Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.10.1992
Aktenzeichen: C-240/90
Rechtsgebiete: EWGVtr, EWGV 3007/84, EWGV 3813/89


Vorschriften:

EWGVtr Art. 173 Abs. 1
EWGVtr Art. 40 Abs. 3
EWGVtr Art. 43 Abs. 2 UAbs. 3
EWGVtr Art. 172
EWGVtr Art. 145
EWGVtr Art. 155
EWGV 3007/84 Art. 6 Abs. 6
EWGV 3813/89Art. 13 Abs. 3 Buchst. b
EWGV 3813/89Art. 13 Abs. 3 Buchst. c
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik ist die Gemeinschaft nach Artikel 40 Absatz 3 EWG-Vertrag für die Einführung von Sanktionen wie den Ausschluß von den Leistungen aufgrund einer Subventionsregelung nach Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 3007/84 und Artikel 13 Absatz 3 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3813/89 zuständig. Die Leistungsausschlüsse, die sich ihrer Art nach nicht von anderen Sanktionen wie den im Agrarrecht vorgesehenen Zuschlägen unterscheiden, die auf zu Unrecht empfangene Beträge erhoben werden, sind nämlich erforderlich, um die Unregelmässigkeiten zu bekämpfen, die im Rahmen der landwirtschaftlichen Beihilfen begangen werden und die die Gemeinschaftsmaßnahmen im Agrarbereich dadurch beeinträchtigen können, daß sie den Gemeinschaftshaushalt erheblich belasten.

2. Auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik ist die Kommission für die Einführung von Sanktionen wie den Ausschluß von den Leistungen aufgrund einer Subventionsregelung und die Zuschläge auf zu Unrecht empfangene Beträge, die zu erstatten sind, nach Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 3007/84 und Artikel 13 Absatz 3 Buchstaben b und c der Verordnung Nr. 3813/89 zuständig. Diese Sanktionen sind nämlich Teil der Durchführungsbefugnisse, die der Rat nach den Artikeln 145 und 155 EWG-Vertrag der Kommission übertragen kann.

Die Artikel 145 und 155 unterscheiden zwischen Vorschriften, die für die zu regelnde Materie wesentlich sind und daher der Zuständigkeit des Rates vorbehalten bleiben müssen, und Vorschriften, deren Erlaß, da sie nur der Durchführung dienen, der Kommission übertragen werden kann. Als wesentlich können im Bereich der Landwirtschaft nur solche Bestimmungen angesehen werden, durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik umgesetzt werden. Dies ist nicht der Fall bei Sanktionen, die, wie die Entrichtung eines Zuschlags bei der Erstattung einer gewährten Subvention nebst Zinsen oder der Ausschluß eines Wirtschaftsteilnehmers von den Leistungen aufgrund einer Subventionsregelung, die politischen Entscheidungen dadurch absichern sollen, daß sie eine ordnungsgemässe Verwaltung der zu ihrer Verwirklichung dienenden Gemeinschaftsmittel gewährleisten.

3. Für die Übertragung der Befugnis, auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik Sanktionen einzuführen, an die Kommission genügt eine allgemein gefasste Ermächtigungsbestimmung. Sobald der Rat nämlich in einer Grundverordnung die wesentlichen Vorschriften für die zu regelnde Materie festgelegt hat, kann er der Kommission die allgemeine Befugnis übertragen, die Modalitäten von deren Anwendung zu regeln, ohne daß er die Hauptbestandteile der übertragenen Befugnisse genau festlegen müsste. Dieser Grundsatz kann durch den Beschluß 87/373 des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse nicht in Frage gestellt werden. Da dieser eine Maßnahme des abgeleiteten Rechts darstellt, kann er den Bestimmungen des EWG-Vertrags, die den Rat nicht verpflichten, die Grundzuege der auf die Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse genau anzugeben, nichts hinzufügen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 27. OKTOBER 1992. - BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - GEMEINSAME AGRARPOLITIK - SCHAFFLEISCHSEKTOR - LANDWIRTSCHAFTLICHE EINKOMMENSBEIHILFE - AUSSCHLUSS VON DER GEWAEHRUNG ZUKUENFTIGER LEISTUNGEN - ZUSCHLAG ZU DEM ZU ERSTATTENDEN BETRAG - ZUSTAENDIGKEIT DER GEMEINSCHAFT - ZUSTAENDIGKEIT DER KOMMISSION. - RECHTSSACHE C-240/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Klageschrift, die am 1. August 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung von Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3007/84 der Kommission vom 26. Oktober 1984 mit Durchführungsbestimmungen für die Prämie zugunsten der Erzeuger von Schaffleisch (ABl. L 283, S. 28) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1260/90 vom 11. Mai 1990 (ABl. L 124, S. 15) und von Artikel 13 Absatz 3 Buchstaben b und c der Verordnung (EWG) Nr. 3813/89 der Kommission vom 19. Dezember 1989 mit Durchführungsbestimmungen für die vorübergehenden landwirtschaftlichen Einkommensbeihilfen (ABl. L 371, S. 17) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1279/90 vom 15. Mai 1990 (ABl. L 126, S. 20).

