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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.01.2000
Aktenzeichen: C-220/98
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 76/768/EWG


Vorschriften:

EGV Art. 28
EGV Art. 30
Richtlinie 76/768/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel schreibt vor, daß die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, daß bei der Etikettierung, der Aufmachung für den Verkauf und der Werbung für kosmetische Mittel nicht Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen verwendet werden, die Merkmale vortäuschen, die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen. Somit definiert diese Bestimmung zum einen die Maßnahmen, die im Interesse des Schutzes der Verbraucher und der Lauterkeit des Handelsverkehrs zu treffen sind, die zu den zwingenden Erfordernissen gehören, aufgrund deren Beschränkungen des freien Warenverkehrs im Sinne des Artikels 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) zulässig sind, und verfolgt zum anderen das Ziel des Schutzes der Gesundheit von Menschen im Sinne des Artikels 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG), da eine irreführende Information über die Eigenschaften dieser Erzeugnisse Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnte.

Die genannten Bestimmungen stehen daher der Anwendung einer nationalen Regelung nicht entgegen, die die Einfuhr und den Vertrieb eines kosmetischen Mittels untersagt, dessen Bezeichnung das Wort "Lifting" enthält, wenn unter den Umständen des Einzelfalls ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher durch diese Bezeichnung zu der irrigen Annahme verleitet wird, die Bezeichnung schreibe diesem Mittel bestimmte Merkmale zu, die es in Wirklichkeit jedoch nicht besitzt.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob die Bezeichnung im Hinblick auf die mutmaßliche Erwartung eines solchen Verbrauchers irreführend ist. Hat das nationale Gericht besondere Schwierigkeiten, zu beurteilen, ob die fragliche Bezeichnung irreführend ist, so verbietet das Gemeinschaftsrecht nicht, dies nach Maßgabe des nationalen Rechts durch ein Sachverständigengutachten oder eine Verbraucherbefragung zu ermitteln.

(vgl. Randnrn. 24-25, 32 und Tenor)


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 13. Januar 2000. - Estée Lauder Cosmetics GmbH & Co. OHG gegen Lancaster Group GmbH. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Landgericht Köln - Deutschland. - Freier Warenverkehr - Vertrieb eines kosmetischen Mittels mit der Bezeichnung "Lifting" - Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) - Richtlinie 76/768/EWG. - Rechtssache C-220/98.

Parteien:

In der Rechtssache C-220/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Landgericht Köln (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Estée Lauder Cosmetics GmbH & Co. OHG

gegen

Lancaster Group GmbH

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) und des Artikels 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262, S. 169) in ihrer durch die Richtlinie 88/667/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 (ABl. L 382, S. 46) und die Richtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 151, S. 32) geänderten Fassung

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter), C. Gulmann, J.-P. Puissochet und P. Jann,

Generalanwalt: N. Fennelly

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Estée Lauder Cosmetics GmbH & Co. OHG, vertreten durch Rechtsanwalt K. Henning Jacobsen, Berlin,

- der Lancaster Group GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt A. Lubberger, Frankfurt am Main,

- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat A. Dittrich, Bundesministerium der Justiz, und Ministerialrat C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,

- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und R. Loosli-Surrans, Chargé de mission in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,

- der finnischen Regierung, vertreten durch Botschafter H. Rotkirch, Leiter der Abteilung für Rechtsangelegenheiten im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, und T. Pynnä, Rechtsberaterin in demselben Ministerium, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Støvlbæk, Juristischer Dienst, und K. Schreyer, zu diesem Dienst abgeordnete nationale Beamtin, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Estée Lauder Cosmetics GmbH & Co. OHG, vertreten durch Rechtsanwalt K. Kleinschmidt, Berlin, der Lancaster Group GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt A. Lubberger, der französischen Regierung, vertreten durch R. Loosli-Surrans, und der Kommission, vertreten durch K. Schreyer, in der Sitzung vom 17. Juni 1999,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 1999,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Landgericht Köln hat mit Beschluß vom 24. März 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) und des Artikels 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262, S. 169) in ihrer durch die Richtlinie 88/667/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 (ABl. L 382, S. 46) und die Richtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 151, S. 32) geänderten Fassung (im folgenden: Richtlinie 76/768) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Estée Lauder Cosmetics GmbH & Co. OHG (im folgenden: Klägerin) und der Lancaster Group GmbH (im folgenden: Beklagte) im Hinblick auf den Vertrieb des kosmetischen Mittels "Monteil Firming Action Lifting Extreme Creme" unter einer Bezeichnung, die das Wort "Lifting" enthält.

