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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.10.1995
Aktenzeichen: C-227/94
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, Verordnung Nr. 1408/71


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern Nr. 4 Buchst. a des die Niederlande betreffenden Abschnitts des Anhangs V
Verordnung Nr. 1408/71 Art. 46 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Nach Nummer 4 Buchstabe a des die Niederlande betreffenden Abschnitts des Anhangs V der Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung, die am 1. Februar 1982 galt, zählen zu den Beschäftigungszeiten auch Zeiten, in denen die Betroffene aufgrund eines mit einer privaten Schuleinrichtung geschlossenen Arbeitsvertrags als Lehrerin beschäftigt war, selbst wenn sie in dieser Zeit in einem vom Geltungsbereich der Verordnung ausgenommenen Sondersystem für Beamte oder ihnen Gleichgestellte versichert war. Würde nämlich die demgemäß im Rahmen dieses Sondersystems zurückgelegte Beschäftigungszeit nicht als Versicherungszeit im Sinne von Anhang V der Verordnung angesehen, so würde die Betroffene unter Verstoß gegen Artikel 51 EG-Vertrag einen Nachteil erleiden, während die Berücksichtigung dieser Zeit nicht zum Zusammentreffen verschiedener Ansprüche führt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 17. OKTOBER 1995. - E. OLIVIERI-COENEN GEGEN BESTUUR VAN DE NIEUWE ALGEMENE BEDRIJFSVERENIGING. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARRONDISSEMENTSRECHTBANK AMSTERDAM - NIEDERLANDE. - SOZIALE SICHERHEIT - ARBEITSUNFAEHIGKEIT - BUERGERLICH-RECHTLICHER ARBEITSVERTRAG - VON EINEM SONDERSYSTEM FUER BEAMTE ERFASSTE TAETIGKEIT - ARTIKEL 4 ABSATZ 4 DER VERORDNUNG (EWG) NR. 1408/71 - NR. 4 BUCHSTABE A DES DIE NIEDERLANDE BETREFFENDEN ABSCHNITTS DES ANHANGS V DER VERORDNUNG (EWG) NR. 1408/71. - RECHTSSACHE C-227/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Arrondissementsrechtbank Amsterdam hat mit Beschluß vom 1. August 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 3. August 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Nr. 4 Buchstabe a des die Niederlande betreffenden Abschnitts des Anhangs V der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2, im folgenden: Verordnung), zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Nieuwe Algemene Bedrijfsvereniging und Frau Olivieri-Cönen (Klägerin) über die Berechnung einer Leistung bei Arbeitsunfähigkeit.

3 Die Verordnung ist gemäß ihrem Artikel 4 Absatz 4 "auf Sondersysteme für Beamte und ihnen Gleichgestellte" nicht anzuwenden.

4 Nummer 4 Buchstabe a des die Niederlande betreffenden Buchstaben I des Anhangs V der Verordnung lautet in der durch die Akte über die Beitrittsbedingungen der Republik Griechenland und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1979, L 291, S. 17, im folgenden: die Niederlande betreffender Abschnitt) geänderten Fassung wie folgt:

"Für die Anwendung des Artikels 46 Absatz 2 der Verordnung [betreffend die Festellung von anteiligen Leistungen] gelten als Versicherungszeiten, die nach den niederländischen Rechtsvorschriften über die Versicherung für den Fall der Arbeitsunfähigkeit zurückgelegt worden sind, auch die in den Niederlanden vor dem 1. Juli 1967 zurückgelegten Beschäftigungszeiten und gleichgestellten Zeiten."

5 Die Wet op de arbeidsongeschiktheidsverzekering (Gesetz über die Arbeitsunfähigkeitsversicherung, im folgenden: WAO), durch die in den Niederlanden der Anspruch auf die Leistung bei Invalidität geregelt ist, gilt nicht für Beamte und ihnen Gleichgestellte. Die Letztgenannten fielen insoweit unter die Pensiönwet (Rentengesetz) von 1922, an deren Stelle 1965 die Algemene Burgelijke Pensiönwet (allgemeines bürgerliches Rentengesetz, im folgenden: ABPW) trat. Die ABPW enthielt eine Übergangsregelung, nach der die Anwartschaft auf eine aufgeschobene Altersrente nach der Pensiönwet fünf Jahre lang, also bis zum 1. Januar 1971, bestehen blieb, so daß Beamte, die nach dem 1. Januar 1971 dienstunfähig wurden, keinen Anspruch auf eine aufgeschobene Invaliditätsrente geltend machen können.

6 Die am 9. Januar 1927 geborene Klägerin, die bis 1959 in den Niederlanden wohnte, unterrichtete dort aufgrund eines bürgerlich-rechtlichen Arbeitsvertrags vom 1. September 1946 bis zum 29. Januar 1959 an einer Privatschule.

7 Vom 1. September 1947 bis zum 29. Januar 1959 war sie in dem durch die Pensiönwet geregelten Sondersystem für Beamte und ihnen Gleichgestellte versichert.

8 Nach ihrer Eheschließung mit einem italienischen Staatsbürger erwarb sie die italienische Staatsangehörigkeit und ließ sich 1959 in Italien nieder. Zusammen mit ihrem Ehemann arbeitete sie dort in einem ihnen gehörenden Hotelbetrieb. Die Klägerin war von März 1960 bis Juli 1981 in Italien versichert.

9 Am 26. Februar 1979 gab sie ihre Tätigkeit aus Gesundheitsgründen auf. Der zuständige italienische Träger bewilligte ihr mit Wirkung vom 1. Februar 1982 eine Invaliditätsrente. Die Klägerin beantragte ferner die Gewährung einer nach Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung berechneten anteiligen niederländischen Leistung bei Arbeitsunfähigkeit.

