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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.10.2005
Aktenzeichen: C-247/04
Rechtsgebiete: VO EWG Nr. 2913/92


Vorschriften:

VO EWG Nr. 2913/92 Art. 236 Abs. 1 Unterabsatz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Parteien:

In der Rechtssache C 247/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom College van Beroep voor het bedrijfsleven (Niederlande) mit Entscheidung vom 28. Mai 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2004, in dem Verfahren

Transport Maatschappij Traffic BV

gegen

Staatssecretaris van Economische Zaken,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J. Makarczyk (Berichterstatter), C. Gulmann, R. Schintgen, und J. Klucka,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. April 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Transport Maatschappij Traffic BV, vertreten durch A. Wolkers und E. H. Mennes, advocaten,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und C. M. Wissels als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis als Bevollmächtigten im Beistand von F. Tuytschaever, advocaat,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. Mai 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 236 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Transport Maatschappij Traffic BV (im Folgenden: Traffic) und dem Staatssecretaris van Economische Zaken (im Folgenden: Staatssecretaris) über die Ablehnung des Antrags auf Erstattung des von Traffic gezahlten Antidumpingzolls durch den Staatssekretär.

Rechtlicher Rahmen

3. Artikel 4 des Zollkodex enthält folgende Definitionen:

"...

9. Zollschuld: die Verpflichtung einer Person, die für eine bestimmte Ware im geltenden Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Einfuhrabgaben (Einfuhrzollschuld) oder Ausfuhrabgaben (Ausfuhrzollschuld) zu entrichten;

...

23. geltendes Recht: Gemeinschaftsrecht oder einzelstaatliches Recht;

..."

4. Artikel 20 Absatz 1 in Titel II des Zollkodex mit der Überschrift "Grundlagen für die Erhebung der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben sowie für die Anwendung der sonstigen im Warenverkehr vorgesehenen Maßnahmen" bestimmt:

"Die bei Entstehen einer Zollschuld gesetzlich geschuldeten Abgaben stützen sich auf den Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften."

5. Titel VII Kapitel 2 des Zollkodex enthält die Bestimmungen über das Entstehen einer Zollschuld. Sie regeln insbesondere die Entstehungstatbestände der Zollschuld sowie Zeitpunkt und Ort ihres Entstehens.

6. Artikel 221 in Titel VII Kapitel 3 des Zollkodex über die Erhebung des Zollschuldbetrags sieht vor:

"(1) Der Abgabenbetrag ist dem Zollschuldner in geeigneter Form mitzuteilen, sobald der Betrag buchmäßig erfasst worden ist.

...

(3) Die Mitteilung an den Zollschuldner darf nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld nicht mehr erfolgen. ..."

7. Titel VII Kapitel 4 des Zollkodex enthält die Bestimmungen über das Erlöschen der Zollschuld.

8. Artikel 236 Absatz 1 Unterabsatz 1 in Titel VII Kapitel 5 des Zollkodex mit der Überschrift "Erstattung oder Erlass der Abgaben" bestimmt:

"Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

9. Mit Zahlungsaufforderung vom 18. Dezember 1997 teilte der Inspecteur Belastingdienst/Douane district Roosendaal (im Folgenden: Inspecteur) Traffic mit, dass sie Antidumpingzoll in Höhe von 62 045,20 NLG (28 154,88 Euro) schulde.

10. Nach Entrichtung dieses Betrages legte Traffic am 19. Februar 1998 Einspruch gegen die Zahlungsaufforderung ein.

11. Am 18. Mai 1998 nahm Traffic diesen Einspruch zurück und beantragte beim Inspecteur nach Artikel 236 des Zollkodex die Erstattung des gezahlten Antidumpingzolls mit der Begründung, dass dieser nicht gesetzlich geschuldet gewesen sei. Sie machte insbesondere geltend, dass der Inspecteur nicht für die Festsetzung des Antidumpingzolls zuständig gewesen sei. Nach der Ablehnung dieses Antrags legte sie beim Staatssecretaris Einspruch ein, der mit Bescheid vom 9. Oktober 2000 zurückgewiesen wurde. Gegen diesen Bescheid erhob Traffic Klage beim vorlegenden Gericht.

