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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.09.1999
Aktenzeichen: C-22/98
Rechtsgebiete: EGV
Vorschriften:
EGV Art. 86 Abs. 1 | |
EGV Art. 86 Abs. 2 |
Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absatz 1 EG) in Verbindung mit den Artikeln 6 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 Absatz 1 EG), 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG) ist dahin auszulegen, daß er dem einzelnen nicht das Recht verleiht, sich der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats zu widersetzen, die ihn verpflichtet, für die Verrichtung von Hafenarbeiten ausschließlich nach dieser Regelung anerkannte Hafenarbeiter in Anspruch zu nehmen und diesen ein Arbeitsentgelt zu zahlen, das weit über die Löhne seiner eigenen Beschäftigten oder die Löhne, die er anderen Arbeitnehmern zahlt, hinausgeht.
Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit irgendeiner anderen Bestimmung des Vertrages ist nämlich nur auf Unternehmen anwendbar. Diese Arbeiter stellen jedoch auch nicht gemeinsam betrachtet "Unternehmen" im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft dar, da zwischen ihnen und den Unternehmen, für die sie Hafenarbeiten verrichten, ein Arbeitsverhältnis besteht, das dadurch gekennzeichnet ist, daß sie die fraglichen Arbeiten für das betreffende Unternehmen und unter seiner Leitung verrichten, so daß sie als "Arbeitnehmer" im Sinne von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) anzusehen sind.
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 16. September 1999. - Strafverfahren gegen Jean Claude Becu, Annie Verweire, Smeg NV und Adia Interim NV. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Hof van beroep Gent - Belgien. - Wettbewerb - Nationale Rechtsvorschriften, die die Durchführung bestimmter Hafenarbeiten 'anerkannten Hafenarbeitern' vorbehalten - Begriff des Unternehmens - Besondere oder ausschließliche Rechte. - Rechtssache C-22/98.
Entscheidungsgründe:
1 Der Hof van Beroep Gent hat mit Urteil vom 15. Januar 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Januar 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 90 Absätze 1 und 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absätze 1 und 2 EG) in Verbindung mit den Artikeln 6 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG), 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Strafverfahren gegen Herrn Becu und Frau Verweire sowie die Smeg NV, deren Direktor Herr Becu ist, und die Adia Interim NV, deren Geschäftsführerin Frau Verweire ist; allen Angeklagten wird vorgeworfen, daß sie unter Verstoß gegen das Gesetz vom 8. Juni 1972 über die Hafenarbeit (Belgisch Staatsblad vom 10. August 1972, S. 8826; im folgenden: Gesetz von 1972) Hafenarbeiten im Gebiet des Hafens von Gent von nicht anerkannten Hafenarbeitern verrichten ließen.
Die nationalen Rechtsvorschriften
3 Artikel 1 des Gesetzes von 1972 bestimmt: "Niemand darf in Hafengebieten Hafenarbeit von anderen Arbeitnehmern als anerkannten Hafenarbeitern verrichten lassen." Nach Artikel 4 dieses Gesetzes werden der Arbeitgeber, seine Angestellten oder seine Bevollmächtigten, die es zulassen oder veranlassen, daß diese Arbeit unter Verstoß gegen das Gesetz oder dessen Durchführungsverordnungen verrichtet wird, mit Geldstrafe bestraft.
4 Wegen der Abgrenzung der Begriffe "Hafengebiete" und "Hafenarbeit" verweist Artikel 2 des Gesetzes von 1972 auf die zur Durchführung des Gesetzes vom 5. Dezember 1968 über Tarifverträge und paritätische Ausschüsse (Belgisch Staatsblad vom 15. Januar 1969, S. 267; im folgenden: Gesetz von 1968) ergangenen Königlichen Verordnungen. Die Artikel 35 und 37 des Gesetzes von 1968 sehen die Bildung von paritätischen Ausschüssen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und, auf Antrag dieser Ausschüsse, von paritätischen Unterausschüssen durch den König vor. Diese paritätischen Ausschüsse und Unterausschüsse bestehen aus einem Vorsitzenden und einem stellvertretenden Vorsitzenden, einer gleichen Zahl von Vertretern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sowie zwei oder mehr Sekretären (Artikel 39). Ihre Aufgabe ist es insbesondere, an der Erarbeitung von Tarifverträgen durch die vertretenen Organisationen mitzuwirken (Artikel 38).
