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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.02.1992
Aktenzeichen: C-203/90
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 2772/75/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 2772/75/EWG Art. 21
VO Nr. 2772/75/EWG Art. 16
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 21 der Verordnung Nr. 2772/75 über Vermarktungsnormen für Eier verbot das Anbringen von Verkaufsaussagen auf Grosspackungen für Eier.

Diese Verordnung ist jedoch durch eine neue Regelung ersetzt worden. Wie sich aus den Verordnungen Nr. 1907/90 und 1274/91 ergibt, verbietet es diese neue Regelung, auf Verpackungen werbewirksame Angaben über die Frische der Eier anzubringen, sofern die Eier nicht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht mit dem Legedatum versehen sind. Nur wenn der Verbraucher über einen verläßlichen Anknüpfungspunkt verfügt - den ihm gerade dieses Legedatum bieten kann - wird er sich aufgrund einer solchen werbewirksamen Angabe keine falsche Vorstellung von der tatsächlichen Frische der Eier machen. Im übrigen ist es Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob die werbewirksame Angabe so gestaltet ist, daß sie zu einer Verwechslungsgefahr mit einer Angabe führt, die das Gemeinschaftsrecht einer Güteklasse vorbehält; auch in diesem Fall wäre sie verboten.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 25. FEBRUAR 1992. - ERZEUGERGEMEINSCHAFT GUTSHOF-EI GMBH GEGEN STADT BUEHL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WUERTTEMBERG - DEUTSCHLAND. - VERMARKTUNGSNORMEN FUER EIER - GROSSPACKUNGEN - WERBEWIRKSAME ANGABEN. - RECHTSSACHE C-203/90.

Entscheidungsgründe:

1 Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluß vom 20. Juni 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juli 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 21 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über Vermarktungsnormen für Eier (ABl. L 282, S. 56) in der zuletzt durch die Verordnung (EWG) Nr. 3494/86 des Rates vom 13. November 1986 (ABl. L 323, S. 1) geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Erzeugergemeinschaft Gutshof-Ei GmbH (Klägerin) und dem Ordnungs- und Sozialamt der Stadt Bühl (Beklagte) über die Anbringung bestimmter Werbeangaben auf den von der Klägerin vermarkteten Eierpackungen.

3 Die Klägerin transportiert die Eier von ihrer Packstelle zu den Geschäften in Kartons mit ca. 24 Packungen zu je zehn Eiern. Diese Kartons tragen mehrere Aufschriften: an ihren Längsseiten "Legefrische... die Sie schmecken", und an den Breitseiten "Legefrisch".

4 Unter Berufung auf einen Ministerialerlaß des Landes Baden-Württemberg vom 25. Oktober 1982 (EM Nr. 84-1230/SM Nr. VI/6-8755.1) drohte die Beklagte der Klägerin eine Untersagungsverfügung an, wenn sie auf ihren Kartons weiterhin die Angabe "Legefrisch" anbringe. Die Klägerin erhob danach vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage und beantragte festzustellen, daß sie berechtigt sei, diese Aufschriften auf ihren Packungen zu verwenden. Zur Begründung der Klage berief sie sich darauf, daß der Erlaß mit der Verordnung Nr. 2772/75 unvereinbar sei.

5 Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin legte daraufhin beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Berufung ein. Dieser hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1) Ist Artikel 21 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über Vermarktungsnormen für Eier dahin auszulegen, daß auch Grosspackungen für Eier Verkaufsaussagen enthalten dürfen?

2) Für den Fall, daß Frage Nr. 1 zu bejahen ist: Können auch objektiv wahre Angaben irreführend im Sinne des Artikels 21 Satz 2 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 sein, wenn der Verbraucher mit ihnen unrichtige Vorstellungen verbindet?

3) Für den Fall, daß auch Frage Nr. 2 zu bejahen ist: Verbietet Artikel 21 Satz 2 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 Verkaufsaussagen auf Eier-Grosspackungen, die an die Frische der Eier anknüpfen?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

7 Vorab ist festzustellen, daß nach Artikel 16 der Verordnung Nr. 2772/75 jede Packung mit mehr als dreissig Eiern für die Zwecke der Verordnung als Grosspackung bezeichnet wird, während Packungen mit dreissig oder weniger Eiern als Kleinpackungen gelten.

