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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.07.1997
Aktenzeichen: C-261/95
Rechtsgebiete: RL 80/987/EWG
Vorschriften:
RL 80/987/EWG |
Es vestösst nicht gegen das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand, wenn ein Mitgliedstaat für die Erhebung einer Klage auf Ersatz des durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie 80/987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers entstandenen Schadens eine Ausschlußfrist von einem Jahr nach der Umsetzung in sein nationales Recht vorschreibt, sofern diese Verfahrensvorschrift nicht weniger günstig ist als Vorschriften, die für ähnliche Klagen innerstaatlicher Art gelten.
Die Festsetzung angemessener Rechtsbehelfsfristen in Form von Ausschlußfristen ist, da sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist, nämlich grundsätzlich mit dem Erfordernis vereinbar, daß die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten Voraussetzungen insbesondere in bezug auf die Frist nicht so ausgestaltet sein dürfen, daß sie es praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität), und die fragliche Frist, die nicht nur die Begünstigten in die Lage versetzt, ihre Rechte in vollem Umfang zu erkennen, sondern auch die Voraussetzungen für den Ersatz des durch die verspätete Umsetzung entstandenen Schadens genau angibt, gestaltet die Einreichung der Schadensersatzklage nicht besonders schwierig und macht sie schon gar nicht in der Praxis unmöglich.
Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob die streitige Frist auch den Grundsatz wahrt, daß die im nationalen Recht festgelegten Voraussetzungen für den Ersatz der Schäden, die den Bürgern durch einem Mitgliedstaat zuzurechnende Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit). Diese Gerichte dürfen den Umstand berücksichtigen, daß Ansprüche, die im Rahmen der Durchführung der Richtlinie einerseits, und solche, die im Rahmen der Entschädigungsregelung andererseits erhoben werden, sich hinsichtlich ihres Gegenstands unterscheiden, und es daher fehl am Platze ist, ihre Verfahrensmodalitäten miteinander zu vergleichen. Falls die nationale zivilrechtliche Regelung der ausservertraglichen Haftung keine Klage gegen öffentliche Hoheitsträger wegen eines rechtswidrigen Verhaltens ermöglicht, das ihnen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zuzurechnen ist, und falls das nationale Gericht keine der streitigen Ausschlußfrist vergleichbaren Voraussetzungen für ähnliche Rechtsbehelfe innerstaatlicher Art finden sollte, müsste festgestellt werden, daß weder der Grundsatz der Gleichwertigkeit noch der Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts der streitigen Ausschlußfrist entgegenstehen.
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 10. Juli 1997. - Rosalba Palmisani gegen Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura circondariale di Frosinone - Italien. - Sozialpolitik - Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - Richtlinie 80/987/EWG - Haftung des Mitgliedstaats wegen verspäteter Umsetzung einer Richtlinie - Angemessene Wiedergutmachung - Ausschlußfrist. - Rechtssache C-261/95.
Entscheidungsgründe:
1 Die Pretura circondariale Frosinone hat mit Beschluß vom 27. Juni 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 3. August 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 5 EG-Vertrag und des Grundsatzes der Haftung des Staates für Schäden, die dem Bürger durch einen dem Staat zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und dem Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS) über den Ersatz des Schadens, der der Klägerin durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, S. 23; im folgenden: Richtlinie) entstanden ist.
3 Die Richtlinie soll den Arbeitnehmern bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers unbeschadet günstigerer Bestimmungen der Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene einen Mindestschutz gewährleisten. Zu diesem Zweck sieht sie u. a. spezielle Garantien für die Befriedigung nichterfuellter Ansprüche der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt vor.
4 Nach Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten vor dem 23. Oktober 1983 alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie nachzukommen.
5 Da die Italienische Republik dieser Verpflichtung nicht nachkam, stellte der Gerichtshof mit Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 22/87 (Kommission/Italien, Slg. 1989, 143) fest, daß sie gegen den EWG-Vertrag verstossen hat.
