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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.07.1990
Aktenzeichen: C-23/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 36
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß nationale Rechtsvorschriften, die den Verkauf nicht verbotener Sexartikel in nicht konzessionierten Sexshops verbieten, keine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung darstellen.

Eine derartige Regelung, die die Modalitäten des Absatzes bestimmter Erzeugnisse betrifft, unterschiedslos für eingeführte und inländische Erzeugnisse gilt und nicht die Regelung des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs zum Gegenstand hat, steht in Wirklichkeit in keinem Zusammenhang mit diesem Handelsverkehr, da die Erzeugnisse, für die sie gilt, in Ladengeschäften, die über eine entsprechende Konzession verfügen, und über andere Vertriebswege abgesetzt werden können, nämlich in Ladengeschäften, in denen auf Sexartikel nur ein unerheblicher Teil des Absatzes entfällt, die aus diesem Grund nicht konzessionspflichtig sind, oder im Versandhandel.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 11. JULI 1990. - QUIETLYNN LTD UND BRIAN JAMES RICHARDS GEGEN SOUTHEND BOROUGH COUNCIL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: CROWN COURT, CHELMSFORD - VEREINIGTES KOENIGREICH. - FREIER WARENVERKEHR - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 30 UND 36 EWG-VERTRAG - NATIONALES VERBOT DES VERKAUFS NICHT VERBOTNER SEXARTIKEL DURCH NICHT ZUGELASSENE SEXLAEDEN. - RECHTSSACHE C-23/89.

Entscheidungsgründe:

1 Der Chelmsford Crown Court ( Vereinigtes Königreich ) hat mit Beschluß vom 7. September 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Januar 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften, die den Verkauf von nicht verbotenen Sexartikeln in Sexshops ohne entsprechende Konzession verbieten, mit den genannten Vorschriften beurteilen zu können.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Unternehmen Quietlynn Limited und Brian James Richards, dessen Geschäftsführer, die ein Einzelhandelsgeschäft betreiben, in dem unter anderem Sexartikel verkauft werden, und dem Southend Borough Concil.

3 Section 2 des Local Government ( Miscellaneous Provisions ) Act von 1982 ( Kommunalverwaltungsgesetz, nachstehend : Gesetz ) gibt den Kommunalverwaltungen von England und Wales die Befugnis zur Kontrolle von Sexkinos und Sexshops in diesem Gebiet. Danach sind diese Behörden insbesondere befugt, die Vorschriften des Anhangs 3 des Gesetzes von 1982, die es erlauben, den Verkauf dieser Artikel von dieser Konzession abhängig zu machen, durch entsprechende Entscheidung in ihrem Gebiet in Kraft zu setzen.

4 Der Southend Borough Council machte von dieser Möglichkeit mit Wirkung vom 23. Juni 1983 Gebrauch. Er leitete sodann gegen die Quietlynn Limited und Brian James Richards mit der Begründung ein Strafverfahren ein, sie hätten ihr Geschäftslokal am 13. März 1985 und am 11. April 1985 ohne Konzession genutzt. Sie wurden vom Magistrates Court Southend am 11. Februar 1986 wegen zweier strafbarer Handlungen jeweils zu einer Geldbusse von 1000 UKL und zur Tragung der Kosten verurteilt.

5 Die Quietlynn Limited und Brian James Richards legten gegen dieses Urteil Berufung zum Chelmsford Crown Court ein; zu ihrer Verteidigung machen sie nur geltend, daß die Vorschriften des Gesetzes über die Konzessionsregelung für Sexshops mit Artikel 30 EWG-Vertrag unvereinbar seien, da sie eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung der Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten darstellten, für die keine der in Artikel 36 angeführten oder sonstigen Ausnahmen gelten.

6 Der Chelmsford Crown Court ist zu der Auffassung gelangt, daß der Rechtsstreit Probleme der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwirft und hat deshalb dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

Frage 1

Wenn ein Mitgliedstaat ( nachdem eine Kommunalverwaltung entschieden hat, daß bestimmte Rechtsvorschriften, nach denen für Geschäftslokale, die Sexshops sind, eine Konzession erforderlich ist, in ihrem Gebiet anzuwenden sind ) den Verkauf ( unter anderem ) von gesetzlich erlaubten Sexartikeln in Sexshops, für die keine Konzession vorliegt, verbietet und wenn dieses Verbot bewirkt, daß die Kommunalverwaltung die Kontrolle über Sexshops in ihrem Gebiet ausüben kann, und wenn dies dazu geführt hat, daß die Beschwerdeführer im Verkauf von Waren aus anderen Mitgliedstaaten eingeschränkt worden sind, da sie versucht haben, durch ihre Lagerhaltung nicht gegen das "Gesetz" zu verstossen, und dadurch weniger aus anderen Mitgliedstaaten eingeführtes Material verkauft haben, als dies sonst der Fall gewesen wäre, und auf diese Weise die Verfügbarkeit von in anderen Mitgliedstaaten hergestellten Sexartikeln beschränkt wird, stellt dann ein solches Verbot eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag dar?

