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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.02.2000
Aktenzeichen: C-234/96
Rechtsgebiete: EGV, GG, BGB, BeschFG


Vorschriften:

EGV Art. 177 (jetzt EGV Art. 234)
EGV Art. 119
EGV Art. 119
GG Art. 3
BGB § 612 Abs. 3
BeschFG § 2 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Durch die Verlesung des Entscheidungsvorschlags der Schlußanträge des Generalanwalts in einer Verhandlung vor einer anderen Kammer als derjenigen, die in der betreffenden Rechtssache entscheidet, werden weder die für das Verfahren vor dem Gerichtshof geltenden Vorschriften noch die den Parteien im Ausgangsverfahren eingeräumten Rechte verletzt. Die Richter der betreffenden Kammer können nämlich dadurch Kenntnis von den Schlußanträgen des Generalanwalts erlangen, daß diese in der Kanzlei des Gerichtshofes hinterlegt werden; die Öffentlichkeit der Schlußanträge wird insbesondere durch die Verlesung des Entscheidungsvorschlags in öffentlicher Sitzung und die Hinterlegung in der Kanzlei sichergestellt. (vgl. Randnrn 26-27)

2 Die sich aus dem Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Defrenne II) ergebende zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) zu berufen, steht nationalen Vorschriften, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird, aufgrund dessen alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System haben, nicht entgegen.

Den betroffenen Arbeitnehmern sollte durch diese Beschränkung keineswegs die Möglichkeit genommen werden, sich auf nationale Vorschriften zu berufen, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird. Nationale Vorschriften, durch die die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen sichergestellt wird, tragen nämlich dazu bei, Artikel 119 des Vertrages durchzuführen. In einem solchen Fall findet der Grundsatz der Rechtssicherheit, aufgrund dessen sich der Gerichtshof ausnahmsweise veranlaßt sehen kann, die Möglichkeit der Berufung auf eine von ihm ausgelegte Vorschrift zu beschränken, keine Anwendung und hindert nicht daran, nationale Vorschriften anzuwenden, durch die ein gemeinschaftsrechtskonformes Ergebnis gewährleistet wird.

Für diese Auslegung spielt es im übrigen keine Rolle, daß die einschlägigen nationalen Vorschriften die Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung und nicht aufgrund ihres Geschlechts untersagen. (vgl. Randnrn. 46-48, 50, 56, Tenor 1-2)


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 10. Februar 2000. - Deutsche Telekom AG gegen Agnes Vick (C-234/96) und Ute Conze (C-235/96). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Landesarbeitsgericht Hamburg - Deutschland. - Gleiches Entgelt für Männer und Frauen - Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) - Protokoll zu Artikel 119 EG-Vertrag - Betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit - Ausschluß teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer vom Anschluß an ein betriebliches System, das den Bezug einer zusätzlichen Altersrente ermöglicht - Rückwirkender Anschluß - Rentenanspruch - Verhältnis zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht. - Verbundene Rechtssachen C-234/96 und C-235/96.

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-234/96 und C-235/96

betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Landesarbeitsgericht Hamburg in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Deutsche Telekom AG, zuvor Deutsche Bundespost Telekom,

gegen

Agnes Vick (C-234/96),

Ute Conze (C-235/96)

vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) sowie des dem EG-Vertrag beigefügten Protokolls zu Artikel 119 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer R. Schintgen (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter G. Hirsch und H. Ragnemalm,

Generalanwalt: G. Cosmas

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Deutsche Telekom AG, vertreten durch Rechtsanwalt G. Engelbrecht, Hamburg,

- von Agnes Vick, vertreten durch Rechtsanwalt K. Neumann-Silkow, Wedel,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Hillenkamp und M. Wolfcarius, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt K. Bertelsmann, Hamburg,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Deutsche Telekom AG und der Kommission in der Sitzung vom 1. Juli 1998,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Oktober 1998,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat mit zwei Beschlüssen vom 12. Dezember 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juli 1996, in beiden Rechtssachen gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) sowie des dem EG-Vertrag beigefügten Protokolls zu Artikel 119 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im folgenden: Protokoll) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Deutsche Telekom AG (im folgenden: Beklagte), zuvor Deutsche Bundespost Telekom, und Agnes Vick (C-234/96) sowie Ute Conze (C-235/96) (im folgenden: Klägerinnen) über die Voraussetzungen für den Anschluß an ein betriebliches Zusatzversorgungssystem und die Gewährung einer entsprechenden Rente.

