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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.12.1990
Aktenzeichen: C-241/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 36
EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Vorschriften der Richtlinie 79/112 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, insbesondere Artikel 2 und 15, sind dahin auszulegen, daß sie der Anwendung einer solchen nationalen Regelung auf einheimische wie auf eingeführte Erzeugnisse entgegenstehen, die bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe alle Angaben verbietet, die das Wort Zucker enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, die synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen.

2. Die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag sind dahin auszulegen, daß sie der Anwendung einer solchen nationalen Regelung auf eingeführte Erzeugnisse entgegenstehen, die bei der Werbung für synthetische Süßstoffe alle Angaben verbietet, die das Wort Zucker enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, die synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 12. DEZEMBER 1990. - SOCIETE D'APPLICATION ET DE RECHERCHES EN PHARMACOLOGIE ET PHYTOTHERAPIE (SARPP) SARL GEGEN CHAMBRE SYNDICALE DES RAFFINEURS ET CONDITIONNEURS DE SUCRE DE FRANCE UND ANDERE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DE GRANDE INSTANCE DE PARIS - FRANKREICH. - SYNTHETISCHE SUESSSTOFFE - ETIKETTIERUNG - WERBUNG. - RECHTSSACHE C-241/89.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de grande instance Paris hat mit Urteil vom 5. Juli 1989, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 1. August 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 30 EWG-Vertrag im Hinblick auf die Vereinbarkeit der französischen Regelung über die Etikettierung und Aufmachung synthetischer Süßstoffe sowie die Werbung hierfür mit dieser Vorschrift zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Die streitige Regelung ist in Artikel 10 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 88-14 vom 5. Januar 1988 über gerichtliche Klagen der zugelassenen Verbraucherverbände und die Information der Verbraucher enthalten. Nach dieser Bestimmung sind alle Angaben, die auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen oder das Wort "Zucker" enthalten, bei der Etikettierung von Süßstoffen mit einer höheren Süßkraft als Zucker, doch ohne dessen Nährwert, bei der Etikettierung von Lebensmitteln, die solche Stoffe enthalten, sowie bei den Verkaufstechniken, den Aufmachungsmodalitäten oder den Methoden zur Information der Verbraucher über diese Stoffe oder Lebensmittel untersagt. Bezeichnungen und Herstellermarken von Süßstoffen, die vor dem 1. Dezember 1987 im medizinischen und pharmazeutischen Bereich in den Verkehr gebracht worden sind, dürfen jedoch beibehalten werden. Diese Vorschriften werden durch die Vorschriften der Verordnung vom 11. März 1988 zur Änderung der Verordnung vom 20. Juli 1987 über diätetische Erzeugnisse ergänzt.

3 Die vom Tribunal de grande instance Paris vorgelegte Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SARPP, Société d' application et de recherches en pharmacologie et phytothérapie (im folgenden: SARPP), und der Chambre syndicale des raffineurs et conditionneurs de sucre de France (im folgenden: Chambre syndicale) sowie mehreren Firmen, die in Frankreich synthetische Süßstoffe einführen oder vertreiben.

4 Mit Verfügung vom 5. Januar 1989 ordnete der Präsident des Tribunal de grande instance Nantes auf Antrag der Chambre syndicale an, daß sämtliche von der SARPP unter der Marke "Sucrandel" vertriebenen Erzeugnisse, deren Verpackung nicht dem Artikel 10 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 88-14 entsprach, aus dem Handel genommen würden. Im Anschluß an diese Verfügung verklagte die SARPP die Chambre syndicale vor dem Tribunal de grande instance Paris und beantragte die Feststellung, daß dieses Gesetz und die Verordnung vom 11. März 1988 gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstießen.

5 Das Tribunal de grande instance Paris war der Ansicht, daß die französischen Rechtsvorschriften - und insbesondere das Verbot, bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe und der Werbung hierfür irgendeine Angabe zu verwenden, die das Wort "Zucker" enthält oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweist - eine nach Artikel 30 verbotene Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung darstellen könnten; es hat sich daher die Frage gestellt, ob diese Rechtsvorschriften nicht aus Gründen des Verbraucherschutzes oder der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sein könnten.

