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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.10.2004
Aktenzeichen: C-247/02
Rechtsgebiete: Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, G Nr. 109 vom 11. Februar 1994 (Italien)
Vorschriften:
Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge Art. 30 Abs. 1 | |
G Nr. 109 vom 11. Februar 1994 (Italien) Art. 21 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 7. Oktober 2004. - Sintesi SpA gegen Autorità per la Vigilanza sui Lavori Pubblici. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia - Italien. - Richtlinie 93/37/EWG - Öffentliche Bauaufträge - Erteilung des Zuschlags - Recht des öffentlichen Auftraggebers, zwischen dem Kriterium des niedrigsten Preises und dem des wirtschaftlich günstigsten Angebots zu wählen. - Rechtssache C-247/02.
Parteien:
In der Rechtssache C-247/02
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,
eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) mit Entscheidung vom
26. Juni 2002
, beim Gerichtshof eingegangen am
8. Juli 2002
, in dem Verfahren
Sintesi SpA
gegen
Autorità per la Vigilanza sui Lavori Pubblici ,
Beteiligte:
Ingg. Provera e Carrassi SpA,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.P. Puissochet und R. Schintgen (Berichterstatter) sowie der Richterinnen F. Macken und N. Colneric,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: M. Múgica Azarmendi, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Sintesi SpA, vertreten durch G. Caia, V. Salvadori und N. Aicardi, avvocati,
- der Ingg. Provera e Carrassi SpA, vertreten durch M. Wongher, avvocatessa,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von M. Fiorilli, avvocato dello Stato,
- der griechischen Regierung, vertreten durch S. Spyropoulos, D. Kalogiros und D. Tsagkaraki als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Wiedner, R. Amorosi und A. Aresu als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom
1. Juli 2004,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54, im Folgenden: Richtlinie).
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Sintesi SpA (im Folgenden: Sintesi) und der Autorità per la Vigilanza sui Lavori Pubblici (Aufsichtsbehörde für öffentliche Bauarbeiten, im Folgenden: Aufsichtsbehörde) wegen der Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags im nicht offenen Ausschreibungsverfahren.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3. Nach der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie [erfordert d]ie gleichzeitige Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge, die in den Mitgliedstaaten für Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts vergeben werden,... neben der Aufhebung der Beschränkungen eine Koordinierung der einzelstaatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge.
4. Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt:
Bei der Erteilung des Zuschlags wendet der öffentliche Auftraggeber folgende Kriterien an:
a) entweder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises
b) oder - wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt - verschiedene auf den jeweiligen Auftrag bezogene Kriterien, wie z. B. Preis, Ausführungsfrist, Betriebskosten, Rentabilität oder technischer Wert.
Nationale Rechtsvorschriften
5. Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie wurde durch Artikel 21 des Gesetzes Nr. 109 vom 11. Februar 1994 (GURI Nr. 41 vom 19. Februar 1994, S. 5, im Folgenden: Gesetz Nr. 109/1994), das Rahmengesetz für öffentliche Bauarbeiten in Italien, in italienisches Recht umgesetzt.
6. Artikel 21 Absätze 1 und 2 des Gesetzes Nr. 109/1994 in seiner zur Zeit der Ereignisse des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung lautet:
Zuschlagskriterien - Öffentliche Auftraggeber
1. Die Auftragsvergabe im offenen oder nicht offenen Verfahren erfolgt nach dem Kriterium des niedrigsten Preises, der unter dem Grundpreis der Ausschreibung liegt und wie folgt bestimmt wird:
...
2. Die Auftragsvergabe durch Ausschreibung und die Erteilung von Konzessionen im nicht offenen Verfahren erfolgen nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots, wobei folgende Faktoren, die je nach den auszuführenden Arbeiten variieren können, berücksichtigt werden:
...
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
7. Im Februar 1991 übertrug die Stadt Brescia (Italien) Sintesi durch einen Konzessionsvertrag den Bau und die Verwaltung einer Tiefgarage.
