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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.06.1998
Aktenzeichen: C-203/96
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Richtlinie 75/442/EWG, Verordnung (EWG) Nr. 259/93


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 34
EG-Vertrag Art. 86
EG-Vertrag Art. 90
EG-Vertrag Art. 130s
EG-Vertrag Art. 130t
Richtlinie 75/442/EWG
Verordnung (EWG) Nr. 259/93
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Die Richtlinie 75/442 über Abfälle in der Fassung der Richtlinie 91/156 und die Verordnung Nr. 259/93 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft können nicht dahin ausgelegt werden, daß die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen anwendbar sind. Dies ergibt sich aus den Bestimmungen der Richtlinie und der Verordnung sowie den vorbereitenden Texten. Ausserdem kommt in der unterschiedlichen Behandlung der zur Verwertung und der zur Beseitigung bestimmten Abfälle die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Ausdruck, die Verwertung von Abfällen in der gesamten Gemeinschaft - insbesondere durch die Entwicklung möglichst hochwertiger Techniken - zu stimulieren; dies bedeutet, daß ein freier Verkehr derartiger Abfälle zwischen den Mitgliedstaaten zum Zweck ihrer Verwertung möglich sein muß, so daß die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe keine Anwendung finden.

Artikel 130t des Vertrages, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, stärkere als die aufgrund des Artikels 130s getroffenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, sofern sie mit dem Vertrag vereinbar sind, gestattet es den Mitgliedstaaten nicht, die genannten Grundsätze auf zur Verwertung bestimmte Abfälle zu erstrecken, wenn sich diese Grundsätze als Ausfuhrbeschränkung erweisen, die weder durch eine zwingende Maßnahme des Umweltschutzes noch durch eine der in Artikel 36 des Vertrages vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt ist.

4 Eine Regelung wie der niederländische Mehrjahresplan zur Beseitigung gefährlicher Abfälle vom Juni 1993, durch die ein Mitgliedstaat die Unternehmen verpflichtet, ihre zur Verwertung bestimmten Abfälle wie Ölfilter - sofern deren Verwertung in einem anderen Mitgliedstaat nicht hochwertiger ist als die Verwertung durch ein inländisches Unternehmen, dem der Mitgliedstaat das ausschließliche Recht eingeräumt hat, gefährliche Abfälle zu verbrennen - diesem inländischen Unternehmen zu überlassen, verstösst gegen Artikel 90 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 86, wenn sie - ohne objektiven Grund und ohne daß es zur Erfuellung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich wäre - eine Begünstigung des inländischen Unternehmens und den Ausbau seiner beherrschenden Stellung zur Folge hat.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 25. Juni 1998. - Chemische Afvalstoffen Dusseldorp BV u. a. gegen Minister van Volkshuisvesting, Ruimtelijke Ordening en Milieubeheer. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Raad van State - Niederlande. - Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen - Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe. - Rechtssache C-203/96.

Entscheidungsgründe:

1 Der niederländische Raad van State hat mit Urteil vom 23. April 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juni 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 34, 86, 90 und 130t EG-Vertrag, der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 47) in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 (ABl. L 78, S. 32; im folgenden: Richtlinie) und der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 30, S. 1, berichtigt im ABl. 1995, L 18, S. 38; im folgenden: Verordnung) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Chemische Afvalstoffen Dusseldorp BV (im folgenden: Firma Dusseldorp), der Factron Technik GmbH (im folgenden: Firma Factron) und der Dusseldorp Lichtenvoorde BV (im folgenden: Firma Dusseldorp Lichtenvoorde) einerseits und dem Minister van Volkshuisvesting, Ruimtelijke Ordening en Milieubeheer (niederländischer Minister für Wohnungswesen, Raumordnung und Umweltfragen; im folgenden: Minister) andererseits wegen der Ausfuhr zur Verwertung bestimmter Abfälle nach Deutschland.

Die Gemeinschaftsregelung

Die Richtlinie

3 In Artikel 1 der Richtlinie werden die Verfahren zur Beseitigung von Abfällen und die Verfahren zur Verwertung von Abfällen definiert, wobei auf die Anhänge II A und II B verwiesen wird, die eine genaue Liste der jeweiligen Verfahren enthalten.

