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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.12.2006
Aktenzeichen: C-257/05
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 226
EG Art. 49
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)

14. Dezember 2006

"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Verstoß gegen Artikel 49 EG - Freier Dienstleistungsverkehr - Erfordernis eines Sitzes im Inland, um die Tätigkeit der Prüfung von Dampfkesseln und Druckgeräten ausüben zu können ('Kesselprüfstelle')"

Parteien:

In der Rechtssache C-257/05

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 17. Juni 2005,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und W. Bogensberger als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Republik Österreich, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Lenaerts, J. N. Cunha Rodrigues, M. Ilesic und E. Levits (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Republik Österreich gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstößt, indem sie in § 21 Abs. 4 des Bundesgesetzes über Sicherheitsmaßnahmen für Dampfkessel, Druckbehälter, Versandbehälter und Rohrleitungen (Kesselgesetz) (BGBl 1992/211 vom 24. April 1992, S. 1041, im Folgenden: KesselG) vorschreibt, dass nur Antragsteller mit Sitz in Österreich als Kesselprüfstelle zugelassen werden können.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2 Im Anschluss an die Entschließung des Rates der Europäischen Union vom 7. Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (ABl. C 136, S. 1) wurden drei Richtlinien über Druckgeräte erlassen: die Richtlinie 87/404/EWG des Rates vom 25. Juni 1987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für einfache Druckbehälter (ABl. L 220, S. 48), die Richtlinie 97/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Mai 1997 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Druckgeräte (ABl. L 181, S. 1) und die Richtlinie 1999/36/EG des Rates vom 29. April 1999 über ortsbewegliche Druckgeräte (ABl. L 138, S. 20).

3 Von diesen drei Richtlinien ist allein die Richtlinie 1999/36 auch auf die Prüfung von Druckgeräten nach ihrem Inverkehrbringen anwendbar.

4 Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 1999/36 bestimmt, dass die wiederkehrende Prüfung von in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Gefäßen von einer benannten oder einer zugelassenen Stelle nach dem Verfahren des Anhangs IV Teil III der Richtlinie durchgeführt wird. Nach Artikel 6 Absatz 2 können die ortsbeweglichen Druckgeräte in jedem Mitgliedstaat einer wiederkehrenden Prüfung unterzogen werden.

5 Nach Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 1999/36 teilen die Mitgliedstaaten der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten die Liste der in der Gemeinschaft ansässigen benannten Stellen mit, die sie u. a. für die Aufgaben der wiederkehrenden Prüfungen nach dem Verfahren des Anhangs IV Teil III Modul 1 benannt haben.

6 Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 1999/36 sieht die gleiche Mitteilungsverpflichtung in Bezug auf die in der Gemeinschaft ansässigen zugelassenen Stellen vor, die in Anwendung der in den Anhängen I und III aufgeführten Kriterien für die Durchführung der wiederkehrenden Prüfungen von Gefäßen anerkannt wurden. Die im Anhang I aufgestellten Mindestkriterien sind u. a. darauf gerichtet, die Unabhängigkeit der Stelle und die angemessene Qualifikation ihres Personals sicherzustellen.

Nationales Recht

7 Das KesselG hat zum Ziel, Dampfkessel, Druckbehälter, Versandbehälter und Rohrleitungen derart zu konstruieren, herzustellen, auszurüsten, aufzustellen, zu betreiben und zu überwachen, dass bei ihrem bestimmungsgemäßen Betrieb eine Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen sowie von Sachgütern vermieden wird. Der V. Abschnitt des KesselG (§§ 20 bis 25) befasst sich mit den Prüfstellen. § 21 ist mit "Kesselprüfstellen" überschrieben und regelt die Anforderungen für die Erteilung der Befugnis zur Ausübung der Prüftätigkeiten. Darunter finden sich u. a. die Anforderungen an Ausrüstung und Personal.

8 § 21 Abs. 4 KesselG bestimmt:

"Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, im Eisenbahnbereich der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, hat einem Antragsteller mit Sitz in Österreich, der den gestellten Anforderungen entspricht, auf dessen Antrag nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen die Befugnis zu erteilen, die Tätigkeiten einer Kesselprüfstelle für Druckgeräte auszuüben ..."