Das nationale Recht

3 Artikel 3 Absätze 1 bis 3 des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt:

"(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."

4 Durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. August 1980 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz wurde in § 612 des Bürgerlichen Gesetzbuchs folgender Absatz 3 angefügt:

"Bei einem Arbeitsverhältnis darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts des Arbeitnehmers eine geringere Vergütung vereinbart werden als bei einem Arbeitnehmer des anderen Geschlechts. Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung wird nicht dadurch gerechtfertigt, daß wegen des Geschlechts des Arbeitnehmers besondere Schutzvorschriften gelten..."

5 1985 wurde das Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (BeschFG) erlassen, dessen §§ 2 bis 6 die Teilzeitarbeit regeln. Nach § 2 Absatz 1 darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nach § 6 kann jedoch von den Vorschriften des betreffenden Abschnitts auch zuungunsten des Arbeitnehmers durch Tarifvertrag abgewichen werden.

6 Nach § 24 des Tarifvertrags für Arbeiter der Deutschen Bundespost sind Arbeiter bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) nach Maßgabe des Tarifvertrags über die Versorgung der Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost (im folgenden: Versorgungstarifvertrag) in seiner jeweils geltenden Fassung zu versichern.

7 Bis zum 31. Dezember 1987 bestimmte § 3 des Versorgungstarifvertrags:

"Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn... seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens die Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Wochenarbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt..."

8 § 3 wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1988 wie folgt geändert:

"Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn... seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens 18 Stunden beträgt."

9 Durch Tarifvertrag vom 22. September 1992 wurde § 3 des Versorgungstarifvertrags rückwirkend zum 1. April 1991 erneut geändert und lautet nun folgendermaßen:

"Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn... er in einem Arbeitsverhältnis steht, in dem er nicht nur im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV geringfügig beschäftigt ist."

Die Ausgangsverfahren

10 Die Klägerin Vick war als Teilzeitkraft bei der Beklagten beschäftigt, zunächst wöchentlich 24 Stunden vom 1. Juli 1971 bis zum 30. September 1972, dann wöchentlich 16 Stunden vom 1. Oktober 1972 bis zum 30. Juni 1991, dem Zeitpunkt, zu dem sie in den Ruhestand ging. Seit dem 1. Juli 1991 bezieht sie eine gesetzliche Altersrente.

11 Sie war vom 1. Juli 1971 bis zum 30. September 1972 bei der VAP versichert. Mit Herabsetzung ihrer Wochenarbeitszeit ab dem 1. Oktober 1972 wurde sie bei der VAP abgemeldet und erhielt den von ihr getragenen Anteil der Beiträge zur VAP ausgezahlt.

12 Die Klägerin Conze war zunächst vom 13. September 1971 bis zum 30. April 1972 mit wöchentlich 24 Stunden und ist seit dem 1. Mai 1972 mit wöchentlich 16 Stunden als Teilzeitkraft bei der Beklagten beschäftigt. Sie arbeitet nach wie vor für die Beklagte.

13 Sie war vom 13. September 1971 bis zum 30. April 1972 bei der VAP versichert. Mit der Herabsetzung ihrer Arbeitszeit ab dem 1. Mai 1972 wurde sie bei der VAP abgemeldet. Nach der Änderung von § 3 des Versorgungstarifvertrags mit Wirkung vom 1. April 1991 ist sie seit diesem Zeitpunkt wieder bei der VAP versichert.

14 Die Klägerin Vick erhob gegen die Beklagte beim Arbeitgericht Hamburg Klage auf Zahlung einer zusätzlichen Altersrente ab dem 1. Juli 1991 in Höhe des Betrages, den sie erhalten hätte, wenn sie ab dem 1. Juli 1971 bei der VAP versichert gewesen wäre, nebst Zinsen. Die Klägerin Conze erhob ebenfalls Klage gegen die Beklagte beim Arbeitsgericht Hamburg und begehrte, bei Eintritt des Rentenversicherungsfalls so gestellt zu werden, als sei sie vom 1. Januar 1983 bis zum 31. März 1991 bei der VAP versichert gewesen.