4 In den Artikeln 3, 4 und 5 der Richtlinie werden folgende Ziele festgelegt: zunächst die Verhütung, die Verringerung, die Verwertung und die Nutzung von Abfällen, dann der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt beim Umgang sowohl mit den zur Beseitigung als auch mit den zur Verwertung bestimmten Abfällen und schließlich die Errichtung eines integrierten Netzes von Abfallbeseitigungsanlagen auf Gemeinschaftsebene und, wenn möglich, auf nationaler Ebene.

5 Artikel 5 der Richtlinie lautet daher:

"(1) Die Mitgliedstaaten treffen - in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten, wenn sich dies als notwendig oder zweckmässig erweist - Maßnahmen, um ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen zu errichten, die den derzeit modernsten, keine übermässig hohen Kosten verursachenden Technologien Rechnung tragen. Dieses Netz muß es der Gemeinschaft insgesamt erlauben, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen, diese Autarkie anzustreben, wobei die geographischen Gegebenheiten oder der Bedarf an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigt werden.

(2) Dieses Netz muß es darüber hinaus gestatten, daß die Abfälle in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Entsorgungsanlagen unter Einsatz von Methoden und Technologien beseitigt werden, die am geeignetsten sind, um ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten."

6 Durch Artikel 7 der Richtlinie werden die Mitgliedstaaten sodann verpflichtet, zur Umsetzung der Ziele der Artikel 3, 4 und 5 Abfallbewirtschaftungspläne zu erstellen, und es wird ihnen gestattet, Maßnahmen zu ergreifen, um das Verbringen von Abfällen zu unterbinden, das diesen Plänen nicht entspricht.

Die Verordnung

7 Die Verordnung betrifft u. a. die Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten.

8 Titel II der Verordnung, der mit "Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten" überschrieben ist, enthält zwei gesonderte Abschnitte, von denen der eine (Abschnitt A) das Verfahren bei der Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen und der andere (Abschnitt B) das Verfahren bei der Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen behandelt. Das für die zweite Kategorie von Abfällen vorgesehene Verfahren ist weniger streng als das für die erste Kategorie geltende.

9 Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i, der zu dem die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen betreffenden Abschnitt A gehört, lautet:

"Um das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene gemäß der Richtlinie 75/442/EWG zur Anwendung zu bringen, können die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Vertrag Maßnahmen ergreifen, um die Verbringung von Abfällen allgemein oder teilweise zu verbieten oder um gegen jede Verbringung Einwand zu erheben. Diese Maßnahmen werden unverzueglich der Kommission mitgeteilt, die die anderen Mitgliedstaaten unterrichtet."

10 In dem die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen betreffenden Abschnitt B werden die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe dagegen nicht erwähnt.

11 In dem zu Abschnitt B gehörenden Artikel 7 heisst es in Absatz 2 und in Absatz 4 Buchstabe a:

"(2) Die zuständige[n] Behörde[n] am Bestimmungsort und am Versandort und die für die Durchfuhr zuständige Behörde können innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach der Absendung der Empfangsbestätigung Einwände gegen die Verbringung erheben. Derartige Einwände sind auf Absatz 4 zu stützen. Einwände sind der notifizierenden Person und den übrigen betroffenen zuständigen Behörden innerhalb der 30tägigen Frist schriftlich mitzuteilen.

...

(4) a) Die zuständigen Behörden am Versandort und am Bestimmungsort können gegen die geplante Verbringung mit Gründen zu versehende Einwände erheben, und zwar

- gemäß der Richtlinie 75/442/EWG, insbesondere... Artikel 7; oder

- wenn die Verbringung nicht gemäß den einzelstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zum Schutz der Umwelt, zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit erfolgt..."

Die nationale Regelung

12 Der niederländische Mehrjahresplan zur Beseitigung gefährlicher Abfälle vom Juni 1993 (im folgenden: Mehrjahresplan) sieht in Paragraph 6.5 folgendes vor:

"Ist im Ausland eine hochwertigere Verwertungstechnik vorhanden und/oder reicht die in den Niederlanden vorhandene Kapazität nicht aus, um bestimmte Abfälle zu verwerten, so wird die Ausfuhr genehmigt, es sei denn, daß dies die Verwirklichung einer zumindest gleichwertigen Beseitigung in den Niederlanden beeinträchtigt. Dann ist bis zu deren Verwirklichung eine Lagerung vorzunehmen."

13 In Abschnittsplan 19 von Teil II des Mehrjahresplans heisst es in bezug auf Ölfilter, daß Ausfuhren nicht genehmigt werden, wenn im Ausland keine hochwertigere Verwertung dieser Filter erfolgt als in den Niederlanden.