6 Ferner hat der Gerichtshof im Urteil vom 19. November 1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich I, Slg. 1991, I-5357) für Recht erkannt, daß die Betroffenen nach denjenigen Bestimmungen der Richtlinie, die die Rechte der Arbeitnehmer festlegen, diese Rechte mangels fristgemäß erlassener Durchführungsmaßnahmen nicht vor den nationalen Gerichten dem Staat gegenüber geltend machen können, daß ein Mitgliedstaat aber die Schäden zu ersetzen hat, die dem einzelnen dadurch entstehen, daß die Richtlinie nicht umgesetzt worden ist.
7 Am 27. Januar 1992 erließ die italienische Regierung gemäß Artikel 48 des Ermächtigungsgesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990 das Decreto legislativo Nr. 80, mit dem die Richtlinie umgesetzt wurde (GURI Nr. 36 vom 13. Februar 1992; im folgenden: Dekret).
8 Artikel 2 Absatz 7 des Dekrets legt die Voraussetzungen für den Ersatz von Schäden fest, die durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie entstanden sind, indem er auf die in Durchführung der Richtlinie festgelegten Modalitäten für die Erfuellung der Zahlungsverpflichtung der Garantieeinrichtungen an Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers verweist. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
"Bei der Entscheidung über den Schadensersatz, der gegebenenfalls Arbeitnehmern im Rahmen der Verfahren im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 (d. h. Konkurs, Vergleich, Zwangsliquidation und Zwangsverwaltung grosser Unternehmen in Krisenzeiten) wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie 80/987/EWG zu leisten ist, finden die Fristen, Maßnahmen und Sonderregelungen der Absätze 1, 2 und 4 Anwendung. Die Klage auf Schadensersatz ist innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Dekrets einzureichen."
9 Die Klägerin war vom 10. September 1979 bis zum 17. April 1985 als Arbeitnehmerin bei dem Unternehmen Vamar beschäftigt; am letztgenannten Tag eröffnete das Tribunale Frosinone das Konkursverfahren über das Vermögen dieses Unternehmens. Die Lohnansprüche der Klägerin wurden bei der endgültigen Verteilung der Konkursmasse nur zu einem sehr kleinen Teil befriedigt.
10 Die Klägerin erhob am 13. Oktober 1994 und damit nach Ablauf der im Dekret vorgesehenen Ausschlußfrist von einem Jahr beim Pretore Frosinone gemäß Artikel 2 Absatz 7 des Dekrets gegen das INPS als Verwalter des Garantiefonds Klage auf Schadensersatz.
11 Die Klägerin führt zur Begründung der späten Einreichung ihrer Klage an, die erwähnte Bestimmung habe den zum Schadensersatz verpflichteten öffentlichen Träger und das zuständige Gericht nicht klar benannt. Auch unterscheide sich die durch das Dekret eingeführte Regelung offensichtlich, insbesondere in bezug auf die Klagefristen, von der allgemeinen Regelung des Schadensersatzes aus ausservertraglicher Haftung.
12 Das vorlegende Gericht schließt sich den Zweifeln der Klägerin nur teilweise an. Es fragt sich, ob der italienische Staat in Anbetracht der vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze die Modalitäten des Verfahrens über den Ersatz des aufgrund der verspäteten Umsetzung der Richtlinie entstandenen Schadens im nationalen Recht abweichend von der generellen Regelung des Schadensersatzes aus ausservertraglicher Haftung gemäß Artikel 2043 des italienischen Codice civile - und unter bestimmten Gesichtspunkten weniger günstig - gestalten konnte. Es führt hierzu aus, die Schadensersatzklage gemäß Artikel 2 Absatz 7 des Dekrets müsse innerhalb einer Ausschlußfrist von zwölf Monaten nach Inkrafttreten des Dekrets erhoben werden, während die Schadensersatzklage nach Artikel 2043 Codice civile gemäß Artikel 2947 Codice civile einer Verjährungsfrist von fünf Jahren unterliege, die nach den Artikeln 2941 ff. Codice civile auch durch aussergerichtliche Handlungen unterbrochen oder gehemmt werden könne.
13 Das vorlegende Gericht vergleicht auch die Verjährungsfrist von einem Jahr gemäß Artikel 2 Absatz 5 des Dekrets für die Stellung des Antrags auf die Leistungen aufgrund der Richtlinie, die mit dem Zeitpunkt der Einreichung des Antrags beim Garantiefonds beginne, mit der Ausschlußfrist von einem Jahr nach Einreichung des Antrags - die nicht unterbrochen oder gehemmt werden könne - gemäß Artikel 4 des Gesetzes Nr. 438 vom 14. November 1992 für die Stellung des Antrags auf Sozialleistungen (die keine Rentenleistungen sind).
