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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.03.1996
Aktenzeichen: C-25/94
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Ausschuß der Ständigen Vertreter (AStV) ist kein Organ der Gemeinschaften, dem der Vertrag eigene Befugnisse verliehen hat, sondern stellt ein Hilfsorgan des Rates dar, das für diesen vorbereitende und ausführende Aufgaben wahrnimmt, wie sich aus Artikel 145 des Vertrages ergibt, wonach der Rat eine Entscheidungsbefugnis besitzt, und aus Artikel 151 Absatz 1 des Vertrages, wonach der AStV die Aufgabe hat, die Arbeiten des Rates vorzubereiten und die ihm vom Rat übertragenen Aufträge auszuführen.

Da die Aufgabe, vom Rat übertragene Aufträge auszuführen, den AStV nicht berechtigt, die Entscheidungsbefugnis auszuüben, die nach dem Vertrag dem Rat zusteht, kann ein Beschluß, den Mitgliedstaaten das Stimmrecht für die Annahme eines Übereinkommens im Rahmen einer internationalen Organisation zu übertragen, weder dem AStV zugerechnet noch als Bestätigung eines vorherigen Beschlusses des AStV angesehen werden.

2. Der Beschluß, mit dem der Rat den Mitgliedstaaten das Stimmrecht im Rahmen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen für die Annahme eines Übereinkommens zur Förderung der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge auf Hoher See übertragen hat, ist eine Handlung, die Rechtswirkungen erzeugt und die als solche Gegenstand einer Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 173 des Vertrages sein kann.

Diese Übertragung hat nämlich im Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, zwischen den Organen sowie zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und anderen Völkerrechtssubjekten, insbesondere der genannten Organisation und ihren Mitgliedstaaten, andererseits Rechtswirkungen erzeugt, die die Annahme verbieten, daß sie nur verfahrenstechnischen oder protokollarischen Charakter hat.

3. Eine in das Protokoll der Ratstagung, in deren Verlauf ein Beschluß gefasst wurde, aufgenommene Erklärung kann nicht zur Bestimmung der Tragweite des Beschlusses herangezogen werden, wenn der Inhalt dieser Erklärung in dessen Wortlaut keinen Niederschlag findet und somit keine rechtliche Bedeutung hat.

4. Da der Rat und die Kommission zur Erfuellung der Pflicht zur engen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen, die sich aus der Notwendigkeit einer einheitlichen völkerrechtlichen Vertretung der Gemeinschaft ergibt, eine Vereinbarung getroffen haben, mit der sie sich gegenseitig binden wollten und nach deren Wortlaut die Kommission nach der Festlegung eines gemeinsamen Standpunkts das Stimmrecht im Rahmen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen ausüben soll, wenn es sich um eine Frage handelt, die im wesentlichen in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt, ist der Beschluß des Rates, den Mitgliedstaaten das Stimmrecht für die Annahme des Übereinkommens zur Förderung der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge auf Hoher See zu übertragen, wegen eines Verstosses gegen diese Vereinbarung für nichtig zu erklären. Der Gegenstand dieses Übereinkommens fällt nämlich im wesentlichen in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Erhaltung der biologischen Schätze des Meeres.


Urteil des Gerichtshofes vom 19. März 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Rat der Europäischen Union. - FAO - Fischereiübereinkommen - Stimmrecht - Mitgliedstaaten - Gemeinschaft. - Rechtssache C-25/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 24. Januar 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag die Nichtigerklärung des Beschlusses des Rates (Fischerei) vom 22. November 1993 beantragt, mit dem den Mitgliedstaaten das Stimmrecht im Rahmen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) für die Annahme des Übereinkommens zur Förderung der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge auf Hoher See (im folgenden: Übereinkommen) übertragen wurde.

2 Durch Beschluß vom 26. November 1991, der gemäß Artikel II Absätze 3 und 5 der FAO-Satzung gefasst wurde, die sich auf den Beitritt einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration beziehen, nahm die FAO die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft neben deren Mitgliedstaaten als Mitglied auf.

3 In Anwendung von Artikel II Absatz 5 der Satzung und der ihm entsprechenden Regel Nr. XLIV der allgemeinen Verfahrensregeln der FAO gab die Gemeinschaft eine Erklärung ab, in der sie ausführte, sie sei allein zuständig u. a. für alle Fragen betreffend die Fischerei, um den Schutz der Fischbestände und die Erhaltung der biologischen Schätze des Meeres sicherzustellen.