8 Artikel 21 der Verordnung Nr. 2772/75 bestimmt: "Die Verpackungen dürfen nur mit den in dieser Verordnung vorgesehenen Angaben versehen werden." Artikel 17 der Verordnung, der eine Liste von Muß- und Kann-Angaben auf Grosspackungen enthält, lässt Werbeangaben unerwähnt. Folglich sind Verkaufsaussagen nach dem Wortlaut der Verordnung Nr. 2772/75 auf Grosspackungen verboten.

9 Der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1831/84 des Rates vom 19. Juni 1984 (ABl. L 172, S. 2) eingefügte Artikel 21 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2772/75 sieht jedoch vor, daß auf Kleinpackungen angegeben werden können: "Verkaufsaussagen, sofern sie und die Art und Weise, in der sie erfolgen, nicht geeignet sind, den Käufer irrezuführen". Nach Ansicht der Klägerin gibt es keinen sachlichen Grund dafür, Werbeangaben nur auf Kleinpackungen zuzulassen; das Verbot von Angaben auf Grosspackungen beruhe daher auf einem Versehen bei der Redaktion der geänderten Fassung der Verordnung Nr. 2772/75. Dieses Ergebnis werde durch die Änderung der fraglichen Regelung bestätigt, die durch die Verordnung (EWG) Nr. 1907/90 des Rates vom 26. Juni 1990 über bestimmte Vermarktungsnormen für Eier (ABl. L 173, S. 5) erfolgt sei. Gemäß Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe e der Verordnung Nr. 1907/90, die die Verordnung Nr. 2772/75 mit Wirkung vom 1. Oktober 1990 ersetzt habe, dürften sowohl Groß- als auch Kleinpackungen mit werbewirksamen Angaben versehen werden.

10 Diesem Argument kann nicht gefolgt werden. Artikel 21 Absatz 2 wurde im Interesse einer besseren Information der Verbraucher in die Verordnung Nr. 2772/75 eingefügt (siehe vierte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1831/84) und sieht die Möglichkeit vor, auf Kleinpackungen ausser den Werbeangaben mehrere zusätzliche Angaben anzubringen, insbesondere den Betriebsführungscode des Einzelhandels oder den Lagerhaltungskontrollcode. Der Rat hat die Verordnung Nr. 2772/75 am 28. November 1984, also weniger als sechs Monate nach Erlaß der Verordnung Nr. 1831/84, erneut geändert, und zwar durch die Verordnung (EWG) Nr. 3341/84 (ABl. L 312, S. 7). Diese Verordnung sieht in ihrem Artikel 1 eine Ergänzung zu Artikel 17 der Verordnung Nr. 2772/75 vor, die auf Grosspackungen die Angabe des Betriebsführungscodes des Handels oder des Lagerhaltungskontrollcodes gestattet. Die Verordnung Nr. 3341/84 enthält jedoch keine Bestimmung, die die Anbringung von Werbeangaben auf Grosspackungen erlaubte. Unter diesen Umständen ist die Annahme eines Redaktionsversehens nicht möglich.

11 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 21 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 das Anbringen von Verkaufsaussagen auf Grosspackungen für Eier verbietet.

Zur zweiten und zur dritten Frage

12 Das vorlegende Gericht wünscht eine Antwort auf die zweite und die dritte Frage nur für den Fall, daß die erste Frage zu bejahen ist. Nach Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe e der Verordnung Nr. 1907/90 dürfen jedoch auch auf Eier-Grosspackungen werbewirksame Angaben gemacht werden, sofern die Angaben nicht geeignet sind, den Käufer irrezuführen. Diese Verordnung trat erst am 1. Oktober 1990, also nach Erlaß des Vorlagebeschlusses, in Kraft. In der Sitzung ist vorgetragen worden, daß das vorlegende Gericht nach deutschem Prozeßrecht seine Entscheidung nach den Bestimmungen zu fällen habe, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Rechtssache in Kraft sind. Daher sind die zweite und die dritte Frage auf der Grundlage der neuen, in der Verordnung Nr. 1907/90 enthaltenen Vermarktungsnormen für Eier zu beantworten.

13 Das vorlegende Gericht will mit seiner zweiten und seiner dritten Frage wissen, ob die Gemeinschaftsverordnung Verkaufsaussagen verbietet, die sich auf die Frische der Eier beziehen und die zwar objektiv wahr sind, für den Käufer aber dennoch irreführend sein können.