14 In Abschnittsplan 10 von Teil II des Mehrjahresplans, der zu verbrennende Abfälle betrifft, wird aus dem Grundsatz der Entsorgungsautarkie abgeleitet, daß die Ausfuhr zu verbrennender gefährlicher Abfälle u. a. deshalb soweit wie möglich einzuschränken ist, weil in anderen Ländern für die Verbrennung weniger strenge Emissionsvorschriften gelten als in den Niederlanden.

15 Das Bestreben, zu einer möglichst hochwertigen Beseitigungsweise zu gelangen, wird in diesem Abschnittsplan dadurch weiter konkretisiert, daß der AVR Chemie CV (im folgenden: AVR Chemie) eine "Abfallmanagementfunktion" übertragen wird. Die AVR Chemie wird dabei zum einzigen Endverarbeiter für die Verbrennung gefährlicher Abfälle in einem hochwertigen Drehtrommelofen bestimmt. Abfälle, die in einem solchen Ofen verbrannt werden müssen, dürfen allein durch die AVR Chemie ausgeführt werden; um zu verhindern, daß es zu unerwünschten Preissteigerungen kommt, ist die Genehmigung für die AVR Chemie an bestimmte Bedingungen geknüpft.

16 Die AVR Chemie ist eine Kommanditgesellschaft, deren Gesellschafter der niederländische Staat, die Gemeinde Rotterdam und acht Industrieunternehmen, darunter die Akzo Nobel Nederland, sind. Der niederländische Staat und die Gemeinde Rotterdam halten zusammen 55 % der Anteile an der AVR Chemie.

17 Der Leiter der Abteilung Abfälle des Umweltministeriums ist zugleich der Vertreter des niederländischen Staates im Aufsichtsrat der AVR Chemie. Durch diese Abteilung wird die niederländische Exportpolitik bei Abfällen festgelegt, und sie entscheidet konkret darüber, ob eine Ausfuhr genehmigt oder untersagt wird.

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

18 Die Firma Dusseldorp beantragte 1994 die Genehmigung für die Ausfuhr von zwei Partien Ölfiltern und verwandten Abfällen im Umfang von 2 000 Tonnen und von 60 Tonnen nach Deutschland zur Verwertung durch die Firma Factron.

19 Durch zwei Beschlüsse vom 22. August 1994 erhob der Minister gemäß dem Mehrjahresplan in Verbindung mit Artikel 7 Absätze 2 und 4 Buchstabe a der Verordnung Einwände gegen diese Ausfuhr.

20 Am 13. September 1994 legten die Firmen Dusseldorp, Factron und Dusseldorp Lichtenvoorde gegen diese beiden Beschlüsse Beschwerde ein.

21 Nachdem zwei Beamte des niederländischen Umweltministeriums die Anlagen der Firma Factron besichtigt hatten, erklärte der Minister das Vorbringen der betreffenden Firmen durch einen neuen Beschluß vom 8. Dezember 1994 für unbegründet, da die Verarbeitung durch die Firma Factron nicht hochwertiger sei als die Verarbeitung durch das niederländische Abfallverwertungs- und -managementunternehmen AVR Chemie.

22 Mit Klageschrift vom 18. Januar 1995 erhoben die Firmen Dusseldorp, Factron und Dusseldorp Lichtenvoorde beim niederländischen Raad van State Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Ministers vom 8. Dezember 1994, der ihrer Ansicht nach gegen die Gemeinschaftsregelung verstösst.

Die Vorlagefragen

23 Da sich das nationale Gericht nicht sicher ist, ob die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe in der im Mehrjahresplan umgesetzten Form auf die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen angewandt werden können, hat es dem Gerichtshof folgende vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Gelten die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe angesichts der Systematik der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft in Verbindung mit der Richtlinie 75/442/EWG vom 15. Juli 1975 über Abfälle (in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG) allein für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten oder auch für die zur Verwertung bestimmten Abfälle?

b) Falls der Gerichtshof der Ansicht ist, daß die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe nicht aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 und der Richtlinie 75/442/EWG auf die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten angewandt werden können, kann Artikel 130t EG-Vertrag dann eine Grundlage für eine Regelung bieten, wie sie der von der niederländischen Regierung erstellte Mehrjahresplan zur Beseitigung gefährlicher Abfälle vom Juni 1993 in diesem Punkt enthält?