Gemeinschaftsregelung

3 Die Richtlinie 76/768 bestimmt in Artikel 6 Absatz 3:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß bei der Etikettierung, der Aufmachung für den Verkauf und der Werbung für kosmetische Mittel nicht Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen verwendet werden, die Merkmale vortäuschen, die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen.

Außerdem müssen alle Angaben über Tierversuche eindeutig aussagen, ob die Tests an dem Fertigerzeugnis und/oder den Bestandteilen durchgeführt wurden."

4 Die Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (ABl. L 250, S. 17) bestimmt in Artikel 1 ihren Zweck folgendermaßen:

"Zweck dieser Richtlinie ist der Schutz der Verbraucher, der Personen, die einen Handel oder ein Gewerbe betreiben oder ein Handwerk oder einen freien Beruf ausüben, sowie der Interessen der Allgemeinheit gegen irreführende Werbung und deren unlautere Auswirkungen."

5 Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie 84/450 definiert "irreführende Werbung" als "jede Werbung, die in irgendeiner Weise - einschließlich ihrer Aufmachung - die Personen, an die sie sich richtet oder die von ihr erreicht werden, täuscht oder zu täuschen geeignet ist und die infolge der ihr innewohnenden Täuschung ihr wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann oder aus diesen Gründen einen Mitbewerber schädigt oder zu schädigen geeignet ist".

6 Artikel 3 der Richtlinie 84/450 bestimmt, daß bei der Beurteilung der Frage, ob eine Werbung irreführend ist, alle ihre Bestandteile zu berücksichtigen sind, und zählt einige hierbei zu berücksichtigende Angaben auf.

7 Nach Artikel 4 der Richtlinie 84/450 "sorgen [die Mitgliedstaaten] im Interesse sowohl der Verbraucher als auch der Mitbewerber und der Allgemeinheit für geeignete und wirksame Möglichkeiten zur Bekämpfung der irreführenden Werbung"; diese Möglichkeiten müssen Rechtsvorschriften umfassen, die u. a. den Gerichten die Befugnis übertragen, die Einstellung einer irreführenden Werbung anzuordnen.

8 Nach Artikel 7 der Richtlinie 84/450 hindert diese Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die einen weiterreichenden Schutz der betroffenen Personen vorsehen.

Deutsche Regelung

9 Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909 (UWG) bestimmt in § 1:

"Wer im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbes Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden."

10 § 3 UWG lautet:

"Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs über geschäftliche Verhältnisse, insbesondere über die Beschaffenheit, den Ursprung, die Herstellungsart oder die Preisbemessung einzelner Waren oder gewerblicher Leistungen oder des gesamten Angebots, über Preislisten, über die Art des Bezugs oder die Bezugsquelle von Waren, über den Besitz von Auszeichnungen, über den Anlaß oder den Zweck des Verkaufs oder über die Menge der Vorräte irreführende Angaben macht, kann auf Unterlassung der Angaben in Anspruch genommen werden."

11 Das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz vom 15. August 1974 (LMBG) sieht in § 27 Absatz 1 vor:

"Es ist verboten, kosmetische Mittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder für kosmetische Mittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor,

1. wenn kosmetischen Mitteln Wirkungen beigelegt werden, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind;

2. wenn durch die Bezeichnung, Angabe, Aufmachung, Darstellung oder sonstige Aussage fälschlich der Eindruck erweckt wird, daß ein Erfolg mit Sicherheit erwartet werden kann;

3. wenn zur Täuschung geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen

a) über die Person, Vorbildung, Befähigung oder über die Erfolge des Herstellers, Erfinders oder der für sie tätigen Personen,

b) über die Herkunft der kosmetischen Mittel, ihre Menge, ihr Gewicht, über den Zeitpunkt der Herstellung oder Abpackung, über ihre Haltbarkeit oder über sonstige Umstände, die für die Bewertung mitbestimmend sind,

verwendet werden."

