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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.06.1993
Aktenzeichen: C-243/89
Rechtsgebiete: EWGV, Richtlinie 71/305/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 30
EWGV Art. 48
EWGV Art. 59
EWGV Art. 169
Richtlinie 71/305/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Gegenstand des Rechtsstreits im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens wird durch das Vorverfahren eingegrenzt und kann später nicht erweitert werden. Die Gelegenheit zur Äusserung für den betroffenen Mitgliedstaat ist eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie für die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung durch einen Mitgliedstaat.

2. Im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage, die die Kommission gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag erhebt und deren Zweckmässigkeit sie allein beurteilt, ist es Sache des Gerichtshofes, festzustellen, ob die beanstandete Vertragsverletzung vorliegt oder nicht, auch wenn der betroffene Mitgliedstaat die Vertragsverletzung nicht mehr bestreitet und den Anspruch einzelner auf Ersatz des ihnen dadurch eventuell entstandenen Schadens anerkennt. Anderenfalls könnten die Mitgliedstaaten dadurch, daß sie die Vertragsverletzung einräumen und die sich daraus ergebende Haftung anerkennen, ein beim Gerichtshof anhängiges Vertragsverletzungsverfahren jederzeit beenden, ohne daß das Vorliegen der Vertragsverletzung und ihre Haftung gerichtlich festgestellt worden wären.

3. Ein Mitgliedstaat, der im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge zur Abgabe von Angeboten auf der Grundlage einer Bedingung auffordert, die eine möglichst weitgehende Verwendung von inländischen Baustoffen, Verbrauchsgütern, Arbeitskräften und Geräten vorsieht, und der die Verhandlungen mit dem ausgewählten Bieter auf der Grundlage eines nicht den Verdingungsunterlagen entsprechenden Angebots führen lässt, verstösst gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 30, 48 und 49 des Vertrages sowie aus der Richtlinie 71/305.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 22. JUNI 1993. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH DAENEMARK. - VERGABE EINES BAUAUFTRAGS - BRUECKE UEBER DEN "STOREBAELT". - RECHTSSACHE C-243/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 2. August 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingereicht worden ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Dänemark seine Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verletzt und insbesondere gegen die Artikel 30, 48 und 59 EWG-Vertrag sowie die Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5; nachstehend: Richtlinie) verstossen hat, weil

° zum einen die Aktieselskabet Storebältsforbindelsen zur Abgabe von Angeboten auf der Grundlage einer Bedingung aufgefordert hat, wonach soweit wie möglich dänische Baustoffe, Verbrauchsgüter, Arbeitskräfte und Geräte zu verwenden waren, und

° zum anderen die Verhandlungen mit dem Konsortium, das den Zuschlag erhielt, auf der Grundlage eines nicht den Verdingungsunterlagen entsprechenden Angebots stattgefunden haben.

2 Die Aktieselskabet Storebältsforbindelsen (nachstehend: A/S Storebältsforbindelsen) ist eine vollständig vom dänischen Staat kontrollierte Gesellschaft. Sie ist mit der Ausarbeitung des Vorhabens und als Bauherr mit dem Bau einer Strassen- und Schienenverbindung über den Grossen Belt beauftragt. Teil dieses Vorhabens ist der Bau einer Brücke über den westlichen Teil des Grossen Belt. Der Wert des Vertrags über den Bau der Westbrücke wird auf 3 Milliarden DKR geschätzt.

3 Am 9. Oktober 1987 veröffentlichte die A/S Storebältsforbindelsen im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (S. 196/16) eine beschränkte Ausschreibung betreffend den Bau der Westbrücke. Am 28. April 1988 forderte sie fünf Unternehmensgruppen zur Abgabe eines Angebots auf.

4 Die in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Gemeinsamen Bedingungen (nachstehend: Gemeinsame Bedingungen) sehen in Artikel 6 Absatz 2 folgendes vor (nachstehend: Klausel betreffend den dänischen Vertragsanteil):

"Der Unternehmer ist gehalten, soweit wie möglich dänische Baustoffe und Verbrauchsgüter sowie dänische Arbeitskräfte und Ausrüstungen zu verwenden."