10 Die Nieuwe Algemene Bedrijfsvereniging, der zuständige niederländische Versicherungsträger, teilte der Klägerin am 13. März 1991 mit, sie habe ihr gemäß der WAO mit Wirkung vom 1. Februar 1982 eine Leistung bei Arbeitsunfähigkeit bewilligt, die anteilig unter Zugrundelegung eines in den Niederlanden zurückgelegten Versicherungsjahrs, von September 1946 bis September 1947, berechnet worden sei, weil von diesem Zeitpunkt an die für Beamte und ihnen Gleichgestellte geltende Pensiönwet auf sie anzuwenden gewesen sei. Da die Klägerin nach dem 1. Januar 1971 arbeitsunfähig geworden sei, komme ihr im übrigen die Übergangsregelung der ABPW nicht zugute.

11 Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid bei der Arrondissementsrechtbank Amsterdam Klage. Sie macht geltend, sie sei elf Jahre lang in den Niederlanden als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen.

12 Das vorlegende Gericht hält es für zweifelhaft, ob unter Beschäftigungszeiten im Sinne von Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung Zeiten zu verstehen sind, in denen die Betroffene aufgrund eines mit einer privaten Schuleinrichtung geschlossenen Arbeitsvertrags als Lehrerin beschäftigt war, selbst wenn sie während dieser Zeit in einem Sondersystem für Beamte und ihnen Gleichgestellte versichert war. Es hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind unter den in Buchstabe... (betreffend die Niederlande) Nr. 4 Buchstabe a des Anhangs V der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung, die am 1. Februar 1982 galt, aufgeführten Beschäftigungszeiten auch Zeiten zu verstehen, in denen die Betroffene aufgrund eines mit einer privaten Schuleinrichtung geschlossenen Arbeitsvertrags als Lehrerin beschäftigt war, selbst wenn sie während dieser Zeit in einem Sondersystem für Beamte oder ihnen Gleichgestellte versichert war?

13 Zeiten, in denen jemand aufgrund eines mit einer privaten Schuleinrichtung geschlossenen Arbeitsvertrags als Lehrerin beschäftigt ist, stellen Beschäftigungszeiten dar.

14 Zwar sind Sondersysteme für Beamte und ihnen Gleichgestellte vom Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen, jedoch ergibt sich aus dem Wortlaut von Nr. 4 Buchstabe a des die Niederlande betreffenden Abschnitts des Anhangs V der Verordnung eindeutig, daß für die Anwendung von Artikel 46 Absatz 2 alle Beschäftigungszeiten ohne Unterschied als Versicherungszeiten anzusehen sind.

15 Die Tatsache, daß jemand während eines bestimmten Beschäftigungszeitraums unter ein Sondersystem für Beamte und ihnen Gleichgestellte fiel, bedeutet insoweit nicht, daß dieser Zeitraum keine Beschäftigungszeit oder gleichgestellte Zeit im Sinne von Nr. 4 Buchstabe a des die Niederlande betreffenden Abschnitts des Anhangs V der Verordnung darstellt.

16 Wie der Gerichtshof mit Urteil vom 20. September 1994 in der Rechtssache C-12/93 (Drake, Slg. 1994, I-4337, Randnr. 20) festgestellt hat, besteht zwischen den Bestimmungen der Verordnung einerseits und denen ihres Anhangs VI (vormals Anhang V) andererseits kein Rangverhältnis, da alle diese Bestimmungen auf der Grundlage von Artikel 51 EG-Vertrag erlassen wurden und im Zusammenhang miteinander im Lichte des Zwecks dieses Artikels auszulegen sind, die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zu fördern, die eine der Grundlagen der Gemeinschaft darstellt.

17 Würde die im Rahmen des Sondersystems für Beamte und ihnen Gleichgestellte zurückgelegte Beschäftigungszeit nicht als Versicherungszeit im Sinne von Anhang V der Verordnung (Abschnitt betreffend die Niederlande, Nr. 4 Buchstabe a) angesehen, so würde die Betroffene dadurch unter Verstoß gegen Artikel 51 EG-Vertrag einen Nachteil erleiden, während die Berücksichtigung dieser Zeit nicht zum Zusammentreffen verschiedener Ansprüche führt.

18 Folglich zählen nach Nr. 4 Buchstabe a des die Niederlande betreffenden Abschnitts des Anhangs V der Verordnung in der Fassung, die am 1. Februar 1982 galt, zu den Beschäftigungszeiten auch Zeiten, in denen die Betroffene aufgrund eines mit einer privaten Schuleinrichtung geschlossenen Arbeitsvertrags als Lehrerin beschäftigt war, selbst wenn sie in dieser Zeit in einem Sondersystem für Beamte oder ihnen Gleichgestellte versichert war.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm von der Arrondissementsrechtbank Amsterdam mit Beschluß vom 1. August 1994 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Nach Nummer 4 Buchstabe a des die Niederlande betreffenden Abschnitts des Anhangs V der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung, die am 1. Februar 1982 galt, zählen zu den Beschäftigungszeiten auch Zeiten, in denen die Betroffene aufgrund eines mit einer privaten Schuleinrichtung geschlossenen Arbeitsvertrags als Lehrerin beschäftigt war, selbst wenn sie in dieser Zeit in einem Sondersystem für Beamte oder ihnen Gleichgestellte versichert war.

Ende der Entscheidung

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