15 Beide machten geltend, daß der Ausschluß der Beschäftigten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden vom Anspruch auf eine Zusatzversorgung eine nach Artikel 119 des Vertrages, Artikel 3 GG und § 2 Absatz 1 BeschFG verbotene Diskriminierung sei.

16 Die Beklagte beantragte, die Klagen abzuweisen, und trug insbesondere vor, daß den Klägerinnen die geltend gemachten Ansprüche bestenfalls erst ab dem 17. Mai 1990, dem Tag des Erlasses des Urteils in der Rechtssache C-262/88 (Barber, Slg. 1990, I-1889), zuerkannt werden könnten.

17 Mit Urteilen vom 7. Dezember 1993 und 21. März 1995 gab das Arbeitsgericht den beiden Klagen in vollem Umfang statt. In seinem zweiten Urteil führte das Arbeitsgericht aus, daß diese Entscheidung bereits aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Absatz 1 GG folge und daß daher die zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Artikels 119 des Vertrages nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unbeachtlich sei.

18 Die Beklagte legte gegen dieses Urteil Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamburg ein. Sie macht insbesondere geltend, daß das Protokoll Vorrang vor Artikel 3 GG habe und demzufolge die zeitliche Beschränkung der Wirkungen von Artikel 119 des Vertrages in allen Fällen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit gelten müsse.

19 Die Klägerinnen machen demgegenüber insbesondere geltend, daß sich die von ihnen geltend gemachten Ansprüche auf eine betriebliche Altersversorgung aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie aus § 2 Absatz 1 BeschFG ergäben. Unter diesen Umständen stehe die zeitliche Beschränkung der Wirkungen von Artikel 119 des Vertrages, die eine andere Anspruchsgrundlage betreffe als die, auf die sie ihre Ansprüche stützten, einer Berufung auf die nationalen Gleichbehandlungsvorschriften nicht entgegen.

20 In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht erklärten alle Parteien übereinstimmend, daß die Herausnahme von Teilzeitbeschäftigten unterhalb einer bestimmten Stundenzahl aus der betrieblichen Altersversorgung eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Artikel 119 des Vertrages sei. Durch diese Herausnahme seien nämlich wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen gewesen, ohne daß dafür ein rechtfertigender Grund gegeben gewesen sei.

Die Vorabentscheidungsfragen

21 Das Landesarbeitsgericht geht mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, daß der Ausschluß teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen von der betrieblichen Altersversorgung nicht nur einen Verstoß gegen Artikel 119 des Vertrages bedeute, sondern zugleich eine nach den nationalen Bestimmungen unzulässige Diskriminierung wegen Teilzeitarbeit. Das innerstaatliche Recht enthalte keine zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die einschlägigen nationalen Bestimmungen zu berufen, doch stelle sich die Frage, ob sich das Rückwirkungsverbot des Protokolls auch auf Ansprüche auf der Grundlage des nationalen Rechts erstrecke.

22 Gegenstand von Artikel 119 des Vertrages sei nicht die Gestaltung der Teilhabe der Teilzeitbeschäftigten an den Systemen der betrieblichen Altersversorgung, sondern die Beseitigung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts beim Arbeitsentgelt. Demzufolge könnte das Protokoll selbst dann innerstaatliche Anspruchsgrundlagen, die ein Verbot anderer Diskriminierungen als der aufgrund des Geschlechts zum Gegenstand hätten, nicht überlagern, wenn eine Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer zugleich einen Verstoß gegen Artikel 119 darstelle.

23 Da dem Landesarbeitsgericht Hamburg der Einwand einer zeitlichen Beschränkung der Wirkungen von Artikel 119 des Vertrages aber nicht offenkundig unzutreffend erscheint, hat es die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof in beiden Rechtssachen folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Haben Artikel 119 EG-Vertrag, das Barber-Protokoll Nr. 2 und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes als primäres Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem in der Bundesrepublik geltenden Verfassungsrecht (Artikel 3 Grundgesetz) und einfachen Recht (§ 2 Absatz 1 Beschäftigungsförderungsgesetz, allgemeiner arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz) mit der Folge, daß bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch gemäß Artikel 119 EG-Vertrag wegen mittelbarer Geschlechtsdiskriminierung bei einer betrieblichen Altersversorgung durch Benachteiligung wegen Teilzeitbeschäftigung Leistungen auch auf der Grundlage der nationalen verfassungsrechtlichen oder einfachrechtlichen Normen nur unter den gleichen einschränkenden Voraussetzungen geltend gemacht werden können, wie sie für den zu ihnen in Anspruchskonkurrenz stehenden gemeinschaftsrechtlichen Anspruch nach Artikel 119 EG-Vertrag gelten, so daß abweichend von der sonst nach nationalem Recht gegebenen rechtlichen Bewertung auch auf der Grundlage der nationalrechtlichen Anspruchsgrundlagen Leistungen nur für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 geschuldet werden, vorbehaltlich der Ausnahme, die für Arbeitnehmer vorgesehen ist, die vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben?