5 Artikel 3 Absatz 3 der Gemeinsamen Bedingungen enthält die Bedingungen, zu denen die Alternativangebote über ein Ersatzvorhaben gegenüber den drei verschiedenen Brückenbauvorhaben abzugeben sind, die die A/S Storebältsforbindelsen selbst entworfen hatte und die als Grundlage für die Beurteilung dieser Angebote dienen. Nach dieser Bestimmung schließt der Preis für ein solches Angebot die Ausarbeitung eines detaillierten Vorhabens durch den Bieter ein, das dieser dem Bauherrn zur Annahme vorlegt; der Bieter trägt die uneingeschränkte Verantwortung für die Erstellung und die Ausführung des Vorhabens. Nach dieser Bestimmung trägt der Bieter auch das Risiko der Änderung der Mengen, auf denen das Alternativangebot beruht. Schließlich heisst es in dieser Bestimmung:

"Bei der Abgabe eines Angebots über ein Alternativvorhaben, für das er die Verantwortung trägt, muß der Bieter einen ermässigten Preis für den Fall angeben, daß der Bauherr beschließt, die detaillierte Ausarbeitung des Vorhabens selbst vorzunehmen."

6 Fünf internationale Konsortien, an denen insgesamt 28 Unternehmen beteiligt sind, wurden zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Eines dieser fünf Konsortien war die European Storebält Group (nachstehend: ESG), die aus dem niederländischen Unternehmen Ballast Nedam, dem Schweizer Unternehmen Losinger Ltd, dem britischen Unternehmen Taylor Woodrow Construction Ltd und drei dänischen Unternehmen für öffentliche Arbeiten bestand. Die ESG legte der A/S Storebältsforbindelsen ein Alternativangebot für den Bau einer Betonbrücke vor.

7 Die A/S Storebältsforbindelsen nahm daraufhin Gespräche mit den einzelnen Bietern auf, um deren Angebote vergleichen und bewerten sowie die Kosten der zahlreichen in diesen Angeboten enthaltenen Vorbehalte beziffern zu können. Nach einer erheblichen Beschränkung des Kreises der Angebote verhandelte die A/S Storebälsforbindelsen weiter mit der ESG über deren Alternativangebot. Diese Verhandlungen wurden am 26. Juni 1989 mit der Unterzeichnung eines Vertrags zwischen der ESG und der A/S Storebältsforbindelsen abgeschlossen.

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur wiedergegeben, soweit es die Begründung des Urteils erfordert.

Zur Zulässigkeit der Klage

9 Nachdem sich die Kommission in der Klageschrift das Recht vorbehalten hatte, erforderlichenfalls die Gründe zu ergänzen und weiter auszuführen, auf die sie die beiden in den Anträgen aus der Klageschrift erwähnten Rügen stützt, hat sie in der Erwiderung ihr Vorbringen auf der Grundlage von Informationen weiter ausgeführt, die die dänische Regierung mit ihrer Klagebeantwortung vorgelegt hatte. Ferner hat sie ihre Anträge aus der Klageschrift in zwei Punkten geändert.

10 In erster Linie beantragt sie im Hinblick auf die in Randnummer 1 dieses Urteils wiedergegebene zweite Rüge die Feststellung der Vertragsverletzung, weil sie A/S Storebältsforbindelsen "auf der Grundlage eines nicht den Verdingungsunterlagen entsprechenden Angebots mit der ESG Verhandlungen geführt hat, die dazu geführt haben, daß der schließlich abgeschlossene Vertrag Änderungen der Ausschreibungsbedingungen zugunsten eines einzigen Bieters, insbesondere hinsichtlich preisrelevanter Faktoren, enthält".

