Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.04.1991
Aktenzeichen: C-230/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
EWG-Vertrag Art. 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat, der bei der Mehrwertsteuer auf alkoholische Getränke unterschiedliche Sätze erhebt, die so ausgestaltet sind, daß die gesamte inländische Erzeugung in die günstigste Steuerklasse fällt, während eingeführte Erzeugnisse, die im Inland nicht hergestellt werden, mit wenigen Ausnahmen der höchsten Steuerklasse angehören, verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 95 EWG-Vertrag.

In Ansehung des Artikels 95 besteht nämlich zwischen alkoholischen Getränken Gleichartigkeit oder es gibt gemeinsame Zuege, die genügend ausgeprägt sind, um die Annahme zuzulassen, daß wenigstens ein teilweiser oder potentieller Wettbewerb vorliegt.

In bezug auf den möglichen Substitutionsgrad der alkoholischen Getränke untereinander ist der Umstand, daß diejenigen Getränke, für die der günstigste Steuersatz gilt, als traditionelle inländische Getränke angesehen und in der Bevölkerung reichlich getrunken werden, während die am höchsten besteuerten Getränke vom Verbraucher als Luxuserzeugnisse angesehen werden, unerheblich. Bei der Bestimmung des Substitutionsgrades darf man sich nämlich nicht auf die in einem Mitgliedstaat oder einem bestimmten Gebiet bestehenden Trinkgewohnheiten beschränken. Diese Gewohnheiten, die nach Zeit und Ort sehr unterschiedlich sein können, dürfen nicht als unveränderlich angesehen werden; die Steuerpolitik eines Mitgliedstaats darf nicht dazu dienen, die gegebenen Verbrauchsgewohnheiten zu zementieren, um einer mit deren Befriedigung befassten inländischen Industrie einen erworbenen Vorteil zu bewahren.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 18. APRIL 1991. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - ALKOHOLISCHE GETRAENKE - UNTERSCHIEDLICHE BESTEUERUNG. - RECHTSSACHE C-230/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 19. Juli 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 95 EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie auf alkoholische Getränke unterschiedliche Mehrwertsteuersätze erhebt und dabei eingeführte Getränke benachteiligt, die in Griechenland nicht hergestellt werden.

2 Nach Artikel 1 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 1676 von 1986 (FEK Nr. 125/A vom 29.12.1986), das das Gesetz Nr. 1642 von 1986 (FEK Nr. 204/A vom 21.8.1986), mit dem die Griechische Republik eine Mehrwertsteuerregelung eingeführt hat, ergänzt und ändert, beträgt der Steuersatz für Lieferungen von Gegenständen, für Dienstleistungen und für Einfuhren von Gegenständen 18 %. Dieser Steuersatz wurde durch Artikel 4 des Runderlasses R 8499/4941 vom 28. Dezember 1987 auf 16 % herabgesetzt. Artikel 1 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 1676 sieht einen erhöhten Steuersatz von 36 % für die in Anhang III des Gesetzes Nr. 1642 aufgeführten Gegenstände und Dienstleistungen vor.

3 Zu den in diesem Anhang aufgezählten Erzeugnissen gehören bestimmte alkoholische Getränke, nämlich Whisky, Gin, Wodka, Rum, Tequila, Arrak und Taffia, die Griechenland nach den Angaben der Kommission nicht herstellt, während für alkoholische Getränke, wie zum Beispiel Ouzo, Weinbrand und Liköre, die hauptsächlich in Griechenland hergestellt werden, der allgemeine Steuersatz von 16 % gilt.

4 Wegen weiterer Einzelheiten der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

5 Die Kommission macht geltend, daß alle alkoholischen Getränke als gleichartige Waren im Sinne von Artikel 95 Absatz 1 oder zumindest teilweise oder potentiell als Konkurrenzprodukte im Sinne von Artikel 95 Absatz 2 anzusehen seien. Eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes, die deshalb, weil die von ihr erfassten Getränke im Inland nicht hergestellt würden, tatsächlich nur eingeführte Erzeugnisse betreffe, könne nicht als mit dem Diskriminierungsverbot des Artikels 95 vereinbar angesehen werden.

6 Die Griechische Republik führt aus, daß die für alkoholische Getränke geltenden Mehrwertsteuersätze nach objektiven Kriterien wie Verbrauchsgewohnheiten und besonderen Eigenschaften der Getränke festgesetzt worden seien, ohne daß zwischen inländischen und eingeführten Erzeugnissen unterschieden worden sei. Nicht alle alkoholischen Getränke könnten als gleichartig angesehen werden. So sei Ouzo das traditionelle griechische Getränk, das in der Bevölkerung reichlich getrunken werde, während Whisky vom Verbraucher als Luxuserzeugnis angesehen werde; deshalb sei es logisch, daß jeder, der sich ein derartiges Getränk leisten könne, einen höheren Mehrwertsteuersatz tragen müsse. Zudem fänden sich unter den zum günstigsten Satz besteuerten Getränken eingeführte Getränke wie Weinbrand und bestimmte Liköre, die in der Bevölkerung in grossem Umfang getrunken würden.