5 Nach Artikel 6 des Gesetzes von 1968 können Tarifverträge in einem Ausschuß oder Unterausschuß geschlossen werden. In diesem Fall müssen die Verträge nach den Artikeln 24 und 28 dieses Gesetzes von allen im Ausschuß vertretenen Organisationen geschlossen werden; ausserdem können sie auf Antrag einer dieser Organisationen oder des Ausschusses, in dem sie geschlossen worden sind, vom König für allgemeinverbindlich erklärt werden. Nach Artikel 31 des Gesetzes von 1968 bindet ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die zum Zuständigkeitsbereich des betreffenden paritätischen Ausschusses gehören, soweit sie in den im Tarifvertrag bestimmten Geltungsbereich fallen.
6 Artikel 1 der Königlichen Verordnung vom 12. Januar 1973 zur Einsetzung des paritätischen Ausschusses für den Hafenbetrieb sowie zur Festlegung seiner Bezeichnung und seiner Zuständigkeit (Belgisch Staatsblad vom 23. Januar 1973, S. 877) in seiner u. a. durch die Königliche Verordnung vom 8. April 1989 (Belgisch Staatsblad vom 20. April 1989, S. 6599; im folgenden: Königliche Verordnung von 1973) geänderten Fassung definiert "Hafenarbeit" als
"jede Behandlung von Waren, die per See- oder Binnenschiff, Bahn oder Lastkraftwagen an- oder abtransportiert werden, und die mit diesen Waren in Zusammenhang stehenden Nebendienstleistungen, unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten in Docks, auf Wasserstrassen oder Kaianlagen oder in Einrichtungen ausgeuebt werden, die sich auf die Einfuhr, die Ausfuhr und den Transit von Waren beziehen, sowie jede Behandlung von Waren, die per See- oder Binnenschiff auf Kaianlagen von Industrieeinrichtungen transportiert oder von diesen abtransportiert werden".
7 Nach diesem Artikel 1 der Königlichen Verordnung von 1973 ist unter "Behandlung" zu verstehen das
"Beladen, Entladen, Stauen, Lösen, Umsetzen, Schütten, Trimmen, Ordnen, Sortieren, Kalibrieren, Stapeln, Abbauen sowie Zusammenstellen und Auflösen von Frachteinheiten".
8 Die Königliche Verordnung von 1973 legt darüber hinaus die geographischen Grenzen der verschiedenen "Hafengebiete", darunter desjenigen von Gent, fest.
9 Die Definitionen der Begriffe "Hafenarbeit" und "Hafengebiete" sind auch enthalten in Artikel 2 der Königlichen Verordnung vom 12. August 1974 zur Einsetzung von paritätischen Unterausschüssen für den Hafenbetrieb sowie zur Festlegung ihrer Bezeichnung, ihrer Zuständigkeit und der Zahl ihrer Mitglieder (Belgisch Staatsblad vom 10. September 1974, S. 11020; im folgenden: Königliche Verordnung von 1974), mit der auf Antrag des paritätischen Ausschusses für den Hafenbetrieb verschiedene paritätische Unterausschüsse, darunter einer für den Hafen von Gent, eingesetzt wurden. Diese Unterausschüsse sind für alle Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber zuständig, die in den betreffenden Hafengebieten Hafenarbeit als Haupt- oder Nebentätigkeit verrichten.
10 Nach Artikel 3 des Gesetzes von 1972 "bestimmt der König nach Stellungnahme des für das betreffende Hafengebiet zuständigen paritätischen Ausschusses die Voraussetzungen und Modalitäten für die Anerkennung als Hafenarbeiter".