11 In zweiter Linie erklärt die Kommission hinsichtlich der Rechtsvorschriften, die das Königreich Dänemark verletzt haben soll, daß es sich dabei um die Richtlinie 71/305 handele, "einschließlich des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der dieser Richtlinie zugrunde liegt".

12 Die dänische Regierung beantragt, die Klage für unzulässig zu erklären, soweit die Kommission den Gegenstand der Klage über den Gegenstand des vorgerichtlichen Verfahrens hinaus erweitert hat.

13 Vor der Prüfung dieses Antrags ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 28. April 1993 in der Rechtssache C-306/91, Kommission/Italien, Slg. 1993, I-2133, Randnr. 22) hinzuweisen, wonach der Gegenstand des Rechtsstreits im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens durch das Vorverfahren eingegrenzt wird und später nicht erweitert werden kann. Die Gelegenheit zur Äusserung für den betroffenen Mitgliedstaat ist eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie für die Ordnungsmässigkeit des Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung durch einen Mitgliedstaat.

14 Die dänische Regierung macht zunächst geltend, die Kommission könne in der Klageschrift und insbesondere in der Erwiderung den Gegenstand des Rechtsstreits nicht auf tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte erweitern, die in dem Schreiben, mit dem sie den Mitgliedstaat zur Äusserung aufgefordert habe, und in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht erwähnt seien.

15 Hierzu ist festzustellen, daß Gegenstand des Vorverfahrens nur Artikel 6 Absatz 2 der Gemeinsamen Bedingungen, also die Klausel betreffend den dänischen Vertragsanteil, und die Eröffnung von Verhandlungen auf der Grundlage eines Angebots waren, das nach Ansicht der Kommission Artikel 3 Absatz 3 dieser Bedingungen betreffend die Verantwortlichkeit des Bieters im Falle eines Alternativangebots über ein Ersatzvorhaben nicht entsprach.

16 Folglich ist die Klage nur insoweit zulässig, als die beiden Rügen diese beiden Bestimmungen der Gemeinsamen Bedingungen betreffen.

17 Im Rahmen der Rüge, die sich auf die Klausel betreffend den dänischen Vertragsanteil bezieht, ist es der Kommission jedoch nicht verwehrt, sich zur Stützung ihres Vorbringens auf andere Bestimmungen der Verdingungsunterlagen zu beziehen, die eine Konkretisierung dieser Klausel in spezifischen Punkten darstellen.

18 Die dänische Regierung macht sodann geltend, die Kommission habe durch die Umformulierung ihrer Anträge während des Verfahrens den Gegenstand des Rechtsstreits geändert und die Verteidigungsrechte verletzt, da das Königreich Dänemark als beklagter Mitgliedstaat nicht die Möglichkeit gehabt habe, sich frist- und formgerecht zu den so geänderten Punkten zu äussern. Die Prüfung der Begründetheit der Klage müsse daher auf die in der Klageschrift gestellten Anträge beschränkt werden.

19 Mit diesem Vorbringen wird zum einen die Frage aufgeworfen, ob die Umformulierung des zweiten Teils der Anträge eine Erweiterung dieser Anträge darstellt, und zum anderen die Frage, ob die in der Erwiderung enthaltene Bezugnahme auf den "Grundsatz der Gleichbehandlung, der dieser Richtlinie zugrunde liegt", der rechtlichen Begründung des Vorwurfs der Vertragsverletzung ein neues Element hinzufügt.

20 Zur ersten Frage genügt die Feststellung, daß es sich um eine Klarstellung handelt, die die Kommission an ihren Anträgen vornehmen durfte, um den Informationen über den Ablauf des Ausschreibungsverfahrens und die Verhandlungen zwischen der A/S Storebältsforbindelsen und der ESG Rechnung zu tragen, die die dänische Regierung in der Klagebeantwortung vorgelegt hatte.