2 Durch diese Bestimmungen wurden Sanktionen eingeführt, die die nationalen Behörden gegen Wirtschaftsteilnehmer verhängen müssen, die bei der Beantragung einer finanziellen Beihilfe aufgrund von Verordnungen des Rates Unregelmässigkeiten begangen haben. Diese Sanktionen bestehen entweder in der Zahlung eines Zuschlags, der nach dem Betrag der unrechtmässig gewährten Beihilfe berechnet wird, oder im Ausschluß des Wirtschaftsteilnehmers von der Gewährung der Beihilfe oder der Beihilferegelung für das Wirtschaftsjahr, das auf das Wirtschaftsjahr folgt, für das die Unregelmässigkeit festgestellt wurde.

3 Die erste angefochtene Bestimmung, Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 3007/84, steht im Zusammenhang mit der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3013/89 des Rates vom 25. September 1989 (ABl. L 289, S. 1; nachstehend: erste Grundverordnung) eingeführten gemeinsamen Marktorganisation für Schaf- und Ziegenfleisch. Nach Artikel 5 dieser Verordnung kann Schaffleischerzeugern unter bestimmten Voraussetzungen eine Prämie gewährt werden.

4 Artikel 5 Absatz 9 dritter Gedankenstrich ermächtigt die Kommission, nach dem Verwaltungsausschußverfahren gemäß Artikel 30 der Verordnung Nr. 3013/89 die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel insgesamt, insbesondere über die Beantragung und die Zahlung der Prämien, zu erlassen.

5 Auf der Grundlage dieser Bestimmung wurde Artikel 6 der Verordnung Nr. 3007/84 vom 26. Oktober 1984 mit Durchführungsbestimmungen für die Prämie zugunsten der Erzeuger von Schaffleisch (nachstehend: erste Durchführungsverordnung) durch die Verordnung Nr. 1260/90 geändert. Nach Artikel 6 Absatz 1 in der geänderten Fassung wird grundsätzlich keine Prämie gezahlt, wenn die sich aufgrund der Kontrolle gemäß Artikel 5 ergebende Zahl der tatsächlich in Betracht kommenden Tiere kleiner ist als die Zahl, für die Prämien beantragt wurden. Nach Artikel 6 Absatz 5 werden unrechtmässig gezahlte Beträge, erhöht um den vom Mitgliedstaat ab der Gewährung der Prämie bis zu ihrer Wiedereinziehung festzusetzenden Zins, wieder eingezogen. Wird festgestellt, daß der Unterschied auf einer vorsätzlich oder grobfahrlässig falschen Erklärung beruht, wird nach Artikel 6 Absatz 6 folgende Sanktion verhängt: Der Erzeuger wird auch von der Gewährung der Prämie für das Wirtschaftsjahr ausgeschlossen, das auf das Wirtschafsjahr folgt, für das die Unregelmässigkeit festgestellt wurde.