11 Diese Voraussetzungen und Modalitäten sind für den Hafen von Gent mit der nach Stellungnahme des zuständigen paritätischen Unterausschusses ergangenen Königlichen Verordnung vom 21. April 1977 über die Voraussetzungen und Modalitäten für die Anerkennung als Hafenarbeiter im Hafengebiet von Gent (Belgisch Staatsblad vom 10. Juni 1977, S. 7760; im folgenden: Königliche Verordnung von 1977) festgelegt worden.
12 Diese Königliche Verordnung bestimmt in Artikel 3 Absatz 1:
"Für eine Anerkennung als Hafenarbeiter kommt der Arbeitnehmer in Betracht, der folgende Voraussetzungen erfuellt:
1. Er ist unbescholten;
2. er ist vom betriebsärztlichen Dienst als für die Hafenarbeit gesundheitlich geeignet erklärt worden;
3. er ist mindestens 21 Jahre und höchstens 45 Jahre alt;
4. er besitzt ausreichende Kenntnisse der Fachsprache, um alle Anordnungen und Unterweisungen im Zusammenhang mit der Verrichtung der Arbeit verstehen zu können;
5. er hat die Vorbereitungskurse über die Arbeitssicherheit besucht;
6. er besitzt die nötigen technischen Fähigkeiten zur Verrichtung der Arbeit;
7. ihm gegenüber ist in der Vergangenheit keine Maßnahme zur Aberkennung der Hafenarbeitereigenschaft getroffen worden".
13 Nach Artikel 3 Absatz 2 der Königlichen Verordnung von 1977 "entscheidet der paritätische Unterausschuß über die Anerkennung unter Berücksichtigung des Arbeitskräftebedarfs".
Das Ausgangsverfahren
14 Smeg ist eine Gesellschaft belgischen Rechts, die im Hafengebiet von Gent, wie es in den Königlichen Verordnungen von 1973 und 1974 festgelegt worden ist, ein Getreideumschlagsunternehmen betreibt. Ihre Tätigkeit besteht im Be- und Entladen von Getreideschiffen und im Einlagern von Getreide für Rechnung Dritter. Die Ware wird per Schiff, Bahn oder Lastkraftwagen an- und abtransportiert.
15 Für die auf den Kaianlagen verrichtete Arbeit, d. h. die Hafenarbeit im eigentlichen Sinne, wie das Be- und Entladen von Getreideschiffen, nimmt Smeg anerkannte Hafenarbeiter in Anspruch. Bei der übrigen Arbeit nach Eintreffen des Getreides in den Silos, nämlich dem Be- und Entladen im Lager, dem Wiegen, dem Umsetzen, der Instandhaltung der Anlagen, den Arbeiten in den Silos und auf der Brückenwaage sowie dem Be- und Entladen der Zuege und Lastkraftwagen, setzt sie keine anerkannten Hafenarbeiter, sondern eigenes Personal oder Leiharbeiter ein, die ihr von Adia Interim, einer Zeitarbeitsfirma belgischen Rechts, zur Verfügung gestellt werden.
16 Das Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft) legte Smeg und ihrem Direktor Becu sowie Adia Interim und ihrer Geschäftsführerin Verweire vor der Correctionele Rechtbank Gent zur Last, daß sie unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Gesetzes von 1972 im Hafengebiet von Gent Hafenarbeit von nicht anerkannten Hafenarbeitern verrichten ließen.
17 Mit Urteil vom 20. November 1995 sprach die Correctionele Rechtbank Gent die Angeklagten frei, nachdem sie deren Auffassung gefolgt war, daß das Gesetz von 1972 und die Königlichen Verordnungen von 1973 und 1974 mit Artikel 90 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag unvereinbar seien. Sie hielt die Unterschiede zwischen dem Stundenlohn der von Smeg beschäftigten Arbeitnehmer (667 BFR) und dem der anerkannten Hafenarbeiter (mindestens 1 335 BFR) insoweit für "unangemessen" im Sinne von Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe a EG-Vertrag, als nach dem Gesetz von 1972 sogar gewöhnliche Wartungsarbeiten auf dem Betriebsgelände von Smeg von den anerkannten Hafenarbeitern hätten ausgeführt werden müssen.