14 Nach allem hat das vorlegende Gericht beschlossen, dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist mit einer zutreffenden Auslegung von Artikel 5 EG-Vertrag, auch im Lichte der Grundsätze, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, auf die in den Gründen dieses Beschlusses verwiesen wurde (siehe Urteile vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-208/90, Emmott, Slg. 1992, I-4269; vom 25. Februar 1988 in den verbundenen Rechtssachen 331/85, 376/85 und 378/85, Bianco und Girard, Slg. 1988, 1099; vom 9. November 1983 in der Rechtssache 199/82, San Giorgio, Slg. 1983, 3595; vom 21. September 1983 in den verbundenen Rechtssachen 205/82 bis 215/82, Deutsche Milchkontor u. a., Slg. 1983, 2633; vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 826/79, Mireco, Slg. 1980, 2559; vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 811/79, Ariete, Slg. 1980, 2545; vom 27. März 1980 in den verbundenen Rechtssachen 66/79, 127/79 und 128/79, Salumi u. a., Slg. 1980, 1237; vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 68/79, Just, Slg. 1980, 501; vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, und Francovich u. a., a. a. O.), ein Gesetz eines Mitgliedstaats vereinbar, in dem der Mitgliedstaat die Verfahrensmodalitäten für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs durch Bürger, denen dieses Recht wegen fehlender Umsetzung nicht unmittelbar anwendbarer Richtlinien aufgrund der Gemeinschaftsrechtsordnung zusteht, so regelt, daß der Geschädigte die Klage nur innerhalb einer einjährigen Ausschlußfrist erheben kann, die am Tag des Inkrafttretens dieser innerstaatlichen Regelung zu laufen beginnt, während die Schadensersatzklage aus ausservertraglicher Haftung im innerstaatlichen Recht dieses Mitgliedstaats normalerweise einer Verjährungsfrist von fünf Jahren unterliegt und auch die Klage, mit der im Rahmen der durch die vollständige Umsetzung der Richtlinie geschaffenen Regelung die Sozialleistung begehrt wird, einer einjährigen Frist unterliegt, bei der es sich aber um eine Verjährungsfrist handelt, wenn der Mitgliedstaat auf diese Weise für den gerichtlichen Schutz der in der Gemeinschaftsrechtsordnung begründeten Rechte einen Verfahrensmechanismus vorsieht, der sich in der erwähnten Hinsicht von "ähnlichen" Klagen und Rechtsbehelfen unterscheidet, wie sie das innerstaatliche Recht des Mitgliedstaats vorsieht (wobei noch zu präzisieren ist, daß sämtliche Klagen, die auf die Erlangung der Leistungen gerichtet sind, die der gesetzlich zur Schadensersatzleistung verpflichtete Träger zu erbringen hat, zur Zeit nach dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats jedenfalls einer einjährigen Ausschlußfrist unterliegen), und ist das nationale Gericht im Falle der Unvereinbarkeit dieses Gesetzes verpflichtet, diese Ausschlußfrist unangewendet zu lassen und den geschädigten Bürgern so die Erhebung der Klage auch nach Ablauf der einjährigen Ausschlußfrist zu ermöglichen, und gilt in diesem Fall dann die für gewöhnliche Schadensersatzklagen vorgesehene fünfjährige Verjährungsfrist oder die für die Erlangung der Sozialleistungen im Rahmen des "regulären" Systems vorgesehene einjährige Verjährungsfrist?
Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage
15 Das INPS macht geltend, das Gemeinschaftsrecht enthalte über das hinaus, was der Gerichtshof bereits im Urteil Francovich I aufgeführt habe, nichts, was dem nationalen Gericht bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens dienlich sein könnte.
16 Auch sei der Gerichtshof nicht für die Auslegung von Bestimmungen einer Richtlinie zuständig, die keine unmittelbare Wirkung entfalteten; über Kollisionen zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem nationalen Recht habe die Corte costituzionale zu entscheiden, die bereits über die Gültigkeit von Artikel 2 Absatz 7 des Dekrets entschieden habe.