Vorverfahren

9 Am 20. April 2001 richtete die Kommission ein Mahnschreiben an die Republik Österreich, in dem sie die Unvereinbarkeit des § 21 Abs. 4 KesselG mit dem in Artikel 49 EG verankerten freien Dienstleistungsverkehr geltend machte. Die Republik Österreich beantwortete dieses am 21. Juni 2001. Die Kommission hielt die Antwort auf das Mahnschreiben für unzureichend und gab deshalb am 30. März 2004 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Da die Republik Österreich an ihrem Standpunkt zu § 21 Abs. 4 KesselG festhielt, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

10 Die Kommission trägt vor, dass § 21 Abs. 4 KesselG eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Artikel 49 EG darstelle. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, Randnr. 52, und vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-355/98, Kommission/Belgien, Slg. 2000, I-1221, Randnr. 27) laufe nämlich das Erfordernis eines Sitzes in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen erbracht würden, dem freien Dienstleistungsverkehr direkt zuwider, da es die Erbringung von Dienstleistungen durch in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Unternehmen unmöglich mache. Die von der österreichischen Regierung zur Rechtfertigung der fraglichen Bestimmung vorgebrachten Argumente, nämlich der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit, der Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz sowie die Notwendigkeit, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, seien nicht stichhaltig. Ebenso sei eine Rechtfertigung im Zusammenhang mit den Richtlinien des neuen Konzepts für die technische Harmonisierung und Normung nicht angebracht.

11 Die österreichische Regierung bestreitet nicht, dass eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegt. Sie hält jedoch die fraglichen Rechtsvorschriften für gerechtfertigt.

12 Insoweit macht die österreichische Regierung zunächst geltend, dass die Kesselprüfstellen Aufgaben übernähmen, die von öffentlichem Interesse seien, da sie Bereiche erfassten, die von einem hohen Gefährdungsgrad gekennzeichnet seien. Die Abwehr schwerer Personenschäden sei als Grundinteresse der Gesellschaft anzusehen. Damit die österreichische Verwaltung ihrer Verpflichtung zur Wahrung des öffentlichen Interesses in möglichst gelinder Weise nachkommen könne, sei es unerlässlich, dass sie Zugang zum Sitz der Kesselprüfstelle habe, wie dies § 21 Abs. 4 KesselG vorsehe.

13 Ebenso reiche die stichprobenweise Kontrolle der Tätigkeiten von Stellen, die keinen Sitz in Österreich hätten, nicht aus, um den Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz sicherzustellen, weil keine Möglichkeit bestehe, im Rahmen des österreichischen Verwaltungsrechts die Konsequenzen aus dieser Kontrolle zu ziehen.

14 Außerdem sei das für Kesselprüfstellen geltende Erfordernis eines Sitzes in Österreich durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Die Republik Österreich habe nämlich im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Überprüfungen von Anlagen mit hohem Gefahrenpotenzial ein Wettbewerbssystem eingeführt, das klare und für alle Beteiligten gleich geltende Regeln erfordere. Ohne Zugriffsrecht auf Stellen mit Sitz im Ausland könnten sich die österreichischen Behörden gegenüber diesen mit verwaltungsrechtlichen Maßnahmen nicht durchsetzen und seien damit nicht in der Lage, dafür zu sorgen, dass das System der Kontrolle von Dampfkesseln und Druckgeräten ordnungsgemäß funktioniere.

15 Von den drei im Rahmen der neuen Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung erlassenen Richtlinien sei allein die Richtlinie 1999/36 auch auf die Überprüfungen und wiederkehrenden Prüfungen der Geräte nach ihrem Inverkehrbringen anwendbar. Die Möglichkeit für die von dieser Richtlinie erfassten Stellen, auch außerhalb des für ihre Benennung zuständigen Mitgliedstaats tätig zu sein, sei zunächst auf die Tatsache gegründet, dass die Mitgliedstaaten die gleichen harmonisierten Sicherheitsbestimmungen anzuwenden hätten. Im nicht harmonisierten Bereich sei zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Kontrolle ein rechtlicher Zugriff auf Stellen, die keinen Sitz in dem Staat hätten, in dem sie ihre Tätigkeit ausübten, unerlässlich.

16 Schließlich seien die Zulassungsverfahren für Kesselprüfstellen weder mit den im Urteil vom 13. Februar 2003 in der Rechtssache C-131/01 (Kommission/Italien, Slg. 2003, I-1659) behandelten Regelungen über das Erfordernis der Eintragung von Patentanwälten in das italienische Patentanwaltsverzeichnis noch mit den Regelungen über das System von Laboren für biomedizinische Analysen, zu denen das Urteil vom 11. März 2004 in der Rechtssache C-496/01 (Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I-2351) ergangen sei, vergleichbar. In der ersten Rechtssache sei es nämlich nicht um die Wahrung der öffentlichen Sicherheit gegangen, und die zweite habe einen Sektor mit gänzlich anderen Rahmenbedingungen betroffen.

