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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 31.03.1993
Aktenzeichen: C-27/92
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 885/68/EWG, VO Nr. 2730/79/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 885/68/EWG Art. 6 Abs. 2
VO Nr. 885/68/EWG Art. 4
VO Nr. 2730/79/EWG Art. 20 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Systems der differenzierten Ausfuhrerstattungen, die für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse gewährt werden können, ist es wesentlich, daß die durch eine solche Erstattung bezuschussten Erzeugnisse tatsächlich den Bestimmungsmarkt erreichen, um dort vermarktet zu werden. Daher ist Artikel 6 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 4 der Verordnung Nr. 885/68 über die Grundregeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Rindfleisch und über die Kriterien für die Festsetzung des Betrages dieser Erstattungen und Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen dahin auszulegen, daß der Nachweis der Einfuhr in ein Drittland als nicht erbracht anzusehen ist, wenn begründete Zweifel bestehen, ob die in der Verzollungsbescheinigung im Sinne des Artikels 20 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2730/79 genannte Ware tatsächlich auf den Markt des Bestimmungslandes gelangt ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 31. MAERZ 1993. - MOELLMANN-FLEISCH GMBH GEGEN HAUPTZOLLAMT HAMBURG-JONAS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT HAMBURG - DEUTSCHLAND. - DIFFERENZIERTE AUSFUHRERSTATTUNG - RINDFLEISCH - VERZOLLUNGSBESCHEINIGUNG. - RECHTSSACHE C-27/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der IV. Senat des Finanzgerichts Hamburg hat mit Beschluß vom 20. Dezember 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Januar 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 885/68 des Rates vom 28. Juni 1968 über die Grundregeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Rindfleisch und über die Kriterien für die Festsetzung des Betrages dieser Erstattungen (ABl. L 156, S. 2) sowie von Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 3 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 der Kommission vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 317, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Die Frage, bei der es um die Beweiskraft einer Verzollungsbescheinigung geht, ist in einem Rechtsstreit zwischen der Möllmann-Fleisch-GmbH, der Klägerin des Ausgangsverfahrens, und dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas, dem Beklagten des Ausgangsverfahrens, aufgeworfen worden.

3 Der Firma Möllmann wurden differenzierte Ausfuhrerstattungen im Wege der Vorfinanzierung gezahlt. Am 16. Mai 1984 führte sie Rindfleisch nach Ägypten aus. Das Schiff traf Anfang Juni 1984 in Alexandria ein, wo die ägyptischen Behörden dem zur Einfuhr bestimmten Fleisch Proben für tierärztliche Untersuchungen entnahmen.

4 Am 15. Juni 1984 legte die Firma dem Hauptzollamt eine nicht datierte ägyptische Verzollungsbescheinigung über die Einfuhr des Fleisches nach Ägypten vor. Aus drei Dokumenten mit Datum nach dem 15. Juni 1984 ergibt sich, daß die Ergebnisse der tierärztlichen Untersuchungen negativ waren und das Fleisch infolgedessen zurückgesandt wurde. Das Hauptzollamt forderte sodann von der Firma den Betrag zurück, den sie als Ausfuhrerstattung erhalten hatte. In dem Rechtsstreit, den die Firma beim Finanzgericht Hamburg angestrengt hat, geht es darum, ob das Fleisch als auf den ägyptischen Markt gelangt gilt.

5 Nach Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung Nr. 885/68 erfolgt im Fall der differenzierten Erstattung deren Zahlung, sofern nachgewiesen wird, daß das Erzeugnis die Bestimmung oder das Bestimmungsgebiet erreicht hat, für die die Erstattung festgesetzt worden ist. Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 präzisiert, daß die Zahlung der differenzierten Erstattung davon abhängig ist, daß das Erzeugnis in das Drittland oder in eines der Drittländer eingeführt worden ist, für das die Erstattung vorgesehen ist. Nach Artikel 20 Absatz 2 dieser Verordnung gilt das Erzeugnis als eingeführt, wenn die Zollförmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr in dem betreffenden Drittland erfuellt sind.

6 Der Beweis für die Erfuellung dieser Förmlichkeiten wird nach Artikel 20 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2730/79 durch die Vorlage a) des Zolldokuments oder b) der Verzollungsbescheinigung erbracht. In Artikel 20 Absatz 4 sind weitere Dokumente für den Fall aufgeführt, daß die in Absatz 3 genannten Dokumente infolge von Umständen, auf die der Ausführer keinen Einfluß hat, nicht vorgelegt werden können oder diese Dokumente nicht genügen.

7 Zur Beweiskraft einer Verzollungsbescheinigung hat das Finanzgericht dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist der nach Artikel 6 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 885/68 und Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 für die Zahlung der differenzierten Erstattung erforderliche Nachweis der Einfuhr in ein Drittland, der durch die Vorlage einer Verzollungsbescheinigung nach Muster Anhang II zu Artikel 20 Absatz 3 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 geführt werden soll, bereits dann als nicht erbracht anzusehen, wenn begründete Zweifel bestehen, ob die in der Verzollungsbescheinigung genannte Ware tatsächlich den Markt des Drittlandes erreicht hat, oder muß das Gegenteil, also die Nichteinfuhr, bewiesen werden?

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 6 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 4 der Verordnung Nr. 885/68 und Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 dahin auszulegen ist, daß der Nachweis der Einfuhr in ein Drittland bereits dann als nicht erbracht anzusehen ist, wenn begründete Zweifel bestehen, ob die in der Verzollungsbescheinigung im Sinne des Artikels 20 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2730/79 genannte Ware tatsächlich den Markt des Drittlandes erreicht hat, oder dahin, daß das Gegenteil, also die Nichteinfuhr, bewiesen werden muß.