18 Die Staatsanwaltschaft legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung beim Hof van Beroep Gent ein. Dieser stellte fest, daß der ihm vorgetragene Sachverhalt nahezu der gleiche sei wie der, der zum Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache C-179/90 (Merci convenzionali porto di Genova, Slg. 1991, I-5889; im folgenden: Urteil Merci) geführt habe. Er hob jedoch hervor, daß zwischen beiden Rechtssachen ein wesentlicher Unterschied bestehe, da die belgischen Rechtsvorschriften im Gegensatz zu den italienischen, um die es in der Rechtssache Merci gegangen sei, lediglich den Beruf der Hafenarbeiter, die allein befugt seien, bestimmte Tätigkeiten in einem genau festgelegten Gebiet auszuüben, anerkennten, aber keineswegs Unternehmen oder Betriebsgesellschaften ein Monopol einräumten.
19 Demgemäß hat der Hof van Beroep Gent das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Können Gemeinschaftsbürger - natürliche oder juristische Personen - beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts dann, wenn in Hafengebieten das Laden und Löschen insbesondere von Waren, die auf dem Seeweg von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, und die Hafenarbeit allgemein ausschließlich "anerkannten Hafenarbeitern" vorbehalten werden, für die die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung vom König nach Stellungnahme des für das fragliche Hafengebiet zuständigen paritätischen Ausschusses festgelegt werden, wobei festgesetzte Tarife anzuwenden sind, aus Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit den Artikeln 7, 85 und 86 EG-Vertrag Rechte, die die Mitgliedstaaten beachten müssen, herleiten, wenn diese Arbeit auch von gewöhnlichen (d. h. nicht anerkannten Hafen-) Arbeitern verrichtet werden kann?
2. Ist davon auszugehen, daß anerkannte Hafenarbeiter im Sinne von Artikel 1 des Gesetzes vom 8. Juni 1972, die zur Verrichtung von Hafenarbeit in den durch die einschlägigen Rechtsvorschriften näher umschriebenen Hafengebieten allein berechtigt sind, mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag betraut sind und ihre besondere Aufgabe dann nicht mehr erfuellen könnten, wenn Artikel 90 Absatz 1 und die Verbotsbestimmungen der Artikel 7, 85 und 86 EG-Vertrag auf sie angewandt würden?
Zur ersten Frage
20 Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit den Artikeln 6 Absatz 1, 85 und 86 EG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er dem einzelnen das Recht verleiht, sich der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats zu widersetzen, die ihn verpflichtet, für die Verrichtung von Hafenarbeiten ausschließlich anerkannte Hafenarbeiter wie die im Gesetz von 1972 bezeichneten in Anspruch zu nehmen und diesen ein Arbeitsentgelt zu zahlen, das weit über die Löhne seiner eigenen Beschäftigten oder die Löhne, die er anderen Arbeitnehmern zahlt, hinausgeht.
21 Dazu ist zunächst zu bemerken, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Bestimmungen des Vertrages, die ebenso wie die Artikel 6 Absatz 1, 85 und 86 unmittelbare Wirkung haben, diese Wirkung behalten und für den einzelnen Rechte begründen, die die nationalen Gerichte auch im Rahmen von Artikel 90 zu wahren haben (vgl. u. a. Urteil Merci, Randnr. 23, und Urteil vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-242/95, GT-Link, Slg. 1997, I-4449, Randnr. 57).
22 Sodann ist daran zu erinnern, daß nach Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag "[d]ie Mitgliedstaaten... in bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine diesem Vertrag und insbesondere dessen Artikeln 6 und 85 bis 94 widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten [werden]".
23 Schließlich ist festzustellen, daß die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung dadurch, daß sie die Ausführung bestimmter Arbeiten in genau abgegrenzten Gebieten einer bestimmten Personengruppe vorbehält, diesen Personen besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne dieser Vorschrift gewährt. Dies trifft um so mehr zu, als die vom paritätischen Unterausschuß Gent auf der Grundlage der Königlichen Verordnung von 1977 erteilten Anerkennungen nur für das Hafengebiet von Gent gelten und nicht automatisch allen Hafenarbeitern, die die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfuellen, sondern nur nach Maßgabe des Arbeitskräftebedarfs gewährt werden.