17 Schließlich falle die Untersuchung der Vereinbarkeit der durch das Dekret eingeführten Schadensersatzregelung mit den vom Gerichtshof entwickelten Grundsätzen ausschließlich in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte.
18 Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache der nationalen Gerichte, bei denen ein Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu erlassende Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil vom 21. März 1996 in der Rechtssache C-297/94, Bruyère u. a., Slg. 1996, I-1551, Randnr. 19). Nur wenn offensichtlich ist, daß die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, kann das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zurückgewiesen werden (vgl. insbesondere Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 61).
19 Im vorliegenden Fall hat es das vorlegende Gericht als erforderlich erachtet, den Gerichtshof um die notwendigen gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkte für die Auslegung zu ersuchen, um die Vereinbarkeit der Einzelheiten des Verfahrens über die Klage auf Ersatz des durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie entstandenen Schadens mit dem Gemeinschaftsrecht beurteilen zu können.
20 Im übrigen sind die nationalen Gerichte nach Artikel 177 EG-Vertrag zur Vorlage berechtigt und gegebenenfalls verpflichtet, wenn sie von Amts wegen oder auf Anregung der Parteien feststellen, daß es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf eine der in Artikel 177 Absatz 1 genannten Fragen ankommt. Daraus folgt, daß die nationalen Gerichte ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichtshof haben, wenn sie der Auffassung sind, daß eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen der Auslegung oder der Gültigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen aufwirft, über die diese Gerichte im konkreten Fall entscheiden müssen (Urteil vom 16. Januar 1974 in der Rechtssache 166/73, Rheinmühlen, Slg. 1974, 33, Randnr. 3).
21 Schließlich entscheidet nach Artikel 177 EG-Vertrag der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft, ohne daß es darauf ankäme, ob diese Handlungen unmittelbar anwendbar sind oder nicht (Urteil vom 20. Mai 1976 in der Rechtssache 111/75, Mazzalai, Slg. 1976, 657, Randnr. 7).
22 Die Einwände des INPS gegen die Zulässigkeit der Vorlagefrage und die Zuständigkeit des Gerichtshofes greifen daher nicht durch. Daher ist die gestellte Frage zu beantworten.
Zur Vorlagefrage
23 Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob das Gemeinschaftsrecht einen Mitgliedstaat hindert, für die Einreichung einer Klage auf Ersatz des durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie entstandenen Schadens eine Ausschlußfrist von einem Jahr nach der Umsetzung in seine nationale Rechtsordnung festzusetzen.
24 Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, folgt der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem Bürger durch dem Staat zuzurechnende Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, aus dem Wesen der mit dem EG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung (Urteile Francovich I, a. a. O., Randnr. 35; vom 5. März 1996 in den Rechtssachen C-46/93 und 48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 31; vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38; vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24 und vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20).
25 Nach dieser Rechtsprechung ist ein Mitgliedstaat verpflichtet, solche Schäden zu ersetzen, wenn drei Voraussetzungen erfuellt sind: Die Rechtsnorm, gegen die verstossen worden ist, bezweckt, dem Bürger Rechte zu verleihen; der Verstoß ist hinreichend qualifiziert; zwischen dem Verstoß und dem entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang (Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, a. a. O, Randnr. 51, British Telecommunications, a. a. O., Randnr. 39, Hedley Lomas, a. a. O., Randnr. 25, und Dillenkofer u. a., a. a. O., Randnr. 21). Die Beurteilung dieser Voraussetzungen erfolgt je nach Fallgestaltung (Urteil Dillenkofer u. a., Randnr. 24).
26 Zum Umfang des Schadensersatzes, den der Mitgliedstaat, dem die Vertragsverletzung zuzurechnen ist, leisten muß, ergibt sich aus dem Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, a. a. O., Randnr. 82, daß der Ersatz der Schäden, die dem Bürger durch Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, angemessen sein muß, so daß ein effektiver Schutz der Rechte des Bürgers gewährleistet ist.
27 Schließlich hat nach ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil Francovich I, a. a. O., Randnrn. 41 bis 43, vorbehaltlich der vorstehenden Ausführungen der Staat die Folgen des entstandenen Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein dürfen, daß sie es praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität).
