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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.11.1996
Aktenzeichen: C-262/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 169
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 7. November 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung - Nichtumsetzung der Richtlinien 82/176/EWG, 83/513/EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und 86/280/EWG betreffend die Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in Gewässer. - Rechtssache C-262/95.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 4. August 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstossen hat, indem sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um den folgenden Richtlinien, insbesondere deren Artikel 3, nachzukommen:

° der Richtlinie 82/176/EWG des Rates vom 22. März 1982 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Quecksilberableitungen aus dem Industriezweig Alkalichloridelektrolyse (ABl. L 81, S. 29),

° der Richtlinie 83/513/EWG des Rates vom 26. September 1983 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Cadmiumableitungen (ABl. L 291, S. 1),

der Richtlinie 84/156/EWG des Rates vom 8. März 1984 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Quecksilberableitungen mit Ausnahme des Industriezweigs Alkalichloridelektrolyse (ABl. L 74, S. 49),

° der Richtlinie 84/491/EWG des Rates vom 9. Oktober 1984 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Ableitungen von Hexachlorcyclohexan (ABl. L 274, S. 11) und

° der Richtlinie 86/280/EWG des Rates vom 12. Juni 1986 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für die Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe im Sinne der Liste I im Anhang der Richtlinie 76/464/EWG (ABl. L 181, S. 16) (im folgenden: streitige Richtlinien).

2 Auf der Grundlage von Artikel 6 der Richtlinie 76/464/EWG des Rates vom 4. Mai 1976 betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft (ABl. L 129, S. 23) erließ der Rat die streitigen Richtlinien, mit denen für verschiedene Stoffe Grenzwerte festgelegt wurden, die von den Emissionsnormen, die die Mitgliedstaaten für die Ableitung der Stoffe festlegen, nicht überschritten werden dürfen.

3 Nach dem in den Richtlinien 82/176, 83/513, 84/156 und 84/491 gleichlautend formulierten Artikel 3 Absatz 1 sind die Grenzwerte, die Fristen für die Einhaltung dieser Grenzwerte und das Verfahren zur Überwachung und Kontrolle der Ableitungen jeweils in Anhang I dieser Richtlinien festgelegt. Bei der Richtlinie 86/280 finden sich diese Festlegungen in Teil A der Anhänge. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, innerhalb der in jeder Richtlinie vorgesehenen Frist die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihr nachzukommen. Die Umsetzungsfristen sind für die Richtlinie 82/176 am 1. Juli 1983 (Artikel 6 Absatz 1), für die Richtlinie 83/513 am 28. September 1985 (Artikel 6 Absatz 1), für die Richtlinie 84/156 am 18. März 1986 (Artikel 7 Absatz 1), für die Richtlinie 84/491 am 1. April 1986 (Artikel 6 Absatz 1) und für die Richtlinie 86/280 am 1. Januar 1988 (Artikel 7 Absatz 1) abgelaufen.

4 Die Bundesrepublik Deutschland wurde jedoch durch Artikel 3 der Richtlinie 90/656/EWG des Rates vom 4. Dezember 1990 über die in Deutschland geltenden Übergangsmaßnahmen für bestimmte Gemeinschaftsvorschriften über den Umweltschutz (ABl. L 353, S. 59) in der durch die Richtlinie 93/80/EWG der Kommission vom 23. September 1993 (ABl. L 256, S. 32) geänderten Fassung ermächtigt, die Bestimmungen der streitigen Richtlinien für Industriebetriebe in den neuen Bundesländern erst ab dem 31. Dezember 1995 anzuwenden.

5 Die Kommission gelangte nach Prüfung der Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 86/280 zu der Auffassung, daß diese Maßnahmen unzureichend seien. Sie forderte deshalb die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 18. Oktober 1989 gemäß Artikel 169 Absatz 1 des Vertrages zur Äusserung auf.

6 In ihrer Antwort vom 26. Februar 1990, die durch Schreiben vom 4. September 1990 und 7. November 1991 ergänzt wurde, machte die Bundesrepublik Deutschland u. a. geltend, daß die Richtlinie 86/280 durch Verwaltungsvorschriften der Bundes- und Länderbehörden ausreichend umgesetzt worden sei.

7 Hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinien 82/176, 83/513, 84/156 und 84/491 übermittelte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission Allgemeine Verwaltungsvorschriften, die sie auf der Grundlage von Artikel 7a Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes erlassen hat und die nach ihrer Auffassung die streitigen Richtlinien in die innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt haben. Ausserdem verwies die Bundesrepublik Deutschland auf zahlreiche Bekanntmachungen, Runderlasse und Verwaltungsvorschriften, die die Bundesländer zur Umsetzung dieser Richtlinien herausgegeben hätten.