Ausgangsverfahren

12 Die Beklagte vertreibt eine Hautstraffungscreme unter der Bezeichnung "Monteil Firming Action Lifting Extreme Creme", die das Wort "Lifting" enthält.

13 Im Ausgangsverfahren macht die Klägerin geltend, daß die Bezeichnung "Lifting" irreführend sei, da sie beim Käufer fälschlicherweise den Eindruck erwecke, das Produkt verfüge über Eigenschaften, die - insbesondere hinsichtlich der Wirkungsdauer - gleiche oder vergleichbare Wirkungen wie ein operatives Lifting der Haut entfalteten. Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr kosmetische Produkte, die die Bezeichnung "Lifting" enthielten, wie z. B. die genannte Creme, in den Verkehr zu bringen, zu vertreiben und/oder zu bewerben, da dies einen Verstoß gegen § 3 UWG, § 27 Absatz 1 LMBG und die Richtlinie 76/768 darstelle.

14 Die Beklagte räumt ein, daß die fragliche Creme in ihrer Dauerwirkung dem operativen Lifting nicht entspreche, weist aber darauf hin, daß sie gleichwohl eine signifikant hautstraffende Wirkung habe. Sie bestreitet eine der Klägerbehauptung entsprechende Verkehrserwartung. Jedenfalls widerspräche eine Verurteilung den Artikeln 30 und 36 EG-Vertrag. Es gebe keine Rechtfertigung für den Aufwand, das Produkt lediglich für den Vertrieb in Deutschland mit einer neuen Bezeichnung zu versehen, wofür dann auch die Verpackung geändert werden müßte, während die Verwendung der Bezeichnung in den anderen Mitgliedstaaten nicht beanstandet werde. Das erstrebte Verbot stelle angesichts des geringen Gewichts des zu schützenden Allgemeininteresses daran, einen Irrtum der Verbraucher lediglich über die Dauer der Wirkung der Creme zu vermeiden, eine unverhältnismäßige Beschränkung dar.

15 Das Landgericht Köln führt aus, daß die Verwendung des Wortes "Lifting" in der Bezeichnung der fraglichen Creme nach der Rechtsprechung dann gegen § 27 Absatz 1 LMBG verstoße, der es verbiete, kosmetische Mittel unter irreführender Bezeichnung in den Verkehr zu bringen und ihnen insbesondere Wirkungen beizulegen, die ihnen nicht zukämen, wenn ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher, nämlich etwa 10 % bis 15 %, irregeführt werde.

16 In seiner Entscheidung "Lifting-Creme" vom 12. Dezember 1996 habe der Bundesgerichtshof die Feststellung der Irreführungseignung der Bezeichnung "Lifting" durch die Vorinstanz als "nicht erfahrungswidrig" bezeichnet. Das vorlegende Gericht verfüge ohne Einholung einer Meinungsumfrage nicht über genügend tatsächliches Material, dem entgegenstehende Feststellungen zu treffen.

17 Eine andere Frage sei es aber, ob in Anbetracht des vom Gerichtshof zu den einschlägigen Richtlinien entwickelten Verbraucherbildes, nach dem der Verbraucher ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit und Verständigkeit habe, erst ein höherer Prozentsatz von irregeführten Personen als die von der deutschen Rechtsprechung geforderten 10 % bis 15 % berücksichtigt werden müsse.

18 Darüber hinaus stelle sich, wenn der Verbraucher in gemeinschaftsrechtlich relevanter Weise irregeführt werde, die Frage, ob die Beschränkung des freien Warenverkehrs, die sich aus dem Verbot der streitigen Bezeichnung ergebe, mit Artikel 30 EG-Vertrag vereinbar sei, wenn diese Bezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat legitim verwendet werde und der Vertrieb in dritten Mitgliedstaaten unter Hinweis auf Artikel 30 EG-Vertrag als rechtmäßig verteidigt werde.

