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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 23.03.2007
Aktenzeichen: C-221/06
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 234
EG Art. 10
EG Art. 12
EG Art. 23
EG Art. 25
EG Art. 49
EG Art. 90
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

23. März 2007

"Nichtberücksichtigung eines Dokuments"

Parteien:

In der Rechtssache C-221/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 27. April 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai 2006, in dem Verfahren

Stadtgemeinde Frohnleiten,

Gemeindebetriebe Frohnleiten GmbH

gegen

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,

Beteiligte:

Republik Österreich,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter R. Schintgen, A. Tizzano, A. Borg Barthet und M. Ilesic (Berichterstatter),

Generalanwältin: E. Sharpston,

nach Anhörung der Generalanwältin

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 10 EG, 12 EG, 23 EG, 25 EG, 49 EG und 90 EG.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Stadtgemeinde Frohnleiten und der Gemeindebetriebe Frohnleiten GmbH, einerseits, und dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (im Folgenden: Bundesminister), andererseits, über die Erhebung von Abgaben auf das Ablagern von Abfällen aus Italien in der Abfalldeponie der Gemeinde Frohnleiten.

3 Nach § 3 Abs. 1 Z 1 des Altlastensanierungsgesetzes vom 7. Juni 1989 (BGBl 1989/299, im Folgenden: ALSAG) unterliegt dem Altlastenbeitrag "das langfristige Ablagern von Abfällen einschließlich des Einbringens von Abfällen in einen Deponiekörper, auch wenn damit deponiebautechnische oder andere Zwecke verbunden sind".

4 Art. 3 Abs. 2 Z 1 ALSAG nimmt jedoch das Ablagern, Lagern und Befördern von Abfällen, die nachweislich im Zuge der Sicherung oder Sanierung von im Verdachtsflächenkataster eingetragenen Verdachtsflächen oder im Altlastenatlas eingetragenen Altlasten anfallen, von der Beitragspflicht aus.

5 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs können im österreichischen Verdachtsflächenkataster und im Altlastenatlas naturgemäß nur in Österreich gelegene Flächen eingetragen werden, so dass die Ausnahme im Sinne des § 3 Abs. 2 Z 1 ALSAG nur für Abfälle in Betracht komme, die aus der Sicherung oder Sanierung einer inländischen Verdachtsfläche oder einer inländischen Altlast stammten.

6 Nach § 4 Z 1 ALSAG ist insbesondere "der Betreiber einer Deponie oder eines Lagers" zur Leistung des Altlastenbeitrags verpflichtet.

7 Die Gemeindebetriebe Frohnleiten GmbH, deren einzige Gesellschafterin die Stadtgemeinde Frohnleiten ist, betreibt die Abfalldeponie der Gemeinde Frohnleiten.

8 Im vierten Quartal des Jahres 2001 und im ersten Quartal des Jahres 2002 wurden auf der Deponie mehrere Tonnen aus Italien stammende Shredderabfälle abgelagert. Ihre Verbringung nach Österreich war von den österreichischen Behörden genehmigt worden.

9 Die Abfälle waren auf einer in der Gemeinde Rovigo (Italien) gelegenen Fläche angefallen, die in dem auf der Grundlage von Art. 22 des Gesetzesdekrets Nr. 22 vom 5. Februar 1997 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 38 vom 15. Februar 1997) und des Dekrets des italienischen Umweltministers vom 16. Mai 1989 (GURI Nr. 121 vom 26. Mai 1989, S. 12) erstellten italienischen Regionalplan für die Sanierung von Altlasten als sanierungsbedürftig ausgewiesen worden war.

10 Da die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens der Meinung waren, dass diesen Abfällen die Altlastenbeitragsfreiheit nach § 3 Abs. 2 Z l ALSAG zugutekommen sollte, da sie von einer Altlast herrührten, stellten sie bei der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung (im Folgenden: BH) den Antrag auf Feststellung der Beitragsfreiheit.