2. Gilt dies auch dann, wenn nach der konkurrierenden nationalrechtlichen Grundlage der Anspruch auf Gleichbehandlung bereits deshalb besteht, weil eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung wegen Teilzeitbeschäftigung erfolgt, ohne daß es darauf ankommt, ob aufgrund einer zahlenmäßig verhältnismäßig stärkeren Benachteiligung von weiblichen Beschäftigten zusätzlich eine mittelbare Geschlechtsdiskriminierung vorliegt?

24 Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 25. September 1996 sind die beiden Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Zum Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

25 Mit Schreiben vom 10. November 1998 hat die Beklagte die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Sie hat geltend gemacht, daß die Schlußanträge nicht formgerecht verkündet worden seien, da der Enscheidungsvorschlag in einer Verhandlung vor der Fünften Kammer und nicht vor der Sechsten Kammer verlesen worden sei, die in der vorliegenden Rechtssache entscheide. Außerdem hat sie beantragt, im Rahmen der beantragten Wiedereröffnung Bemerkungen zum Inhalt der Schlußanträge machen zu dürfen, und zwar insbesondere im Licht eines Beschlusses, den das Bundesverfassungsgericht am 5. August 1998, also nach der mündlichen Verhandlung in der vorliegenden Rechtssache, verkündet habe. Nach Auffassung der Beklagten könnte die Weigerung, nach der Verkündung der Schlußanträge des Generalanwalts, die gemäß Artikel 59 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes die mündliche Verhandlung beschließe, ausnahmsweise deren Wiedereröffnung zuzulassen, damit die Parteien offenbare Unrichtigkeiten oder Auslassungen in der Sachverhaltsdarstellung oder in der rechtlichen Bewertung ansprechen oder sogar eine Replik zu den Schlußanträgen des Generalanwalts einbringen könnten, einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (im folgenden: EMRK) darstellen.

26 Hierzu ist zum einen festzustellen, daß durch die Art und Weise, in der in der vorliegenden Rechtssache die Schlußanträge gehalten wurden, weder die für das Verfahren vor dem Gerichtshof geltenden Vorschriften noch die den Parteien in den Ausgangsverfahren eingeräumten Rechte verletzt worden sind.

27 Die Richter der Sechsten Kammer, die in der vorliegenden Rechtssache entscheiden, haben dadurch Kenntnis von den Schlußanträgen des Generalanwalts erlangt, daß diese in der Kanzlei des Gerichtshofes hinterlegt wurden; die Öffentlichkeit der Schlußanträge ist durch die Verlesung des Entscheidungsvorschlags in öffentlicher Sitzung und die Hinterlegung in der Kanzlei sichergestellt worden.

28 Zum anderen geht aus dem Beschluß des Gerichtshofes vom 4. Februar 2000 in der Rechtssache C-17/98 (Emesa Sugar, Slg. 1999, I-0000, Randnr. 18) hervor, daß der Gerichtshof gerade mit Rücksicht auf Artikel 6 EMRK und den Sinn und Zweck des Anspruchs der Betroffenen auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren im Sinne dieser Vorschrift gemäß Artikel 61 seiner Verfahrensordnung die mündliche Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Parteien wiedereröffnen kann, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen für entscheidungserheblich erachtet.

29 Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof aber nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, daß der Antrag der Beklagten keine Hinweise darauf enthält, daß eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sachdienlich oder erforderlich wäre.

30 Der Antrag der Beklagten ist somit zurückzuweisen.

Zur ersten Frage

31 Mit dem ersten Teil seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages zu berufen, nationalen Vorschriften entgegensteht, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird, aufgrund dessen alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System haben. Für den Fall der Bejahung begehrt das nationale Gericht im zweiten Teil der Frage Aufschluß darüber, ob das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, für die volle Wirkung dieser Vorschriften sorgen und notfalls von der Anwendung anderslautender Vorschriften des nationalen Rechts absehen muß.