2. In dem genannten Mehrjahresplan werden die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe durch ein Streben nach einer möglichst hochwertigen Beseitigungsweise (einschließlich der Verwertung) und nach der Kontinuität der Beseitigung konkretisiert. Ist dies eine korrekte Umsetzung dieser Grundsätze?

3. a) Handelt es sich, sofern die im Mehrjahresplan festgelegten Kriterien für die Erhebung von Einwänden gegen die Ausfuhr von zur Verwertung bestimmten Abfällen als solche zulässig sind, hier um eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 34 EG-Vertrag, und gibt es dafür eine Rechtfertigung?

b) Spielt es in diesem Zusammenhang eine Rolle, ob die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe, wenn sie auf zur Verwertung bestimmte Abfälle angewandt werden können, primär innerhalb der Gemeinschaft als Ganzes oder ausschließlich auf nationaler Ebene angewandt werden?

4. Stehen die ausschließlichen Rechte, wie sie der niederländische Staat in Abschnittsplan 10 von Teil II des Mehrjahresplans der AVR Chemie CV für die Verbrennung gefährlicher Abfälle gewährt hat, angesichts der hierfür im Mehrjahresplan gegebenen Begründung im Einklang mit Artikel 90 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag?

Zur ersten Frage

24 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Richtlinie und die Verordnung dahin auszulegen sind, daß die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen anwendbar sind. Sind sie dies nicht, so möchte es wissen, ob Artikel 130t den Mitgliedstaaten die Erstreckung dieser Grundsätze auf solche Abfälle gestattet.

Zur Auslegung der Richtlinie und der Verordnung

25 Die niederländische und die dänische Regierung tragen vor, die fehlende ausdrückliche Erwähnung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe in der Richtlinie und der Verordnung im Zusammenhang mit den zur Verwertung bestimmten Abfällen schließe die Anwendbarkeit dieser Grundsätze auf derartige Abfälle nicht aus. In Artikel 7 der Richtlinie würden nämlich die Angaben, die in den Abfallbewirtschaftungsplänen enthalten sein müssten, nicht abschließend aufgezählt.

26 Die Firma Dusseldorp, die französische Regierung und die Kommission sind dagegen der Ansicht, aus der fehlenden ausdrücklichen Erwähnung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe in der Richtlinie und der Verordnung im Zusammenhang mit den zur Verwertung bestimmten Abfällen und aus der Systematik der Verordnung ergebe sich, daß diese Grundsätze bei den zur Verwertung bestimmten Abfällen nicht herangezogen werden könnten.

27 Hierzu ist erstens festzustellen, daß die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 7 der Richtlinie insbesondere zur Verwirklichung der Ziele der Artikel 3, 4 und 5 Abfallbewirtschaftungspläne erstellen. Von diesen Bestimmungen nimmt nur Artikel 5 auf die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe Bezug, und dies allein im Zusammenhang mit den zur Beseitigung bestimmten Abfällen. Auch die siebte Begründungserwägung, in der diese Grundsätze angesprochen werden, betrifft ausschließlich die genannte Kategorie von Abfällen.

28 Zweitens werden diese Grundsätze in der Verordnung nur in der zehnten Begründungserwägung, wo sie allein mit den zur Beseitigung bestimmten Abfällen in Verbindung gebracht werden, und in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe b ausdrücklich erwähnt, wo festgelegt wird, welche Art von Maßnahmen die Mitgliedstaaten und die zuständigen Behörden am Bestimmungs- und am Versandort ergreifen können, um sie zur Anwendung zu bringen. Da diese Vorschrift zu Abschnitt A von Titel II der Verordnung gehört, betrifft sie nur die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen.

29 Artikel 7 der Verordnung, der in Abschnitt B über die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen enthalten ist und das Gegenstück zum vorgenannten Artikel 4 darstellt, sieht nicht vor, daß Maßnahmen zur Umsetzung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe ergriffen werden können.

30 Den Vorschriften der Richtlinie und der Verordnung sowie der Systematik der Verordnung ist somit zu entnehmen, daß weder die Richtlinie noch die Verordnung die Anwendung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle vorsieht.

31 Dieses Ergebnis wird durch die Entschließung des Rates vom 7. Mai 1990 über die Abfallpolitik (ABl. C 122, S. 2) bestätigt, auf die in der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie verwiesen wird. In dieser Entschließung führt der Rat nämlich aus, daß das Ziel der Entsorgungsautarkie nicht für die Wiederverwertung gelte.