24 Das Verbot des Artikels 90 Absatz 1 EG-Vertrag, der im Dritten Teil Titel V (nach Änderung jetzt Titel VI EG) Kapitel 1, "Wettbewerbsregeln", Abschnitt 1, "Vorschriften für Unternehmen", des Vertrages steht, ist jedoch nur anwendbar, wenn die darin bezeichneten Maßnahmen "Unternehmen" betreffen.
25 Die Arbeits- und Lohnbedingungen, insbesondere auch diejenigen für die anerkannten Hafenarbeiter des Hafengebiets von Gent, sind jedoch in Tarifverträgen geregelt, die aufgrund des Gesetzes von 1968 erlassen und durch aufgrund dieses Gesetzes ergangene Königliche Verordnung für allgemeinverbindlich erklärt worden sind (vgl. für den Hafen von Gent Königliche Verordnung vom 11. Mai 1979, Belgisch Staatsblad vom 28. Juni 1979, S. 7378). Überdies werden die anerkannten Hafenarbeiter nach den unwidersprochenen Ausführungen der belgischen Regierung tatsächlich aufgrund befristeter Arbeitsverträge für im allgemeinen kurze Zeit eingestellt, um Aufgaben wahrzunehmen, die von den verschiedenen Unternehmen, die Hafenarbeiten ausführen lassen, genau festgelegt sind.
26 Daraus ist zu folgern, daß zwischen den anerkannten Hafenarbeitern und den Unternehmen, für die sie Hafenarbeiten verrichten, ein Arbeitsverhältnis besteht, das dadurch gekennzeichnet ist, daß sie die fraglichen Arbeiten für das betreffende Unternehmen und unter seiner Leitung verrichten, so daß sie als "Arbeitnehmer" im Sinne von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes anzusehen sind (zur Definition des Begriffes "Arbeitnehmer" siehe Urteil Merci, Randnr. 13). Da die Hafenarbeiter während der Dauer dieses Arbeitsverhältnisses in die genannten Unternehmen eingegliedert sind und daher mit jedem dieser Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, stellen sie nicht selbst "Unternehmen" im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft dar.
27 Die anerkannten Hafenarbeiter eines Hafengebiets stellen auch nicht gemeinsam betrachtet ein Unternehmen dar.
28 Zum einen ergibt sich nämlich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß die Arbeitnehmereigenschaft einer Person nicht dadurch berührt wird, daß zwischen dem Betreffenden, der sich in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber einem Unternehmen befindet, und den anderen Arbeitnehmern des Unternehmens ein gesellschaftsrechtliches Verhältnis besteht (in diesem Sinne Urteil Merci, Randnr. 13).
29 Zum anderen geht, wie der Generalanwalt in den Nummern 58 bis 60 seiner Schlussanträge festgestellt hat, weder aus dem Vorlageurteil noch aus den Antworten auf die entsprechenden Fragen des Gerichtshofes hervor, daß zwischen den anerkannten Hafenarbeitern des Hafengebiets von Gent gesellschaftsrechtliche Bindungen oder andere Organisationsformen bestehen, die darauf schließen lassen, daß sie auf dem Markt der Hafenarbeiten als Einheit oder als Arbeitnehmer einer solchen Einheit handeln.
30 Daraus folgt, daß eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht unter das Verbot des - nur auf Unternehmen anwendbaren - Artikels 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit irgendeiner anderen Bestimmung des Vertrages fallen kann.
31 Eine solche Regelung kann auch nicht unter das Verbot der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, isoliert betrachtet, fallen, die selbst nur das Verhalten von Unternehmen betreffen und sich nicht auf Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten beziehen (vgl. insbesondere Urteil vom 18. Juni 1998 in der Rechtssache C-266/96, Corsica Ferries France, Slg. 1998, I-3949, Randnr. 35).