6 Die weiteren angefochtenen Bestimmungen stehen im Zusammenhang mit der durch die Verordnung (EWG) Nr. 768/89 des Rates vom 21. März 1989 (ABl. L 84, S. 8; nachstehend: zweite Grundverordnung) eingeführten Regelung vorübergehender landwirtschaftlicher Einkommensbeihilfen. Diese Verordnung schuf die Möglichkeit, Landwirten, die bestimmte Voraussetzungen erfuellen, eine vorübergehende Beihilfe zu gewähren. Nach Artikel 12 dieser Verordnung werden die Durchführungsbestimmungen zu der Verordnung nach dem Verwaltungsausschußverfahren des Artikels 13 erlassen.

7 Auf der Grundlage dieser Bestimmungen erließ die Kommission die Verordnung Nr. 3813/89 vom 19. Dezember 1989 mit Durchführungsbestimmungen für die vorübergehenden landwirtschaftlichen Einkommensbeihilfen (nachstehend: zweite Durchführungsverordnung). Artikel 13 Absatz 3 dieser Verordnung in der Fassung der Verordnung Nr. 1279/90 lautet wie folgt:

"Wurde eine Beihilfe aufgrund unrichtiger Angaben des Landwirts gewährt, der sie unterschrieben hat, so trifft der jeweilige Mitgliedstaat folgende Maßnahmen:

a) Die unrechtmässig gewährte Beihilfe ist von dem betreffenden Landwirt einschließlich der Zinsen, berechnet für die Zeit zwischen dem Tag der Beihilfengewährung und -wiedereinziehung, zurückzuzahlen. Es wird der Zinssatz angewandt, der für den Fall ähnlicher Wiedereinziehungen nach einzelstaatlichem Recht gilt.

b) Stellt die zuständige Behörde darüber hinaus fest, daß die unrechtmässig gezahlte Beihilfe auf erheblichen Unregelmässigkeiten des Landwirts beruht, so trifft der betreffende Mitgliedstaat folgende Maßnahmen:

° Der Landwirt zahlt einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 30 % der unrechtmässig gewährten Beihilfe oder

° er zahlt einen zusätzlichen Betrag in Höhe von grundsätzlich 30 % der unrechtmässig gewährten Beihilfe, wobei jedoch der Mitgliedstaat entsprechend der Schwere des Falles einen Betrag bestimmen kann, der sich auf mindestens 20 und höchstens 40 % der unrechtmässig gewährten Beihilfe beläuft.

c) Darüber hinaus wird ein Landwirt, der die unrichtigen Angaben zu verantworten hat, die zu dem Zusatzbetrag nach Buchstabe b geführt haben, vom Zeitpunkt der Festsetzung dieses Betrages an gerechnet, zwölf Monate lang von sämtlichen Zahlungen im Rahmen eines PLE [Programm Landwirtschaftlicher Einkommensbeihilfen] ausgeschlossen. In Fällen, in denen die Beihilfe kapitalisiert wurde, ergreift der betreffende Mitgliedstaat die notwendigen Maßnahmen, um eine Behandlung sicherzustellen, die der entspricht, die bei Nichtkapitalisierung der Zahlungen anwendbar gewesen wäre.

..."

Mit der vorliegenden Klage ficht die Bundesregierung die Buchstaben b und c dieser Bestimmung an.

8 Wie bereits ausgeführt, sind die angefochtenen Bestimmungen in zwei Gruppen aufzuteilen: zum einen Artikel 13 Absatz 3 Buchstabe b der Verordnung Nr. 3813/89 der Kommission in der geänderten Fassung, wonach ein Landwirt, der Unregelmässigkeiten begangen hat, neben der Erstattung der bereits gewährten Prämie einschließlich Zinsen einen Zuschlag zu zahlen hat (nachstehend: Zuschläge); zum anderen Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 3007/84 und Artikel 13 Absatz 3 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3813/89 in der jeweiligen geänderten Fassung, die die nationalen Behörden verpflichten, die Wirtschaftsteilnehmer ein Jahr lang von der Gewährung der betreffenden Subvention oder der betreffenden Subventionsregelung auszuschließen (nachstehend: Leistungsausschluß).

9 Gegen diese Maßnahmen erhebt die Bundesregierung zwei Rügen. Zum einen stellt sie die Zuständigkeit der Gemeinschaft, zum anderen die der Kommission in Abrede.