17 Die österreichische Regierung kommt zu dem Schluss, dass das nach § 21 Abs. 4 KesselG für Stellen zur Überprüfung von Dampfkesseln und Druckgeräten geltende Erfordernis eines Sitzes in Österreich aus Gründen des öffentlichen Interesses gerechtfertigt sei und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche, weil es für den betroffenen Mitgliedstaat das gelindeste Mittel darstelle, um seine Verantwortung gegenüber diesen Stellen wahrzunehmen.

Würdigung durch den Gerichtshof

18 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 1999/36 nur vorsieht, dass die wiederkehrende Prüfung der von ihr erfassten Anlagen von einer Stelle durchgeführt wird, die von einem Mitgliedstaat nach einem bestimmten Verfahren und anhand bestimmter Mindestkriterien benannt oder zugelassen wurde. Der Ort des Sitzes einer solchen Stelle gehört nicht zu diesen Kriterien. In einem solchen Fall bleiben zwar die Mitgliedstaaten auf einem Gebiet, das auf Gemeinschaftsebene nicht vollständig harmonisiert ist, grundsätzlich befugt, die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeiten auf diesem Gebiet festzulegen, sie müssen jedoch ihre Befugnisse unter Beachtung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten ausüben (vgl. Urteil vom 26. Januar 2006 in der Rechtssache C-514/03, Kommission/Spanien, Slg. 2006, I-963, Randnr. 23 und die dort zitierte Rechtsprechung).

19 Daher stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit des in der betreffenden österreichischen Bestimmung aufgestellten Erfordernisses eines örtlichen Sitzes mit Artikel 49 EG.

20 Artikel 49 EG steht einer nationalen Regelung entgegen, die die Möglichkeit für einen Dienstleistungserbringer, von dem Recht auf freien Dienstleistungsverkehr tatsächlich Gebrauch zu machen, ohne objektive Rechtfertigung beschränkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-381/93, Kommission/Frankreich, Slg. 1994, I-5145, Randnr. 16).

21 Daher läuft nach ständiger Rechtsprechung das Erfordernis, dass ein Dienstleistungserbringer seine Betriebsniederlassung in dem Mitgliedstaat haben muss, in dem die Dienstleistung erbracht wird, dem freien Dienstleistungsverkehr direkt zuwider, da es die Erbringung von Dienstleistungen in diesem Staat durch in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Dienstleistungserbringer unmöglich macht (vgl. Urteile vom 29. Mai 2001 in der Rechtssache C-263/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I-4195, Randnr. 20, und vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-171/02, Kommission/Portugal, Slg. 2004, I-5645, Randnr. 33 und die dort zitierte Rechtsprechung).

22 Wie die Republik Österreich einräumt, stellt daher die fragliche Bestimmung eine grundsätzlich nach Artikel 49 EG verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.

23 Allerdings kann der freie Dienstleistungsverkehr durch nationale Regelungen beschränkt werden, die aus den in Artikel 46 Absatz 1 EG in Verbindung mit Artikel 55 EG genannten Gründen oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, soweit keine gemeinschaftliche Harmonisierungsmaßnahme vorliegt, die bereits die zur Gewährleistung des Schutzes dieser Interessen erforderlichen Maßnahmen vorsieht (vgl. Urteil vom 15. Juni 2006 in der Rechtssache C-255/04, Kommission/Frankreich, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 43). Zudem können nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes Maßnahmen, durch die der freie Dienstleistungsverkehr eingeschränkt wird, nur dann durch diese Gründe gerechtfertigt werden, wenn sie zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten sollen, erforderlich sind, und auch nur insoweit, als diese Ziele nicht mit Maßnahmen erreicht werden können, die den freien Dienstleistungsverkehr weniger einschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Oktober 2004 in der Rechtssache C-36/02, Omega, Slg. 2004, I-9609, Randnr. 36).

24 Im vorliegenden Fall kann dem Vorbringen der Republik Österreich zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit, insbesondere zum Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz, sowie zur Notwendigkeit, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, nicht gefolgt werden.

25 Die Abwehr schwerer Personenschäden stellt zwar sicherlich ein Grundinteresse der Gesellschaft dar, doch kann Artikel 46 Absatz 1 EG, der als Ausnahme von einem wesentlichen Grundsatz des Vertrages eng auszulegen ist, nur dann geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnr. 35, und vom 19. Januar 1999 in der Rechtssache C-348/96, Calfa, Slg. 1999, I-11, Randnr. 21).

26 In der vorliegenden Rechtssache kann aber eine solche Gefährdung nicht festgestellt werden. Denn eine Stelle zur Überprüfung von Dampfkesseln und Druckgeräten kann nicht schon deshalb als eine tatsächliche und hinreichend schwere, ein Grundinteresse der österreichischen Gesellschaft berührende Gefahr für Personen angesehen werden, weil sie ihren Sitz nicht in Österreich, sondern in einem anderen Mitgliedstaat hat und daher von den österreichischen Behörden nicht kontrolliert werden kann.