6 Das Tribunal de grande instance Paris hat unter diesen Umständen das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof über folgende Frage vorab entschieden hat:

"Sind Artikel 10 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 88-14 vom 5. Januar 1988 und die Verordnung vom 11. März 1988 mit Artikel 30 EWG-Vertrag vereinbar, soweit sie bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe und der Werbung hierfür alle Angaben verbieten, die auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen oder das Wort 'Zucker' enthalten?"

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der dem Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof im Rahmen des Artikels 177 EWG-Vertrag zwar nicht über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Vertrag befinden kann, daß er aber befugt ist, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand zu geben, die dieses in die Lage versetzen, bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens die Frage der Vereinbarkeit zu beurteilen. Der Gerichtshof kann sich ferner zu diesem Zweck veranlasst sehen, Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen, auf die das vorlegende Gericht bei der Darlegung seiner Frage nicht Bezug genommen hat.

9 Aus den Akten ergibt sich, daß das vorlegende Gericht mit seiner Frage im wesentlichen wissen will, ob das Gemeinschaftsrecht der Anwendung solcher nationalen Rechtsvorschriften auf einheimische und eingeführte Erzeugnisse entgegensteht, die bei der Etikettierung von zur Lieferung an den Verbraucher bestimmten synthetischen Süßstoffen und der Werbung hierfür alle Angaben verbieten, die das Wort "Zucker" enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen.

Die anwendbaren Vorschriften des Gemeinschaftsrechts

10 Es ist darauf hinzuweisen, daß der Rat am 18. Dezember 1978 die Richtlinie 79/112/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 33, S. 1) erlassen hat.

11 Mit dieser Richtlinie soll, wie sich aus ihren Begründungserwägungen ergibt, der freie Verkehr mit Lebensmitteln durch eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung gefördert werden. Zu diesem Zweck setzt die Richtlinie eine Reihe allgemeiner, horizontaler Gemeinschaftsregeln für alle Lebensmittel fest, die in den Handel gebracht werden.

12 Artikel 2 der Richtlinie nennt den Grundsatz, an dem sich jede Regelung über Etikettierung und Werbung auszurichten hat. Gemäß Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels darf die Etikettierung von Lebensmitteln, die ohne weitere Verarbeitung an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, nicht geeignet sein, den Käufer irrezuführen, und zwar insbesondere nicht "über die Eigenschaften des Lebensmittels" oder "durch Angabe von Wirkungen oder Eigenschaften, die das Lebensmittel nicht besitzt", oder "indem zu verstehen gegeben wird, daß das Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften besitzen". Ferner darf gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b die Etikettierung den Lebensmitteln keine medizinischen Eigenschaften zuschreiben. Im übrigen gelten gemäß Artikel 2 Absatz 3 diese Verbote auch für die Aufmachung von Lebensmitteln und die Werbung hierfür.

13 Um Unterrichtung und Schutz der Verbraucher sicherzustellen, zählt Artikel 3 der Richtlinie die einzigen zwingenden Angaben auf, die die Etikettierung von Lebensmitteln enthalten muß. Die Voraussetzungen, unter denen diese Angaben in der Etikettierung anzuführen sind, werden in den Artikeln 4 bis 14 festgelegt, die ausserdem eine Reihe von Ausnahmen von den Bestimmungen des Artikels 3 vorsehen.

14 Nach Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten den Verkehr mit Lebensmitteln, die den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen, nicht durch die Anwendung nichtharmonisierter einzelstaatlicher Vorschriften verbieten, die die Etikettierung und Aufmachung einzelner Lebensmittel oder der Lebensmittel im allgemeinen regeln. Nach Artikel 15 Absatz 2 findet dieses Verbot jedoch keine Anwendung auf nichtharmonisierte einzelstaatliche Vorschriften, die aus den in dieser Vorschrift abschließend aufgeführten Gründen gerechtfertigt sind. Zu diesen Gründen gehören unter anderem der Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Schutz vor unlauterem Wettbewerb.

