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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 02.02.1996
Aktenzeichen: C-257/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Artikel 177
EG-Vertrag Artikels 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Notwendigkeit, zu einer für das nationale Gericht sachdienlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, gebietet es, daß dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen umreisst, in den sich die gestellten Fragen einfügen, oder daß es zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen.

Die in den Vorlageentscheidungen erteilten Informationen und die dort gestellten Fragen müssen nicht nur den Gerichtshof in die Lage versetzen, sachdienliche Antworten zu geben, sondern sie müssen es auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten ermöglichen, gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben.


Beschluss des Gerichtshofes vom 2. Februar 1996. - Gérard Bresle gegen Préfet de la Région Auvergne und Préfet du Puy-de-Dôme. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal administratif de Clermont-Ferrand - Frankreich. - Vorabentscheidungsersuchen - Unzulässigkeit. - Rechtssache C-257/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal administratif Clermont-Ferrand hat mit Urteil vom 27. Juni 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juli 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 95 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Bresle (im folgenden: Kläger) und dem Präfekten des Departements Puy-de-Dôme wegen dessen Weigerung, die steuerliche Nutzleistung des Kraftfahrzeugs des Klägers herabzusetzen.

3 In seinem Urteil vom 17. September 1987 in der Rechtssache 433/85 (Feldain, Slg. 1987, 3521) hat der Gerichtshof entschieden, daß ein System der Kraftfahrzeugsteuer wie das französische eine diskriminierende oder protektionistische Wirkung im Sinne des Artikels 95 des Vertrages hat. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof insbesondere die in dem Runderlaß Nr. 77-191 vom 23. Dezember 1977 (Journal officiel de la République française vom 8. Februar 1978, S. 1052) enthaltenen Modalitäten für die Festsetzung der steuerlichen Nutzleistung geprüft und festgestellt, daß sie sich für aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Fahrzeuge nachteilig auswirken.

4 Aufgrund dieses Urteil haben die französischen Behörden in dem Runderlaß Nr. 91-71 vom 20. September 1991 (Journal officiel de la République française vom 23. Juni 1993, S. 8833) im einzelnen festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die steuerliche Nutzleistung bestimmter Fahrzeuge zu berichtigen ist.

5 In Anhang I dieses Runderlasses mit der Überschrift "Kategorien der Kraftfahrzeuge, für die eine Berichtigung der steuerlichen Nutzleistung nicht in Betracht kommt" heisst es:

"Alle Anträge der Eigentümer von Personenkraftwagen, die zu einer der nachstehend genannten Kategorien gehören, sind unbegründet und daher abzulehnen:

a) Kraftfahrzeuge, deren steuerliche Nutzleistung gemäß dem Runderlaß vom 28. Dezember 1956 berechnet wurde.

Der Runderlaß vom 23. Dezember 1977 gilt nur für bestimmte Kategorien von Personenkraftwagen; infolgedessen gilt für die Berechnung der steuerlichen Nutzleistung der nicht in den Geltungsbereich dieses Runderlasses fallenden Personenkraftwagen und aller anderen Kategorien von Kraftfahrzeugen... weiterhin der Runderlaß vom 28. Dezember 1956. Die steuerliche Nutzleistung dieser Fahrzeuge kann daher nicht geändert werden.

Bei den Personenkraftwagen trifft dies zu für

a 1) Fahrzeuge, die vor dem 1. Januar 1978 erstmals zum Verkehr zugelassen wurden;

a 2) Fahrzeuge, die nach dem 1. Januar 1978 erstmals zugelassen wurden, aber deren Typ vor Inkrafttreten des Runderlasses vom 23. Dezember 1977, d. h. vor dem 1. Januar 1978, genehmigt wurde;

..."

6 Anhang II des Runderlasses Nr. 91-71 enthält ein Verzeichnis der Typen von Personenkraftwagen, deren steuerliche Nutzleistung geändert wird. Für das im Ausgangsverfahren fragliche Fahrzeug der Marke Porsche, Typ 930-19, wird die ursprüngliche steuerliche Nutzleistung in Höhe von 19 PS nach diesem Verzeichnis auf 13 PS ermässigt, wenn die Typengenehmigung am 16. Juni 1987 erteilt wurde und die Erstzulassung nicht vor diesem Zeitpunkt erfolgte.

