Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 27.11.1990
Aktenzeichen: C-242/90 P-R
Rechtsgebiete: EWG-Satzung, Verfahrensordnung


Vorschriften:

EWG-Satzung Art. 49
EWG-Satzung Art. 53
Verfahrensordnung Art. 83
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die vom Gericht vorgenommene Aufhebung der Entscheidung eines Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren über die Korrektur einer schriftlichen Prüfung sowie der späteren Verfahrenshandlungen wegen einer Unregelmässigkeit, die die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichheit der Bewerber in Frage stellen kann, hat nicht ohne weiteres die Ungültigkeit der Ernennungen zur Folge, die auf der Grundlage des vom Prüfungsausschuß aufgestellten Verzeichnisses der erfolgreichen Bewerber vorgenommen worden sind, wenn es sich um ein allgemeines Auswahlverfahren zur Bildung einer Einstellungsreserve handelt.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 27. NOVEMBER 1990. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ALESSANDRO ALBANI UND ANDERE. - RECHTSMITTEL - AUSSETZUNG DES VOLLZUGS EINES URTEILS - GEGENSTANDSLOSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-242/90 P-R.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission hat mit Rechtsmittelschrift, die am 7. August 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EWG-Satzung und den entsprechenden Vorschriften der EGKS - und der EAG-Satzung des Gerichthofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil vom 12. Juli 1990 eingelegt, mit dem das Gericht die Entscheidung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren KOM/A/482 über die Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung sowie die späteren Handlungen des Auswahlverfahrens aufgehoben hat.

2 In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Kommission die Aufhebung dieses Urteils, soweit es alle Handlungen des Auswahlverfahrens KOM/A/482 von der Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung an aufhebt und die Folgen dieser Aufhebung nicht auf die Wiederherstellung der Rechte der Kläger des Verfahrens vor dem Gericht beschränkt.

3 Mit besonderem Schriftsatz, der am 9. August 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission ausserdem gemäß Artikel 53 der EWG-Satzung und den entsprechenden Vorschriften der EGKS - und der EAG-Satzung sowie Artikel 83 der Verfahrensordnung einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung der Durchführung des angefochtenen Urteils eingereicht, soweit dieses die Kommission verpflichtet, infolge der Aufhebung der zweiten schriftlichen Prüfung des Auswahlverfahrens KOM/A/482 die Ernennungen von 38 Beamten zurückzunehmen.

4 Die Kläger haben am 19. September 1990 und der Gewerkschaftsbund hat am 10. September 1990 eine schriftliche Stellungnahme eingereicht.

5 Mit Beschlüssen vom 10. Oktober 1990 sind Herr Allen u. a., Frau Alberdi Anchia u. a. und Herr André u. a., sämtlich Beamte, die als erfolgreiche Teilnehmer an dem Auswahlverfahren KOM/A/482 ernannt worden waren, als Streithelfer zur Unterstützung der Kommission im Verfahren der einstweiligen Anordnung zugelassen worden. Mit Beschluß vom gleichen Tag ist der Europäische Beamtenbund ebenfalls als Streithelfer in diesem Verfahren zugelassen worden. Die Streithelfer haben ihre schriftliche Stellungnahme am 18. Oktober 1990 eingereicht.

6 Die Kommission, die Kläger und der Gewerkschaftsbund sowie die Streithelfer im vorliegenden Verfahren haben am 22. Oktober 1990 mündlich verhandelt.

7 Zunächst sind das Verfahren vor dem Gericht und die sich aus dem angefochtenen Urteil ergebenden Umstände, die das Gericht zur Aufhebung der erwähnten Entscheidung des Prüfungsausschusses über die Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung sowie der späteren Handlungen des Auswahlverfahrens veranlasst haben, wiederzugeben.

8 Das streitige Auswahlverfahren, ein allgemeines Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen, wurde 1987 von der Kommission zur Bildung einer Einstellungsreserve von Verwaltungsräten der Besoldungsgruppen 7 und 6 der Laufbahngruppe A in bestimmten Tätigkeitsbereichen durchgeführt. 877 Bewerber wurden zu dem Auswahlverfahren zugelassen.

9 Gemäß der Bekanntgabe des Auswahlverfahrens sollte die zweite schriftliche Prüfung eine praktische Prüfung anhand eines Vorgangs sein, deren Zweck darin bestand, die analytischen Fähigkeiten des Bewerbers und seine Erfahrung bei der Bearbeitung eines Vorgangs zu beurteilen.

10 Für diese zweite schriftliche Prüfung verlangte der Prüfungsausschuß von den Bewerbern die Abfassung eines Vermerks, der eine Zusammenfassung des fraglichen Vorgangs und die persönliche Ansicht des Bewerbers zu dem darin behandelten Problem umfassen sollte. Die Länge des Vermerks war, sonst sollte das Manuskript nicht korrigiert werden, auf höchstens 800 Wörter beschränkt, wobei die Bewerber die verwendeten Wörter zählen und diese Zahl in ihre Prüfungsarbeit eintragen sollten.

11 Nach Durchführung dieser Prüfung wies der Prüfungsausschuß jedoch die Korrektoren an, nur die offensichtlich zu langen Manuskripte, d. h. die mit mehr als 1 200 Wörtern, nicht zu korrigieren.