11 Mit Bescheid vom 11. Mai 2004 stellte die BH fest, dass die fraglichen Abfälle nach § 3 Abs. 2 Z 1 ALSAG vom Altlastenbeitrag ausgenommen seien. Auf die Berufung der österreichischen Bundesbehörden wurde dieser Bescheid durch den Landeshauptmann von Steiermark (im Folgenden: LH) mit Bescheid vom 30. November 2004 bestätigt. Sowohl die BH als auch der LH waren der Ansicht, dass eine Unterscheidung zwischen Abfällen, die im Zuge von rechtmäßigen Maßnahmen zur Sicherung oder Sanierung von kontaminierten Böden angefallen seien, danach, ob sie aus Österreich oder aus einem anderen Mitgliedstaat stammten, einen Verstoß gegen Art. 90 EG darstelle.

12 Mit Bescheid vom 10. Jänner 2005 hob der Bundesminister den Bescheid des LH auf und stellte fest, dass die fraglichen Abfälle dem Altlastenbeitrag unterlägen, da sie nicht von einer im Verdachtsflächenkataster eingetragenen Verdachtsfläche oder einer im Altlastenatlas eingetragenen Altlast herrührten. Der Minister war der Auffassung, dass der Altlastenbeitrag nicht unter Art. 90 EG falle, da es sich nicht um die Besteuerung von Abfällen als solche, sondern um eine tätigkeitsbezogene Abgabe handele.

13 Die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens erhoben gegen den Bescheid des Ministers Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Sie tragen im Wesentlichen vor, dass der Altlastenbeitrag in den Anwendungsbereich des Art. 90 EG falle und dass diese Bestimmung verletzt werde, wenn die Steuer auf das eingeführte Erzeugnis und die Steuer auf das gleichartige inländische Erzeugnis in unterschiedlicher Weise berechnet würden, weil dieser Unterschied zu einer höheren Belastung des eingeführten Erzeugnisses führen würde.

14 Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen die Art. 10 EG, 12 EG, 23 EG, 25 EG, 49 EG oder 90 EG einer nationalen Abgabenvorschrift entgegen, welche die Ablagerung von Abfällen auf einer Deponie einer Abgabe (Altlastenbeitrag) unterwirft, aber eine Befreiung von dieser Abgabe für die Ablagerung von Abfällen vorsieht, die nachweislich im Zuge der Sicherung oder Sanierung von kontaminierten Flächen (Verdachtsflächen oder Altlasten) anfallen, wenn die Flächen (Verdachtsfläche oder Altlast) in im Gesetz vorgesehenen behördlichen Registern (Verdachtsflächenkataster oder Altlastenatlas) eingetragen sind, wobei in diese Register nur Flächen im Inland eingetragen werden können, so dass auch die Abgabenbefreiung nur für die Ablagerung von Abfällen möglich ist, die von im Inland gelegenen Verdachtsflächen oder Altlasten stammen?

15 Die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens haben am 28. Juli 2006 bei der Kanzlei des Gerichtshofs Erklärungen eingereicht. Sie machen u. a. geltend, dass sie zunächst gegenüber dem Zollamt Graz, das die die Abgaben einhebende Stelle gewesen sei, eine Nullmeldung für die Altlast "Rovigo" abgegeben hätten. Das Bundesministerium für Finanzen, die sachlich zuständige Oberbehörde, habe sodann beim Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst ein Rechtsgutachten eingeholt, und zwar zur Frage, ob das ALSAG mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Art. 90 EG, vereinbar sei. Dieses Gutachten sei am 20. September 2002 vorgelegt worden. Das Zollamt Graz habe schließlich die Zahlung des Altlastenbetrags gefordert und damit die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens gezwungen, den in Randnr. 10 des vorliegenden Beschlusses erwähnten Antrag bei der BH zu stellen.

16 Die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens haben als Beilage B zu ihren schriftlichen Erklärungen einen Auszug aus diesem Rechtsgutachten vorgelegt.

