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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.09.2008
Aktenzeichen: C-265/07
Rechtsgebiete: Richtlinie 2000/35/EG


Vorschriften:

Richtlinie 2000/35/EG Art. 2
Richtlinie 2000/35/EG Art. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

11. September 2008

"Geschäftsverkehr - Richtlinie 2000/35/EG - Bekämpfung von Zahlungsverzug - Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen"

Parteien:

In der Rechtssache C-265/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale civile di Roma (Italien) mit Entscheidung vom 21. Mai 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 2007, in dem Verfahren

Caffaro Srl

gegen

Azienda Unità Sanitaria Locale RM/C,

Beteiligte:

Banca di Roma SpA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, M. Ile¨ic und E. Levits (Berichterstatter),

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Caffaro Srl, vertreten durch G. Barcellona und R. Crincoli, avvocati,

- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Zadra und S. Schønberg als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 24. April 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L 200, S. 35).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Caffaro Srl (im Folgenden: Caffaro), der Gläubigerin, und der italienischen Behörde Azienda Unità Sanitaria Locale RM/C (im Folgenden: Azienda), der Schuldnerin, über eine Zwangsvollstreckung im Wege der Pfändung von Forderungen, die die Schuldnerin gegen die Banca di Roma SpA (im Folgenden: Banca di Roma), die Drittschuldnerin, hat, bei der die Pfändung vorgenommen wurde.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

"Diese Richtlinie definiert zwar den Begriff 'vollstreckbarer Titel', regelt jedoch weder die verschiedenen Verfahren der Zwangsvollstreckung eines solchen Titels noch die Bedingungen, unter denen die Zwangsvollstreckung eines solchen Titels eingestellt oder ausgesetzt werden kann."

4 Art. 2 der Richtlinie 2000/35 bestimmt:

"Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

...

5. 'vollstreckbarer Titel' Entscheidungen, Urteile oder Zahlungsbefehle eines Gerichts oder einer anderen zuständigen Behörde, nach denen eine Zahlung unverzüglich oder in Raten zu leisten ist und mit denen der Gläubiger seine Forderung gegen den Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung beitreiben kann; hierzu gehören auch Entscheidungen, Urteile oder Zahlungsbefehle, die vorläufig vollstreckbar sind und dies auch dann bleiben, wenn der Schuldner dagegen einen Rechtsbehelf einlegt."

5 Der 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/35 lautet:

"Artikel 5 dieser Richtlinie schreibt vor, dass das Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen innerhalb eines kurzen Zeitraums im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften abgeschlossen wird, verlangt jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten ein besonderes Verfahren einführen oder ihre geltenden gesetzlichen Verfahren in bestimmter Weise ändern".

6 Art. 5 der Richtlinie 2000/35 sieht vor:

"(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ein vollstreckbarer Titel unabhängig von dem Betrag der Geldforderung in der Regel binnen 90 Kalendertagen ab Einreichung der Klage oder des Antrags des Gläubigers bei Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde erwirkt werden kann, sofern die Geldforderung oder verfahrensrechtliche Aspekte nicht bestritten werden. Dieser Verpflichtung haben die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nachzukommen.

(2) Die jeweiligen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften müssen für alle in der Europäischen Gemeinschaft niedergelassenen Gläubiger die gleichen Bedingungen vorsehen.

...

(4) Dieser Artikel berührt nicht die Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ..."

Nationales Recht

7 Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669 vom 31. Dezember 1996, das nach Änderungen durch das Gesetz Nr. 30 vom 28. Februar 1997 in ein Gesetz umgewandelt wurde, dieses geändert durch Art. 147 des Gesetzes Nr. 388 vom 23. Dezember 2000 (GURI Nr. 302 vom 29. Dezember 2000, Supplemento ordinario, im Folgenden: Decreto-legge Nr. 669/1996), bestimmt:

"Staatliche Behörden und öffentliche nichtwirtschaftliche Einrichtungen schließen die Verfahren zur Vollziehung gerichtlicher und schiedsgerichtlicher Entscheidungen, die vollstreckbar sind und zur Zahlung von Geldbeträgen verpflichten, innerhalb einer Frist von 120 Tagen ab Zustellung des Vollstreckungstitels ab. Vor Ablauf dieser Frist kann der Gläubiger weder die Zwangsvollstreckung noch die Zustellung eines Mahnbescheids betreiben."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

8 Aus einem Vollstreckungstitel, der nach der italienischen Regelung zur Umsetzung der Richtlinie 2000/35 in innerstaatliches Recht ausgestellt worden war, betrieb Caffaro die Zwangsvollstreckung gegen die Azienda.