12. Am 13. Februar 2002 hob das vorlegende Gericht den Bescheid des Staatssecretaris auf, weil sich dieser nicht nach Artikel 236 des Zollkodex zu der Frage geäußert habe, ob der Zollbetrag im Zeitpunkt der Zahlung "gesetzlich geschuldet" gewesen sei oder ob er entgegen Artikel 220 Absatz 2 des Zollkodex buchmäßig erfasst worden sei.

13. Am 19. November 2002 erließ der Staatssecretaris einen Bescheid, mit dem der Erstattungsantrag von Traffic erneut abgelehnt wurde.

14. Traffic erhob daraufhin gegen diesen Bescheid Anfechtungsklage beim vorlegenden Gericht. Sie machte insbesondere geltend, dass der Zollbetrag nach Artikel 236 des Zollkodex nur geschuldet werde, wenn er dem Zollschuldner nach Artikel 221 des Zollkodex in geeigneter Form mitgeteilt worden sei. Dies sei jedoch nicht der Fall, wenn eine unzuständige Behörde die Mitteilung des Zollbetrags vorgenommen habe.

15. In seiner Vorlageentscheidung führt das vorlegende Gericht aus, dass in Titel VII Kapitel 5 des Zollkodex eine Reihe von Gründen aufgezählt werde, aus denen Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erstattet oder erlassen werden könnten. Das Gericht stellt sich die Frage, ob die Unzuständigkeit einer Behörde nach nationalem Recht einer dieser Gründe sein kann und ob insbesondere aus dieser Unzuständigkeit der Schluss gezogen werden kann, dass der Zollbetrag im Zeitpunkt der Zahlung im Sinne von Artikel 236 des Zollkodex nicht "gesetzlich geschuldet" war.

16. Dazu führt das vorlegende Gericht aus, dass es sich nach dem niederländischen öffentlichen Recht bei der Zahlungsaufforderung vom 18. Dezember 1997 an Traffic um eine Entscheidung handele, die eine Zahlungsverpflichtung begründe. Gegen diese Zahlungsaufforderung habe daher innerhalb der in den niederländischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Frist von sechs Wochen nach ihrer Mitteilung an den Betroffenen Einspruch eingelegt werden können.

17. Am 18. Dezember 1997 sei der Inspecteur für eine solche Zahlungsaufforderung nicht zuständig gewesen, denn er habe erst am 1. Januar 1998 diese Zuständigkeit erhalten.

18. Das vorlegende Gericht ist allerdings der Ansicht, dass ein Zuständigkeitsmangel zwar erfolgreich in einem Einspruchs- oder Klageverfahren gegen die Zahlungsaufforderung habe angeführt werden können, dass er aber kein Grund sein könne, um einem Antrag auf Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben stattzugeben.

19. Unter diesen Umständen hat das College von Beroep voor het bedrijfsleven beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist der Begriff "gesetzlich geschuldet" in Artikel 236 des Zollkodex dahin auszulegen, dass damit ausschließlich auf die Frage abgezielt wird, ob den Voraussetzungen für die Entstehung einer Zollschuld, wie sie in Titel VII Kapitel 2 des Zollkodex niedergelegt sind, genügt ist, oder ist nur die Rede von gesetzlicher Schuld, wenn kein Grund, auch nicht aus den geltenden nationalen Bestimmungen im Sinne von Artikel 4 Nummer 23 des Zollkodex, angegeben werden kann, aus dem die Mitteilung, dass Zoll geschuldet wird, anfechtbar ist?

Zur Vorlagefrage

20. Für die Beantwortung der Vorlagefrage ist festzustellen, ob die Tatsache, dass der fragliche Zollbetrag nicht nach Artikel 221 Absatz 1 des Zollkodex mitgeteilt wurde, zur Folge haben kann, dass dieser Betrag im Sinne von Artikel 236 des Zollkodex im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war.

21. Nach Artikel 236 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Zollkodex werden die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben u. a. dann erstattet, wenn nachgewiesen wird, "dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war".