32 Ausserdem heisst es in der Begründung des ursprünglichen Verordnungsvorschlags (KOM [90] 415 endg. - SYN 305 vom 26. Oktober 1990), daß das Nähekriterium bei den zur Beseitigung bestimmten Abfällen ein Eingreifen der Behörden rechtfertigen könne. Im Zusammenhang mit den zur Verwertung bestimmten Abfällen wird dieses Kriterium nicht erwähnt; auf sie konnte nur das Kriterium der ökologisch sinnvollen Abfallwirtschaft angewandt werden.

33 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß in der unterschiedlichen Behandlung der zur Beseitigung und der zur Verwertung bestimmten Abfälle die unterschiedliche Rolle zum Ausdruck kommt, die jede dieser beiden Abfallarten bei der Entwicklung der Umweltpolitk der Gemeinschaft zu spielen hat. Definitionsgemäß können nur die zur Verwertung bestimmten Abfälle dazu beitragen, den in Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung angesprochenen Vorrang für die Verwertung umzusetzen. Zur Stimulierung dieser Verwertung in der gesamten Gemeinschaft, insbesondere durch die Entwicklung möglichst hochwertiger Techniken, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber vorgesehen, daß ein freier Verkehr derartiger Abfälle zwischen den Mitgliedstaaten zum Zweck ihrer Verwertung möglich sein muß, sofern der Transport nicht zu einer Gefährdung der Umwelt führt. Er hat daher für den grenzueberschreitenden Transport dieser Abfälle ein flexibleres Verfahren geschaffen, dem die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe zuwiderlaufen.

34 Nach den vorstehenden Erwägungen ist somit davon auszugehen, daß die Verordnung und die Richtlinie dahin auszulegen sind, daß die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle nicht anwendbar sind.

Zur Auslegung von Artikel 130t des Vertrages

35 Nach Ansicht der Firma Dusseldorp und der Kommission wurden die Vorschriften über die Verbringung von Abfällen zwischen den Mitgliedstaaten durch die Verordnung vollständig harmonisiert, so daß sich die Mitgliedstaaten grundsätzlich nur auf der Grundlage dieser Verordnung gegen die Verbringung von Abfällen wenden könnten. Ausserdem müsse eine Regelung, die sie gemäß Artikel 130t des Vertrages erließen, u. a. mit den Artikeln 30 ff. des Vertrages vereinbar sein. Der Mehrjahresplan enthalte aber gegen Artikel 34 des Vertrages verstossende Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Ausfuhrbeschränkungen, die weder durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes noch nach Artikel 36 EG-Vertrag gerechtfertigt seien.

36 Die niederländische Regierung führt aus, dem Wortlaut und der Systematik der Verordnung und von Artikel 130t des Vertrages lasse sich entnehmen, daß die gemäß Artikel 130s getroffenen Maßnahmen eine Mindestharmonisierung darstellten. Unter diesen Umständen seien die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, gestützt auf Artikel 130t ein höheres Schutzniveau anzustreben. Im übrigen verstosse der Mehrjahresplan nicht gegen den Vertrag und enthalte insbesondere kein Ausfuhrverbot. Hilfsweise trägt die niederländische Regierung vor, falls der Mehrjahresplan ein Ausfuhrverbot im Sinne von Artikel 34 enthalte, sei dieses Verbot gemäß Artikel 36 des Vertrages durch das Streben nach einer möglichst hochwertigen Beseitigungsweise der Abfälle und nach der Kontinuität der Beseitigung, die zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen dienten, gerechtfertigt.

37 Die Richtlinie und die Verordnung wurden auf der Grundlage von Artikel 130s des Vertrages erlassen, auf den Artikel 130t des Vertrages Bezug nimmt.

38 Artikel 130t des Vertrages lautet:

"Die Schutzmaßnahmen, die aufgrund des Artikels 130s getroffen werden, hindern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Die betreffenden Maßnahmen müssen mit diesem Vertrag vereinbar sein. Sie werden der Kommission notifiziert."

39 Daher ist zu prüfen, ob nach dieser Bestimmung Maßnahmen, wie sie im Mehrjahresplan zur Anwendung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle getroffen wurden, mit Artikel 34 des Vertrages vereinbar sind.