7 Der Kläger ist seit dem 16. April 1986 Eigentümer eines Porsche 930-19, für den am 3. Januar 1978 vom Service des Mines eine Betriebserlaubnis für das Einzelfahrzeug erteilt und der am 21. Juli 1981 zugelassen wurde. Die steuerliche Nutzleistung dieses Fahrzeugs wurde gemäß den im Runderlaß vom 28. Dezember 1956 (Journal officiel de la République française vom 22. Januar 1957) enthaltenen Kriterien auf 19 PS festgesetzt.

8 Unter Berufung auf Anhang II des Runderlasses Nr. 91-71 beantragte der Kläger beim Präfekten des Departements Puy-de-Dôme zweimal die Herabsetzung der steuerlichen Nutzleistung seines Porsches von 19 auf 13 PS. Einer dieser Anträge wurde durch ausdrückliche Entscheidung vom 26. Mai 1992 und der andere durch stillschweigende Entscheidung vom 2. August 1992 abgelehnt.

9 Der Kläger erhob gegen diese beiden Entscheidungen beim Tribunal administratif Clermont-Ferrand zwei Klagen, mit denen er ihre Aufhebung, demgemäß die Herabsetzung der steuerlichen Nutzleistung seines Fahrzeugs von 19 auf 13 PS und die Verurteilung des Staates zur Zahlung von zwei Beträgen in Höhe von 4 000 FF und 5 000 FF gemäß Artikel L. 8-1 des Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d' appel begehrte.

10 Mit Zwischenurteil vom 8. September 1994 ordnete das Tribunal administratif die Verbindung der beiden Anfechtungsklagen an und wies die gegen die stillschweigende Ablehnungsentscheidung vom 2. August 1992 erhobene Klage ab, da sie auf die Aufhebung einer nur bestätigenden Entscheidung gerichtet sei. Es wies weiterhin den Klagegrund, wonach im vorliegenden Fall der Runderlaß Nr. 77-191 anwendbar sein soll, zurück und forderte die Parteien auf, sich zu zwei weiteren Klagegründen zu äussern, die zum einen die Anpassung des nationalen Rechts an das Gemeinschaftsrecht mittels Runderlassen und zum anderen die Vereinbarkeit des Runderlasses vom 28. Dezember 1956 mit Artikel 95 des Vertrages nach dessen Inkrafttreten zum Gegenstand hatten.

11 Den ersten der beiden letztgenannten Klagegründe hat das Gericht sodann in seiner Vorlageentscheidung mit der Begründung zurückgewiesen, der Runderlaß vom 28. Dezember 1956 gehöre zu den Vorschriften, denen durch Artikel 35.-I des Gesetzes Nr. 93-859 vom 22. Juni 1993 (Journal officiel de la République française vom 23. Juni 1993, S. 8815) rückwirkend Gesetzesrang verliehen worden sei.

12 Hinsichtlich des zweiten Klagegrunds hat das Tribunal administratif ausgeführt, nach dem Runderlaß Nr. 91-71 unterlägen Fahrzeuge, die nach dem 1. Januar 1978 erstmals zugelassen worden seien, aber deren Typ vor diesem Zeitpunkt genehmigt worden sei, weiterhin insbesondere dem Runderlaß vom 28. Dezember 1956. Ihre steuerliche Nutzleistung könne daher nicht geändert werden.

13 Das Fahrzeug des Klägers falle in diese Kategorie: Es sei am 21. Juli 1981 zugelassen worden, und der Service des Mines habe zwar am 3. Januar 1978 die Betriebserlaubnis für das Einzelfahrzeug erteilt, der Fahrzeugtyp sei aber gemäß den im Runderlaß vom 28. Dezember 1956 festgelegten Kriterien vor dem 1. Januar 1978 genehmigt worden. Anhang I des Runderlasses Nr. 91-71 komme daher eine Herabsetzung der steuerlichen Nutzleistung des klägerischen Fahrzeugs nach Anhang II dieses Erlasses nicht in Betracht.