4 Hinsichtlich der an die Mitgliedschaft geknüpften Rechte sehen die allgemeinen Verfahrensregeln der FAO in Regel Nr. XLI Absätze 2 und 3 ein System der alternativen Ausübung dieser Rechte durch die Mitgliedsorganisation und ihre eigenen Mitgliedstaaten vor, das wie folgt ausgestaltet ist:

"(2) Vor jeder Sitzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation erklären die Mitgliedsorganisation oder deren Mitgliedstaaten, ob die Mitgliedsorganisation oder deren Mitgliedstaaten... zuständig sind und wer von ihnen das Stimmrecht bei den einzelnen Tagesordnungspunkten ausübt.

(3) Betrifft ein Tagesordnungspunkt sowohl Bereiche, in denen die Zuständigkeit auf die Mitgliedsorganisation übertragen wurde, als auch Bereiche, für die deren Mitgliedstaaten zuständig sind, so können sowohl die Mitgliedsorganisation als auch deren Mitgliedstaaten an der Erörterung teilnehmen. In solchen Fällen werden in der Sitzung im Entscheidungsstadium nur die Ausführungen der Partei berücksichtigt, die das Stimmrecht hat."

5 Der Rat und die Kommission trafen am 19. Dezember 1991 eine Vereinbarung "betreffend die Vorbereitung von FAO-Sitzungen, die Abgabe von Stellungnahmen sowie die Stimmabgabe" (im folgenden: Vereinbarung).

6 Die Vereinbarung führt ein Koordinierungsverfahren zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten für die Ausübung der Zuständigkeiten oder die Ausführungen zu einem bestimmten Punkt ein.

Die Nummern 1.12 und 1.13 der Vereinbarung lauten:

"1.12. Kommt es zu keiner Einigung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten..., so wird über die Angelegenheit nach dem im Vertrag vorgesehenen Verfahren und nach der allgemein anerkannten Praxis ein Beschluß gefasst. Kommt es auch auf dieser Grundlage zu keiner Einigung, so wird die Angelegenheit dem Ausschuß der Ständigen Vertreter vorgelegt.

1.13. Die unter Nummer 1.12 genannten Beschlüsse berühren nicht die jeweiligen Zuständigkeiten der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten."

7 Die einschlägigen Bestimmungen der Regelung über die Ausführungen und die Stimmabgabe in FAO-Sitzungen sind Gegenstand von Punkt 2, der in den Nummern 2.1 bis 2.3 folgendes vorsieht:

"2.1. Hat ein Tagesordnungspunkt Bereiche zum Gegenstand, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, so äussert sich die Kommission im Namen der Gemeinschaft und nimmt für sie an der Abstimmung teil.

2.2. Hat ein Tagesordnungspunkt Bereiche zum Gegenstand, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, üben die Mitgliedstaaten das Rede- und Stimmrecht aus.

2.3. Hat ein Tagesordnungspunkt Bereiche zum Gegenstand, die Elemente enthalten, die in die Zuständigkeit sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Gemeinschaft fallen, wird das Ziel angestrebt, durch Konsens zu einem gemeinsamen Standpunkt zu gelangen. Kann ein gemeinsamer Standpunkt erreicht werden, so

° bringt der Vorsitz den gemeinsamen Standpunkt zum Ausdruck, wenn der Schwerpunkt der Erörterungen auf einem Gebiet liegt, das nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt. Die Mitgliedstaaten und die Kommission können das Wort ergreifen, um die Stellungnahme des Vorsitzes zu unterstützen und/oder zu ergänzen. Die Mitgliedstaaten geben ihre Stimme im Einklang mit dem gemeinsamen Standpunkt ab;

° bringt die Kommission den gemeinsamen Standpunkt zum Ausdruck, wenn der Schwerpunkt der Erörterungen auf einem Gebiet liegt, das in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt. Die Mitgliedstaaten können das Wort ergreifen, um die Stellungnahme der Kommission zu unterstützen und/oder zu ergänzen. Die Kommission gibt ihre Stimme im Einklang mit dem gemeinsamen Standpunkt ab."