21 Zur zweiten Frage ist zunächst festzustellen, daß, worauf der Generalanwalt in Nummer 13 seiner Schlussanträge hingewiesen hat, die Kommission der dänischen Regierung schon im Vorverfahren vorgeworfen hatte, diesen Grundsatz verletzt zu haben, und daß sich die mit Gründen versehene Stellungnahme wie auch die Klageschrift ausdrücklich hierauf beziehen. Die dänische Regierung hatte somit die Möglichkeit, sich hierzu zu äussern, wie sich im übrigen sowohl aus ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme als auch aus ihrer Klagebeantwortung ergibt.

22 Des weiteren ist festzustellen, daß das Vorbringen der dänischen Regierung, daß die Berufung auf den Grundsatz der Gleichbehandlung eine neue rechtliche Grundlage für den Vorwurf der Vertragsverletzung darstelle, eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie aufwirft, die im Rahmen der Begründetheit zu prüfen ist.

Zur Begründetheit

Zur ersten, gegen die Klausel betreffend den dänischen Vertragsanteil gerichteten Rüge

23 Vorab ist festzustellen, daß die in Artikel 6 Absatz 2 der Gemeinsamen Bedingungen der Verdingungsunterlagen enthaltene Klausel betreffend den dänischen Vertragsanteil mit den Artikeln 30, 48 und 59 EWG-Vertrag unvereinbar ist, was die dänische Regierung im übrigen auch nicht bestreitet.

24 Die dänische Regierung macht jedoch geltend, sie habe diese Klausel vor der Unterzeichnung des Vertrags mit der ESG am 26. Juni 1989 gestrichen und sei damit der mit Gründen versehenen Stellungnahme noch vor deren Zustellung am 14. Juli 1989 nachgekommen. Unter Hinweis auf das Urteil vom 31. März 1992 in der Rechtssache C-362/90 (Kommission/Italien, Slg. 1992, I-2353) hat die dänische Regierung in der Sitzung ergänzend ausgeführt, daß die Kommission nicht rechtzeitig gehandelt habe, um mit den ihr zur Verfügung stehenden Verfahren zu verhindern, daß die behauptete Vertragsverletzung Rechtswirkungen zeitige.

25 Diesem Vorbringen ist nicht zu folgen.

26 Zum einen ist zwar die streitige Klausel kurz vor der Unterzeichnung des Vertrags mit der ESG, also vor der Zustellung der mit Gründen versehenen Stellungnahme, gestrichen worden; dies ändert jedoch nichts daran, daß das Ausschreibungsverfahren auf der Grundlage einer Klausel abgelaufen ist, die nicht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stand und geeignet war, sich sowohl auf die Zusammensetzung der verschiedenen Konsortien als auch auf den Inhalt der Angebote der fünf in die engere Wahl gelangten Konsortien auszuwirken. Daher kann die blosse Streichung dieser Klausel im letzten Abschnitt des Verfahrens nicht als ausreichend angesehen werden, um die von der Kommission gerügte Vertragsverletzung abzustellen.

27 Zum anderen hat die Kommission in ihrem Aufforderungsschreiben vom 21. Juni 1989 die dänische Regierung ersucht, dafür Sorge zu tragen, daß die Unterzeichnung des Vertrags verschoben werde. Wäre die dänische Regierung dem nachgekommen, so hätte also die beanstandete Vertragsverletzung keine Rechtswirkungen gezeitigt.

28 Die dänische Regierung macht zweitens geltend, in ihrer dem Gerichtshof im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorgelegten Erklärung vom 22. September 1989 habe sie nicht nur eingeräumt, daß die Klausel betreffend den dänischen Vertragsinhalt einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstelle, sondern sie habe auch ihre Haftung gegenüber den Bieterunternehmen anerkannt, so daß die Klage insoweit gegenstandslos geworden sei.