Zuständigkeit der Gemeinschaft

10 Die erste Rüge betrifft nur die Bestimmungen über den Leistungsausschluß. Die Bundesregierung bestreitet der Gemeinschaft also nicht die Zuständigkeit, Sanktionen wie die Zahlung von Zuschlägen nach Artikel 13 Absatz 3 Buchstabe b der zweiten Durchführungsverordnung einzuführen.

11 Der Gerichtshof hat der Gemeinschaft wiederholt die Befugnis zugebilligt, alle Sanktionen einzuführen, die für die wirksame Anwendung der Regelungen auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik erforderlich sind. Diese Befugnis beruht auf Artikel 40 Absatz 3 und Artikel 43 Absatz 2 EWG-Vertrag.

12 Nach der Rechtsprechung können diese Sanktionen verschiedene Formen haben. So hat der Gerichtshof beispielsweise die Rechtmässigkeit von Maßnahmen anerkannt, kraft deren ein Wirtschaftsteilnehmer zur Erstattung eines zu Unrecht empfangenen Vorteils nebst Zinsen verpflichtet wurde (Urteil vom 5. Februar 1987 in der Rechtssache 288/85, Plange Kraftfutterwerke, Slg. 1987, 611) oder seine Kaution in Höhe dieses Vorteils verlor (siehe insbesondere das Urteil vom 27. November 1991 in der Rechtssache C-199/90, Italtrade, Slg. 1991, I-5545). Desgleichen hat der Gerichtshof festgestellt, daß der Verfall einer Kaution in denjenigen Fällen eine mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbare Sanktion darstellt, in denen diese Kaution nur die Sicherheit für die Erfuellung einer von den Betroffenen freiwillig übernommenen Verpflichtung ist und in denen diese von der Gemeinschaft keinen finanziellen Vorteil erhalten hatten (siehe die Urteile vom 17. Dezember 1970 in der Rechtssache 11/70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125, und vom 18. November 1987 in der Rechtssache 137/85, Maizena, Slg. 1987, 4587).

13 Zu der Befugnis, Sanktionen zu verhängen, gehört, daß die Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik ermächtigt ist, Sanktionen vorzusehen, die von den nationalen Behörden gegen Wirtschaftsteilnehmer verhängt werden können, die sich betrügerischer Handlungen schuldig gemacht haben.

14 Im vorliegenden Verfahren macht die Bundesregierung geltend, daß sich die angesprochene Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Verhängung von Sanktionen nicht auf den Leistungsausschluß erstrecke. Sie führt hierfür dreierlei Gründe an.

15 Erstens handele es sich bei dem Leistungsausschluß um eine Maßnahme, die sich von den in Artikel 40 aufgezählten Maßnahmen so sehr unterscheide, daß sie von der dort enthaltenen Ermächtigung nicht mehr gedeckt sei. Die Befugnisse der Gemeinschaft seien eng auszulegen, soweit sie auf dem Gebiet der Sanktionen ausgeuebt würden.

16 Sodann sei aus Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe a EWG-Vertrag herzuleiten, daß Geldbussen und Zwangsgelder die einzigen nach Gemeinschaftsrecht erlaubten Sanktionen seien. Anders als die Zuschläge könne der Leistungsausschluß nicht mit diesen beiden Arten von Sanktionen verglichen werden, da seine Folgen für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht bezifferbar seien.

17 Schließlich habe der Leistungsausschluß Strafcharakter; daher seien weder der Rat noch die Kommission zu seiner Einführung befugt. Derartige Sanktionen seien nämlich Ausdruck eines strafrechtlichen Unwerturteils über den Wirtschaftsteilnehmer, der eine Unregelmässigkeit begangen habe.

18 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Zunächst sind die in Artikel 40 Absatz 3 genannten Maßnahmen dort nur beispielhaft aufgeführt; der Leistungsausschluß erfuellt die einzige Voraussetzung, die nach dieser Bestimmung für eine Befugnis der Gemeinschaft erforderlich ist, daß nämlich die beabsichtigten Maßnahmen notwendig sind, um die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik zu verwirklichen.