14 Da aber der Fahrzeugtyp Porsche 930-19 nach Inkrafttreten des EWG-Vertrags genehmigt worden sei, sei die Berechnungsweise gemäß dem mit Gesetzesrang ausgestatteten Runderlaß vom 28. Dezember 1956 im Hinblick auf die seinerzeitige Nutzleistung der in Frankreich und der in den anderen Mitgliedstaaten hergestellten Fahrzeuge seit dem Inkrafttreten des Vertrages geeignet, eine Diskriminierung im Sinne des Artikels 95 zu bewirken.

15 Das Tribunal administratif hat dem Gerichtshof unter diesen Umständen folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Methode der Berechnung der steuerlichen Nutzleistung von Kraftfahrzeugen gemäß dem rückwirkend mit Gesetzesrang ausgestatteten Runderlaß des Staatssekretärs für öffentliche Arbeiten, Transport und Tourismus vom 28. Dezember 1956 hinsichtlich der Fahrzeuge, deren Typ nach Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 und vor dem 1. Januar 1978 genehmigt wurde, als diskriminierend im Sinne von Artikel 95 des Vertrages anzusehen?

16 Die Notwendigkeit, zu einer für das vorlegende Gericht sachdienlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, gebietet es nach ständiger Rechtsprechung, daß dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen umreisst, in den sich die gestellten Fragen einfügen, oder daß es zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen (siehe insbesondere Urteil vom 26. Januar 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-320/90, C-321/90 und C-322/90, Telemarsicabruzzo u. a., Slg. 1993, I-393, Randnr. 6, und die Beschlüsse vom 19. März 1993 in der Rechtssache C-157/92, Banchero, Slg. 1993, I-1085, Randnr. 4, vom 23. März 1995 in der Rechtssache C-458/93, Saddik, Slg. 1995, I-511, Randnr. 12, vom 7. April 1995 in der Rechtssache C-167/94, Grau Gomis u. a., Slg. 1995, I-1023, Randnr. 8, und vom 21. Dezember 1995 in der Rechtssache C-307/95, Max Mara, Randnr. 6, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).

17 Die im Vorlageurteil enthaltenen Angaben reichen nicht aus, um diesen Anforderungen zu gerecht zu werden. Denn das vorlegende Gericht begnügt sich damit, auf den Wortlaut eines rückwirkend durch Gesetz mit Gesetzesrang ausgestatteten Runderlasses Bezug zu nehmen, wonach ein Fahrzeug wie das des Klägers nicht die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der steuerlichen Nutzleistung erfuelle, und führt im übrigen lediglich aus, daß die Methode der Berechnung der steuerlichen Nutzleistung von Kraftfahrzeugen gemäß einem weiteren, ebenfalls rückwirkend durch Gesetz mit Gesetzesrang ausgestatteten Runderlaß möglicherweise mit Artikel 95 des Vertrages unvereinbar sei. Es gibt weder die für diese Methode der Berechnung der steuerlichen Nutzleistung maßgebenden Vorschriften des letztgenannten Erlasses noch deren Inhalt, noch die genauen Gründe, aus denen es ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht für zweifelhaft und die Vorlage einer Frage an den Gerichtshof für erforderlich hält, noch auch nur die technischen Merkmale des Fahrzeugs Porsche 930-19 an. Ohne diese Angaben kann aber ein objektiver Vergleich mit in Frankreich hergestellten gleichartigen Kraftfahrzeugen im Hinblick auf Artikel 95 EG-Vertrag nicht vorgenommen werden.

18 Da somit die Rechtlage und der Sachverhalt, auf die sich das nationale Gericht bezieht, durch die Angaben im Vorlageurteil nicht hinreichend genau erläutert werden, ist dem Gerichtshof eine sachdienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht möglich.

19 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die in den Vorlageentscheidungen erteilten Informationen und die dort gestellten Fragen nicht nur den Gerichtshof in die Lage versetzen müssen, sachdienliche Antworten zu geben, sondern es auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten ermöglichen müssen, gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben (Beschluß Max Mara, a. a. O., Randnr. 7).

20 Demnach ist gemäß Artikel 92 der Verfahrensordnung festzustellen, daß die dem Gerichtshof vorgelegte Vorabentscheidungsfrage offensichtlich unzulässig ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

beschlossen:

Das vom Tribunal administratif Clermont-Ferrand mit Urteil vom 27. Juni 1995 vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen ist unzulässig.

Luxemburg, den 2. Februar 1996

Ende der Entscheidung

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