22. Wie die niederländische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihren schriftlichen und mündlichen Ausführungen zutreffend bemerkt haben, bestimmt Artikel 20 Absatz 1 in Titel II des Zollkodex, dass sich die "bei Entstehen einer Zollschuld gesetzlich geschuldeten Abgaben ... auf den Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften [stützen]". Im Übrigen sind die Vorschriften über das Entstehen der Zollschuld in Titel VII Kapitel 2 des Zollkodex enthalten. Insbesondere entsteht nach Artikel 201 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt wird.

23. Was die Anwendung des Zolltarifs der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Gemeinsamer Zolltarif) angeht, so genügt die Feststellung, dass er gemäß Artikel 20 Absatz 3 Buchstabe g des Zollkodex die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Abgaben, d. h. den Antidumpingzoll, als "sonstige[] in anderen Gemeinschaftsregelungen vorgesehene[] zolltarifliche[] Maßnahmen" umfasst.

24. Unter Zollschuld wird nach Artikel 4 Nummer 9 des Zollkodex "die Verpflichtung einer Person [verstanden], die für eine bestimmte Ware im geltenden Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Einfuhrabgaben ... oder Ausfuhrabgaben ... zu entrichten".

25. Für die Erhebung des Betrages der Zollschuld gelten wieder andere Bestimmungen, die in Titel VII Kapitel 3 des Zollkodex enthalten sind und nach denen der Betrag dieser Schuld mitgeteilt werden muss, bevor er erhoben werden kann.

26. Aus diesen Bestimmungen und der vom Gemeinschaftsgesetzgeber getroffenen Unterscheidung zwischen der Existenz der Zollschuld und deren Erhebung ergibt sich, dass das Entstehen der Zollschuld der Mitteilung ihres Betrages vorausgeht und daher zwangsläufig von dieser Mitteilung unabhängig ist. Die Mitteilung kann deshalb, wie die Generalanwältin in Nummer 31 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, keinen Einfluss auf die Existenz der Zollschuld haben.

27. Im Übrigen hätte die von Traffic vertretene gegenteilige Auslegung, wonach der Zoll nur dann im Sinne des Zollkodex "gesetzlich geschuldet" ist, wenn er dem Zollschuldner ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, zur Folge, dass die Anwendung des Artikels 236 des Zollkodex von der Beachtung des nationalen Rechts in den verschiedenen Mitgliedstaaten abhängen würde und die einheitliche Anwendung des Zollkodex daher gefährdet wäre.

28. Demnach ist festzustellen, dass ein Verstoß der Zollbehörden eines Mitgliedstaats gegen Artikel 221 Absatz 1 des Zollkodex zwar der Erhebung des gesetzlich geschuldeten Zollbetrags oder der Erhebung von Verzugszinsen entgegenstehen kann, dass sich ein solcher Verstoß aber nicht auf die Existenz dieser Abgaben auswirkt.

29. Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass für die Anwendung von Artikel 236 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Zollkodex die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben gesetzlich geschuldet sind, wenn eine Zollschuld unter den in Titel VII Kapitel 2 des Zollkodex festgelegten Voraussetzungen entstanden ist und der Betrag dieser Abgaben durch Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs gemäß den Vorschriften des Titels II des Zollkodex bestimmt werden konnte.

Der Betrag der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bleibt im Sinne von Artikel 236 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Zollkodex gesetzlich geschuldet, auch wenn er dem Zollschuldner nicht gemäß Artikel 221 Absatz 1 des Zollkodex mitgeteilt wurde.

Kostenentscheidung:

Kosten

30. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Für die Anwendung von Artikel 236 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften sind die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben gesetzlich geschuldet, wenn eine Zollschuld unter den in Titel VII Kapitel 2 dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen entstanden ist und der Betrag dieser Abgaben durch Anwendung des Zolltarifs der Europäischen Gemeinschaften gemäß den Vorschriften des Titels II der genannten Verordnung bestimmt werden konnte.

Der Betrag der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bleibt im Sinne von Artikel 236 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2913/92 gesetzlich geschuldet, auch wenn er dem Zollschuldner nicht gemäß Artikel 221 Absatz 1 dieser Verordnung mitgeteilt wurde.

Ende der Entscheidung

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