19 Wie die Bundesregierung selbst einräumt, dient der Leistungsausschluß ° wie im übrigen die Zuschläge ° der Bekämpfung der zahlreichen Unregelmässigkeiten, die im Rahmen der landwirtschaftlichen Beihilfen begangen werden; diese können die Maßnahmen beeinträchtigen, die die Gemeinschaftsorgane auf diesem Gebiet ergriffen haben, um die Märkte zu stabilisieren, die Lebenshaltung der Landwirte zu stützen und für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen, und dabei den Gemeinschaftshaushalt erheblich belasten.

20 Dabei ist es allein Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, festzulegen, welche Lösungen zur Verwirklichung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik am geeignetsten sind. Im vorliegenden Fall hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Grenzen seiner Befugnisse nicht dadurch überschritten, daß er den Leistungsausschluß vorgesehen hat, um Unregelmässigkeiten zu bekämpfen, die Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen der Subventionsregelungen, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, begangen haben.

21 Da die Subventionsanträge zu zahlreich sind, als daß sie systematisch und vollständig geprüft werden könnten, ist eine Verstärkung der bestehenden Kontrollen kaum denkbar. Ebenso würde es die Verhängung nationaler Sanktionen nicht erlauben, die Einheitlichkeit der bei betrügerischen Handlungen verhängten Maßnahmen zu gewährleisten.

22 Artikel 40 Absatz 3 EWG-Vertrag nimmt somit den Leistungsausschluß nicht von der Sanktionsbefugnis aus, über die die Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik verfügt.

23 Die anderen beiden Argumente der Bundesregierung sind ebenfalls nicht stichhaltig. Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe a EWG-Vertrag betrifft nur Sanktionen, die unmittelbar von den Gemeinschaftsorganen festgelegt und verhängt werden. Da der Leistungsausschluß von den nationalen Behörden nach einheitlichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu verhängen ist, kann Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe a EWG-Vertrag im vorliegenden Fall nicht als Maßstab herangezogen werden.

24 Zum letzten Argument der Bundesrepublik ist vorab festzustellen, daß im vorliegenden Fall nicht über die Zuständigkeit der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Strafrechts zu entscheiden ist.

25 Der streitige Leistungsausschluß stellt nämlich keine Strafsanktion dar. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung, die die Befugnis der Gemeinschaft zur Einführung von Zuschlägen der in der vorliegenden Rechtssache angefochtenen Art nicht bestreitet, nicht dargetan, daß ein grundlegender Unterschied zwischen einer Sanktion, mit der ein Wirtschaftsteilnehmer zur Zahlung eines solchen Zuschlags verpflichtet wird, und der Sanktion besteht, mit der diesem Wirtschaftsteilnehmer der Anspruch auf die Gewährung einer Vergünstigung für einen bestimmten Zeitraum versagt wird. In beiden Fällen erleidet die betroffene Person einen finanziellen Verlust, der über die blosse Erstattung, gegebenenfalls mit Zinsen, der zu Unrecht bezogenen Leistungen hinausgeht.

26 Ferner setzt die Verhängung einer Sanktion gegen einen Wirtschaftsteilnehmer voraus, daß diesem zuvor ein Anspruch zugebilligt worden ist. Da dieser Anspruch im Zusammenhang mit einer Beihilfe der Gemeinschaft steht, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wird und auf dem Gedanken der Solidarität beruht, ist sie nur zu gewähren, wenn ihr Empfänger volle Gewähr für Redlichkeit und Zuverlässigkeit bietet. Unter diesem Gesichtspunkt stellt die angefochtene Sanktion eine spezifische Handhabe für die Verwaltung dar, die Bestandteil der Beihilferegelung ist und dazu dient, die ordnungsgemässe Verwaltung der öffentlichen Mittel der Gemeinschaft sicherzustellen.

27 Nach allem hat die Bundesregierung keinen Grund angeführt, der es rechtfertigte, den Leistungsausschluß von der Sanktionsbefugnis der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik auszunehmen. Die Gemeinschaft muß daher als für dessen Einführung zuständig gelten.