8. Die im Dezember 1999 zwischen der Stadt Brescia und Sintesi geschlossene Vereinbarung enthielt für die Konzessionärin die Verpflichtung, für die Ausführung der Arbeiten im Wege eines nicht offenen Ausschreibungsverfahrens auf europäischer Ebene nach der Gemeinschaftsregelung über öffentliche Bauaufträge zu sorgen.
9. Mit einer am 22. April 1999 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Bekanntmachung schrieb Sintesi den Auftrag im nicht offenen Verfahren nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots aus. Dieses sollte auf der Grundlage des Preises, des technischen Wertes und der für die Ausführung der Arbeiten vorgesehenen Zeit beurteilt werden.
10. Nach der Vorauswahlphase übermittelte Sintesi den in die engere Wahl gezogenen Unternehmen ein Schreiben mit der Aufforderung, ein Angebot einzureichen, und die Ausschreibungsunterlagen. Die Ingg. Provera e Carrassi SpA (im Folgenden: Provera), die zu den zur Abgabe eines Angebots aufgeforderten Unternehmen gehörte, bat um eine Verlängerung der Angebotsfrist, die ihr gewährt wurde. Danach teilte sie jedoch mit, dass sie an der Ausschreibung nicht teilnehmen werde, da sie diese für rechtswidrig halte.
11. Am 29. Mai 2000 vergab Sintesi den Auftrag unter Berücksichtigung des wirtschaftlich günstigsten Angebots.
12. Auf eine erneute Beschwerde von Provera hin teilte die Aufsichtsbehörde Sintesi mit Schreiben vom 26. Juli 2000 mit, dass sie das fragliche Ausschreibungsverfahren für mit dem Gesetz Nr. 109/1994 unvereinbar halte, und erließ am 7. Dezember 2000 die Entscheidung Nr. 53/2000, die wie folgt lautet:
1. Im System des Rahmengesetzes Nr. 109/1994 für öffentliche Bauarbeiten darf der Zuschlag nur nach dem Kriterium des niedrigsten Preises erfolgen, und die Anwendung des Kriteriums des wirtschaftlich günstigsten Angebots ist nur bei Ausschreibungen und bei Konzessionen für die Ausführung und die Verwaltung öffentlicher Bauarbeiten möglich;
2. die vorstehenden Regeln gelten für alle Bauaufträge unabhängig vom Auftragswert, auch wenn dieser über der Gemeinschaftsschwelle liegt, und dieses System kann nicht als ein Verstoß gegen Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie 93/37/EWG betrachtet werden...;
3. ist in den gesetzlich zulässigen Fällen, also nicht im vorliegenden Fall, im Rahmen der konkreten Anwendung des Kriteriums des wirtschaftlich günstigsten Angebots die Beurteilung des technischen Wertes vorgesehen, so muss, um eine solche Beurteilung zu ermöglichen, der Entwurf von den Teilnehmern geändert werden können.
13. Sintesi focht diese Entscheidung beim vorlegenden Gericht an und berief sich insbesondere auf einen Verstoß gegen Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie.
14. Sie machte geltend, aus dieser Vorschrift ergebe sich, dass die beiden Zuschlagskriterien für öffentliche Bauaufträge, d. h. das Kriterium des niedrigsten Preises und das des wirtschaftlich günstigsten Angebots, gleichrangig seien. Indem die Aufsichtsbehörde auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 109/1994 das Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots bei der Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags im nicht offenen Verfahren ausgeschlossen habe, habe sie gegen Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie verstoßen.
15. Das vorlegende Gericht führt aus, dass Artikel 21 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 109/1994 der Transparenz der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge diene; es fragt sich jedoch, ob diese Vorschrift den freien Wettbewerb gewährleisten könne, da der Preis allein wohl kein Faktor sei, der sicherstelle, dass das beste Angebot ausgewählt werde.
16. Das vorlegende Gericht weist außerdem darauf hin, dass der fragliche Parkplatz im historischen Zentrum der Stadt Brescia liegen werde. Die auszuführenden Arbeiten seien daher sehr komplex und erforderten die Beurteilung technischer Daten, die von den Bietern geliefert werden müssten, um das Unternehmen, dem die Ausführung der Arbeiten übertragen werde, weil es dazu am besten geeignet sei, bestimmen zu können.
17. Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie... insofern, als er den einzelnen öffentlichen Auftraggebern die Entscheidung überlässt, entweder den niedrigsten Preis oder das wirtschaftlich günstigste Angebot als Kriterium für den Zuschlag eines Auftrags vorzusehen, eine folgerichtige Anwendung des Grundsatzes des freien Wettbewerbs im Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG), wonach jedes Angebot im Rahmen einer Ausschreibung im Gemeinsamen Markt so beurteilt werden muss, dass der Vergleich der Angebote nicht verhindert, eingeschränkt oder verfälscht wird?
2. Ist es daher nach Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie... unzulässig, dass Artikel 21 des Gesetzes Nr. 109 vom 11. Februar 1994 dem öffentlichen Auftraggeber bei offenen und nicht offenen Vergabeverfahren für öffentliche Bauaufträge die Entscheidung für das Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots dadurch verbietet, dass er generell nur das Kriterium des niedrigsten Preises vorschreibt?
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
18. Die italienische Regierung bezweifelt die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, weil die vorgelegten Fragen rein theoretisch seien.
19. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften fragt sich, ob Artikel 30 der Richtlinie im Ausgangsverfahren überhaupt anwendbar sei, da das Vergabeverfahren von einem Baukonzessionär eingeleitet worden sei.
20. Sie trägt vor, dass nach Artikel 3 Absätze 3 und 4 der Richtlinie nur Konzessionäre, die selbst öffentliche Auftraggeber im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie seien, bei der Vergabe von Bauarbeiten an Dritte sämtliche Bestimmungen der Richtlinie beachten müssten. Andere Konzessionäre als öffentliche Auftraggeber seien hingegen nur zur Beachtung der Bekanntmachungsvorschriften des Artikels 11 Absätze 4, 6, 7 und 9 bis 13 sowie des Artikels 16 der Richtlinie verpflichtet.
21. Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass das durch Artikel 234 EG eingeführte Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist (vgl. u. a. Urteile vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C343/90, Lourenço Dias, Slg. 1992, I4673, Randnr. 14, und vom 18. März 2004 in der Rechtssache C314/01, Siemens und ARGE Telekom, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 33, sowie die dort zitierte Rechtsprechung).
22. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht, das allein über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens verfügt und das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung übernehmen muss, am besten in der Lage, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen, die es dem Gerichtshof vorlegt, zu beurteilen (vgl. u. a. Urteile Lourenço Dias, Randnr. 15, vom 22. Januar 2002 in der Rechtssache C390/99, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I607, Randnr. 18, und Siemens und ARGE Telekom, Randnr. 34).
23. Im vorliegenden Fall ist keineswegs offensichtlich, dass die Auslegung des Artikels 30 der Richtlinie für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits ohne jeden Nutzen wäre, da, wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, die Vereinbarung zwischen der Stadt Brescia und Sintesi dieser als Konzessionärin die Verpflichtung auferlegt hat, für die Ausführung der streitigen Arbeiten ein nicht offenes Ausschreibungsverfahren auf europäischer Ebene durchzuführen.
24. Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher als zulässig zu betrachten.
Zu den Vorlagefragen
25. Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die den öffentlichen Auftraggebern für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge im Anschluss an ein offenes oder nicht offenes Ausschreibungsverfahren vorschreibt, nur das Kriterium des niedrigsten Preises anzuwenden. Das Gericht fragt insbesondere, ob das mit dieser Vorschrift verfolgte Ziel, auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens einen echten Wettbewerb herzustellen, notwendigerweise eine Bejahung dieser Frage verlangt.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
26. Nach Ansicht von Sintesi führt Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie dadurch, dass er dem öffentlichen Auftraggeber in Bezug auf das Zuschlagskriterium für öffentliche Bauaufträge die freie Wahl zwischen dem niedrigsten Preis und dem günstigsten Angebot lasse, den Grundsatz des freien Wettbewerbs durch. Die Reduzierung des Ermessensspielraums dieses Auftraggebers, wie in Artikel 21 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 109/1994 vorgeschrieben, auf eine bloße Analyse der von den Bietern angebotenen Preise behindere die Auswahl des bestmöglichen Angebots und verstoße damit gegen Artikel 81 EG.