40 Die letztgenannte Bestimmung verbietet mengenmässige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes bezieht sie sich auf nationale Maßnahmen, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit zu einer Ungleichbehandlung des Binnenhandels und des Aussenhandels eines Mitgliedstaats führen, so daß die inländische Produktion oder der Binnenmarkt des betreffenden Staates einen besonderen Vorteil erlangt (Urteil vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 155/80, Öbel, Slg. 1981, 1993, Randnr. 15).

41 Abschnittsplan 19 von Teil II des Mehrjahresplans sieht vor, daß Ausfuhren nur genehmigt werden, wenn die Verwertung der Ölfilter im Ausland hochwertiger ist als in den Niederlanden.

42 Eine solche Bestimmung bezweckt und bewirkt, daß die Ausfuhr beschränkt wird und die inländische Produktion einen besonderen Vorteil erlangt.

43 Die niederländische Regierung hat jedoch erstens geltend gemacht, daß die genannte Bestimmung des Mehrjahresplans durch ein zwingendes Erfordernis des Umweltschutzes gerechtfertigt werden könne. Die betreffenden Maßnahmen seien notwendig, damit die AVR Chemie genügend zu beseitigendes Material erhalte, um rentabel arbeiten zu können, und damit ihre ausreichende Versorgung mit Ölfiltern zur Verwendung als Brennstoff sichergestellt sei. Bei unzureichender Versorgung wäre die AVR Chemie gezwungen, einen weniger umweltfreundlichen Brennstoff zu verwenden oder sich andere ebenso umweltfreundliche, aber mit zusätzlichen Kosten verbundene Brennstoffe zu verschaffen.

44 Selbst wenn man unterstellt, daß die fragliche nationale Maßnahme aus Gründen des Umweltschutzes gerechtfertigt werden könnte, braucht nur festgestellt zu werden, daß das Vorbringen der niederländischen Regierung zur Rentabilität des inländischen Unternehmens AVR Chemie und zu den von ihm zu tragenden Kosten wirtschaftlicher Art ist. Wie der Gerichtshof entschieden hat, können rein wirtschaftliche Ziele aber eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes des freien Warenverkehrs nicht rechtfertigen (Urteil vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-120/95, Decker, Slg. 1998, I-0000, Randnr. 39).

45 Zweitens sieht die niederländische Regierung eine Rechtfertigung für die streitige Bestimmung des Mehrjahresplans in der Ausnahme in Artikel 36 des Vertrages für Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen.

46 Eine solche Rechtfertigung würde vorliegen, wenn die Verwertung der Ölfilter in anderen Mitgliedstaaten und ihr durch die Ausfuhr bedingter Transport über grössere Entfernung eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Menschen darstellen würden.

47 Aus den Akten geht jedoch nicht hervor, daß dies der Fall ist. Zum einen hat die niederländische Regierung selbst eingeräumt, daß die Verwertung der Filter in Deutschland mit der Verwertung durch die AVR Chemie vergleichbar ist. Zum anderen hat sie nicht nachgewiesen, daß der Transport der Filter eine Gefahr für die Umwelt oder die Gesundheit und das Leben von Menschen darstellte.

48 Folglich waren Beschränkungen der Ausfuhr von zur Verwertung bestimmten Abfällen, wie sie durch die niederländische Regelung geschaffen wurden, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gemäß Artikel 36 des Vertrages nicht erforderlich.

49 Im Ergebnis bezweckt und bewirkt die Anwendung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf zur Verwertung bestimmte Abfälle wie Ölfilter somit eine Beschränkung der Ausfuhren dieser Abfälle, ohne in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens durch ein zwingendes Erfordernis des Umweltschutzes oder durch das Bestreben gerechtfertigt zu sein, gemäß Artikel 36 des Vertrages die Gesundheit und das Leben von Menschen zu schützen. Deshalb kann ein Staat die Anwendung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf solche Abfälle nicht auf Artikel 130t des Vertrages stützen.

50 Unter diesen Umständen ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, daß die Richtlinie und die Verordnung nicht dahin ausgelegt werden können, daß die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen anwendbar sind. Artikel 130t des Vertrages gestattet es den Mitgliedstaaten nicht, diese Grundsätze auf solche Abfälle zu erstrecken, wenn sie sich als Ausfuhrbeschränkung erweisen, die weder durch eine zwingende Maßnahme des Umweltschutzes noch durch eine der in Artikel 36 des Vertrages vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt ist.