Zum ersten Teil der ersten Frage

32 Nach ständiger Rechtsprechung gehört ein Versorgungssystem wie das in den Ausgangsverfahren fragliche, das im wesentlichen von der Beschäftigung abhängt, die der Betroffene ausübte, zu dem diesem gezahlten Entgelt und fällt unter Artikel 119 des Vertrages (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 13. Mai 1986 in der Rechtssache 170/84, Bilka, Slg. 1986, 1607, Randnr. 22, Barber, Randnr. 28, und vom 28. September 1994 in der Rechtssache C-7/93, Beune, Slg. 1994, I-4471, Randnr. 46). Der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von einem solchen Versorgungssystem kann daher im Widerspruch zu Artikel 119 stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Bilka, Randnr. 29).

33 Was die zeitliche Beschränkung der Wirkungen von Artikel 119 des Vertrages betrifft, so hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Defrenne II, Slg. 1976, 455, Randnr. 40) für Recht erkannt, daß sich die Betroffenen auf den in Artikel 119 des Vertrages aufgestellten Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts vor den innerstaatlichen Gerichten berufen können und daß diese verpflichtet sind, die Rechte zu schützen, die diese Bestimmung dem einzelnen verleiht. In den Randnummern 74 und 75 des Urteils hat der Gerichtshof allerdings ausgeführt, daß aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit, die sich aus der Gesamtheit der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen ergeben, auf die unmittelbare Geltung von Artikel 119 keine Ansprüche gestützt werden können, die vor dem Tag der Verkündung des Urteils, dem 8. April 1976, liegende Lohn- oder Gehaltsperioden betreffen, soweit nicht Arbeitnehmer bereits Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben.

34 In bezug auf Betriebsrentensysteme hat der Gerichtshof in den Randnummern 44 und 45 des Urteils Barber für Recht erkannt, daß sich aus zwingenden Gründen der Rechtssicherheit niemand auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages berufen kann, um mit Wirkung von einem vor Erlaß des Urteils, dem 17. Mai 1990, liegenden Zeitpunkt einen Rentenanspruch geltend zu machen; dies gilt nicht für Personen, die vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben.

35 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 6. Oktober 1993 in der Rechtssache C-109/91 (Ten Oever, Slg. 1993, I-4879, Randnr. 20) ausgeführt hat, kann gemäß dem Urteil Barber die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages zur Stützung der Forderung nach Gleichbehandlung auf dem Gebiet der betrieblichen Renten nur für Leistungen geltend gemacht werden, die für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 geschuldet werden, vorbehaltlich der Ausnahme, die für Arbeitnehmer oder deren anspruchsberechtigte Angehörige vorgesehen ist, die vor diesem Zeitpunkt nach dem anwendbaren innerstaatlichen Recht Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben.

36 Diese Beschränkung findet sich auch in dem Protokoll, wonach im Sinne des Artikels 119 Leistungen aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht als Entgelt gelten, sofern und soweit sie auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 zurückgeführt werden können, außer im Fall von Arbeitnehmern oder deren anspruchsberechtigten Angehörigen, die vor diesem Zeitpunkt eine Klage bei Gericht oder ein gleichwertiges Verfahren nach geltendem einzelstaatlichen Recht anhängig gemacht haben.

37 Aus den Urteilen vom 28. September 1994 in den Rechtssachen C-57/93 (Vroege, Slg. 1994, I-4541, Randnrn. 20 bis 27) und C-128/93 (Fisscher, Slg. 1994, I-4583, Randnrn. 17 bis 24) sowie vom 11. Dezember 1997 in der Rechtssache C-246/96 (Magorrian und Cunningham, Slg. 1997, I-7153, Randnrn. 27 bis 35) geht jedoch hervor, daß die zeitliche Beschränkung der Wirkungen von Artikel 119 des Vertrages, die sich sowohl aus dem Urteil Barber als auch aus dem Protokoll ergibt, nur die Formen von Diskriminierung betrifft, die die Arbeitgeber und die Rentensysteme aufgrund der vorübergehenden Ausnahmeregelungen, die das auf Betriebsrenten anwendbare Gemeinschaftsrecht vorsieht, vernünftigerweise als zulässig ansehen konnten (Urteil vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-435/93, Dietz, Slg. 1996, I-5223, Randnr. 19).