12 Die Kläger bestanden die zweite schriftliche Prüfung nicht, und der Prüfungsausschuß beschloß, sie nicht zur mündlichen Prüfung des Auswahlverfahrens zuzulassen.

13 Am 25. Mai 1988 haben sie gegen diese Entscheidung Klage erhoben und ausgeführt, daß der Prüfungsausschuß durch seine Weisungen an die Korrektoren die von ihm selbst für die zweite schriftliche Prüfung festgelegten Bedingungen geändert habe und damit den Bewerbern, die diese Bedingungen nicht beachtet hätten, ermöglicht habe, sich auf Kosten der übrigen Bewerber einen Vorteil zu verschaffen; er habe dadurch gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Objektivität und des Vertrauensschutzes verstossen.

14 Die Kläger haben in ihrer Klage die Aufhebung des gesamten Verfahrens der Korrektur der schriftlichen Prüfungsarbeiten des Auswahlverfahrens, zumindest aber der Entscheidung des Prüfungsausschusses, sie nicht zur mündlichen Prüfung zuzulassen, beantragt.

15 Das Gericht führt in seinem Urteil aus, daß die Nichtbeachtung der für die zweite schriftliche Prüfung vorgeschriebenen Hoechstgrenze von 800 Wörtern eine wesentliche Unregelmässigkeit darstelle, die sowohl die streitige Entscheidung des Prüfungsausschusses als auch das spätere Verfahren fehlerhaft machen könne.

16 Das Gericht führt jedoch auch aus, daß, wenn es sich um ein allgemeines Auswahlverfahren handele, dessen Ablauf in mehreren Abschnitten erfolge, die in einem Abschnitt aufgetretene Unregelmässigkeit die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nur dann rechtfertige, wenn der Fehler das Ergebnis des Auswahlverfahrens verfälscht habe.

17 Die Kommission hat vor dem Gericht geltend gemacht, daß dies nicht der Fall gewesen sei, da nur fünf der 172 zur mündlichen Prüfung zugelassenen Bewerber die Hoechstgrenze von 800 Wörtern überschritten gehabt hätten und keiner von ihnen in dem am 26. Mai 1988 aufgestellten Verzeichnis der geeigneten Bewerber aufgeführt gewesen sei.

18 Dazu ergibt sich jedoch aus dem Urteil des Gerichts, daß die Kommission nicht in der Lage war, den Beweis für ihre Behauptungen zu erbringen, da die schriftlichen Prüfungsarbeiten versehentlich vernichtet worden waren. Auch die Zeugenvernehmung, die das Gericht durchgeführt hat, hat die von der Kommission behaupteten Tatsachen nicht erhärten können.

19 Das Gericht hat die Ansicht vertreten, daß es somit weder nachprüfen könne, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bewerber bei der Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung beachtet worden sei, noch, ob dieser Fehler das Endergebnis des Auswahlverfahrens habe verfälschen können.

20 Das Gericht hat daraus den Schluß gezogen, daß den Anträgen der Kläger stattzugeben sei und "die Entscheidung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren KOM/A/482 über die Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung sowie die späteren Handlungen des Auswahlverfahrens" aufzuheben seien.

21 In diesem Stadium des Verfahrens ist festzustellen, daß sich weder das Verfahren vor dem Gericht noch der Tenor des Urteils des Gerichts auf die im Anschluß an das streitige Auswahlverfahren bereits erfolgten Ernennungen bezogen haben oder beziehen.

22 Das Auswahlverfahren, wie es in Anhang III des Statuts festgelegt ist, endet nämlich mit der Aufstellung des Verzeichnisses der geeigneten Bewerber und dessen Übermittlung, zusammen mit dem mit Gründen versehenen Bericht des Prüfungsausschusses, an die Anstellungsbehörde. Die Aufhebung der späteren Handlungen des Auswahlverfahrens durch das Gericht, neben der Aufhebung der Entscheidung des Prüfungsausschusses über die Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung, kann somit allenfalls noch die Aufhebung des Verzeichnisses der geeigneten Bewerber betreffen.

23 Ausserdem ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( siehe das Urteil vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 144/82, Armelle Detti/Gerichtshof, Slg. 1983, 2421 ), daß selbst eine Unregelmässigkeit im Ablauf eines Auswahlverfahrens, die die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichheit der Bewerber in Frage stellen kann, nicht ohne weiteres die Ungültigkeit der später vorgenommenen Ernennungen zur Folge hat, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um ein allgemeines Auswahlverfahren zur Bildung einer Einstellungsreserve handelt.

24 Folglich ist festzustellen, daß die Kommission bis zur Entscheidung des Gerichtshofes über das Rechtsmittel nicht verpflichtet ist, die vor dem Erlaß des Urteils des Gerichts erfolgten Ernennungen zurückzunehmen.

25 Der Antrag der Kommission auf einstweilige Anordnung ist jedoch nur insoweit auf die Aussetzung der Durchführung des angefochtenen Urteils gerichtet, als das Urteil eine solche Verpflichtung enthält. Da eine solche Verpflichtung nicht besteht, ist der Aussetzungsantrag gegenstandslos und daher zurückzuweisen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT

beschlossen :

1 ) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2 ) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 27. November 1990.

Ende der Entscheidung

Zurück