28 Eine Ausschlußfrist, wie sie im Dekret vorgesehen ist, ist mit dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts vereinbar, weil die Festsetzung angemessener Rechtsbehelfsfristen in Form von Ausschlußfristen ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist (vgl. insbesondere Urteil Rewe, a. a. O., Randnr. 5).
29 Zudem gestaltet eine Frist von einem Jahr, die mit dem Inkrafttreten der Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie in die nationale Rechtsordnung beginnt und die nicht nur die Begünstigten in die Lage versetzt, ihre Rechte in vollem Umfang zu erkennen, sondern auch die Voraussetzungen für den Ersatz des durch die verspätete Umsetzung entstandenen Schadens genau angibt, die Einreichung der Schadensersatzklage nicht besonders schwierig und macht sie schon gar nicht in der Praxis unmöglich.
30 Die Klägerin macht zwar geltend, daß Artikel 2 Absatz 7 des Dekrets den zum Schadensersatz verpflichteten Träger des öffentlichen Rechts und das zur Entscheidung über die Schadensersatzklage zuständige Gericht nicht klar benenne. Diese Ungewißheit sei erst zehn Tage nach Ablauf der Ausschlußfrist durch ein Rundschreiben des INPS vom 18. Februar 1993 beseitigt worden.
31 Wie der Generalanwalt in Nummer 30 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, führt nach ständiger Rechtsprechung Artikel 177 EG-Vertrag eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten durch ein nichtstreitiges Verfahren ein, das jeder Beeinflussung durch die Parteien entzogen ist und in dem die Parteien sich nur in dem vom nationalen Gericht gesteckten rechtlichen Rahmen äussern können (vgl. insbesondere Urteil vom 1. März 1973 in der Rechtssache 62/72, Bollmann, Slg. 1973, 269, Randnr. 4). Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht jedoch in seinem Beschluß ausdrücklich das Vorbringen der Klägerin zurückgewiesen. Dieses Vorbringen kann daher im Vorabentscheidungsverfahren nicht berücksichtigt werden.
32 Es bleibt zu prüfen, ob eine Ausschlußfrist, wie sie im Dekret vorgesehen ist, den Anforderungen gleichwertig ist, die an die Geltendmachung vergleichbarer Forderungen innerstaatlicher Art gestellt werden. Das vorlegende Gericht erwähnt hierzu namentlich die Verfahrensmodalitäten für Leistungsanträge, die nach dem Dekret bei der Garantieeinrichtung eingereicht werden, Klagen auf Leistungen der sozialen Sicherheit (die keine Rentenleistungen sind) nach dem Gesetz Nr. 438 vom 14. November 1992 und zivilrechtliche Schadensersatzklagen nach den Artikeln 2043 ff. des italienischen Codice civile.
33 Grundsätzlich ist es Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob die Verfahrensmodalitäten, die im nationalen Recht den Schutz der Rechte, den die Bürger aufgrund des Gemeinschaftsrechts genießen, insbesondere den Ersatz von Schäden gewährleisten sollen, die dem Bürger durch einem Mitgliedstaat zuzurechnende Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, dem Grundsatz der Gleichwertigkeit entsprechen. Bestimmte Merkmale des Ausgangsverfahrens erlauben es dem Gerichtshof jedoch, folgende Ausführungen zu machen.
34 Zunächst wird, wie die Klägerin und die Kommission vortragen, mit den im Dekret enthaltenen Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie ein anderer Zweck als mit der dort eingeführten Entschädigungsregelung verfolgt. Während nämlich mit den Durchführungsmaßnahmen der gemeinschaftliche Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers durch besondere Garantien für die Erfuellung nichterfuellter Ansprüche auf Arbeitsentgelt umgesetzt werden soll, soll mit der Entschädigungsregelung begrifflich der Schaden in angemessener Weise wiedergutgemacht werden, den die durch die Richtlinie Begünstigten durch deren verspätete Umsetzung erlitten haben.