27 Diese Feststellung wird ferner dadurch bestätigt, dass in den Anhängen I, II und III der Richtlinie 1999/36 Mindestkriterien für die benannten oder zugelassenen Stellen gemäß den Artikeln 8 und 9 aufgestellt werden. So müssen die Prüfstellen in jedem Mitgliedstaat ihre Unabhängigkeit unter Beweis stellen und die Unvoreingenommenheit ihres Personals gewährleisten. Das Personal muss angemessen qualifiziert sein und eine solide Ausbildung, ausreichende Kenntnisse und eine der auszuübenden Tätigkeit entsprechende Erfahrung besitzen. Daher ist im Anhang I unter der Nummer 6 ausdrücklich vorgesehen, dass "[d]ie Prüfstelle und ihr Personal ... die Bewertungen und Prüfungen mit höchster beruflicher Zuverlässigkeit und größter technischer Sachkunde durchführen [muss]".

28 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass sich § 21 Abs. 4 KesselG nicht mit der Notwendigkeit, die öffentliche Sicherheit zu schützen, rechtfertigen lässt. Außerdem kann er auch nicht im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, insbesondere der Verbraucher und Arbeitnehmer, angeführt werden, weil er nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

29 Da nämlich Kontrollen des Personals und der Ausstattung der betroffenen Stellen durch die österreichische Verwaltung durchaus möglich sind, auch wenn diese Stellen ihren Sitz nicht in Österreich haben, z. B. während des mit der nationalen Regelung eingeführten Zulassungsverfahrens oder bei der Ausübung der Prüftätigkeiten, kann das mit der fraglichen nationalen Bestimmung verfolgte Ziel mit milderen Mitteln erreicht werden.

30 Was den Schutz des fairen Wettbewerbs angeht, so kann dieser grundsätzlich zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehören, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können (vgl. im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr Urteile vom 7. März 1990 in der Rechtssache C-362/88, GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667, Randnr. 10, und vom 18. Mai 1993 in der Rechtssache C-126/91, Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, Randnr. 12).

31 Jedoch kann dieses Ziel nicht, wie es die österreichische Regierung tut, herangezogen werden, um den Wirtschaftsteilnehmern mit Sitz in Österreich einen ganzen Sektor, im vorliegenden Fall jenen der Prüfung von Dampfkesseln und Druckgeräten, mit der Begründung vorzubehalten, dass allein für diese die gleichen Regeln gälten, während die Dienstleistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten anderen Regeln unterlägen, und dass dies zu einem unfairen Wettbewerb führen könne. Zum einen würde ein solcher Vorbehalt den freien Dienstleistungsverkehr von der Harmonisierung aller nationalen Regelungen über die Ausübung der fraglichen Tätigkeit abhängig machen, was darauf hinausliefe, den freien Dienstleistungsverkehr seines Inhalts und seiner Bedeutung zu berauben (vgl. im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr Urteil vom 9. Dezember 1981 in der Rechtssache 193/80, Kommission/Italien, Slg. 1981, 3019, Randnr. 17). Zum anderen kann der Schutz der inländischen Unternehmen allein Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs nicht rechtfertigen (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2001 in den Rechtssachen C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C-71/98, Finalarte u. a., Slg. 2001, I-7831, Randnr. 39).

32 Daher kann § 21 Abs. 4 KesselG auch nicht durch das Ziel, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, gerechtfertigt werden.

33 Die Frage schließlich, ob die Tätigkeiten einer Kesselprüfstelle mit den Tätigkeiten vergleichbar sind, um die es in den Urteilen Kommission/Italien und Kommission/Frankreich ging, ist für die vom Gerichtshof in den Randnummern 25 bis 29 des vorliegenden Urteils vorgenommene Würdigung der Umstände der Rechtssache und des Vorbringens der österreichischen Regierung unerheblich.

34 Nach alledem ist festzustellen, dass die Republik Österreich gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstößt, indem sie in § 21 Abs. 4 KesselG vorschreibt, dass nur Antragsteller mit Sitz in Österreich als Kesselprüfstelle zugelassen werden können.

Kostenentscheidung:

Kosten

35 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Österreich mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Republik Österreich verstößt gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 49 EG, indem sie in § 21 Abs. 4 des Bundesgesetzes über Sicherheitsmaßnahmen für Dampfkessel, Druckbehälter, Versandbehälter und Rohrleitungen (Kesselgesetz) vorschreibt, dass nur Antragsteller mit Sitz in Österreich als Kesselprüfstelle zugelassen werden können.

2. Die Republik Österreich trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

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