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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.11.1996
Aktenzeichen: C-221/94
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, RiLi 91/263 EWG


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 169
RiLi 91/263 EWG Art. 3
RiLi 91/263 EWG Art. 17
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Nationale Bestimmungen, durch die lediglich der Text der Richtlinie 86/361 über die erste Phase der gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Telekommunikations-Endgeräten übernommen wird, reichen zur Umsetzung der Richtlinie 91/263 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Telekommunikationsendeinrichtungen einschließlich der gegenseitigen Anerkennung ihrer Konformität nicht aus. Zwischen der Richtlinie 86/361 und der Richtlinie 91/263 bestehen nämlich so offensichtliche Unterschiede, daß ein Mitgliedstaat nicht geltend machen kann, letztere schon durch die Umsetzung der ersteren durchgeführt zu haben. Insbesondere stellt die Richtlinie 91/263 im Verhältnis zur Richtlinie 86/361 eine weitere Phase zur vollen gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen für Telekommunikationsendeinrichtungen dar, sie hat einen umfassenderen Zweck und einen weiteren Anwendungsbereich als die Richtlinie 86/361, sie stellt drei Anforderungen an Endeinrichtungen, die in der Liste der grundlegenden Anforderungen, wie sie in der Richtlinie 86/361 enthaltenen ist, nicht aufgeführt sind, und durch sie wurde für die den Anforderungen der Richtlinie entsprechenden Endeinrichtungen ein EG-Kennzeichnungssystem eingeführt, das in der Richtlinie 86/361 nicht vorgesehen war.

2. Die Übereinstimmung einer Praxis mit den Schutzgeboten einer Richtlinie kann kein Grund dafür sein, diese nicht durch Bestimmungen in die innerstaatliche Rechtsordnung umzusetzen, die so bestimmt, klar und transparent sind, daß der einzelne wissen kann, welche Rechte und Pflichten er hat. Auch ist das Vorliegen eines Entwurfs für eine nationale Verordnung nicht geeignet, die Umsetzung einer Richtlinie zu gewährleisten.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 7. November 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Grossherzogtum Luxemburg. - Vertragsverletzung - Nichtumsetzung der Richtlinie 91/263/EWG - Telekommunikation - Telekommunikationsendeinrichtungen - Gegenseitige Anerkennung ihrer Konformität. - Rechtssache C-221/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 28. Juli 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Großherzogtum Luxemburg gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/263/EWG des Rates vom 29. April 1991 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Telekommunikationsendeinrichtungen einschließlich der gegenseitigen Anerkennung ihrer Konformität (ABl. L 128, S. 1) und insbesondere aus deren Artikel 17 verstossen hat, indem es nicht innerhalb der festgesetzten Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der genannten Richtlinie nachzukommen, hilfsweise, indem es der Kommission diese Maßnahmen nicht unverzueglich mitgeteilt hat.

2 Wie sich aus dem Titel der Richtlinie 91/263 ergibt, besteht deren Zweck in der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Telekommunikationsendeinrichtungen einschließlich der gegenseitigen Anerkennung ihrer Konformität. Gemäß Artikel 17 dieser Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Richtlinie spätestens zum 6. November 1992 nachzukommen, und die Kommission unverzueglich davon in Kenntnis zu setzen.

3 Nachdem die Kommission keine Mitteilung der luxemburgischen Regierung über erlassene Maßnahmen erhalten hatte, forderte sie sie mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 gemäß Artikel 169 EG-Vertrag zur Äusserung auf.

4 Da sie keine Antwort erhielt, richtete die Kommission am 7. Februar 1994 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die luxemburgische Regierung, in der sie diese aufforderte, innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der Richtlinie 91/263 nachzukommen. Da diese mit Gründen versehene Stellungnahme ebenfalls unbeantwortet blieb, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

5 Die luxemburgische Regierung hat vor dem Gerichtshof erstens geltend gemacht, die Richtlinie 91/263 sei in Luxemburg bereits anwendbar, da die Großherzogliche Verordnung vom 15. Dezember 1988 zur Umsetzung der Richtlinie 86/361/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 über die erste Phase der gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Telekommunikations-Endgeräten (ABl. L 217, S. 21) den Bereich der Richtlinie 91/263 schon abdecke.

6 Die luxemburgische Regierung beruft sich zweitens auf ein Gesetz vom 10. August 1992 über die Errichtung des Post- und Telekommunikationsunternehmens, durch das die frühere Verwaltung der Post und der Telekommunikation in ein finanziell und administrativ unabhängiges öffentliches Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit verwandelt worden sei. Sie trägt vor, durch dieses Gesetz sei eine vom Betreiber verschiedene nationale Behörde geschaffen worden und die Politik des Großherzogtums in diesem Bereich sei schon immer liberal gewesen. Sie macht schließlich geltend, es liege bereits ein Entwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 91/263 und der Richtlinie 93/97/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Ergänzung der Richtlinie 91/263/EWG hinsichtlich Satellitenfunkanlagen (ABl. L 290, S. 1) vor.