10 Die Firma Möllmann ist der Ansicht, dem Zolldokument und der Verzollungsbescheinigung komme volle Beweiskraft für die Einfuhr der Ware in das Drittland zu, im Unterschied zu den in Artikel 20 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2730/79 genannten Dokumenten, die nur widerlegbare Indizien für den tatsächlichen Zugang zum Markt darstellten. Wenn ein "begründeter" Zweifel genügen würde, um der Verzollungsbescheinigung jede Beweiskraft zu nehmen, würde die Beweislast zu Lasten des Ausführers umgekehrt. Nur der volle Beweis für die Nichteinfuhr der Ware in das betreffende Land könne dieser Bescheinigung ihre Beweiskraft nehmen.

11 Die Kommission bemerkt dagegen, die Erfuellung der Einfuhrförmlichkeiten bedeute nicht zwangsläufig, daß eine Einfuhr tatsächlich erfolgt sei. Sie bezieht sich insoweit auf das Urteil vom 11. Juli 1984 in der Rechtssache 89/83 (Dimex, Slg. 1984, 2815). Sie trägt vor, der Gerichtshof habe in diesem Urteil festgestellt, daß ein Erzeugnis, dessen Wiederausfuhr nach der Erfuellung der vom Bestimmungsland vorgesehenen Zollförmlichkeiten stattfinde, nicht als eingeführt gelte, wenn die zuständigen Stellen dieses Staates die Entscheidung, das Erzeugnis wieder auszuführen, anläßlich der Erfuellung der Zollförmlichkeiten träfen und der Verderb des Erzeugnisses, der zu dieser Entscheidung geführt habe, vor der Erfuellung dieser Förmlichkeiten eingetreten sei. Nach Ansicht der Kommission ist die Zurückweisung eines Erzeugnisses aufgrund gesundheitlicher Bedenken einem solchen Verderb gleichzusetzen.

12 Bezueglich des Nachweises der Einfuhr ist die Kommission der Auffassung, daß das Zolldokument, obwohl es sich um eines der wichtigsten Beweismittel handele, nicht mehr als ein widerlegbares Indiz sei und daß vielmehr pragmatisch zu prüfen sei, ob das fragliche Erzeugnis tatsächlich auf den Markt des Bestimmungslandes gelangt sei.

13 Wie der Gerichtshof bereits im Urteil Dimex (a. a. O., Randnr. 11) in bezug auf die Verordnung (EWG) Nr. 192/75 der Kommission vom 17. Januar 1975 über Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 25, S. 1) entschieden hat, zeigt der Umstand, daß Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 dieser Verordnung es den zuständigen Stellen erlaubt, andere Dokumente zu verlangen, wenn sie wegen der besonderen Verhältnisse im Bestimmungsland den Nachweis der Erfuellung der Zollförmlichkeiten als unzureichend ansehen, daß dieser Nachweis nur ein widerlegbares Indiz dafür ist, daß das Ziel der differenzierten Ausfuhrerstattungen tatsächlich erreicht wurde.

14 Ebenso wie die Vorschrift, um die es im Urteil Dimex ging, stellt aber Artikel 20 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2730/79 klar, daß andere Dokumente vorgelegt werden können, falls die in Absatz 3 aufgeführten Dokumente nicht genügen. Daraus folgt, daß die Verzollungsbescheinigung, auch wenn sie ein wichtigeres Beweismittel als die in Artikel 20 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2730/79 aufgeführten Dokumente dafür ist, daß eine Einfuhr stattgefunden hat, doch keinen unwiderlegbaren Nachweis darstellt.

15 Die Beweiskraft, die die Verzollungsbescheinigung normalerweise hat, kann daher entfallen, wenn begründete Zweifel aufkommen, ob die Waren tatsächlich auf den Markt des Bestimmungsgebiets gelangt sind, um dort vermarktet zu werden. Andernfalls wäre das Ziel der differenzierten Erstattungen gefährdet. Denn wie der Gerichtshof bereits in Randnummer 16 des Urteils Dimex (a. a. O.) entschieden hat, ist es unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Systems der differenzierten Erstattungen wesentlich, daß die durch eine solche Erstattung bezuschussten Erzeugnisse tatsächlich den Bestimmungsmarkt erreichen, um dort vermarktet zu werden.

16 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß es Sache des vorlegenden Gerichts ist, unter Berücksichtigung der Umstände des dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Falles zu entscheiden, ob insoweit ernstliche Zweifel bestehen.

17 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß Artikel 6 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 4 der Verordnung Nr. 885/68 und Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 dahin auszulegen ist, daß der Nachweis der Einfuhr in ein Drittland als nicht erbracht anzusehen ist, wenn begründete Zweifel bestehen, ob die in der Verzollungsbescheinigung im Sinne des Artikels 20 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2730/79 genannte Ware tatsächlich auf den Markt des Bestimmungslandes gelangt ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht Hamburg mit Beschluß vom 20. Dezember 1991 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 6 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 885/68 des Rates vom 28. Juni 1968 über die Grundregeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Rindfleisch und über die Kriterien für die Festsetzung des Betrages dieser Erstattungen und Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 der Kommission vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist dahin auszulegen, daß der Nachweis der Einfuhr in ein Drittland als nicht erbracht anzusehen ist, wenn begründete Zweifel bestehen, ob die in der Verzollungsbescheinigung im Sinne des Artikels 20 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2730/79 genannte Ware tatsächlich auf den Markt des Bestimmungslandes gelangt ist.

Ende der Entscheidung

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