28 Dies gilt um so mehr, als der Gerichtshof in dem Urteil Internationale Handelsgesellschaft, wie bereits ausgeführt, die Rechtmässigkeit von Sanktionen anerkannt hat, die sich, wie der Leistungsausschluß und im übrigen die im vorliegenden Verfahren ebenfalls angefochtenen Zuschläge, nicht auf die blosse Erstattung einer zu Unrecht gewährten Leistung, gegebenenfalls mit Zinsen, beschränken.

29 Damit ist die Gemeinschaft für die Einführung von Sanktionen zuständig, die, wie der Leistungsausschluß nach Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 3007/84 und Artikel 13 Absatz 3 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3813/89, über die blosse Erstattung einer zu Unrecht gewährten Leistung hinausgehen.

Zuständigkeit der Kommission

30 Im Rahmen der zweiten Rüge vertritt die Bundesregierung die Ansicht, daß nur der Rat befugt sei, Sanktionen wie die Zuschläge einzuführen, und daß diese Zuständigkeit keinesfalls auf die Kommission übertragen werden dürfe. Selbst unterstellt, daß der Gemeinschaft die Befugnis zur Einführung des Leistungsausschlusses zuerkannt werde, könne die Kommission nicht zu deren Durchführung ermächtigt werden.

31 Die Bundesregierung macht zur Begründung ihrer Auffassung zuerst geltend, daß der EWG-Vertrag, wenn er von Zwangsmaßnahmen spreche, nur den Rat erwähne. Dies gelte für Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe a, der den Rat und nicht die Kommission auffordere, in den aufgrund von Artikel 87 Absatz 1 erlassenen Maßnahmen Geldbussen und Zwangsgelder vorzusehen, und für Artikel 172, der dem Gerichtshof ausschließlich hinsichtlich der in den Ratsverordnungen vorgesehenen Zwangsmaßnahmen die Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung übertrage.

32 Sodann führt die Bundesregierung das Rechtsstaatsprinzip, wonach die Einführung von Sanktionen zur Befugnis allein des Gesetzgebers gehöre, und den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts an. Als dem Gesetzgeber der Gemeinschaft obliege allein dem Rat die Festlegung der Hauptbestandteile der gemeinsamen Marktorganisationen. Sanktionen, die, wie der Leistungsausschuß und die Zuschläge, über die blosse Erstattung einer unrechtmässig gewährten Leistung hinausgingen und somit in die Grundrechte der einzelnen eingriffen, gehörten zu diesen Hauptbestandteilen.

33 Schließlich könne die Einführung von Sanktionen gegen Wirtschaftsteilnehmer, die Unregelmässigkeiten begangen hätten, nicht als Ausübung einer Zuständigkeit im Sinne der Artikel 145 und 155 EWG-Vertrag angesehen werden. Zweck solcher Vorschriften sei nicht die Durchführung der Grundverordnungen des Rates, sondern deren Ergänzung.

34 Für die Beantwortung dieses Vorbringens sind zuerst die Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe a und 172 EWG-Vertrag auszuscheiden. Was bereits unter Randnummer 23 in bezug auf Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe a festgestellt worden ist, gilt auch für Artikel 172, der ebenfalls nur Sanktionen betrifft, die unmittelbar von den Gemeinschaftsorganen festgesetzt und verhängt werden. Dies ist jedoch bei den Sanktionen, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, nicht der Fall.

35 Im weiteren ist auf das Rechtsetzungssystem des EWG-Vertrags zu verweisen. Zwar verleiht Artikel 43 Absatz 2 Unterabsatz 3 dem Rat grundsätzlich die Zuständigkeit für den Erlaß der Vorschriften über eine gemeinsame Marktordnung auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments, jedoch ermächtigen die Artikel 145 und 155 den Rat im übrigen, der Kommission die Zuständigkeit für die Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften zu übertragen. Nach Artikel 145 kann sich der Rat in spezifischen Fällen allerdings vorbehalten, Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben.

36 Nach dem Urteil vom 17. Dezember 1970 in der Rechtssache 25/70 (Köster, Slg. 1970, 1161, Randnr. 6), unterscheiden die genannten Bestimmungen zwischen Vorschriften, die für die zu regelnde Materie wesentlich sind und daher der Zuständigkeit des Rates vorbehalten bleiben müssen, und Vorschriften, deren Erlaß, da sie nur der Durchführung dienen, der Kommission übertragen werden kann.