8 Im Rahmen der FAO wurde der Entwurf eines "Übereinkommens über die Zuweisung einer Flagge für Hochseefischereifahrzeuge zur Förderung der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen" ausgearbeitet.

9 Wegen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Registrierung von Fischereifahrzeugen schlug die Kommission dem Rat für die Annahme dieses Übereinkommensentwurfs die Formel der gemischten Zuständigkeit vor. Sie schlug dagegen eine Stimmabgabe durch die Gemeinschaft vor, da das Übereinkommen im wesentlichen in die Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen falle.

10 Während die Kommission und die Mitgliedstaaten in der Anerkennung einer gemischten Zuständigkeit übereinstimmten, waren sie in der Frage des Stimmrechts unterschiedlicher Ansicht.

11 Gemäß der Vereinbarung sprach sich der Ausschuß der Ständigen Vertreter (AStV) am 16. März 1993 für die Stimmabgabe durch die Mitgliedstaaten aus. Das Generalsekretariat des Rates ließ der FAO im Hinblick auf die 103. Tagung ihres Rates im Juni 1993 eine entsprechende Mitteilung zukommen.

12 Auf dieser Tagung führten die Verhandlungen dazu, daß die Klauseln über die Registrierung und die Zuweisung der Flagge im Übereinkommensentwurf gestrichen wurden.

13 Es wurde ein neuer Entwurf ausgearbeitet, der nunmehr den Titel "Übereinkommen zur Förderung der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge auf Hoher See" trug. Dieser Entwurf enthält eine Regelung über die Genehmigung der Hochseefischerei, die der Flaggenstaat erteilt und mit der die Einhaltung der internationalen Erhaltungs- und Bewirtschaftungsvorschriften sichergestellt werden soll.

14 Am 24. September 1993 schlug die Kommission den Mitgliedstaaten für die Annahme dieses Übereinkommensentwurfs erneut die Formel der gemischten Zuständigkeit mit Stimmrecht für die Gemeinschaft vor.

15 Mangels einer Einigung vertrat der AStV am 21. Oktober 1993 die Ansicht, daß die Mitteilung an die FAO die Angabe "gemischte Zuständigkeit°Stimmabgabe der Mitgliedstaaten" enthalten sollte.

16 Diese Mitteilung ließ die Kommission der FAO vor Beginn der 104. Tagung des FAO-Rates vom 2. bis 5. November 1993 und der 27. Tagung der FAO-Konferenz vom 6. bis 25. November 1993 zukommen, auf der der Übereinkommensentwurf angenommen werden sollte.

17 Auf der Tagung des Rates (Fischerei) vom 22. November 1993 ersuchte die Kommission den Rat, folgende Erklärung anzunehmen:

"Der Rat stellt fest, daß der der Konferenz zur Annahme unterbreitete Übereinkommensentwurf die Erhaltung und Bewirtschaftung der Hochseefischereiressourcen betrifft und zu diesem Zweck eine Lizenzregelung und nicht mehr, wie ursprünglich geplant, eine Regelung für die Zuweisung oder den Wechsel der Flagge vorsieht.

Angesichts dessen fällt der Übereinkommensentwurf, der auch Bestimmungen über eine Unterstützung der Entwicklungsländer enthält, im wesentlichen, wenn nicht vollständig in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft und hätte normalerweise in deren Namen durch eine Stimmabgabe der Kommission gebilligt werden müssen.

In Zukunft sind Dossiers dieser Art gemäß Nummer 2.1 bzw. Nummer 2.3 zweiter Gedankenstrich der FAO-Vereinbarung... zu behandeln."

18 Gemäß dem Protokoll der Tagung des Rates bestätigte dieser "die vom AStV getroffene Entscheidung" und "verweigerte... der von der Kommission vorgeschlagenen Erklärung seine Zustimmung".

19 Der Rat stellte ferner fest, "daß die Frage der Zuständigkeit und die Frage der Ausübung des Stimmrechts in den unter das künftige Übereinkommen fallenden Bereichen der Sache nach noch nicht geklärt sind. Er forderte den Ausschuß der Ständigen Vertreter auf, dieses Problem zu gegebener Zeit erneut zu prüfen."

20 Der Wortlaut des Übereinkommensentwurfs wurde am 24. November 1993 von der FAO-Konferenz mit Zustimmung der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft angenommen.