38 Zum Anspruch auf Anschluß an Betriebsrentensysteme hat der Gerichtshof aber festgestellt, daß es keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß sich die betroffenen beruflichen Kreise über die Anwendbarkeit von Artikel 119 des Vertrages hätten irren können (Urteil Magorrian und Cunningham, Randnr. 28).

39 Denn seit dem Erlaß des Urteils Bilka steht fest, daß eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Zuerkennung dieses Anspruchs gegen Artikel 119 des Vertrages verstößt (Urteile Vroege, Randnr. 29, Fisscher, Randnr. 26, Dietz, Randnr. 20, sowie Magorrian und Cunningham, Randnr. 29).

40 Da die Wirkungen des Urteils Bilka zeitlich nicht beschränkt worden sind, kann deshalb die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 zur Stützung der Forderung nach rückwirkender Gleichbehandlung in bezug auf den Anspruch auf Anschluß an ein Betriebsrentensystem geltend gemacht werden, und zwar seit dem 8. April 1976, dem Tag des Erlasses des Urteils Defrenne II, in dem erstmals die unmittelbare Wirkung dieses Artikels anerkannt worden ist (Urteile Dietz, Randnr. 21, sowie Magorrian und Cunningham, Randnr. 30).

41 Im übrigen hat der Gerichtshof bereits in Randnummer 23 des Urteils Dietz und Randnummer 33 des Urteils Magorrian und Cunningham ausgeführt, daß der Anschluß an ein Betriebsrentensystem für den Arbeitnehmer völlig bedeutungslos wäre, wenn er ihm keinen Anspruch auf Gewährung der Leistungen aufgrund dieses Systems verschaffen würde. Der Gerichtshof hat daher festgestellt, daß der Anspruch auf Zahlung einer Altersrente aufgrund eines Betriebsrentensystems mit dem Anspruch auf Anschluß an dieses System untrennbar verbunden ist. Allerdings kann sich ein Arbeitnehmer, der Anspruch auf den rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem hat, nicht der Zahlung der Beiträge für den betreffenden Anschlußzeitraum entziehen (Urteile Fisscher, Randnr. 37, und Dietz, Randnr. 34).

42 Demnach gilt für die Möglichkeit, sich für den Anschluß an ein Betriebsrentensystem wie das in den Ausgangsverfahren fragliche und die spätere Zahlung einer Rente auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages zu berufen, lediglich die zeitliche Beschränkung, die sich aus dem Urteil Defrenne II ergibt.

43 Was die Frage betrifft, ob es dem Gemeinschaftsrecht zuwiderläuft, aufgrund nationaler Vorschriften Beschäftigungszeiten vor dem 8. April 1976, dem Tag der Verkündung des Urteils Defrenne II, zu berücksichtigen, so wird nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u. a. Urteile vom 27. März 1980 in der Rechtssache 61/79, Denkavit italiana, Slg. 1980, 1205, Randnummern 16 und 17, und in den Rechtssachen 66/79, 127/79 und 128/79, Salumi, Slg. 1980, 1237, Randnrn. 9 und 10) durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Artikel 177 des Vertrages vornimmt, erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Nur ausnahmsweise kann sich der Gerichtshof, wie er es im Urteil Defrenne II anerkannt hat, aufgrund des der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit in Anbetracht der erheblichen Schwierigkeiten, die sein Urteil für in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse für die Vergangenheit hervorrufen könnte, veranlaßt sehen, mit Wirkung für alle Betroffenen die Möglichkeit einzuschränken, sich auf diese Auslegung der Vorschrift mit dem Ziel zu berufen, eine erneute Sachentscheidung über diese Rechtsverhältnisse herbeizuführen.

44 Des weiteren hat der Gerichtshof in Randnummer 65 des Urteils Defrenne II ausgeführt, daß die ältesten Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 119 schon seit dem 1. Januar 1962, dem Beginn der zweiten Stufe der Übergangszeit, voll anzuwenden hatten. Nach Randnummer 68 des Urteils können auch in den Bereichen, in denen Artikel 119 etwa keine unmittelbare Wirkung haben sollte, soweit erforderlich, zu seiner Durchführung gemeinschaftsrechtliche und innerstaatliche Rechtsvorschriften erlassen werden.