19 In der vom nationalen Gericht angesprochenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs hatte dieser angeführt, daß die irrige Erwartung einer nicht unerheblichen Anzahl von Verbrauchern, daß die "Horphag Lifting Creme" hautstraffende Wirkung von gewisser Dauer habe, obwohl diese Wirkung in Wirklichkeit 2 bis 24 Stunden nach Anwendung dieser Creme verloren gehe, die Untersagung von deren Vertrieb gemäß § 27 Absatz 1 LMBG rechtfertigen könne, da die Bezeichnung der Creme deren Kauf bedingt habe.

20 Das Landgericht Köln hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag und/oder Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768/EWG des Rates über kosmetische Mittel dahin auszulegen, daß sie der Anwendung nationaler Vorschriften über den unlauteren Wettbewerb entgegenstehen, die es erlauben, die Einfuhr und den Vertrieb eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig hergestellten oder rechtmäßig vertriebenen kosmetischen Produktes mit der Begründung zu untersagen, durch die als Wirkungshinweis verstandene Kennzeichnung "Lifting" würden die Verbraucher hinsichtlich der Annahme einer dauerhaften Wirkung irregeführt, wenn dieses Produkt mit einem solchen Wirkungshinweis auf der Verpackung in anderen Ländern der Europäischen Union rechtmäßig und unbeanstandet vertrieben wird?

21 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß die mögliche Irreführung der Verbraucher im vorliegenden Fall nicht dahin geht, daß das Produkt gleiche oder vergleichbare Wirkungen wie ein operatives Lifting habe, sondern nur dahin, daß das Produkt Wirkungen von gewisser Dauer habe.

Zur Vorlagefrage

22 Mit seiner Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag und die Richtlinie 76/768 der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung die Einfuhr und den Vertrieb eines kosmetischen Mittels untersagt, dessen Bezeichnung das Wort "Lifting" enthält und das in anderen Mitgliedstaaten unter derselben Bezeichnung rechtmäßig und unbeanstandet vertrieben wird, wenn die Verbraucher im ersten Staat durch dieses Wort über die Wirkungsdauer des Produktes irregeführt werden können.

23 Die Richtlinie 76/768 hat eine abschließende Harmonisierung der nationalen Bestimmungen über die Verpackung und Etikettierung kosmetischer Mittel herbeigeführt (Urteile vom 23. November 1989 in der Rechtssache C-150/88, Parfümerie-Fabrik 4711, Slg. 1989, 3891, Randnr. 28, und vom 2. Februar 1994 in der Rechtssache C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb - Clinique -, Slg. 1994, I-317, Randnr. 11).

24 Nach Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768 müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, daß bei der Etikettierung, der Aufmachung für den Verkauf und der Werbung für kosmetische Mittel nicht Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen verwendet werden, die Merkmale vortäuschen, die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen.

25 Diese Bestimmung ist Teil einer Richtlinie, die, wie sich insbesondere aus ihrer zweiten und dritten Begründungserwägung ergibt, vor allem den freien Warenverkehr mit kosmetischen Mitteln gewährleisten soll. Sie definiert die Maßnahmen, die im Interesse des Schutzes der Verbraucher und der Lauterkeit des Handelsverkehrs zu treffen sind, die zu den zwingenden Erfordernissen gehören, aufgrund deren nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes Beschränkungen des freien Warenverkehrs im Sinne des Artikels 30 EG-Vertrag zulässig sind. Sie verfolgt auch das Ziel des Schutzes der Gesundheit von Menschen im Sinne des Artikels 36 EG-Vertrag, da eine irreführende Information über die Eigenschaften dieser Erzeugnisse Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnte.

26 Die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Durchführung dieser Bestimmung zu ergreifen haben, müssen jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (vgl. insbesondere Urteil Clinique, Randnr. 16, und Urteil vom 28. Januar 1999 in der Rechtssache C-77/97, Unilever, Slg. 1999, I-431, Randnr. 27).

27 Im Rahmen der Auslegung der Richtlinie 84/450 hat der Gerichtshof zur Bewertung einerseits der Gefahr einer Irreführung der Verbraucher und andererseits der Erfordernisse des freien Warenverkehrs entschieden, daß bei der Beurteilung, ob eine Bezeichnung, Marke oder Werbeaussage irreführend ist, auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist (vgl. insbesondere Urteil vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-210/96, Gut Springenheide und Tusky, Slg. 1998, I-4657, Randnr. 31).