9 Die Zwangsvollstreckung fand im Wege der Pfändung von Forderungen der Azienda bei der Banca di Roma aufgrund einer beiden zugestellten Ladung vor das vorlegende Gericht statt.

10 Die Banca di Roma erschien in der Sitzung vom 13. Juni 2006 vor dem vorlegenden Gericht, dem gegenüber sie bestätigte, dass der Azienda gehörende Guthaben auf von ihr geführten Konten vorhanden seien, und erklärte, dass sie die Pfändung vollzogen habe.

11 In dieser Sitzung stellte das vorlegende Gericht fest, dass die Zwangsvollstreckung betrieben worden sei, ohne dass die in Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669/1996 vorgeschriebene Frist von 120 Tagen ab Zustellung des Vollstreckungstitels abgelaufen sei.

12 Caffaro, die Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669/1996 für mit der Richtlinie 2000/35 unvereinbar hielt, beantragte, diese Bestimmung unangewendet zu lassen, hilfsweise, eine Vorlageentscheidung zwecks Auslegung durch den Gerichtshof zu erlassen, in der dieser ersucht wird, über die Vereinbarkeit dieser nationalen Bestimmung mit der Richtlinie 2000/35 zu entscheiden.

13 Das Tribunale civile di Roma hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, deren Formulierung sich wie folgt zusammenfassen lässt:

Ist die Richtlinie 2000/35 dahin auszulegen, dass sie Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669/1996 entgegensteht, wonach ein Gläubiger, der im Besitz eines Vollstreckungstitels für die Beitreibung einer unbestrittenen Forderung gegen eine Behörde aus einem Handelsgeschäft ist, die Vollstreckung gegen die Behörde nicht vor Ablauf einer Frist von 120 Tagen ab Zustellung des Vollstreckungstitels an Letztere betreiben kann?

Zur Vorlagefrage

14 Einleitend ist festzustellen, dass die Richtlinie 2000/35 mit Blick auf ihre Ziele und das mit ihr eingeführte System auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. März 2006, Honyvem Informazioni Commerciali, C-465/04, Slg. 2006, I-2879, Randnr. 17).

15 Insoweit steht fest, dass die Richtlinie 2000/35 nur bezweckt, einige Vorschriften und Zahlungspraktiken in den Mitgliedstaaten so weit wie möglich zu harmonisieren, um den Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zu bekämpfen.

16 Wie nämlich der Gerichtshof bereits festgestellt hat, enthält die Richtlinie nur ganz bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit Zahlungsverzug, nämlich Vorschriften über die Zinsen bei Zahlungsverzug (Art. 3), den Eigentumsvorbehalt (Art. 4) und die Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen (Art. 5) (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2006, Kommission/Italien, C-302/05, Slg. 2006, I-10597, Randnr. 23, und vom 3. April 2008, 01051 Telecom, C-306/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 21).

17 Außerdem verweist die Richtlinie 2000/35 in mehreren Punkten auf das nationale Recht. Das gilt, wie sich aus ihrem 15. Erwägungsgrund ergibt, insbesondere für die verschiedenen Verfahren der Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel und die Bedingungen, unter denen die Zwangsvollstreckung aus einem solchen Titel eingestellt oder ausgesetzt werden kann (vgl. Urteil Kommission/Italien, Randnr. 24).