15 Es ist hervorzuheben, daß sich die Vorschriften der Richtlinie über die Etikettierung in einem wesentlichen Punkt von denen über die Werbung unterscheiden. Wie sich nämlich aus der neunten Begründungserwägung ergibt, gestattet es die Richtlinie wegen ihres allgemeinen, horizontalen Charakters den Mitgliedstaaten, Vorschriften beizubehalten oder zu erlassen, die zu den Vorschriften der Richtlinie hinzutreten. Für die Etikettierung werden die Grenzen der den Mitgliedstaaten damit belassenen Befugnis in der Richtlinie selbst gezogen, da sie in Artikel 15 Absatz 2 die Gründe abschließend anführt, die die Anwendung nichtharmonisierter einzelstaatlicher Vorschriften, die den Verkehr mit der Richtlinie entsprechenden Lebensmitteln verbieten, rechtfertigen können. Diese Bestimmung gilt jedoch nicht für die Werbung. Infolgedessen muß die Frage, ob in diesem Bereich das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer nationalen Regelung entgegensteht, die zu den Vorschriften der Richtlinie hinzutritt, namentlich im Licht der Vertragsvorschriften über den freien Warenverkehr, insbesondere der Artikel 30 und 36, geprüft werden.

16 Aus diesem Unterschied ergibt sich eine wichtige Folgerung. Die Richtlinie 79/112 hat nämlich, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. Februar 1987 in der Rechtssache 98/86 (Mathot, Slg. 1987, 809, Randnr. 11) ausgeführt hat, Verpflichtungen in bezug auf die Kennzeichnung der in der gesamten Gemeinschaft gehandelten Lebensmittel begründet, ohne daß - ausser gemäß Artikel 3 Absatz 2 - Unterscheidungen nach dem Ursprung dieser Lebensmittel vorgenommen werden dürfen. Wenn also die Vorschriften der Richtlinie der Anwendung einer nationalen Regelung über die Etikettierung von Lebensmitteln entgegenstehen, kann diese Regelung weder auf eingeführte Lebensmittel noch auf Lebensmittel einheimischen Ursprungs angewandt werden. Verstösst hingegen eine nationale Regelung über die Werbung gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag, so ist die Anwendung dieser Regelung nur bei eingeführten Erzeugnissen, nicht aber bei Erzeugnissen einheimischen Ursprungs untersagt.

17 Angesichts dieses Unterschieds sind die Aspekte der streitigen nationalen Regelung in bezug auf die Etikettierung einerseits und auf die Werbung andererseits getrennt zu untersuchen.

Zu den Aspekten der streitigen Regelung in bezug auf die Etikettierung

18 Zu den Aspekten der nationalen Regelung in bezug auf die Etikettierung ist zunächst zu bemerken, daß das Verbot aller Angaben bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe, die das Wort "Zucker" enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, über die Anforderungen hinausgeht, die in Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 gestellt werden, um zu verhindern, daß der Verbraucher über die Eigenschaften und Wirkungen dieser Lebensmittel irregeführt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, genügt das Verbot aller Angaben, die besagen, zu verstehen geben oder annehmen lassen, daß die synthetischen Süßstoffe ähnliche Eigenschaften besitzen wie Zucker, obwohl sie sie nicht besitzen. Dagegen kann das Bemühen, eine Irreführung des Verbrauchers zu verhindern, es nicht rechtfertigen, daß allgemein alle Angaben, die das Wort "Zucker" enthalten, oder alle Hinweise auf die Eigenschaften dieses Erzeugnisses, die - wie die Süßkraft - synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen, verboten werden.

19 Das streitige nationale Verbot ist als "nichtharmonisierte" Vorschrift im Sinne des Artikels 15 der Richtlinie zu betrachten. Diese Vorschrift untersagt den Handel mit synthetischen Süßstoffen, deren Etikettierung den Vorschriften der Richtlinie entspricht, weil diese Lebensmittel nicht in den Handel gebracht werden dürfen, wenn ihre Etikettierung ausserdem irgendeine Angabe aufweist, die das Wort "Zucker" enthält oder auf die Eigenschaften dieses Erzeugnisses hinweist. Infolgedessen kann das Verbot aller Angaben bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe, die das Wort "Zucker" enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, die synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen, auf diese Lebensmittel, ob sie nun eingeführt oder einheimischen Ursprungs sind, nur angewandt werden, wenn es durch einen der in Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie angeführten Gründe gerechtfertigt ist.