Zur zweiten und zur dritten Frage

51 Die zweite und die dritte Frage werden vom vorlegenden Gericht nur für den Fall gestellt, daß der Gerichtshof die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe entweder gemäß der Richtlinie und der Verordnung oder gemäß Artikel 130t des Vertrages auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle für anwendbar hält.

52 Angesichts der auf die erste Frage gegebenen Antwort brauchen diese Fragen nicht beantwortet zu werden.

Zur vierten Frage

53 Die vierte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob ausschließliche Rechte, wie sie der AVR Chemie im Rahmen der gemäß dem Mehrjahresplan angewandten Politik eingeräumt wurden, mit den Wettbewerbsregeln in den Artikeln 90 und 86 des Vertrages vereinbar sind. Wie der Generalanwalt in Nummer 97 seiner Schlussanträge ausführt, sind zu den ausschließlichen Rechten, von denen das vorlegende Gericht spricht, sowohl die allgemeine ausschließliche Befugnis zur Abfallverbrennung als auch alle anderen ausschließlichen Rechte zu zählen, die sich aus der streitigen Bestimmung ergeben. Diese betrifft das Verbot der Ausfuhr von Ölfiltern, sofern die Verwertung im Ausland nicht hochwertiger ist als in den Niederlanden.

54 Das vorlegende Gericht möchte somit im wesentlichen wissen, ob Artikel 90 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 86 einer Regelung wie dem Mehrjahresplan entgegensteht, durch die ein Mitgliedstaat die Unternehmen verpflichtet, ihre zur Verwertung bestimmten Abfälle wie Ölfilter einem inländischen Unternehmen, dem er das ausschließliche Recht eingeräumt hat, gefährliche Abfälle zu verbrennen, zu überlassen, sofern die Verwertung ihrer Abfälle in einem anderen Mitgliedstaat nicht hochwertiger ist als die Verwertung durch dieses Unternehmen.

55 Nach Ansicht der niederländischen Regierung stehen der AVR Chemie keine ausschließlichen Rechte zu, so daß Artikel 90 im Ausgangsverfahren keine Anwendung finden könne.

56 Die Firma Dusseldorp trägt vor, die der AVR Chemie vom niederländischen Staat eingeräumten ausschließlichen Rechte seien mit Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 86 unvereinbar. Diese Rechte könnten auch nicht gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages gerechtfertigt werden, da der Fortbestand der niederländischen Abfallbeseitigungsstruktur durch Maßnahmen sichergestellt werden könne, die den Wettbewerb und den freien Warenverkehr weniger beeinträchtigten.

57 Die Kommission weist darauf hin, daß die Tatsache, daß ein Mitgliedstaat nur einem einzigen in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen eine Genehmigung zur Verwertung bestimmter Abfälle erteile, als solche nicht mit Artikel 90 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 86 unvereinbar sei.

58 Nach den Akten wurde die AVR Chemie zum einzigen Endverarbeiter für die Verbrennung gefährlicher Abfälle bestimmt. Somit ist davon auszugehen, daß dieses Unternehmen über ein ausschließliches Recht im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages verfügt.

59 Diese Bestimmung sieht vor, daß die Mitgliedstaaten insbesondere im Bereich des Wettbewerbs keine dem Vertrag widersprechenden Maßnahmen treffen oder beibehalten werden.

60 Durch die Übertragung ausschließlicher Rechte für die Verbrennung gefährlicher Abfälle im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats wird dem begünstigten Unternehmen eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes eingeräumt (in diesem Sinne auch Urteil vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 31).

61 Auch wenn die blosse Schaffung einer beherrschenden Stellung als solche nicht mit Artikel 86 des Vertrages unvereinbar ist, verstösst ein Mitgliedstaat gegen das in Artikel 90 in Verbindung mit Artikel 86 aufgestellte Verbot, wenn er im Bereich der Gesetzgebung oder Verwaltung eine Maßnahme trifft, die ein Unternehmen, dem er ausschließliche Rechte eingeräumt hat, zum Mißbrauch seiner beherrschenden Stellung veranlasst (in diesem Sinne auch Urteil vom 13. Dezember 1991 in der Rechtssache C-18/88, GB-Inno-BM, Slg. 1991, I-5941, Randnr. 20).

62 Hierzu ist den Akten zu entnehmen, daß die niederländische Regierung, gestützt auf den Mehrjahresplan, der Klägerin des Ausgangsverfahrens die Ausfuhr untersagte und ihr damit die Verpflichtung auferlegte, ihre Ölfilter - zur Verwertung bestimmte Abfälle - dem inländischen Unternehmen, dem das ausschließliche Recht zur Verbrennung gefährlicher Abfälle zusteht, zu überlassen, obwohl die in einem anderen Mitgliedstaat angebotene Qualität der Verwertung mit der des inländischen Unternehmens vergleichbar war.