17 Mit Schreiben, das am 20. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die österreichische Regierung eine Einrede nach Art. 91 § 1 der Verfahrensordnung erhoben und beantragt, das Rechtsgutachten des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienst vom 20. September 2002 im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens nicht zu verwenden. Zur Begründung ihres Antrags führt die österreichische Regierung an, dass mit derartigen Gutachten das Ziel verfolgt werde, die Bundesministerien über deren Ersuchen bei der Erarbeitung von Entwürfen für Legislativakte sowie im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung zu beraten. Es handele sich um rein interne Arbeitshilfen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt seien. Ihre Verwendung außerhalb dieses Kontexts würde das reibungslose Zusammenarbeiten zwischen dem Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst und den Bundesministerien erheblich stören, was diese dazu veranlassen könnte, von der Einholung solcher Gutachten abzusehen, und damit zu Unsicherheiten im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Aufgabenerfüllung führen könnte.

18 Obwohl sie von der Kanzlei des Gerichtshofs dazu aufgefordert worden sind, haben die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens keine Stellungnahme in diesem Zwischenstreit abgegeben.

19 Insoweit ist festzustellen, dass es dem öffentlichen Interesse daran, dass die nationalen Behörden auf die in völliger Unabhängigkeit abgegebenen Stellungnahmen ihres Juristischen Dienstes zurückgreifen können müssen, zuwiderliefe, wenn zugelassen würde, dass solche internen Dokumente, die nach nationalem Recht nicht öffentlich sind, in einem Verfahren vor dem Gerichtshof vorgelegt werden könnten, ohne dass ihre Vorlage von einer zuständigen Behörde des betroffenen Mitgliedstaats genehmigt oder gegebenenfalls vom Gerichtshof nach Art. 45 § 2 Buchst. b seiner Verfahrensordnung angeordnet worden wäre (vgl. entsprechend zu den Stellungnahmen der Juristischen Dienste der Gemeinschaftsorgane Beschluss vom 23. Oktober 2002, Österreich/Rat, C-445/00, Slg. 2002, I-9151, Randnr. 12).

20 Im vorliegenden Fall hat die österreichische Regierung zum einen unwidersprochen vorgetragen, dass die vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst für die Bundesministerien verfassten Rechtsgutachten interne Dokumente der österreichischen Verwaltung seien, die rechtlich nicht verpflichtet sei, diese an die Bürger herauszugeben.

21 Zum anderen haben die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens nicht behauptet, dass ihnen das Rechtsgutachten des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienst vom 20. September 2002 von den österreichischen Behörden übermittelt worden wäre. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die österreichischen Behörden das Gutachten weder übermittelt noch seine Übermittlung an die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens genehmigt haben.

22 Darüber hinaus kann aus dem von den Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens in ihren am 28. Juli 2006 eingereichten Erklärungen angeführten Umstand, dass die BH vom Bundesminister die Übermittlung des Rechtsgutachtens des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienst vom 20. September 2002 gefordert hat, nicht gefolgert werden, dass dieses Gutachten Teil des Ausgangsverfahrens wäre. Die Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens haben nämlich ausgeführt, dass sich der Bundesminister geweigert habe, der BH das Gutachten zu übermitteln, so dass diese entschieden habe, ohne darüber zu verfügen. Sie haben ferner nicht geltend gemacht, dass der Bundesminister rechtlich verpflichtet sei, einem solchen Antrag auf Übermittlung zu entsprechen.

23 Unter diesen Umständen ist dem Antrag der österreichischen Regierung stattzugeben und der Auszug aus dem Rechtsgutachten des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienst vom 20. September 2002 in Beilage B zu den schriftlichen Erklärungen der Beschwerdeführerinnen des Ausgangsverfahrens aus den Akten der Rechtssache C-221/06 zu entfernen.

Kostenentscheidung:

24 Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) beschlossen:

1. Der von der Stadtgemeinde Frohnleiten und der Gemeindebetriebe Frohnleiten GmbH als Beilage B zu ihren schriftlichen Erklärungen vorgelegte Auszug aus dem Rechtsgutachten des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienst vom 20. September 2002 wird aus den Akten der Rechtssache C-221/06 entfernt.

2. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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