20 Die Chambre syndicale macht insoweit geltend, daß dieses Verbot jeden unlauteren Wettbewerb zwischen Zucker und synthetischen Süßstoffen verhindern solle. Nach ihrer Auffassung stellt infolge der wiederholten Anschwärzungskampagnen gegen Zucker, die Hersteller synthetischer Süßstoffe veranstaltet hätten, jede Erwähnung des Wortes "Zucker" oder der Eigenschaften dieses Erzeugnisses bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe eine unlautere Wettbewerbshandlung dar.

21 Diesem Argument kann nicht beigepflichtet werden. Denn eine Angabe bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe, die das Wort "Zucker" enthält oder auf die Eigenschaften dieses Erzeugnisses hinweist, hat nicht notwendigerweise eine Anschwärzung des Zuckers zur Folge. Dies gilt insbesondere für den Fall der Marken synthetischer Süßstoffe, die die Wurzel "suc" enthalten. Auch wenn also das betreffende Verbot auf den Schutz vor unlauterem Wettbewerb abzielt, so ist es doch im Hinblick auf dieses Ziel offensichtlich unverhältnismässig, das entweder durch einen Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften zum Schutz vor unlauteren Wettbewerbshandlungen oder dadurch erreicht werden kann, daß bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe nur solche Angaben verboten werden, die eine Anschwärzung des Zuckers bezwecken oder bewirken.

22 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der französische Gesetzgeber eine Ausnahme von dem fraglichen Verbot durch die Bestimmung vorgesehen hat, daß die Bezeichnungen und Herstellermarken von synthetischen Süßstoffen, die vor dem 1. Dezember 1987 im medizinischen und pharmazeutischen Bereich in den Verkehr gebracht worden sind, beibehalten werden dürfen. Hieraus ergibt sich, daß der französische Gesetzgeber selbst nicht der Auffassung ist, daß das Verbot jeder Erwähnung des Wortes "Zucker" bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe notwendig ist, um jeden unlauteren Wettbewerb zwischen diesen Erzeugnissen zu verhindern, denn bestimmte synthetische Süßstoffe dürfen unter einer Marke in den Handel gebracht werden, die dieses Wort erwähnt, obwohl die Tatsache, daß diese Süßstoffe zuvor im medizinischen und pharmazeutischen Bereich in den Handel gebracht worden sind, keine Garantie gegen einen unlauteren Wettbewerb darstellt.

23 Eine nationale Maßnahme wie die in Frage stehende kann auch nicht auf eine Ausnahme zugunsten des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gestützt werden.

24 Das betreffende Verbot zielt nämlich nicht darauf ab, die Verbraucher über etwaige Gefährdungen zu informieren, die der Verbrauch synthetischer Süßstoffe für die menschliche Gesundheit mit sich bringen könnte.

25 Infolgedessen ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Vorschriften der Richtlinie 79/112, insbesondere Artikel 2 und 15, dahin auszulegen sind, daß sie der Anwendung einer solchen nationalen Regelung auf einheimische wie auf eingeführte Erzeugnisse entgegenstehen, die bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe alle Angaben verbietet, die das Wort "Zucker" enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, die synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen.

Zu den Aspekten der streitigen Regelung in bezug auf die Werbung

26 Zu den Aspekten der nationalen Regelung in bezug auf die Werbung ist darauf hinzuweisen, daß diese Regelung mit der Regelung über die Etikettierung übereinstimmt und daß ausserdem die für die Werbung geltenden Bestimmungen des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 gleichfalls mit den Bestimmungen über die Etikettierung übereinstimmen. Infolgedessen ist im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen (Randnrn. 18 und 19) davon auszugehen, daß das Verbot aller Angaben bei der Werbung für diese Lebensmittel, die das Wort "Zucker" enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, die synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen, eine durch die genannte Richtlinie "nicht harmonisierte" Regelung darstellt.

27 Es ist daher zu prüfen, ob und inwieweit Artikel 30 EWG-Vertrag der Anwendung dieses Verbotes entgegensteht.

28 In dieser Hinsicht ist daran zu erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. in erster Linie Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837) das in Artikel 30 EWG-Vertrag ausgesprochene Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmässige Einfuhrbeschränkungen jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten erfasst, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.