63 Eine solche Verpflichtung bewirkt eine Begünstigung des inländischen Unternehmens, da sie ihm die Verwertung von Abfällen ermöglicht, die durch ein drittes Unternehmen verwertet werden sollten. Sie führt folglich zu einer gegen Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 86 verstossenden Beschränkung der Absatzmärkte.

64 Es ist jedoch zu prüfen, ob diese Verpflichtung durch eine Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages gerechtfertigt sein könnte.

65 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann diese Bestimmung zur Rechtfertigung einer gegen Artikel 86 des Vertrages verstossenden Maßnahme zugunsten eines Unternehmens, dem ein Staat ausschließliche Rechte eingeräumt hat, herangezogen werden, wenn die Maßnahme erforderlich ist, um dem Unternehmen die Erfuellung der ihm übertragenen besonderen Aufgabe zu ermöglichen, und wenn sie die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einer dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderlaufenden Weise beeinträchtigt (in diesem Sinne auch Urteile vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-320/91, Corbeau, Slg. 1993, I-2533, Randnr. 14, und vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Randnr. 49).

66 Insoweit macht die niederländische Regierung geltend, die streitige Regelung solle die Kosten des mit der Verbrennung gefährlicher Abfälle betrauten Unternehmens senken und damit dessen wirtschaftliche Existenzfähigkeit ermöglichen.

67 Selbst wenn die diesem Unternehmen übertragene Aufgabe im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegen sollte, müsste die niederländische Regierung, wie der Generalanwalt in Nummer 108 seiner Schlussanträge ausführt, in einer das vorlegende Gericht überzeugenden Weise darlegen, daß dieses Ziel nicht ebenso mit anderen Mitteln erreicht werden kann. Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages könnte somit nur Anwendung finden, wenn nachgewiesen würde, daß das fragliche Unternehmen die ihm übertragene Aufgabe ohne die streitige Maßnahme nicht erfuellen könnte.

68 Unter diesen Umständen ist auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, daß eine Regelung wie der Mehrjahresplan, durch die ein Mitgliedstaat die Unternehmen verpflichtet, ihre zur Verwertung bestimmten Abfälle wie Ölfilter - sofern deren Verwertung in einem anderen Mitgliedstaat nicht hochwertiger ist als die Verwertung durch ein inländisches Unternehmen, dem der Mitgliedstaat das ausschließliche Recht eingeräumt hat, gefährliche Abfälle zu verbrennen - diesem inländischen Unternehmen zu überlassen, gegen Artikel 90 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 86 verstösst, wenn sie - ohne objektiven Grund und ohne daß es zur Erfuellung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich wäre - eine Begünstigung des inländischen Unternehmens und den Ausbau seiner beherrschenden Stellung zur Folge hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

69 Die Auslagen der niederländischen, der dänischen und der französischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom niederländischen Raad van State mit Urteil vom 23. April 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

70 Die Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 und die Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft können nicht dahin ausgelegt werden, daß die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen anwendbar sind. Artikel 130t EG-Vertrag gestattet es den Mitgliedstaaten nicht, diese Grundsätze auf solche Abfälle zu erstrecken, wenn sie sich als Ausfuhrbeschränkung erweisen, die weder durch eine zwingende Maßnahme des Umweltschutzes noch durch eine der in Artikel 36 des Vertrages vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt ist.

71 Eine Regelung wie der Mehrjahresplan, durch die ein Mitgliedstaat die Unternehmen verpflichtet, ihre zur Verwertung bestimmten Abfälle wie Ölfilter - sofern deren Verwertung in einem anderen Mitgliedstaat nicht hochwertiger ist als die Verwertung durch ein inländisches Unternehmen, dem der Mitgliedstaat das ausschließliche Recht eingeräumt hat, gefährliche Abfälle zu verbrennen - diesem inländischen Unternehmen zu überlassen, verstösst gegen Artikel 90 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 86, wenn sie - ohne objektiven Grund und ohne daß es zur Erfuellung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich wäre - eine Begünstigung des inländischen Unternehmens und den Ausbau seiner beherrschenden Stellung zur Folge hat.

Ende der Entscheidung

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