37 Im vorliegenden Fall können die von der Bundesregierung beanstandeten Vorschriften nicht als wesentlich für die durch die erste Grundverordnung eingeführte gemeinsame Marktorganisation und die durch die zweite Grundverordnung eingeführte Beihilferegelung angesehen werden. Wesentlich sind nämlich nur solche Bestimmungen, durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik umgesetzt werden. Dies ist bei Sanktionen nicht der Fall, die, wie die Zuschläge oder der Leistungsausschluß, diese Entscheidungen dadurch absichern sollen, daß sie eine ordnungsgemässe Verwaltung der zu ihrer Verwirklichung dienenden Gemeinschaftsmittel gewährleisten.

38 Ferner ist die Einbeziehung der Zuständigkeit für Sanktionen in die Durchführungsbefugnisse vom Gerichtshof bereits im Urteil Köster anerkannt worden. In diesem Urteil ist nämlich festgestellt worden, daß Bestimmungen, die die Erteilung einer Ausfuhrlizenz von der Stellung einer Kaution abhängig machten und den Verfall dieser Kaution vorsahen, wenn die Ausfuhrverpflichtung nicht innerhalb der festgesetzten Frist erfuellt wurde, zu den Durchführungsbefugnissen der Kommission gehörten. Wie die Zuschläge und der Leistungsausschluß, die Anlaß für die vorliegende Klage waren, bestand diese Sanktion nicht in der blossen Erstattung einer nichtgeschuldeten Leistung.

39 Daher überschreiten Maßnahmen, die in der Einführung von Sanktionen wie den Zuschlägen und dem Leistungsausschluß für den Fall bestehen, daß ein Wirtschaftsteilnehmer der Verwaltung unrichtige Auskünfte erteilt, nicht den Rahmen der Durchführung der in den Grundverordnungen niedergelegten Grundsätze; diese Zuständigkeit durfte daher, da der Rat sie sich nicht vorbehalten hatte, auf die Kommission übertragen werden.

40 Hilfsweise macht die Bundesregierung für den Fall, daß die Befugnis zum Erlaß der streitigen Sanktionen auf die Kommission übertragen werden könnte, geltend, daß Artikel 5 Absatz 9 dritter Gedankenstrich der ersten Grundverordnung und Artikel 12 der zweiten Grundverordnung zu allgemein formuliert seien, um diese Wirkung zu entfalten. Die Bundesregierung stützt sich hierfür auf Artikel 1 Absatz 1 Satz 2 des Beschlusses 87/373/EWG des Rates vom 13. Juli 1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 197, S. 33), wonach der Rat die Hauptbestandteile der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse festlege. Im vorliegenden Fall hätte diese Bestimmung den Rat verpflichtet, die Kommission ausdrücklich zur Einführung von Sanktionen und selbst zur Festlegung von deren Art und Höhe zu ermächtigen.

41 Dieses Vorbringen ist ebenfalls nicht stichhaltig. Aus dem bereits angeführten Urteil Köster geht hervor, daß der Rat, sobald er in seiner Grundverordnung die wesentlichen Vorschriften für die zu regelnde Materie festgelegt hat, der Kommission die allgemeine Befugnis übertragen kann, die Modalitäten von deren Anwendung zu regeln, ohne daß er die Hauptbestandteile der übertragenen Befugnisse genau festlegen müsste, und daß zu diesem Zweck eine allgemein gefasste Bestimmung eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage abgibt.

42 Dieser Grundsatz kann durch den genannten Beschluß nicht in Frage gestellt werden. Da dieser eine Maßnahme des abgeleiteten Rechts darstellt, kann er den Bestimmungen des EWG-Vertrags, die den Rat nicht verpflichten, die Grundzuege der auf die Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse genau anzugeben, nichts hinzufügen.

43 Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist die Kommission für die Einführung der Zuschläge und des Leistungsausschlusses nach Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 3007/84 und Artikel 13 Absatz 3 Buchstaben b und c der Verordnung Nr. 3813/89 zuständig.

44 Die Klage ist daher abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

Zurück