund von Verträgen mit ein und demselben Lizenzgeber hergestellt werden und daß diese beiden Arzneispezialitäten, ohne in allen Punkten übereinzustimmen, zumindest nach der gleichen Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt worden sind und überdies die gleichen therapeutischen Wirkungen haben, die Verkehrsgenehmigung auch für die eingeführte Arzneispezialität gelten lassen, soweit dem keine Erwägungen eines wirksamen Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen entgegenstehen. Gelangt die zuständige Behörde dagegen zu dem Ergebnis, daß die Arzneispezialität, die eingeführt werden soll, die genannten Kriterien nicht erfuellt, ist eine neue Verkehrsgenehmigung erforderlich. Diese darf nur unter den Voraussetzungen der Artikel 3 und 4 der Richtlinie 65/65 in der durch die Richtlinie 87/21 geänderten Fassung erteilt werden.

Zur vierten Frage

33 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es einen Einfluß auf die zuvor gegebene Antwort hat, daß die Herstellungslizenzen für die Arzneispezialitäten im vorliegenden Fall von derselben ausserhalb der Europäischen Gemeinschaft ansässigen juristischen Person erteilt worden sind.

34 Im Lichte der Antwort auf die zweite und die dritte Frage genügt die Feststellung, daß es keinen Einfluß auf die zuvor gegebene Antwort hat, daß der Lizenzgeber für die beiden in Rede stehenden Arzneispezialitäten ausserhalb der Europäischen Gemeinschaften ansässig ist.

Zur ersten Frage

35 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob sich der Inhaber der nach dem gewöhnlichen Verfahren der Richtlinie 65/65 erteilten ursprünglichen Genehmigung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht, in dem er die Gültigkeit einer Genehmigung anficht, die eine zuständige Behörde einem seiner Wettbewerber für eine Marken-Arzneispezialität mit der gleichen Bezeichnung erteilt hat, auf die Richtlinie und insbesondere auf deren Artikel 5 berufen kann.

36 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 26. Januar 1984 in der Rechtssache 301/82 (Clin-Midy/Belgien, Slg. 1984, 251, Randnr. 4) entschieden hat, sind die Vorschriften der Richtlinie 65/65, die die Voraussetzungen für die Erteilung, die Aussetzung und den Widerruf der Verkehrsgenehmigungs-Regeln, und insbesondere Artikel 21 der Richtlinie unbedingt und so genau, so daß die betroffenen Personen sich vor einem nationalen Gericht gegenüber jeder nicht mit der Richtlinie in Einklang stehenden nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschrift auf sie berufen können.

37 Zwar wird Artikel 5 der Richtlinie 65/65 in dem erwähnten Urteil Clin-Midy/Belgien nicht besonders erwähnt, er ist aber unbedingt und so genau, daß er vor einem nationalen Gericht zum Zweck der Anfechtung einer von einer zuständigen Behörde erteilten Verkehrsgenehmigung in Anspruch genommen werden kann.

38 Die Bestimmungen der Richtlinie 65/65 in der durch die Richtlinie 87/21 geänderten Fassung können jedoch nur für die Anfechtung der Gültigkeit einer Genehmigung in Anspruch genommen werden, die auf der Grundlage dieser Richtlinie erteilt worden ist.

39 Daher ist in dem Sinn zu antworten, daß sich der Inhaber einer nach dem Verfahren der Richtlinie 65/65 erteilten ursprünglichen Verkehrsgenehmigung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht auf die Bestimmungen dieser Richtlinie in der u. a. durch die Richtlinie 87/21 geänderten Fassung und insbesondere auf deren Artikel 5 berufen kann, um die Gültigkeit einer Genehmigung anzufechten, die die zuständige Behörde auf der Grundlage der Richtlinie 65/65 in der geänderten Fassung einem seiner Wettbewerber für eine Marken-Arzneispezialität mit der gleichen Bezeichnung erteilt hat. Das gleiche gilt für eine Genehmigung, die zwar im Rahmen eines anderen auf nationaler Ebene geregelten Verfahrens erteilt worden ist, jedoch auf der Grundlage der Richtlinie hätte erteilt werden müssen.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der deutschen, der französischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom High Court of Justice, Queen' s Bench Division, mit Beschluß vom 4. Mai 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. a) Gelangt die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats zu dem Ergebnis, daß eine Arzneispezialität, für die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen in einem anderen Mitgliedstaat erteilt worden ist, und eine Arzneispezialität, für die sie bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat, von voneinander unabhängigen Unternehmen aufgrund von Verträgen mit ein und demselben Lizenzgeber hergestellt werden und daß diese beiden Arzneispezialitäten, ohne in allen Punkten übereinzustimmen, zumindest nach der gleichen Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt worden sind und überdies die gleichen therapeutischen Wirkungen haben, so muß sie diese Genehmigung auch für die eingeführte Arzneispezialität gelten lassen, soweit dem keine Erwägungen eines wirksamen Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen entgegenstehen.

b) Gelangt die zuständige Behörde dagegen zu dem Ergebnis, daß die Arzneispezialität, die eingeführt werden soll, die genannten Kriterien nicht erfuellt, ist eine neue Genehmigung für das Inverkehrbringen erforderlich. Diese darf nur unter den Voraussetzungen der Artikel 3 und 4 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten in der u. a. durch die Richtlinie 87/21/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 geänderten Fassung und über die Pflichten im Zusammenhang mit der Genehmigung für Arzneispezialitäten erteilt werden.

2. Es hat keinen Einfluß auf die zuvor gegebene Antwort, daß der Lizenzgeber für die beiden in Rede stehenden Arzneispezialitäten ausserhalb der Europäischen Gemeinschaften ansässig ist.

3. Der Inhaber einer nach dem Verfahren der Richtlinie 65/65 erteilten ursprünglichen Genehmigung für das Inverkehrbringen kann sich in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht auf die Bestimmungen dieser Richtlinie in der u. a. durch die Richtlinie 87/21 geänderten Fassung und insbesondere auf deren Artikel 5 berufen, um die Gültigkeit einer Genehmigung anzufechten, die die zuständige Behörde auf der Grundlage dieser Richtlinie einem seiner Wettbewerber für eine Marken-Arzneispezialität mit der gleichen Bezeichnung erteilt hat. Das gleiche gilt für eine Genehmigung, die zwar im Rahmen eines anderen auf nationaler Ebene geregelten Verfahrens erteilt worden ist, jedoch auf der Grundlage der Richtlinie hätte erteilt werden müssen.

Ende der Entscheidung

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