29 Rechtsvorschriften wie die in Rede stehenden, die bestimmte Formen der Werbung beschränken oder untersagen, können, auch wenn sie die Einfuhren nicht unmittelbar regeln, doch geeignet sein, deren Volumen dadurch zu begrenzen, daß sie die Absatzmöglichkeiten für die eingeführten Erzeugnisse beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1982 in der Rechtssache 286/81, Oosthök' s Uitgeversmaatschappij, Slg. 1982, 4575, Randnr. 15). Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, daß der für den Wirtschaftsteilnehmer bestehende Zwang, entweder Form oder Inhalt einer Werbekampagne je nach dem betreffenden Mitgliedstaat zu ändern oder ein Werbesystem aufzugeben, das er für besonders wirksam hält, selbst dann ein Einfuhrhindernis darstellen kann, wenn solche Rechtsvorschriften unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse gelten.

30 Im übrigen beruht diese Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels auf einem Unterschied zwischen den nationalen Regelungen. Aus den Akten geht nämlich hervor, daß zwar jede Erwähnung des Wortes "Zucker" oder der physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers bei der Werbung für synthetische Süßstoffe nach den französischen Rechtsvorschriften verboten ist, daß solche Angaben indessen in anderen Mitgliedstaaten zulässig sind.

31 Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. insbesondere Urteile vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, Rewe, Slg. 1979, 649, vom 10. November 1982 in der Rechtssache 261/81, Rau/De Smedt, Slg. 1982, 3961, und vom 12. März 1987 in der Rechtssache 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227), daß in Ermangelung einer gemeinsamen Regelung des Inverkehrbringens der betreffenden Erzeugnisse Hemmnisse für den freien Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, insoweit hinzunehmen sind, als eine solche Regelung, die unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse gilt, dadurch gerechtfertigt werden kann, daß sie notwendig ist, um in Artikel 36 EWG-Vertrag angeführten Gründen des allgemeinen Interesses, wie dem Schutz der menschlichen Gesundheit, oder zwingenden Erfordernissen, unter anderem in bezug auf den Verbraucherschutz, gerecht zu werden. Eine solche Regelung muß ausserdem in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Hat ein Mitgliedstaat die Wahl zwischen verschiedenen zur Erreichung desselben Ziels geeigneten Mitteln, so hat er das Mittel zu wählen, das den freien Warenverkehr am wenigsten behindert.

32 Die zur Rechtfertigung der Aspekte der betreffenden nationalen Regelung in bezug auf die Werbung ins Feld geführten Gründe, nämlich der Schutz vor unlauterem Wettbewerb und der Schutz der menschlichen Gesundheit, stimmen inhaltlich mit denen überein, die zur Rechtfertigung der Aspekte dieser Regelung in bezug auf die Etikettierung angeführt worden sind. Aus den bereits dargelegten Gründen (siehe Randnrn. 20 bis 24) kann den insoweit vorgetragenen Argumenten nicht gefolgt werden.

33 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag dahin auszulegen sind, daß sie der Anwendung einer solchen nationalen Regelung auf eingeführte Erzeugnisse entgegenstehen, die bei der Werbung für synthetische Süßstoffe alle Angaben verbietet, die das Wort "Zucker" enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, die synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Die Auslagen der Französischen Republik und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung obliegt daher diesem Gericht.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunal de grande instance Paris mit Urteil vom 5. Juli 1989 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

1) Die Vorschriften der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, insbesondere Artikel 2 und 15, sind dahin auszulegen, daß sie der Anwendung einer solchen nationalen Regelung auf einheimische wie auf eingeführte Erzeugnisse entgegenstehen, die bei der Etikettierung synthetischer Süßstoffe alle Angaben verbietet, die das Wort "Zucker" enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, die synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen.

2) Die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag sind dahin auszulegen, daß sie der Anwendung einer solchen nationalen Regelung auf eingeführte Erzeugnisse entgegenstehen, die bei der Werbung für synthetische Süßstoffe alle Angaben verbietet, die das Wort "Zucker" enthalten oder auf die physikalischen, chemischen oder nutritiven Eigenschaften des Zuckers hinweisen, die synthetische Süßstoffe ebenfalls besitzen.

Ende der Entscheidung

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