8 Da die Kommission diese Umsetzung als unvollständig ansah, forderte sie die Bundesrepublik Deutschland am 29. September 1992 auf, sich binnen zwei Monaten zu äussern.

9 Die Bundesrepublik Deutschland beantwortete dieses Schreiben mit einer Mitteilung vom 11. Dezember 1992, in der sie auf ein Schreiben verwies, in dem sie die Schritte aufgeführt habe, die sie gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes unternommen habe, um die Umsetzung der Umweltrichtlinien zu gewährleisten. Weiter teilte die Bundesrepublik Deutschland mit, daß sie die Absicht habe, im Rahmen des Wasserhaushaltsgesetzes eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen zu schaffen. Da die Umsetzungsarbeiten jedoch erst im Laufe des Jahres 1994 abgeschlossen werden könnten, bat sie die Kommission, von der Fortsetzung des Verfahrens abzusehen.

10 Mit Schreiben vom 30. Oktober 1993 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland und forderte sie auf, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.

11 In ihrer Antwort vom 26. Januar 1994 verwies die Bundesregierung u. a. auf die Ausführungen in dem Schreiben vom 11. Dezember 1992 und kündigte an, daß die erforderliche Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes im Laufe des Jahres 1994 erfolgen werde. Daher bat sie die Kommission, das Vertragsverletzungsverfahren ruhen zu lassen.

12 Die Kommission hat gleichwohl die vorliegende Klage eingereicht.

13 Vorab trägt die Kommission vor, daß die Klage nicht die Umsetzung der streitigen Richtlinien in den neuen Bundesländern betreffe.

14 Sie legt sodann dar, daß die streitigen Richtlinien in einer Weise umgesetzt werden müssten, die tatsächlich die vollständige Anwendung mit hinreichender Klarheit und Genauigkeit gewährleiste, um die Begünstigten in die Lage zu versetzen, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Denn der Gerichtshof habe bereits festgestellt, daß die Festlegung von Grenzwerten für Immissionen aufgrund von Richtlinien zum Umweltschutz durch Vorschriften erfolgen müsse, deren Verbindlichkeit unbestreitbar sei. Auch bestreite die Bundesrepublik Deutschland nicht, daß sie zur Umsetzung der streitigen Richtlinien keine allgemeinen und rechtlich verbindlichen Regelungen getroffen habe.

15 In ihrer Klagebeantwortung stellt die Bundesrepublik Deutschland fest, daß sich der Vorwurf der Kommission ausschließlich gegen die Form der Umsetzung richte. In Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofes nehme sie von ihrem Vorbringen, daß die Umsetzung durch Verwaltungsvorschriften ausreiche, Abstand. Für eine Umsetzung durch Gesetz würden die gesetzgebenden Körperschaften eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen in das Wasserhaushaltsgesetz aufnehmen, was der Bundesrepublik Deutschland erlauben werde, die streitigen Richtlinien durch Rechtsverordnungen umzusetzen. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Erlaß eines solchen Gesetzes für das Frühjahr 1996 angekündigt. Gleichwohl trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, daß die streitigen Richtlinien materiell bereits wirksam in deutsches Recht umgesetzt worden seien.

16 Die Bundesrepublik Deutschland bestreitet nicht, daß sie zur Umsetzung der streitigen Richtlinien keine allgemeinen und rechtlich verbindlichen Regelungen getroffen hat.

17 Ein Mitgliedstaat kann sich jedenfalls nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (vgl. insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 19. September 1996 in der Rechtssache C-236/95, Kommission/Griechenland, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 18).

18 Da die Bundesrepublik Deutschland bei Ablauf der Umsetzungsfristen für die streitigen Richtlinien noch keine Maßnahmen zu ihrer Durchführung erlassen hatte, ist festzustellen, daß sie gegen ihre Verpflichtungen aus den streitigen Richtlinien verstossen hat, indem sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um diesen Richtlinien, insbesondere deren Artikel 3, nachzukommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen ihre Verpflichtungen aus

° der Richtlinie 82/176/EWG des Rates vom 22. März 1982 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Quecksilberableitungen aus dem Industriezweig Alkalichloridelektrolyse,

° der Richtlinie 83/513/EWG des Rates vom 26. September 1983 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Cadmiumableitungen,

° der Richtlinie 84/156/EWG des Rates vom 8. März 1984 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Quecksilberableitungen mit Ausnahme des Industriezweigs Alkalichloridelektrolyse,

° der Richtlinie 84/491/EWG des Rates vom 9. Oktober 1984 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Ableitungen von Hexachlorcyclohexan und

° der Richtlinie 86/280/EWG des Rates vom 12. Juni 1986 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für die Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe im Sinne der Liste I im Anhang der Richtlinie 76/464/EWG

verstossen, indem sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um diesen Richtlinien, insbesondere deren Artikel 3, nachzukommen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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