29 Auch dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

30 Im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage, die die Kommission gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag erhebt und deren Zweckmässigkeit sie allein beurteilt, ist es Sache des Gerichtshofes, festzustellen, ob die beanstandete Vertragsverletzung vorliegt oder nicht, auch wenn der betroffene Mitgliedstaat die Vertragsverletzung nicht mehr bestreitet und den Anspruch einzelner auf Ersatz des ihnen dadurch eventuell entstandenen Schadens anerkennt. Anderenfalls könnten die Mitgliedstaaten dadurch, daß sie die Vertragsverletzung einräumen und die sich daraus ergebende Haftung anerkennen, ein beim Gerichtshof anhängiges Vertragsverletzungsverfahren jederzeit beenden, ohne daß das Vorliegen der Vertragsverletzung und ihre Haftung gerichtlich festgestellt worden wären.

31 Die Klage der Kommission ist daher hinsichtlich der ersten, gegen die Klausel betreffend den dänischen Vertragsinhalt gerichteten Rüge begründet.

Zur zweiten, gegen die Verhandlungen auf der Grundlage eines nicht den Verdingungsunterlagen entsprechenden Angebots gerichteten Rüge

32 Da die Kommission mit ihren in der Erwiderung umformulierten Anträgen geltend macht, daß die A/S Storebältsforbindelsen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter nicht beachtet habe, ist zunächst das Vorbringen der dänischen Regierung zu prüfen, daß die Richtlinie diesen Grundsatz nicht betreffe und daß dieser daher eine neue rechtliche Grundlage für den Vorwurf der Vertragsverletzung darstelle.

33 Hierzu genügt die Feststellung, daß die Richtlinie den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter zwar nicht ausdrücklich erwähnt, daß aber die Pflicht zur Beachtung dieses Grundsatzes gleichwohl dem Wesen dieser Richtlinie selbst entspricht, die nach ihrer neunten Begründungserwägung namentlich die Entwicklung eines echten Wettbewerbs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge bezweckt und in ihrem Abschnitt IV Selektions- und Zuschlagskriterien aufstellt, die einen solchen Wettbewerb gewährleisten sollen.

34 In ihrer Erwiderung hat die Kommission ihre Anträge auf eine Reihe von Bestandteilen des schließlich abgeschlossenen Vertrags gestützt, die nach ihrer Ansicht Änderungen der Bedingungen der Verdingungsunterlagen darstellen und gewisse Auswirkungen auf die Preise haben. Wie jedoch in den Randnummern 14 und 15 dieses Urteils dargelegt worden ist, kann der Gerichtshof nur die Änderungen berücksichtigen, die sich auf die in Artikel 3 Absatz 3 der Gemeinsamen Bedingungen aufgestellten Bedingungen beziehen.

35 Die zweite Rüge der Kommission zielt, in dieser Weise eingegrenzt, im Kern auf die Feststellung durch den Gerichtshof ab, daß das Königreich Dänemark den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter dadurch verletzt hat, daß die A/S Storebältsforbindelsen auf der Grundlage eines nicht den Verdingungsunterlagen entsprechenden Angebots Verhandlungen mit der ESG geführt hat, die dazu geführt haben, daß der schließlich abgeschlossene Vertrag Änderungen der in Artikel 3 Absatz 3 aufgestellten Bedingungen zugunsten eines einzigen Bieters enthält, die sich auf preisrelevante Faktoren beziehen.

36 Um zu beurteilen, ob die von der A/S Storebältsforbindelsen geführten Verhandlungen mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter vereinbar waren, ist zu prüfen, ob es der A/S Storebältsforbindelsen nach diesem Grundsatz verwehrt war, das Angebot der ESG zu berücksichtigen.

37 Hierzu ist zunächst festzustellen, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter verlangt, daß alle Angebote den Vorschriften der Verdingungsunterlagen entsprechen, damit ein objektiver Vergleich der Angebote der einzelnen Bieter gewährleistet ist.

38 Diese Feststellung wird durch Artikel 11 der Richtlinie bestätigt, der dem Bieter, der von der Möglichkeit Gebrauch macht, Varianten zum Entwurf der Verwaltung vorzulegen, zwar erlaubt, das Bauwerk nach einem anderen als dem im Vergabeland geltenden Verfahren zu berechnen, zugleich aber die Bedingung aufstellt, daß das Angebot mit den Vorschriften der Verdingungsunterlagen vereinbar sein muß.