Zulässigkeit

21 Der Rat, unterstützt vom Vereinigten Königreich, erhebt eine Einrede der Unzulässigkeit.

22 Er macht geltend, daß der AStV die Frage des Stimmrechts am 21. Oktober 1993 entsprechend der Vereinbarung abschließend behandelt habe. Auf seiner Tagung vom 22. November 1993 habe sich der Rat darauf beschränkt, die Aufhebung des Beschlusses des AStV zu verweigern, ohne eine Handlung im Sinne von Artikel 173 des Vertrages vorzunehmen. Selbst wenn der Rat einen förmlichen Beschluß gefasst hätte, wäre dieser nur eine Bestätigung des vorherigen Beschlusses des AStV.

23 Die Kommission entgegnet, der AStV habe die Aufgabe, die Arbeiten des Rates vorzubereiten, und seine Beschlüsse würden erst nach Zustimmung des Rates verbindlich. Die Vereinbarung schließe eine Befassung des Rates bei mangelnder Einigung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten nicht aus.

24 Hierzu ist festzustellen, daß der Rat nach Artikel 145 des Vertrages eine Entscheidungsbefugnis besitzt.

25 Gemäß Artikel 151 Absatz 1 des Vertrages, der im Abschnitt über den Rat enthalten ist, hat der AStV die Aufgabe, die Arbeiten des Rates vorzubereiten und die ihm vom Rat übertragenen Aufträge auszuführen.

26 Aus diesen Bestimmungen geht hervor, daß der AStV kein Organ der Gemeinschaften ist, dem der Vertrag eigene Befugnisse verliehen hat, sondern daß er ein Hilfsorgan des Rates darstellt, das für diesen vorbereitende und ausführende Aufgaben wahrnimmt.

27 Die Aufgabe, vom Rat übertragene Aufträge auszuführen, berechtigt den AStV nicht, die Entscheidungsbefugnis auszuüben, die nach dem Vertrag dem Rat zusteht.

28 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der AStV am 21. Oktober 1993 keinen Beschluß über die Frage des Stimmrechts fassen konnte und daß die Abstimmung im Rat am 22. November 1993 unter diesen Umständen nicht als Bestätigung eines vorherigen Beschlusses des AStV angesehen werden kann.

29 Zum Vorbringen des Rates, daß er keine Handlung im Sinne von Artikel 173 des Vertrages vorgenommen habe, ist daran zu erinnern, daß die Nichtigkeitsklage gegen alle Maßnahmen der Organe, die Rechtswirkungen erzeugen sollen, unabhängig von der Natur oder der Form dieser Maßnahmen zulässig sein muß (vgl. u. a. zum Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages Urteil vom 31. März 1971 in der Rechtssache 22/70, Kommission/Rat, "AETR", Slg. 1971, 263, Randnr. 42).

30 Der Rat trägt hierzu vor, wenn ein Beschluß vorliege, sei er rein verfahrenstechnischer oder protokollarischer Art und habe die Rechte der Kommission oder die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen können.

31 Die Kommission entgegnet, der Beschluß des Rates nehme der Gemeinschaft endgültig ihr Stimmrecht für die Annahme des Übereinkommensentwurfs. Zum Zeitpunkt des Beschlusses seien die Arbeiten der FAO-Konferenz noch nicht beendet gewesen, so daß sich dieser Beschluß auf die Ausübung der Zuständigkeiten der Gemeinschaft im Rahmen der FAO ausgewirkt habe. Schließlich hätten der Beschluß des Rates und die Stimmabgabe durch die Mitgliedstaaten den Drittstaaten ein falsches Bild von der Zuständigkeit der Gemeinschaft vermittelt.

32 Hierzu ist festzustellen, daß die Abstimmung im Rat in mehrfacher Hinsicht Rechtswirkungen erzeugt.

33 Erstens hat sie den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt, unter Ausschluß der Gemeinschaft an der endgültigen Annahme des Übereinkommens teilzunehmen, die gemäß Artikel 9 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 einen wesentlichen Schritt des Verfahrens zum Abschluß eines im Rahmen einer internationalen Organisation ausgehandelten völkerrechtlichen Vertrages bildet. Indem die Befugnis zur abschließenden Entscheidung über den Inhalt des Übereinkommens den Mitgliedstaaten zuerkannt worden ist, hat die Abstimmung im Rat die Rechte der Gemeinschaft beeinträchtigt, die an ihre Mitgliedschaft in der FAO geknüpft sind.