45 Schließlich hat der Gerichtshof, als er im Urteil Defrenne II die Möglichkeit der Berufung auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages zeitlich beschränkt hat, die Auffassung vertreten, daß angesichts des Verhaltens mehrerer Mitgliedstaaten und der Haltung der Kommission, die den interessierten Kreisen wiederholt zur Kenntnis gebracht worden war, ausnahmsweise dem Umstand Rechnung getragen werden mußte, daß die Betroffenen dazu veranlaßt worden waren, lange Zeit Praktiken beizubehalten, die Artikel 119 des Vertrages zuwiderliefen, aber nach ihrem nationalen Recht noch nicht verboten waren (Urteil Defrenne II, Randnr. 72).

46 Aus dem Vorstehenden folgt, daß den betroffenen Arbeitnehmern durch die Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages zu berufen, keineswegs die Möglichkeit genommen werden sollte, sich auf nationale Vorschriften zu berufen, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird.

47 Nationale Vorschriften, durch die die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen sichergestellt wird, tragen nämlich dazu bei, entsprechend den Verpflichtungen, die den ältesten Mitgliedstaaten seit dem 1. Januar 1962 obliegen, Artikel 119 des Vertrages durchzuführen.

48 In einem solchen Fall findet der der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnende Grundsatz der Rechtssicherheit, aufgrund dessen sich der Gerichtshof ausnahmsweise veranlaßt sehen kann, die Möglichkeit der Berufung auf eine von ihm ausgelegte Vorschrift zu beschränken, keine Anwendung und hindert nicht daran, nationale Vorschriften anzuwenden, mit denen ein gemeinschaftsrechtskonformes Ergebnis gewährleistet wird.

49 Insoweit ist unerheblich, daß die betreffenden nationalen Vorschriften erst nach dem Tag der Verkündung des Urteils Defrenne II im Sinne des Artikels 119 des Vertrages ausgelegt wurden, diese Auslegung aber gegebenenfalls auf vor diesem Tag entstandene und begründete Sachverhalte Anwendung findet. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Gerichtshofes, sich zum zeitlichen Geltungsbereich nationaler Rechtsvorschriften zu äußern.

50 Auf den ersten Teil der ersten Frage ist somit zu antworten, daß die sich aus dem Urteil Defrenne II ergebende zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages zu berufen, nationalen Vorschriften, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird, aufgrund dessen alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System haben, nicht entgegensteht.

Zum zweiten Teil der ersten Frage

51 Aufgrund der Antwort auf den ersten Teil der ersten Frage erübrigt sich eine Beantwortung des zweiten Teils dieser Frage.

Zur zweiten Frage

52 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es für die Beantwortung der ersten Frage eine Rolle spielt, daß die einschlägigen nationalen Vorschriften die Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung und nicht aufgrund ihres Geschlechts untersagen.

53 Vorschriften, die andere Formen der Diskriminierung untersagen, können unter bestimmten Umständen dazu beitragen, entsprechend den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen zu gewährleisten.

54 Das ist insbesondere bei nationalen Vorschriften der Fall, die es verbieten, teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, eine Arbeitnehmergruppe, die oft aus mehr Frauen als Männern besteht, beim Entgelt zu diskriminieren.

55 Außerdem kann in Anbetracht der Antwort auf die erste Frage der Umstand, daß die einschlägigen nationalen Vorschriften andere Formen der Diskriminierung verbieten, erst recht nicht dazu führen, daß ihr zeitlicher Geltungsbereich nur wegen der sich aus dem Urteil Defrenne II ergebenden zeitlichen Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages zu berufen, beschränkt wird.

56 Auf die zweite Frage ist somit zu antworten, daß es für die Beantwortung der ersten Frage keine Rolle spielt, daß die einschlägigen nationalen Vorschriften die Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung und nicht aufgrund ihres Geschlechts untersagen.

Kostenentscheidung:

Kosten

57 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Landesarbeitsgericht Hamburg mit zwei Beschlüssen vom 12. Dezember 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die sich aus dem Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Defrenne II) ergebende zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) zu berufen, steht nationalen Vorschriften, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird, aufgrund dessen alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System haben, nicht entgegen.

2. Für die Beantwortung der ersten Frage spielt es keine Rolle, daß die einschlägigen nationalen Vorschriften die Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung und nicht aufgrund ihres Geschlechts untersagen.

Ende der Entscheidung

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