7 Aufgrund dieser Erwägungen ist die luxemburgische Regierung der Auffassung, das mit der Richtlinie 91/263 verfolgte Ziel sei im gegenwärtigen Zeitpunkt schon erreicht und die Grundsätze dieser Richtlinie ° der freie Verkehr von Telekommunikationsendeinrichtungen und die gegenseitige Anerkennung ihrer Konformität ° würden im Großherzogtum beachtet.

Zur Großherzoglichen Verordnung vom 15. Dezember 1988

8 Da mit der Großherzoglichen Verordnung vom 15. Dezember 1988 die Richtlinie 86/361 durch vollständige Übernahme ihres Textes im Anhang umgesetzt wurde, sind zunächst Zweck und Inhalt dieser Richtlinie und der Richtlinie 91/263 zu untersuchen, um festzustellen, ob das Großherzogtum Luxemburg durch Umsetzung der Richtlinie 86/361 die zur Durchführung der Richtlinie 91/263 erforderlichen Maßnahmen erlassen hat.

9 Gemäß der fünften Begründungserwägung der Richtlinie 86/361 "[stellt die] gegenseitige Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Telekommunikations-Endgräten... einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung eines offenen und einheitlichen Marktes für diese Geräte dar". Gemäß der sechsten Begründungserwägung dieser Richtlinie muß dieses Ziel infolge unterschiedlicher Ausgangslagen sowie technischer und verwaltungsmässiger Sachzwänge in den Mitgliedstaaten schrittweise erreicht werden.

10 Gemäß der siebten Begründungserwägung der Richtlinie 86/361 sollte die gegenseitige Anerkennung der Konformitätsprüfungen von seriengefertigten Endgeräten die erste Phase der gegenseitigen Anerkennung für die Allgemeinzulassung dieser Geräte darstellen. Zu diesem Zweck sieht Artikel 1 dieser Richtlinie folgendes vor: "Die Mitgliedstaaten führen die gegenseitige Anerkennung der Prüfungsergebnisse betreffend die Konformität seriengefertigter Telekommunikations-Endgeräte mit gemeinsamen Spezifikationen nach Maßgabe dieser Richtlinie durch."

11 Gemäß Artikel 7 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 86/361 teilen die Mitgliedstaaten der Kommission mit, welche Behörden in ihrem Gebiet dafür zuständig sind, Allgemeinzulassungen für Endgeräte zu erteilen, und übermitteln ihr die Liste der Prüfstellen, die sie als zuständig für die Durchführung der Prüfung der Endgeräte auf Konformität mit den gemeinsamen Konformitätsspezifikationen im Sinne von Artikel 2 Nr. 13 der Richtlinie anerkennen. Diese Prüfstellen sind auch dafür zuständig, gegebenenfalls die in Artikel 7 Absatz 3 vorgesehenen Konformitätsbescheinigungen auszustellen, aus denen alle Prüfdaten ersichtlich sind.

12 Obwohl der Zweck der Richtlinie 86/361 in der gegenseitigen Anerkennung und der Harmonisierung der Konformitätsnormen besteht, bleibt jedoch, wie der Generalanwalt in Nummer 12 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, weiter eine Zulassung in jedem Mitgliedstaat erforderlich, da die Anerkennung im anderen Mitgliedstaat nur für das Ergebnis der Prüfungen gilt.

13 Durch Artikel 9 der Richtlinie 86/361 schließlich wird der Kommission aufgegeben, die Modalitäten für die zweite Phase der Verwirklichung eines von allen Binnengrenzen befreiten Marktes für Telekommunikations-Endgeräte, die insbesondere die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen für Endgeräte beinhaltet, zu prüfen und dem Rat entsprechende Vorschläge vorzulegen.

14 Was die Richtlinie 91/263 betrifft, so wird in ihrer ersten Begründungserwägung daran erinnert, daß Artikel 9 der Richtlinie 86/361 eine weitere Phase zur vollen gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen für Telekommunikationsendeinrichtungen vorgesehen habe.

15 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß der Zweck der Richtlinie 91/263 weiter ist als der der Richtlinie 86/361; er besteht nämlich in der vollen gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Endeinrichtungen, damit jede Endeinrichtung eine in der ganzen Gemeinschaft gültige einheitliche Zulassung erhält. Auch der Anwendungsbereich der Richtlinie 91/263 ist umfassender als der der Richtlinie 86/361, da er sowohl die Endeinrichtungen betrifft, die an das öffentliche Telekommunikationsnetz angeschlossen werden sollen (Artikel 1), als auch die Einrichtungen, die für den Anschluß an ein öffentliches Telekommunikationsnetz geeignet sind, die jedoch dafür nicht vorgesehen sind (Artikel 2).