32 Was Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag betrifft, der das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, so kann er nach ständiger Rechtsprechung nur in den vom Gemeinschaftsrecht geregelten Fällen selbständig angewandt werden, für die der Vertrag kein besonderes Diskriminierungsverbot vorsieht (in diesem Sinne Urteile vom 17. Mai 1994 in der Rechtssache 18/93, Corsica Ferries, Slg. 1994, I-1783, Randnr. 19, und vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C-336/96, Gilly, Slg. 1998, I-2793, Randnr. 37). Für Arbeitnehmer ist dieses allgemeine Verbot jedoch durch Artikel 48 EG-Vertrag und für den freien Dienstleistungsverkehr durch Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) durchgeführt und konkretisiert worden.
33 Insoweit ist festzustellen, daß weder die Bestimmungen der nationalen Regelung als solche noch das Vorlageurteil, noch auch die beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen Umstände erkennen lassen, die auf das Vorliegen irgendeiner Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in bezug auf den Zugang zur Tätigkeit eines anerkannten Hafenarbeiters oder die Ausübung dieser Tätigkeit schließen ließen.
34 Da im übrigen das Vorlageurteil nichts zu der Frage sagt, ob die Verpflichtung, für Hafenarbeiten die Dienste anerkannter Arbeiter wie der in der Königlichen Verordnung von 1977 bezeichneten in Anspruch zu nehmen, für andere anerkannte Hafenarbeiter und/oder Arbeitnehmer, die die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfuellen, eine Behinderung im Sinne der Artikel 48 und/oder 59 EG-Vertrag darstellen kann, ist der Gerichtshof nicht in die Lage versetzt worden, sich hierzu zu äussern. Das nationale Gericht hat gegebenenfalls zu prüfen, ob dies der Fall ist.
35 In diesem Zusammenhang könnte das nationale Gericht veranlasst sein, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung dadurch, daß sie für die Verrichtung von Hafenarbeiten die Inanspruchnahme von anerkannten Hafenarbeitern, die die Eigenschaft von "Arbeitnehmern" haben, vorschreibt, die Rechtsform des Arbeitsvertrags zwischen den Parteien obligatorisch macht und somit grundsätzlich unter das genannte Verbot fällt.
36 Aus dem Urteil vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-398/95 (SETTG, Slg. 1997, I-3091) ergibt sich nämlich, daß eine nationale Regelung, die dadurch, daß sie die Rechtsform des Arbeitsvertrags zwischen den Parteien obligatorisch macht, die Wirtschaftsteilnehmer aus einem Mitgliedstaat daran hindert, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als Selbständige aufgrund eines Dienstvertrags auszuüben, eine Behinderung darstellt, die unter das Verbot von Artikel 59 EG-Vertrag fallen kann.
37 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit den Artikeln 6 Absatz 1, 85 und 86 EG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er dem einzelnen nicht das Recht verleiht, sich der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats zu widersetzen, die ihn verpflichtet, für die Verrichtung von Hafenarbeiten ausschließlich anerkannte Hafenarbeiter wie die im Gesetz von 1972 bezeichneten in Anspruch zu nehmen und diesen ein Arbeitsentgelt zu zahlen, das weit über die Löhne seiner eigenen Beschäftigten oder die Löhne, die er anderen Arbeitnehmern zahlt, hinausgeht.
Zur zweiten Frage
38 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden, die nur für den Fall gestellt worden ist, daß eine nationale Regelung wie die in der ersten Frage bezeichnete gegen Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit einer anderen Bestimmung dieses Vertrages verstösst.
Kostenentscheidung:
Kosten
39 Die Auslagen der belgischen, der italienischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
auf die ihm vom Hof van Beroep Gent mit Urteil vom 15. Januar 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absatz 1 EG) in Verbindung mit den Artikeln 6 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 Absatz 1 EG), 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG) ist dahin auszulegen, daß er dem einzelnen nicht das Recht verleiht, sich der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats zu widersetzen, die ihn verpflichtet, für die Verrichtung von Hafenarbeiten ausschließlich anerkannte Hafenarbeiter wie die im belgischen Gesetz von 1972 bezeichneten in Anspruch zu nehmen und diesen ein Arbeitsentgelt zu zahlen, das weit über die Löhne seiner eigenen Beschäftigten oder die Löhne, die er anderen Arbeitnehmern zahlt, hinausgeht.
Ende der Entscheidung
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