34 Zweitens hat es diese Abstimmung der Kommission gemäß Nummer 2.3 der Vereinbarung verwehrt, den gemeinsamen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, und es ihr nicht erlaubt, das Wort zu ergreifen, um die Stellungnahme des Vorsitzes zu unterstützen und/oder zu ergänzen. Da der Inhalt des Übereinkommens noch bis zur Annahme des Textes geändert werden konnte, hat die Übertragung des Stimmrechts auf die Mitgliedstaaten die Gemeinschaft daran gehindert, sich in sachdienlicher Weise an den Verhandlungen zu beteiligen, die der endgültigen Verabschiedung des Übereinkommenstextes unter Umständen vorausgingen.

35 Drittens hat aufgrund der Vereinbarung die Stimmabgabe durch die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem gemeinsamen Standpunkt bei den Drittstaaten und der FAO den Anschein erweckt, als falle der Gegenstand des Übereinkommens im wesentlichen nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft.

36 Wie sich aus Regel Nr. XLI Absatz 2 der allgemeinen Verfahrensregeln der FAO ergibt, lässt die Ausübung des Stimmrechts bei einem Tagesordnungspunkt darauf schließen, ob die Mitgliedsorganisation oder deren Mitgliedstaaten für die betreffende Frage zuständig sind. Die Ausübung des Stimmrechts durch die Mitgliedstaaten hat daher Auswirkungen auf die Zuständigkeit für die Durchführung des Übereinkommens und für den Abschluß späterer Übereinkommen, die die gleiche Frage betreffen.

37 Die Abstimmung im Rat entfaltete somit Rechtswirkungen im Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, zwischen den Organen und schließlich zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und anderen Völkerrechtssubjekten, insbesondere der FAO und ihren Mitgliedstaaten, andererseits. Sie stellt folglich eine Handlung im Sinne von Artikel 173 des Vertrages dar.

38 Diese Feststellung wird nicht durch die in das Protokoll der Ratstagung aufgenommene Erklärung entkräftet, daß die Frage der Zuständigkeit und die Frage der Ausübung des Stimmrechts in den unter das künftige Übereinkommen fallenden Bereichen der Sache nach noch nicht geklärt seien. Eine solche Erklärung kann nämlich nicht zur Bestimmung der Tragweite des Ratsbeschlusses herangezogen werden, wenn der Inhalt dieser Erklärung im Wortlaut des Beschlusses keinen Niederschlag findet und somit keine rechtliche Bedeutung hat (vgl. Urteil vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-292/89, Antonissen, Slg. 1991, I-745, Randnr. 18).

39 Nach alledem ist die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

Begründetheit

40 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits weder über das Bestehen einer gemischten Zuständigkeit der FAO-Konferenz noch über das einer Einigung über einen gemeinsamen Standpunkt streiten, sondern daß sie in der Frage uneins sind, ob das der FAO-Konferenz zur Annahme unterbreitete Übereinkommen einen Gegenstand betrifft, der im wesentlichen in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt.

41 Insoweit ist daran zu erinnern, daß die Gemeinschaft auf interner Ebene befugt ist, alle Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Schätze des Meeres zu treffen (vgl. Urteil vom 14. Juli 1976 in den Rechtssachen 3/76, 4/76 und 6/76, Kramer u. a., Slg. 1976, 1279).

42 Nach gefestigter Rechtsprechung ergibt sich schon aus den Rechten und Pflichten, die das Gemeinschaftsrecht auf interner Ebene den Gemeinschaftsorganen zugewiesen hat, daß die Gemeinschaft für die Eingehung völkerrechtlicher Verpflichtungen zur Erhaltung der biologischen Schätze des Meeres zuständig ist (vgl. Urteil Kramer u. a., a. a. O., Randnr. 33).

43 In der Zuständigkeitserklärung, die die Gemeinschaft der FAO zum Zeitpunkt ihres Beitritts übermittelt hat, hat die Gemeinschaft demgemäß angegeben, daß sie allein zuständig sei für alle Fragen betreffend die Fischerei, um den Schutz der Fischbestände und die Erhaltung der biologischen Schätze des Meeres sicherzustellen.