7 Es ist nach Artikel 95 untersagt, auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten höhere inländische Abgaben, als gleichartige inländische Waren zu tragen haben, oder inländische Abgaben zu erheben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen.

8 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat (Urteile vom 27. Februar 1980 in den Rechtssachen 168/78, Kommission/Frankreich, 169/78, Kommission/Italien, und 171/78, Kommission/Dänemark, Slg. 1980, 347, 385 und 447, und vom 15. März 1983 in der Rechtssache 319/81, Kommission/Italien, Slg. 1983, 601), gibt es bei alkoholischen Getränken eine unbeschränkte Zahl von Getränken, die als gleichartige Waren im Sinne des Artikels 95 Absatz 1 zu betrachten sind; ferner gibt es, auch wenn sich keine hinreichende Gleichartigkeit zwischen den fraglichen Erzeugnissen feststellen lässt, gemeinsame Zuege, die genügend ausgeprägt sind, um die Annahme zuzulassen, daß wenigstens ein teilweiser oder potentieller Wettbewerb vorliegt.

9 Der Umstand, daß Ouzo angeblich als traditionelles griechisches Getränk angesehen und in der Bevölkerung reichlich getrunken wird, während Whisky vom Verbraucher als Luxuserzeugnis angesehen werde, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Der Gerichtshof hat unter anderem in seinem Urteil vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 170/78 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1980, 417) ausgeführt, daß man sich bei der Bestimmung des möglichen Substitutionsgrades nicht auf die in einem Mitgliedstaat oder einem bestimmten Gebiet bestehenden Trinkgewohnheiten beschränken darf. Diese Gewohnheiten, die nach Zeit und Ort sehr unterschiedlich sein können, dürfen nämlich nicht als unveränderlich angesehen werden; die Steuerpolitik eines Mitgliedstaats darf daher nicht dazu dienen, die gegebenen Verbrauchsgewohnheiten zu zementieren, um einer mit deren Befriedigung befassten inländischen Industrie einen erworbenen Vorteil zu bewahren.

10 Die griechische Steuerregelung weist unbestreitbar diskriminierende oder protektionistische Merkmale auf. Obwohl sie nicht förmlich nach der Herkunft der Erzeugnisse unterscheidet, fällt doch der grösste Teil der inländischen Erzeugung alkoholischer Getränke in die günstigste Steuerklasse. Diese Merkmale der Regelung werden nicht dadurch beseitigt, daß ein Teil der eingeführten alkoholischen Getränke unter die günstigste Steuerklasse fällt (siehe das Urteil vom 27. Februar 1980, Kommission/Dänemark, a. a. O.). Somit begünstigt diese Steuerregelung die inländische Produktion und benachteiligt eingeführte alkoholische Getränke.

11 Die Griechische Republik führt auch den Umstand an, daß Ouzo hauptsächlich von kleinen handwerklichen Unternehmen hergestellt werde, die keine zusätzliche steuerliche Belastung tragen könnten. Der Gerichtshof habe die Möglichkeit einer Differenzierung der Steuersätze zum Schutz kleiner Betriebe, die geringe Mengen herstellten, oder zum Schutz von Erzeugnissen mit allgemein anerkanntem Traditions- und Qualitätscharakter zugelassen.

12 Zwar hat der Gerichtshof festgestellt, daß das Gemeinschaftsrecht beim derzeitigen Stand seiner Entwicklung und mangels einer Vereinheitlichung oder Angleichung der einschlägigen Bestimmungen den Mitgliedstaaten nicht verbietet, bestimmten Arten von Branntwein oder bestimmten Gruppen von Erzeugern steuerliche Vergünstigungen einzuräumen, und daß derartige steuerliche Erleichterungen legitimen wirtschaftlichen oder sozialen Zwecken dienen können (Urteil vom 10. Oktober 1978 in der Rechtssache 148/77, Hansen, Slg. 1978, 1787). Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Mitgliedstaaten diese Möglichkeiten, wenn sie sich ihrer bedienen, in nicht diskriminierender Weise auch auf eingeführte Erzeugnisse in gleicher Lage anwenden (Urteil vom 27. Februar 1980, Kommission/Frankreich, a. a. O.). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedenfalls nicht erfuellt.

13 Die Griechische Republik hat in der mündlichen Verhandlung noch geltend gemacht, daß im Inland Getränke, die der am höchsten besteuerten Gruppe angehörten, hergestellt würden. Die Kommission hat die Richtigkeit dieser Behauptung bestritten.

14 Dieses Verteidigungsmittel ist erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden. Es ist deshalb unzulässig.

15 Selbst wenn zudem Getränke aus der am höchsten besteuerten Gruppe in beschränktem Umfang im Inland hergestellt würden, könnte dieser Umstand nicht die diskriminierenden und protektionistischen Merkmale der fraglichen Regelung beseitigen.

16 Nach alledem ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung im von der Kommission beantragten Umfang festzustellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterlegene Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Griechische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Griechische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 95 EWG-Vertrag verstossen, daß sie auf alkoholische Getränke unterschiedliche Mehrwertsteuersätze erhebt und dabei eingeführte Getränke benachteiligt, die in Griechenland nicht hergestellt werden.

2) Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

Zurück