28 Dieses Kriterium beruht auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es gilt auch im Bereich des Vertriebs kosmetischer Mittel, wenn ein Irrtum über die Eigenschaften des Produktes - wie im Ausgangsverfahren - die Gesundheit nicht beeinträchtigen kann.

29 Bei der Anwendung dieses Kriteriums auf den vorliegenden Fall müssen mehrere Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Es ist vor allem zu prüfen, ob soziale, kulturelle oder sprachliche Eigenheiten es rechtfertigen können, daß das für eine Hautstraffungscreme verwendete Wort "Lifting" von den deutschen Verbrauchern anders verstanden wird als von den Verbrauchern in anderen Mitgliedstaaten, oder ob schon die Angaben zur Anwendung des Produktes dafür sprechen, daß dessen Wirkungen nur vorübergehender Natur sind, und damit jede gegenteilige Schlußfolgerung entkräften, die aus dem Wort "Lifting" gezogen werden könnte.

30 Wenn auch auf den ersten Blick wenig dafür spricht, daß ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher erwartet, daß eine Creme, deren Bezeichnung das Wort "Lifting" enthält, dauerhafte Wirkung hat, so ist es doch Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte zu prüfen, wie es sich im vorliegenden Fall verhält.

31 Es ist auch Sache des nationalen Gerichts, ein Sachverständigengutachten einzuholen oder eine Verbraucherbefragung in Auftrag zu geben, falls es dies für erforderlich hält, um beurteilen zu können, ob eine Werbeaussage irreführen kann, und, da es keine einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen gibt, nach seinem nationalen Recht zu bestimmen, welcher Prozentsatz der Verbraucher mindestens durch diese Aussage irregeführt werden muß, damit ein Verbot dieser Werbeaussage gerechtfertigt ist (vgl. Urteil Gut Springenheide und Tusky, Randnrn. 35 und 36).

32 Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten:

- Die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag und Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768 stehen der Anwendung einer nationalen Regelung nicht entgegen, die die Einfuhr und den Vertrieb eines kosmetischen Mittels untersagt, dessen Bezeichnung das Wort "Lifting" enthält, wenn unter den Umständen des Einzelfalls ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher durch diese Bezeichnung zu der irrigen Annahme verleitet wird, die Bezeichnung schreibe diesem Mittel bestimmte Merkmale zu, die es in Wirklichkeit jedoch nicht besitzt.

- Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob die Bezeichnung im Hinblick auf die mutmaßliche Erwartung eines solchen Verbrauchers irreführend ist.

- Hat das nationale Gericht besondere Schwierigkeiten, zu beurteilen, ob diese Bezeichnung irreführend ist, so verbietet das Gemeinschaftsrecht nicht, dies nach Maßgabe des nationalen Rechts durch ein Sachverständigengutachten oder eine Verbraucherbefragung zu ermitteln.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Die Auslagen der deutschen, der französischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Landgericht Köln mit Beschluß vom 24. März 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

- Die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) und Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel in ihrer durch die Richtlinie 88/667/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 und die Richtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 geänderten Fassung stehen der Anwendung einer nationalen Regelung nicht entgegen, die die Einfuhr und den Vertrieb eines kosmetischen Mittels untersagt, dessen Bezeichnung das Wort "Lifting" enthält, wenn unter den Umständen des Einzelfalls ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher durch diese Bezeichnung zu der irrigen Annahme verleitet wird, die Bezeichnung schreibe diesem Mittel bestimmte Merkmale zu, die es in Wirklichkeit jedoch nicht besitzt.

- Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob die Bezeichnung im Hinblick auf die mutmaßliche Erwartung eines solchen Verbrauchers irreführend ist.

- Hat das nationale Gericht besondere Schwierigkeiten, zu beurteilen, ob diese Bezeichnung irreführend ist, so verbietet das Gemeinschaftsrecht nicht, dies nach Maßgabe des nationalen Rechts durch ein Sachverständigengutachten oder eine Verbraucherbefragung zu ermitteln.

Ende der Entscheidung

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