16 Artikel 3 der Richtlinie 91/263 verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß Endeinrichtungen nur dann in den Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie bei einwandfreier Installierung und Wartung sowie zweckgerechter Benutzung die in dieser Richtlinie festgelegten Anforderungen erfuellen. Hieraus folgt, daß die Richtlinie nicht nur die Anerkennung der Ergebnisse der in den anderen Mitgliedstaaten durchgeführten Prüfungen, sondern auch die Anerkennung der Zulassungen vorsieht.

17 Ausserdem müssen die Endeinrichtungen drei Anforderungen erfuellen, die sich aus Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben c, e und f ergeben, nämlich elektromagnetische Verträglichkeit, effiziente Nutzung des Funkfrequenzspektrums und Kommunikationsfähigkeit der Endeinrichtungen mit Einrichtungen des öffentlichen Telekommunikationsnetzes zur Herstellung, Änderung, Gebührenberechnung, Aufrechterhaltung und Auslösung einer realen oder virtüllen Verbindung. Diese Anforderungen sind in der in Artikel 2 Nr. 17 der Richtlinie 86/361 enthaltenen Liste der grundlegenden Anforderungen nicht aufgeführt.

18 Wenn eine Endeinrichtung den Bestimmungen der Richtlinie 91/263 entspricht, können die Mitgliedstaaten auf ihrem Hoheitsgebiet weder das Inverkehrbringen noch den freien Verkehr noch die Verwendung dieser Endeinrichtung behindern (Artikel 5). Auch gehen die Mitgliedstaaten von der Erfuellung der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten grundlegenden Anforderungen bei solchen Endeinrichtungen aus, die den nationalen Normen zur Umsetzung der relevanten harmonisierten Normen entsprechen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurden. Ausserdem sieht Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 91/263 vor, daß die Kommission Maßnahmen erlässt, die die in der Richtlinie genannten grundlegenden Anforderungen betreffen.

19 Durch die Richtlinie 91/263 wurde für die den Anforderungen der Richtlinie entsprechenden Endeinrichtungen auch ein EG-Kennzeichnungssystem eingeführt, das in der Richtlinie 86/361 nicht vorgesehen war.

20 Aufgrund des Vorstehenden reichen nationale Bestimmungen, durch die lediglich der Text der Richtlinie 86/361 übernommen wird, zur Umsetzung der Richtlinie 91/263 offensichtlich nicht aus.

Zum Gesetz vom 10. August 1992

21 Wie der Generalanwalt in Nummer 25 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, war die Trennung zwischen dem Unternehmen, das Waren und Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation anbietet, und der Stelle, die für die Erteilung der Zulassungen zuständig ist, schon gemäß Artikel 6 der Richtlinie 88/301/EWG der Kommission vom 16. Mai 1988 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikations-Endgeräte (ABl. L 131, S. 73) vorgeschrieben. Aufgrund des Vorstehenden steht fest, daß Inhalt und Zweck der Richtlinie 91/263 über die in diesem Bereich geltenden nationalen Bestimmungen hinausgehen. Dieses Argument ist deshalb zurückzuweisen.

Zu der vom Großherzogtum verfolgten liberalen Politik und dem Entwurf der Großherzoglichen Verordnung

22 Zu dem Vorbringen der luxemburgischen Regierung hinsichtlich der liberalen Politik in bezug auf Endeinrichtungen genügt der Hinweis, daß die Übereinstimmung einer Praxis mit den Schutzgeboten einer Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kein Grund dafür sein kann, diese Richtlinie nicht durch Bestimmungen in die innerstaatliche Rechtsordnung umzusetzen, die so bestimmt, klar und transparent sind, daß der einzelne wissen kann, welche Rechte und Pflichten er hat (vgl. insbesondere in diesem Sinn das Urteil vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache C-361/88, Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-2567, Randnr. 24). Auch ist das Vorliegen eines Verordnungsentwurfs nicht geeignet, die Umsetzung der Richtlinie 91/263 zu gewährleisten.

23 Es ist demgemäß festzustellen, daß das Großherzogtum Luxemburg gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/263 und insbesondere aus deren Artikel 17 verstossen hat, indem es nicht innerhalb der festgesetzten Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der genannten Richtlinie nachzukommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Großherzogtum Luxemburg mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Großherzogtum Luxemburg hat gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/263/EWG des Rates vom 29. April 1991 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Telekommunikationsendeinrichtungen einschließlich der gegenseitigen Anerkennung ihrer Konformität und insbesondere aus deren Artikel 17 verstossen, indem es nicht innerhalb der festgesetzten Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der genannten Richtlinie nachzukommen.

2. Das Großherzogtum Luxemburg trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

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