14 Zunächst ist festzustellen, daß eine Werbeangabe über die Frische der Eier beim Verbraucher falsche Vorstellungen hervorrufen kann, wenn dieser nicht über einen verläßlichen Anknüpfungspunkt verfügt, aufgrund dessen er die Richtigkeit einer solchen Information nachprüfen kann. Wenn der Verbraucher dagegen über einen Hinweis wie das Legedatum verfügt, der es ihm ermöglicht, sich ein eigenes Urteil über die Frische der Eier zu bilden, so besteht die Gefahr einer Irreführung des Verbrauchers durch die fragliche Angabe nicht.

15 Unter der Geltung der Verordnung Nr. 2772/75 waren unmittelbare oder mittelbare Hinweise auf das Legedatum verboten (siehe insoweit Urteil vom 15. Januar 1991 in der Rechtssache C-372/89, Gold-Ei, Slg. 1991, I-43). Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1907/90 sieht dagegen vor, daß sowohl auf Groß- als auch auf Kleinpackungen eine oder mehrere andere Angaben als das Verpackungsdatum gemacht werden dürfen, um dem Verbraucher weitere Informationen zu geben. Gemäß Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1907/90 dürfen diese weiteren Angaben jedoch nur entsprechend den von der Kommission zu erlassenden Durchführungsbestimmungen verwendet werden.

16 Die Durchführungsbestimmungen über die Anbringung des Legedatums sind in den Artikeln 15 und 16 der Verordnung (EWG) Nr. 1274/91 der Kommission vom 15. Mai 1991 mit Durchführungsvorschriften für die Verordnung Nr. 1907/90 (ABl. L 121, S. 11) enthalten. Zur Verhinderung von Betrugshandlungen schreiben diese Bestimmungen für Eier, auf die das Legedatum aufgestempelt werden soll, die tägliche Sammlung und unverzuegliche Sortierung und Kennzeichnung sowie besonders strenge Eintragungs-, Buchführungs- und Überwachungsverfahren vor (siehe vierzehnte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1274/91).

17 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß auch objektiv richtige Werbeangaben über die Frische der Eier den Käufer irreführen können, sofern die fraglichen Eier nicht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht mit dem Legedatum versehen sind.

18 Sodann ist zu prüfen, ob die Gefahr der Verwechslung von Werbeangaben, die sich auf die Frische der Eier beziehen, mit verwandten Begriffen besteht, die das Gemeinschaftsrecht einer bestimmten Güteklasse vorbehält. Insoweit hat die Kommission geltend gemacht, daß nach Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1907/90 Eier der Güteklasse A mit dem Begriff "Frisch" in Verbindung mit der Angabe der Güteklasse gekennzeichnet werden könnten, und daß nach Artikel 12 der Verordnung Nr. 1907/90 bei Kleinpackungen, die Eier der Klasse A enthielten, bis zum siebten Tag nach dem Verpacken das Wort "Extra" verwendet werden dürfe. Nach Ansicht der Kommission besteht also eine erhebliche Gefahr, daß beim Verbraucher der Eindruck erweckt wird, die Verwendung von Angaben zur Frische der Eier, wie "Legefrisch", sei von ähnlichen Voraussetzungen abhängig, wie sie das Gemeinschaftsrecht für die Verwendung der Angabe "Extrafrisch" vorschreibe.

19 Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob eine werbewirksame Angabe so gestaltet ist, daß aus der Sicht des Verbrauchers jede Verwechslungsgefahr mit einer gesetzlichen Güteklasse, die auf der Eigenart dieser Gestaltung beruhen könnte, vernünftigerweise ausgeschlossen ist.

20 Auf die zweite und dritte Frage des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg ist daher zu antworten, daß die derzeit geltende gemeinschaftliche Regelung es verbietet, auf Verpackungen werbewirksame Angaben über die Frische der Eier anzubringen, sofern die Eier nicht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht mit dem Legedatum versehen sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob die werbewirksame Angabe so gestaltet ist, daß sie zu einer Verwechslungsgefahr mit einer Angabe führt, die das Gemeinschaftsrecht einer Güteklasse vorbehält.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluß vom 20. Juni 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 21 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über Vermarktungsnormen für Eier verbietet das Anbringen von Verkaufsaussagen auf Grosspackungen für Eier.

2) Die derzeit geltende gemeinschaftliche Regelung verbietet es, auf Verpackungen werbewirksame Angaben über die Frische der Eier anzubringen, sofern die Eier nicht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht mit dem Legedatum versehen sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob die werbewirksame Angabe so gestaltet ist, daß sie zu einer Verwechslungsgefahr mit einer Angabe führt, die das Gemeinschaftsrecht einer Güteklasse vorbehält.

Ende der Entscheidung

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