39 Zum Vorbringen der dänischen Regierung, daß die dänischen Rechtsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen die Möglichkeit vorsähen, Vorbehalte zu akzeptieren, ist festzustellen, daß diese Rechtsvorschriften nur unter voller Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter angewandt werden dürfen, der der Richtlinie zugrunde liegt und verlangt, daß die Angebote den Verdingungsunterlagen entsprechen.

40 Diesem Erfordernis wäre aber nicht genügt, wenn die Bieter von den grundlegenden Vorschriften der Verdingungsunterlagen durch Vorbehalte abweichen könnten, soweit diese Vorschriften ihnen nicht ausdrücklich diese Möglichkeit einräumen.

41 Des weiteren ist festzustellen, daß das Angebot der ESG über den Alternativentwurf für den Bau einer Betonbrücke Artikel 3 Absatz 3 der Gemeinsamen Bedingungen nicht entsprach, da es den dort aufgestellten Bedingungen nicht genügte, weil der vorgeschlagene Preis nicht darauf beruhte, daß sie als Bieter ein detailliertes Vorhaben ausarbeiten und die uneingeschränkte Verantwortung für dieses Vorhaben sowohl hinsichtlich seiner Konzeption als auch seiner Ausführung sowie das Risiko von Änderungen der dort vorgesehenen Mengen übernehmen musste.

42 Schließlich stellt Artikel 3 Absatz 3 der Gemeinsamen Bedingungen eine grundlegende Vorschrift der Verdingungsunterlagen dar, da er die Bedingungen für die Berechnung der Preise unter Berücksichtigung der Verantwortung des Bieters für die Erstellung einer detaillierten Konzeption des Vorhabens, dessen Ausführung und die Übernahme der Risiken festlegt.

43 Unter diesen Umständen und weil die betreffende Vorschrift keinerlei Möglichkeit für die Bieter vorsieht, ihre Angebote mit Vorbehalten zu versehen, war es der A/S Storebältsforbindelsen durch den Gleichheitssatz verwehrt, das Angebot der ESG zu berücksichtigen.

44 Die Klage der Kommission ist daher auch hinsichtlich der zweiten Rüge begründet, die die Verhandlungen auf der Grundlage eines nicht den Verdingungsunterlagen entsprechenden Angebots betrifft.

45 Aus alldem ergibt sich, daß das Königreich Dänemark seine Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verletzt und insbesondere gegen die Artikel 30, 48 und 49 EWG-Vertrag sowie gegen die Richtlinie 71/305/EWG verstossen hat, weil die Aktieselskabet Storebältsforbindelsen zur Abgabe von Angeboten auf der Grundlage einer Bedingung aufgefordert hat, die eine möglichst weitgehende Verwendung von dänischen Baustoffen, Verbrauchsgütern, Arbeitskräften und Geräten vorsah, und weil die Verhandlungen mit dem ausgewählten Konsortium auf der Grundlage eines nicht den Verdingungsunterlagen entsprechenden Angebots geführt worden sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

46 47 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Dänemark mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Königreich Dänemark hat seine Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verletzt und insbesondere gegen die Artikel 30, 48 und 59 EWG-Vertrag sowie gegen die Richtlinie 71/305/EWG verstossen, weil die Aktieselskabet Storebältsforbindelsen zur Abgabe von Angeboten auf der Grundlage einer Bedingung aufgefordert hat, die eine möglichst weitgehende Verwendung von dänischen Baustoffen, Verbrauchsgütern, Arbeitskräften und Geräten vorsah, und weil die Verhandlungen mit dem ausgewählten Konsortium auf der Grundlage eines nicht den Verdingungsunterlagen entsprechenden Angebots geführt worden sind.

2) Das Königreich Dänemark trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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