35 Hierzu hat der Gerichtshof im übrigen in den Urteilen vom heutigen Tag in den Rechtssachen C-94/95 und C-95/95 (Bonifaci u. a. und Berto u. a., Slg. 1997, I-0000, Randnr. 53) und in der Rechtssache C-373/95 (Maso u. a., Slg. 1997, I-0000, Randnr. 41) entschieden, daß die Wiedergutmachung durch eine rückwirkende, ordnungsgemässe und vollständige Anwendung der Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie nicht in allen Fällen vollständig garantiert ist. Es ist nämlich Sache des nationalen Gerichts, darauf zu achten, daß der den Betroffenen entstandene Schaden angemessen wiedergutgemacht wird. Eine rückwirkende ordnungsgemässe und vollständige Anwendung der Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie genügt hierfür, sofern die Betroffenen nicht dartun, daß sie zusätzliche Einbussen dadurch erlitten haben, daß sie nicht rechtzeitig in den Genuß der von der Richtlinie garantierten finanziellen Vergünstigungen kommen konnten; für diese wären sie ebenfalls zu entschädigen.
36 Da Ansprüche, die im Rahmen der Durchführung der Richtlinie einerseits, und solche, die im Rahmen der Entschädigungsregelung andererseits erhoben werden, sich hinsichtlich ihres Gegenstands unterscheiden, ist es fehl am Platze, ihre Verfahrensmodalitäten miteinander zu vergleichen.
37 Das gleiche gilt aus den nämlichen Gründen für Klagen auf Leistungen der sozialen Sicherheit, die keine Rentenleistungen sind, im nationalen Recht.
38 Die zivilrechtliche Regelung der ausservertraglichen Haftung entspricht im Unterschied zu den in den Randnummern 34 bis 37 des vorliegenden Urteils untersuchten Verfahren insgesamt in bezug auf ihren Gegenstand derjenigen, die durch Artikel 2 Absatz 7 des Dekrets eingeführt wurde, da sie den Ersatz von Schäden gewährleisten soll, die durch das Verhalten ihres Urhebers entstanden sind. Um die Vergleichbarkeit der beiden Regelungen prüfen zu können, sind jedoch die Wesenszuege der nationalen Bezugsregelung zu untersuchen. Der Gerichtshof verfügt nicht über die Kenntnisse, um insbesondere beurteilen zu können, ob nach Artikel 2043 des italienischen Codice civile eine Schadensersatzklage eines Bürgers gegen öffentliche Hoheitsträger wegen einer Unterlassung oder einer rechtswidrigen Handlung möglich ist, die ihnen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zuzurechnen ist. Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, diese Untersuchung vorzunehmen.
39 Falls sich ergeben sollte, daß die italienische zivilrechtliche Regelung der ausservertraglichen Haftung keine Klage gegen öffentliche Hoheitsträger wegen eines rechtswidrigen Verhaltens ermöglicht, das ihnen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zuzurechnen ist, und falls das vorlegende Gericht keine der streitigen Ausschlußfrist vergleichbaren Voraussetzungen für ähnliche Rechtsbehelfe innerstaatlicher Art finden sollte, müsste nach allem festgestellt werden, daß es nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstösst, wenn ein Mitgliedstaat für die Erhebung einer Klage auf Ersatz des durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie entstandenen Schadens eine Ausschlußfrist von einem Jahr nach der Umsetzung in seine nationale Rechtsordnung vorschreibt.
40 Nach allem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß es nicht gegen das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand verstösst, wenn ein Mitgliedstaat für die Erhebung einer Klage auf Ersatz des durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie entstandenen Schadens eine Ausschlußfrist von einem Jahr nach der Umsetzung in sein nationales Recht vorschreibt, sofern diese Verfahrensvorschrift nicht weniger günstig ist als Vorschriften, die für ähnliche Klagen innerstaatlicher Art gelten.
Kostenentscheidung:
Kosten
41 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
auf die ihm von der Pretura circondariale Frosinone mit Beschluß vom 27. Juni 1995 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Es vestösst nicht gegen das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand, wenn ein Mitgliedstaat für die Erhebung einer Klage auf Ersatz des durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers entstandenen Schadens eine Ausschlußfrist von einem Jahr nach der Umsetzung in sein nationales Recht vorschreibt, sofern diese Verfahrensvorschrift nicht weniger günstig ist als Vorschriften, die für ähnliche Klagen innerstaatlicher Art gelten.
Ende der Entscheidung
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