44 Ausserdem besitzt die Gemeinschaft nach ständiger Rechtsprechung in bezug auf die Hohe See in den Bereichen, für die sie zuständig ist, die gleiche Regelungsbefugnis wie die, die völkerrechtlich dem Staat zusteht, dessen Flagge ein Schiff führt oder in dem es registriert ist (vgl. Urteil vom 24. November 1993 in der Rechtssache C-405/92, Mondiet, Slg. 1993, I-6133, Randnr. 12).

45 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem der Rat den angefochtenen Beschluß gefasst hat, der wesentliche Gegenstand des der FAO-Konferenz zur Annahme unterbreiteten Übereinkommensentwurfs in der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge auf Hoher See bestand und daß dieser Entwurf nicht mehr die Bestimmungen über die Zuweisung der Flagge enthielt, auf die der Rat seine Schlußfolgerung gestützt hat, daß das Übereinkommen im wesentlichen nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft falle.

46 Der Rat beruft sich insoweit zu Unrecht darauf, daß die Genehmigung der Hochseefischerei, die die Mitgliedstaaten unter der Bedingung der Einhaltung der Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen erteilen, vergleichbare Funktionen habe wie das Recht, die Flagge zu führen. Denn wie die Kommission ausgeführt hat, stellt die Fischereigenehmigung ein traditionelles Mittel zur Bewirtschaftung der Fischereiressourcen dar, das den Fischereifahrzeugen insbesondere Zugang zu den Gewässern und den Ressourcen verschafft und das sich somit grundlegend von den allgemeinen Voraussetzungen unterscheidet, die die Mitgliedstaaten gemäß den Bestimmungen des Völkerrechts für die Verleihung des Rechts zur Führung ihrer Flagge an alle Arten von Schiffen aufstellen können.

47 Die Bestimmungen über die Verhängung etwaiger strafrechtlicher Sanktionen oder die Unterstützung der Entwicklungsländer, für die nach Ansicht des Rates die Mitgliedstaaten zuständig sind, nehmen im Übereinkommensentwurf jedenfalls keine vorrangige Stelle ein.

48 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß, wenn sich herausstellt, daß der Gegenstand eines Abkommens oder eines Übereinkommens teils in die Zuständigkeit der Gemeinschaft und teils in die der Mitgliedstaaten fällt, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen sowohl bei der Aushandlung und beim Abschluß wie bei der Erfuellung der übernommenen Verpflichtungen sicherzustellen ist. Diese Pflicht zur Zusammenarbeit ergibt sich aus der Notwendigkeit einer einheitlichen völkerrechtlichen Vertretung der Gemeinschaft (vgl. Beschluß 1/78 vom 14. November 1978, Slg. 1978, 2151, Randnrn. 34 bis 36, Gutachten 2/91 vom 19. März 1993, Slg. 1993, I-1061, Randnr. 36, und Gutachten 1/94 vom 15. November 1994, Slg. 1994, I-5267, Randnr. 108). Die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine solche Zusammenarbeit in bestmöglicher Weise zu gewährleisten (vgl. Gutachten 2/91, a. a. O., Randnr. 38).

49 Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß Nummer 2.3 der Vereinbarung zwischen dem Rat und der Kommission die Erfuellung dieser Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten im Rahmen der FAO darstellt. Aus dem Wortlaut der Vereinbarung geht im übrigen hervor, daß sich die beiden Organe gegenseitig binden wollten. Der Rat auch während des Verfahrens niemals deren Tragweite in Frage gestellt.

50 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß der Rat gegen Nummer 2.3 der Vereinbarung, zu deren Beachtung er verpflichtet war, verstossen hat, als er die Ansicht vertreten hat, daß der Übereinkommensentwurf im wesentlichen einen Gegenstand betreffe, der nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft falle, und als er infolgedessen das Stimmrecht für die Annahme dieses Entwurfs den Mitgliedstaaten übertragen hat.

51 Daher ist der Beschluß des Rates vom 22. November 1993 für nichtig zu erklären.

Kostenentscheidung:

Kosten

52 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung hat das dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetretene Vereinigte Königreich seine eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Der Beschluß des Rates (Fischerei) vom 22. November 1993, mit dem den Mitgliedstaaten das Stimmrecht im Rahmen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen für die Annahme des Übereinkommens zur Förderung der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge auf Hoher See übertragen wurde, wird für nichtig erklärt.

2. Der Rat trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Vereinigte Königreich trägt seine eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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