27. Provera und die italienische Regierung machen geltend, der nationale Gesetzgeber habe beim Erlass des Gesetzes Nr. 109/1994 insbesondere bezweckt, die Korruption im Bereich der Vergabe öffentlicher Bauaufträge zu bekämpfen, indem er den Ermessensspielraum der Verwaltung bei der Auftragsvergabe aufgehoben und transparente Verfahren geschaffen habe, die zur Gewährleistung des freien Wettbewerbs geeignet seien.
28. Aus dem Wortlaut von Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie ergebe sich, dass dieser dem öffentlichen Auftraggeber keineswegs die freie Wahl eines Kriteriums garantiere und ihm auch nicht vorschreibe, unter bestimmten spezifischen Umständen das eine oder das andere Kriterium anzuwenden. Diese Vorschrift nenne lediglich die beiden anwendbaren Zuschlagskriterien, ohne die Fälle zu bestimmen, in denen von ihnen Gebrauch zu machen sei.
29. Außerdem verletze die Wahl des Kriteriums des niedrigsten Preises in offenen oder nicht offenen Ausschreibungsverfahren durch den nationalen Gesetzgeber nicht die Rechte der Bieter, da für jeden von ihnen das gleiche vorher festgelegte Kriterium gelte.
30. Die griechische und die österreichische Regierung teilen diese Auslegung.
31. Insbesondere enthält nach Ansicht der österreichischen Regierung Artikel 30 der Richtlinie nichts, was dem öffentlichen Auftraggeber als Anhaltspunkt dafür dienen könnte, nach welchem der beiden gleichrangigen Kriterien die Wahl zu treffen sei. Die Richtlinie überlasse es daher dem Auftraggeber, genau zu bestimmen, mit welchem Kriterium er das beste PreisQualitätsVerhältnis für seine Bedürfnisse zu erzielen gedenke. Die genannte Vorschrift schließe es jedoch nicht aus, dass der nationale Gesetzgeber je nach der Art der in Rede stehenden Aufträge selbst unmittelbar diese Wahl treffe, indem er entweder beide oder nur eines der Kriterien zulasse, da die Richtlinie dem Auftraggeber kein subjektives Recht darauf verleihe, diese Wahl zu treffen.
32. Auch die Kommission ist der Ansicht, dass die Richtlinie weder dem einen noch dem anderen der beiden in Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Kriterien den Vorzug gebe. Diese Vorschrift solle nur verhindern, dass der öffentliche Auftraggeber andere Zuschlagskriterien für öffentliche Bauaufträge als die beiden darin genannten aufstelle, schreibe jedoch nicht vor, welches Kriterium zu wählen sei. Um ein willkürliches Vorgehen des Auftraggebers zu vermeiden und einen gesunden Wettbewerb zwischen den Unternehmen zu gewährleisten, sei es grundsätzlich gleichgültig, ob der Auftrag auf der Grundlage des niedrigsten Preises oder des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werde. Diese Zuschlagskriterien müssten allerdings eindeutig in der Ausschreibung angegeben und in objektiver und nicht diskriminierender Weise angewandt werden.
33. Die Wahl des geeigneten Kriteriums sei Sache des öffentlichen Auftraggebers, der bei der Vergabe eines bestimmten Auftrags eine Einzelfallprüfung vornehme, oder des nationalen Gesetzgebers, dem es freistehe, entweder auf alle Arten öffentlicher Bauaufträge oder nur auf bestimmte Auftragsarten anwendbare Bestimmungen zu erlassen.