18 So verlangt Art. 5 der Richtlinie 2000/35 im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingeführten Systems von den Mitgliedstaaten lediglich, sicherzustellen, dass der Vollstreckungstitel, wie er in Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie definiert ist, unabhängig von dem Betrag der Geldforderung in der Regel binnen 90 Kalendertagen ab Einreichung der Klage oder des Antrags des Gläubigers bei Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde erwirkt werden kann, sofern die Geldforderung oder verfahrensrechtliche Aspekte nicht bestritten werden. Folglich harmonisiert die Richtlinie 2000/35 bei Verfahren zur Beitreibung nicht bestrittener Forderungen nur die Frist für die Erwirkung des Vollstreckungstitels, ohne die Zwangsvollstreckungsverfahren zu regeln, die weiterhin dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten unterliegen.

19 Es ist jedoch festzustellen, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, in keiner Weise die Frist berührt, innerhalb deren der Vollstreckungstitel erwirkt werden kann. Eine solche Bestimmung setzt vielmehr gerade voraus, dass der Gläubiger bereits über einen Vollstreckungstitel verfügt.

20 Dieses Ergebnis kann auch nicht durch den Vortrag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Frage gestellt werden, Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669/1996, der die Aussetzung der Zwangsvollstreckung während eines Zeitraums von 120 Tagen vorsieht, betreffe einen dem Zwangsvollstreckungsverfahren vorausgehenden Teil des Verfahrens zur Beitreibung der Forderung, der deshalb in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/35 falle.

21 Selbst wenn man nämlich mit der Kommission annähme, dass der genannte Art. 14 die Wirkung habe, den Beginn des Zwangsvollstreckungsverfahrens hinauszuzögern, würde dies doch in keiner Weise die Frist zur Erwirkung des Vollstreckungstitels berühren. Diese Frist stellt aber, wie sich aus Randnr. 18 des vorliegenden Urteils ergibt, den einzigen von Art. 5 der Richtlinie 2000/35 harmonisierten Gesichtspunkt des Verfahrens zur Beitreibung nicht bestrittener Forderungen dar.

22 Außerdem ergibt sich zwar aus dem Vorstehenden, dass dem Vollstreckungstitel nach Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669/1996 die Vollstreckbarkeit zeitweise genommen werden kann, doch bedeutet das entgegen der Auffassung der Kommission nicht, dass der effektive Schutz des Gläubigers unter Verletzung der Richtlinie 2000/35 in Frage gestellt wäre.

23 Nicht nur können nämlich, wie die Generalanwältin in Nr. 38 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die für die Vollstreckung der Zahlung erforderlichen Verfahren weiterbetrieben werden, sondern überdies werden, wie die italienische Regierung in der Sitzung bestätigt hat, die Maßnahmen, die die Azienda zur Vornahme der Zahlung ihrer Verbindlichkeit zu treffen hat, keineswegs ausgesetzt. Ganz im Gegenteil muss diese Behörde als Schuldnerin nach Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669/1996 alles tun, damit das Zahlungsverfahren innerhalb einer Frist von 120 Tagen abgeschlossen werden kann.

24 Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinie 2000/35 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Bestimmung wie Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669/1996, wonach ein Gläubiger, der im Besitz eines Vollstreckungstitels für die Beitreibung einer unbestrittenen Forderung gegen eine Behörde aus einem Handelsgeschäft ist, die Vollstreckung gegen die Behörde nicht vor Ablauf einer Frist von 120 Tagen ab Zustellung des Vollstreckungstitels an Letztere betreiben kann, nicht entgegensteht.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Bestimmung wie Art. 14 des Decreto-legge Nr. 669 vom 31. Dezember 1996, das nach Änderungen durch das Gesetz Nr. 30 vom 28. Februar 1997 in ein Gesetz umgewandelt wurde, dieses geändert durch Art. 147 des Gesetzes Nr. 388 vom 23. Dezember 2000, wonach ein Gläubiger, der im Besitz eines Vollstreckungstitels für die Beitreibung einer unbestrittenen Forderung gegen eine Behörde aus einem Handelsgeschäft ist, die Vollstreckung gegen die Behörde nicht vor Ablauf einer Frist von 120 Tagen ab Zustellung des Vollstreckungstitels an Letztere betreiben kann, nicht entgegensteht.



Ende der Entscheidung

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