Frage 2

Gilt, wenn Frage 1 bejaht wird, für eine solche Maßnahme ein Rechtfertigungsgrund nach Artikel 36?

Frage 3

Wenn das in Frage 1 genannte Verbot gegen Artikel 30 verstösst und nicht nach Artikel 36 gerechtfertigt ist, ist es dann gegenüber einem Händler in dem Mitgliedstaat überhaupt nicht oder nur insoweit nicht durchsetzbar, als es Geschäfte mit in anderen Mitgliedstaaten hergestellten oder von dort eingeführten Waren verbietet?

7 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

8 Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob Rechtsvorschriften, die den Verkauf nicht verbotener Sexartikel in nicht konzessionierten Sexshops verbieten, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag darstellen.

9 Vorab ist festzustellen, daß eine nationale Regelung, die den Verkauf von Sexartikeln in nicht konzessionierten Ladengeschäften verbietet, unterschiedslos für eingeführte und inländische Erzeugnisse gilt. Sie stellt deshalb kein vollständiges Verbot des Verkaufs der fraglichen Erzeugnisse dar, sondern lediglich eine Vorschrift für den Vertrieb, die regelt, in welchen Verkaufsstätten die Erzeugnisse verkauft werden dürfen. Grundsätzlich ist somit der Absatz von aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnissen nicht schwieriger geworden als der inländischer Erzeugnisse.

10 Der Gerichtshof hat in ähnlichen Fällen, in denen es um die Modalitäten des Absatzes bestimmter Erzeugnisse ging, für Recht erkannt, daß Artikel 30 EWG-Vertrag nicht zur Anwendung kommt. So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 155/80 ( Öbel, Slg. 1981, 1993 ) entschieden, daß eine nationale Regelung über die Arbeits - und Auslieferungs - und Verkaufszeiten im Bäckerei - und Konditoreisektor mit Artikel 30 EWG-Vertrag vereinbar war, da der innergemeinschaftliche Handelsverkehr jederzeit möglich blieb. Desgleichen hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 31. März 1982 in der Rechtssache 75/81 ( Blesgen, Slg. 1982, 1211 ) festgestellt, daß eine Rechtsvorschrift, die nur den Verkauf von Getränken mit hohem Alkoholgehalt zum sofortigen Verzehr an allen Orten, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, nicht aber andere Formen des Vertriebs derartiger Getränke betraf, in Wirklichkeit in keinem Zusammenhang mit der Einfuhr der Waren stand und aus diesem Grund nicht geeignet war, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

11 Auch die Vorschriften, die den Verkauf von Sexartikeln in nicht konzessionierten Sexshops verbieten, stehen in Wirklichkeit in keinem Zusammenhang mit dem innergemeinschaftlichen Handelsverkehr, da die Erzeugnisse, für die dieses Gesetz gilt, in Ladengeschäften, die über eine entsprechende Konzession verfügen, und über andere Vertriebswege abgesetzt werden können, nämlich in Ladengeschäften, in denen auf Sexartikel nur ein unerheblicher Teil des Absatzes entfällt und die aus diesem Grund nicht konzessionspflichtig sind, oder im Versandhandel. Zudem haben diese Vorschriften nicht die Regelung des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs zum Gegenstand und können somit den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht behindern.

12 Deshalb ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 30 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß nationale Rechtsvorschriften, die den Verkauf nicht verbotener Sexartikel in nicht konzessionierten Sexshops verbieten, keine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung darstellen.

Zur zweiten und dritten Frage

13 Angesichts der Antwort auf die erste Frage brauchen die zweite und die dritte Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

14 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

auf die ihm vom Chelmsford Crown Court ( Vereinigtes Königreich ) mit Beschluß vom 1. September 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß nationale Rechtsvorschriften, die den Verkauf nicht verbotener Sexartikel in nicht konzessionierten Sexshops verbieten, keine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung darstellen.

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