34. Im vorliegenden Fall schreibe Artikel 21 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 109/1994 die Anwendung des Kriteriums des niedrigsten Preises vor, um eine größtmögliche Transparenz der Maßnahmen im Zusammenhang mit öffentlichen Bauaufträgen zu gewährleisten; dies entspreche dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel, die Entwicklung eines echten Wettbewerbs zu sichern. Eine solche Vorschrift verstoße daher nicht gegen Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie.
Antwort des Gerichtshofes
35. Nach ihrer zehnten Begründungserwägung zielt die Richtlinie auf die Entstehung eines echten Wettbewerbs auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens ab (vgl. Urteile vom 16. September 1999 in der Rechtssache C27/98, Fracasso und Leitschutz, Slg. 1999, I5697, Randnr. 26, vom 27. November 2001 in den Rechtssachen C285/99 und C286/99, Lombardini und Mantovani, Slg. 2001, I9233, Randnr. 34, und vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache C470/99, Universale-Bau u. a., Slg. 2002, I11617, Randnr. 89).
36. Dieses Ziel wird auch ausdrücklich in Artikel 22 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie erwähnt, wonach dann, wenn die öffentlichen Auftraggeber einen Auftrag im nicht offenen Verfahren vergeben, die Zahl der Bewerber, die zum Bieten zugelassen werden, auf jeden Fall ausreichen muss, um einen echten Wettbewerb zu gewährleisten.
37. Damit das Ziel der Entstehung eines echten Wettbewerbs erreicht wird, sucht die Richtlinie die Vergabe der Aufträge so auszugestalten, dass der öffentliche Auftraggeber in der Lage ist, verschiedene Angebote miteinander zu vergleichen und aufgrund objektiver Kriterien das günstigste Angebot auszuwählen (vgl. Urteil Fracasso und Leitschutz, Randnr. 31).
38. Artikel 30 der Richtlinie sieht daher in Absatz 1 die Kriterien vor, die der öffentliche Auftraggeber bei der Erteilung des Zuschlags anwendet, nämlich entweder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises oder, wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt, verschiedene auf den jeweiligen Auftrag bezogene Kriterien, wie Preis, Ausführungsfrist, Betriebskosten, Rentabilität oder technischer Wert.
39. Eine nationale Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die bei offenen oder nicht offenen Ausschreibungsverfahren die Wahlfreiheit der öffentlichen Auftraggeber beschränkt, indem sie die Verwendung des niedrigsten Preises als einziges Zuschlagskriterium vorschreibt, hindert diese Auftraggeber nicht daran, verschiedene Angebote zu vergleichen und nach einem vorher festgelegten objektiven Kriterium, das genau zu den in Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie angegebenen Kriterien gehört, das beste Angebot auszuwählen.
40. Legt der nationale Gesetzgeber jedoch ein ausschließliches Kriterium für die Vergabe öffentlicher Bauverträge abstrakt und allgemein fest, so nimmt dies den öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit, die Art und die Besonderheiten derartiger Aufträge im Einzelnen zu berücksichtigen, indem sie für jeden von ihnen das Kriterium wählen, das am besten geeignet ist, den freien Wettbewerb zu sichern und so die Auswahl des besten Angebots zu gewährleisten.
41. Was das Ausgangsverfahren angeht, so hat das vorlegende Gericht gerade die technische Komplexität des auszuführenden Bauwerks betont, und der öffentliche Auftraggeber hätte dieser Komplexität daher in zweckmäßiger Weise Rechnung tragen können, indem er objektive Zuschlagskriterien wie die in Artikel 30 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie beispielhaft angeführten auswählte.
42. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass auf die Vorlagefragen zu antworten ist, dass Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die den öffentlichen Auftraggebern für die Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen im Anschluss an ein offenes oder nicht offenes Ausschreibungsverfahren abstrakt und allgemein vorschreibt, nur das Kriterium des niedrigsten Preises anzuwenden.
Kostenentscheidung:
Kosten
43. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter als der genannten Parteien für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die den öffentlichen Auftraggebern für die Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen im Anschluss an ein offenes oder nicht offenes Ausschreibungsverfahren abstrakt und allgemein vorschreibt, nur das Kriterium des niedrigsten Preises anzuwenden.
Ende der Entscheidung
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